IMI-Standpunkt 2007/007 - Interview in: Schwäbisches Tagblatt, tagblatt online, 26.01.2007

Tobias Pflüger: Steinmeier soll zurücktreten


von: Manfred Hantke / Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 29. Januar 2007

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TÜBINGEN/BRÜSSEL

(tol). Wird die Kurnaz-Affaire eine Affaire Steinmeier? Im Zusammenhang mit dem jahrelang unschuldig auf Guantanamo inhaftierten Murat Kurnaz aus Bremen gerät Außenminister Frank-Walter Steinmeier immer stärker unter Druck. Laut eines Berichts des CIA-Sonderausschusses des EU-Parlaments hat die damalige rot-grüne Regierung ein Angebot zur Freilassung abgelehnt. Dadurch musste Kurnaz noch weitere vier Jahre im Gefängnis der Amerikaner bleiben. Der Tübinger EU-Parlamentarier Tobias Pflüger (Linkspartei) fordert in einem Interview mit tagblatt online den Rücktritt von Steinmeier, der damals Kanzleramtschef war. Aber auch die damaligen Minister Joschka Fischer (Grüne, Außenministerium) und Otto Schily (SPD, Innenministerium) sollen zur Verantwortung gezogen werden.

Herr Pflüger, wie sicher und glaubwürdig ist der Bericht des CIA-Sonderausschusses des EU-Parlaments?

Der mit großer Mehrheit verabschiedete Bericht stellt ganz klar fest, dass die Bundesregierung mit verhindert hat, dass Kurnaz aus Guantanamo freikommen konnte. Die Bundesregierung ist nicht auf das Angebot der USA eingegangen. Alles, was jetzt als Begründung dafür nachgeschoben wird, ist fadenscheinig.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus dem Bericht?

Außenminister Steinmeier muss zurücktreten. Alles, was jetzt noch kommt an Ausreden, wird ihm dabei nicht mehr viel helfen. Aber auch der damalige Innenminister Schily und der grüne Außenminister Fischer müssen für ihre Mitwisserschaft dieser schweren Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden.

Haben Sie eine Erklärung, warum die rot-grüne Regierung nicht aktiv wurde?

Im Kriegsbündnis mit den USA in Afghanistan hat man wohl auch die entsprechenden Methoden mit akzeptiert: Entführung, Folter und Misshandlungen von Gefangenen waren für die rot-grüne Bundesregierung offensichtlich kein Problem. Auch jetzt werden fast tagtäglich Zivilisten getötet. Was mit den Gefangenen der Deutschen passiert, weiß niemand genau. Vermutlich werden sie den Afghanen und den USA auch zur Folter ausgeliefert.

Hätte die Bundesrepublik Kurnaz helfen müssen? Gab es eine konsularische Schutzpflicht?

Selbstverständlich hat die Bundesregierung eine Schutzpflicht. Aber auch noch den BND nach Guantanamo zu schicken, um den ohne Prozess Festgehaltenen zu befragen, ist einfach ein unglaublicher Skandal. Allein dafür müsste Steinmeier seinen Hut nehmen.

Kann Kurnaz Schadensersatzforderungen wegen seiner langjährigen Gefangenschaft auf Guantanamo gegenüber der BRD stellen?

Die Drangsalierungen haben natürlich auch eine zivilrechtliche Seite, die geklärt werden muss. Wenn sich im Verfahren die Feststellung des CIA-Untersuchungsausschusses erhärtet, dass die Bundesregierung eine Überstellung und damit ein Entkommen aus Guantanamo verhindert hat, ist auch Schadensersatz angebracht. Auch wenn Steinmeier, Fischer und Schily Herrn Kurnaz nie seine verlorenen Jahre zurückgeben können und all das wieder gutmachen können, was er offensichtlich auch durch ihre Handlungen hat erleiden müssen.

Interview: Manfred Hantke

INFO

Murat Kurnaz war im November 2001 in Pakistan festgenommen und US-Soldaten in Afghanistan übergeben worden. Von dort wurde er im Februar 2002 nach Guantánamo auf Kuba gebracht, wo er bis August 2006 ohne Prozess saß und nach eigener Schilderung gefoltert wurde.

Quelle: http://www.tagblatt.de/index.php?artikel_id=35625574