IMI-Standpunkt 2006/017 - Rede auf Antikriegsdemo am 18.03.2006 in Tübingen

Keine „gemeinsame internationale Ordnungspolitik“

mit "freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern"!

von: Johannes Plotzki | Veröffentlicht am: 20. März 2006

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Liebe Demonstrantinnen und Demonstranten, liebe Aktive gegen Gewalt und Krieg,

Der Krieg gegen den Irak begann vor mehr als 15 Jahren am 17. Januar 1991. Es ist ein bis heute andauernder Krieg.

Ein Krieg, der als einzigen positiven Nebeneffekt den Sturz des Diktators Saddam Hussein und die Beendigung des brutalen Baath-Regimes zur Folge hatte. Diese „militärische Leistung“, erreicht nach 12 Jahren Kriegshandlungen durch die größte Streitmacht der Erde, bedeutet bis heute für mehrere 10.000 unschuldige Zivilisten im Irak den Tod.

Dabei ging es gar nicht vorrangig um den Sturz des Diktators aus humanitären Gründen, so wie uns die Kriegsstrategen bei jedem neuen Krieg immer wieder Glauben machen wollen.

Worum ging es dann?

Mehrere 10.000 tote Zivilisten – einzig allein dafür, um westliche Ordnungspolitik im Nahen Osten durchzusetzen zu versuchen. Es ging und geht beim US-geführten Angriffskrieg auf den Irak, dem Sturz Saddams Husseins und der bis heute anhaltenden Besetzung ebenso wenig um die Verteidigung von Menschenrechten, wie dies beim Angriff auf Afghanistan im Jahr 2001 der Fall war.

Alleiniges Interesse ist die Sicherung von Rohstoffquellen und deren Transportwegen, es geht einzig allein um neoliberale Wirtschaftsinteressen der USA und der Europäischen Union. Wer daran immer noch zweifelt, und die USA oder aber die EU als gerechte Menschenrechtskrieger und Heilsbringer verklärt, soll sich nur einmal die Strategiepiere der USA und der EU anschauen, die sich teilweise detailgetreu ähneln und im Kern ein wesentliches Paradigma gemeinsam haben:

Die Durchsetzung neoliberaler Ordnungspolitik mit militärischen Mitteln.

Bei den beiden Dokumenten, auf die ich mich hier beziehe, handelt es sich zum einen um die Europäische Sicherheitsstrategie der EU und zum anderen um die „National Security Doctrin“ der USA.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wer von Euch kann sich denken, von wem folgende Worte stammen?

Um „Politik und Handeln anderer Nationen zu beeinflussen“ und um „den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen“, müssen wir „alle Mittel in Betracht ziehen … von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern.“

Das sind Worte der heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel, während ihres Auftritts bei der NATO-Sicherheitskonferenz im Jahr 2004. Vor zwei Jahren.

Dieses Jahr hielt Kanzlerin Merkel auf der NATO-Sicherheitskonferenz in München die Eröffnungsrede. Dort brachte sie wieder den Kern westlicher Kriegspolitik ziemlich prägnant auf den Punkt. Sie forderte die NATO-Staaten dazu auf, noch stärker als bisher: „eine gemeinsame internationale Ordnungspolitik“ zu betreiben.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir müssen Frau Merkel und allen anderen KriegsbefürworterInnen in Berlin und Brüssel eines deutlich machen: Wir pfeifen auf internationale Ordnungspolitik! Wir pfeifen auf Deutschlands Großmachtsambitionen.

– was wir wollen, ist die Erhaltung des Grundrechts auf Bildung – und keine Studiengebühren,
– die Erhaltung des Grundrechts auf Gesundheitsversorgung – und keine Praxisgebühren und privaten Zusatzversicherungen,
– und wir wollen, dass diejenigen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen möchten, gerechte Löhne erhalten, von denen es sich in Würde Leben lässt. Wir wollen kein entwürdigendes ALG II, kein Hartz IV und auch keine zwei schlechtbezahlten Jobs nebeneinander, um überleben zu können.

Wir alle wissen es: Genau die von Merkel proklamierte „gemeinsame internationale Ordnungspolitik“ mit „freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern“ wird seit langem schon in den Büros der Kriegsstrateginnen und Kriegsstrategen in Berlin, Brüssel und Washington wieder neu präzisiert.

Präzisiert für eine bestimmte Region. Für das irakische Nachbarland, den Iran.

Um eines voran zu stellen: Die antisemitischen Äußerungen und die Drohungen gegen Israel durch den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad sind klar zu verurteilen und mit großer Besorgnis auch von der Antikriegs- und Friedensbewegung aufgenommen worden.

Genauso klar müssen wir festhalten, dass die Pläne einer militärischen Intervention im Iran schon lange vor der Amtszeit Ahmadinedschads gemacht wurden.

Die zweite vom Iran ausgehende Bedrohung, die als Rechtfertigung für einen Krieg gegen den Iran angeführt wird, sind die Vorhaben der iranischen Regierung, die Urananreicherung wieder aufzunehmen.

Nur kurz ein paar Sätze zum iranischen Atomprogramm:

Im Grunde genommen legt die Regierung in Teheran nur die Pläne wieder auf, die Ende der 50er Jahre entstanden und mit den USA abgesprochen waren.

– 1967 wurde aus den USA der erste Forschungsreaktor nach Teheran geliefert.
– 1974 stieg die BRD in den Atomtransfer nach Persien ein. Die deutsche Kraftwerk Union (KWU), ein Joint-Venture von Siemens und AEG-Telefunken, wollte ein Atomkraftwerk in Buschehr am Persischen Golf bauen. Mit den Konstruktionsarbeiten wurde die Firma Thyssen-Krupp betraut.
– Die KWU zog sich 1991 aus dem Projekt zurück – nicht ohne 2,5 Milliarden Dollar zu kassieren.
– 1995 sprang stattdessen Russland ein. Der Bau verzögerte sich ständig, so dass Buschehr bis heute nicht ans Netz gegangen ist.
– Und schon 1975 schloss der damalige USA-Außenminister Henry Kissinger mit dem Schah-Regime Verträge über ein umfassendes Atomprogramm. Schon damals war geplant, 23 Atomkraftwerke bis zum Jahr 2000 zu bauen.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Bomben werfen!

Wenn ausgerechnet die EU-Troika, bestehend aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich, nun meinen, dem Iran mit Sanktionen drohen zu können, weil dieser angekündigt hat, die Urananreicherung wieder aufzunehmen, wird da einmal mehr mit doppelten Standards gehandelt.

Denn sie wollen dem Iran das verbieten, was sie selber betreiben, und darüber hinaus.

Frankreich und Großbritannien besitzen Atomwaffen, und verstoßen damit gegen den Atomwaffensperrvertrag.

Deutschland macht Urananreicherung in Gronau, und betreibt den Forschungsreaktor Garching mit atomwaffenfähigem Uran.

Mit der Einschaltung des UN-Sicherheitsrates ist der Countdown für einen militärischen Angriff auf den Iran eingeleitet.

Im Unterschied zum Irak-Krieg, sind diesmal Deutschland und Frankreich von vornherein direkt beteiligt.

Diese Entwicklung darf nicht tatenlos hingenommen werden.
Die Drohung mit einem Atomwaffeneinsatz ist eine Gefährdung des Weltfriedens durch Chirac.

Merkel leistet diesem Völkerrechtsbruch auch noch Vorschub.

Diesmal werden Antikriegs- und Friedensbewegung gegen eine direkte Beteiligung an der Vorbereitung und vielleicht auch Durchführung eines Krieges gegen den Iran agieren müssen.

Für einen Angriff auf den Iran dürfen keine Militärstützpunkte zur Verfügung gestellt werden.

Die deutsche Doppelstrategie beim Irak-Krieg – auf der einen Seite zwar keine eigenen Soldaten zu schicken, aber ansonsten alles zu tun, damit die Kriegsmaschinerie wie geschmiert läuft – wird diesmal nicht gehen.

Es geht nur: Für oder gegen Angriffe auf den Iran.

Wir als Antikriegs- und Friedensbewegung müssen deutlich machen, es besteht reale Kriegsgefahr, speziell auch durch das Agieren der deutschen Regierung.

Lasst uns dagegen aufstehen! Gegen die Militarisierung der EU!

Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!

Widersetzen wir uns diesem Krieg, denn wir wollen keine Weltmacht USA, wir wollen auch keine Weltmacht Europa oder Deutschland. Wir wollen eine andere, gerechte & friedliche Welt, ohne Atomwaffen und ohne militärische Infrastruktur.