IMI-Analyse 2006/006 - in: ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 504 / 17.3.2006

Es war gut, ihnen nicht geglaubt zu haben: Die deutsche Beteiligung am Irak-Krieg


von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 17. März 2006

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Als Vorbild der Eskalation gegenüber dem Iran scheint gegenwärtig der Irak-Krieg zu dienen. Wesentlicher Unterschied ist allerdings, dass Deutschland und Frankreich diesmal offen die Situation mit anheizen. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz der NATO warf Angela Merkel dem Iran vor, die rote Linie überschritten zu haben. Auch in der SPD wollen wichtige Vertreter wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Hans-Ulrich Klose eine „militärische Option“, das heißt einen Krieg, gegen den Iran nicht ausschließen. Währenddessen gerät die SPD durch gezielte Indiskretionen über das ganze Ausmaß der deutschen Unterstützung während des Irak-Krieges politisch immer weiter unter Druck.

Im August 2002 veröffentlichte ich eine Kurzanalyse zur Position der rot-grünen Bundesregierung zum Irak-Krieg unter dem Titel „Wir glauben euch noch nicht“. Deren Kernaussage: Die neue Anti-Kriegs-Position der rot-grünen Bundesregierung wäre nur dann glaubwürdig, wenn die Bundesregierung gegenüber der US-Regierung erklärte, den Krieg gegen den Irak in keinem Bereich unterstützen zu wollen – nicht finanziell, nicht durch Bundeswehr-Truppen oder durch Unterstützung von US-Truppen, nicht durch Zurverfügungstellung der militärischen Infrastruktur in Deutschland (d.h. der deutschen wie auch der US-amerikanischen Basen wie Spangdahlem, Ramstein, Frankfurt Airport); zudem müsste sie innerhalb der NATO gegen die Unterstützung eines Irak-Krieges ein Veto einlegen und die ABC-Kräfte der Bundeswehr aus Kuwait abziehen.

Für mich war der neue „Antikriegskurs“ von Schröder und Fischer auch deshalb wenig glaubwürdig, weil die rot-grüne Regierung sich an den Angriffskriegen gegen Jugoslawien und Afghanistan beteiligt und außerdem die Bundeswehr durch die „Reform“ genannten Strukturveränderungen entscheidend kriegsführungsfähig gemacht hatte.

Hinzu kamen die hochproblematischen Begründungen der Regierung für ihre angebliche Kriegsablehnung. So war die Rede von einem „deutschen Weg“; Originalton Gerhard Schröder: „Wir haben uns auf den Weg gemacht, auf unseren deutschen Weg. Aber wir haben nicht alles geschafft. Deshalb brauchen wir ein Mandat, diesen Weg bis zum Ende zu gehen.“ – „Ich denke, wir haben nach dem 11. September letzten Jahres bewiesen, dass wir besonnen und im Interesse der Sicherheit unserer Menschen handeln, mit der Staatengemeinschaft, mit den Freunden in den Vereinigten Staaten, dass wir aber für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen und dabei bleibt es.“ Von Besonnenheit konnte und kann beim Krieg in Afghanistan nicht die Rede sein: Dort ist u.a. die Elitetruppe des Kommandos Spezialkräfte im Einsatz.

Der „deutsche Weg“ der Heuchelei

Wenn die Bundesregierung tatsächlich gegen den Irak-Krieg gewesen wäre, hätte sie innerhalb der NATO erklären müssen, dass sie weder Truppen noch Infrastruktur zur Verfügung stellen werde. Wenn die europäischen NATO-Staaten sich konsequent und geschlossen gegen eine Irak-Invasion gestellt hätten, wäre diese weniger wahrscheinlich geworden. In der International Herald Tribune (IHT) vom 25.7.02 hieß es z.B., dass die europäischen NATO-Staaten durchaus den Krieg gegen den Irak verhindern oder doch zumindest um Monate hinauszögern könnten; die US-Regierung sei zu sehr auf die in Europa befindliche Militär-Infrastruktur angewiesen.

Außerdem hätte die Bundesregierung darauf drängen müssen, dass die diversen konkreten Kriegspläne, die George W. Bush vorgelegt wurden, öffentlich gemacht werden. Der Oberbefehlshaber der am Golf stationierten US-Truppen, General Tommy Franks, hatte am 6.8.02 einen neuen Angriffsplan gegen den Irak vorgelegt. In diesem Kriegsszenario wurde von einer Invasion mit 50.000 bis 80.000 Soldaten ausgegangen, die massiv von der Luftwaffe unterstützt werden sollten. Ein anderer Kriegsplan sprach von ca. 250.000 Soldaten, und in einem dritten war von „Kommandounternehmen“ zu Beginn die Rede.

Leider traf die damalige Analyse ins Schwarze. Die Bundesregierung schickte zwar keine eigenen Soldaten, tat aber sonst alles, damit die USA und ihre Verbündeten den Krieg führen konnten. Wenn wir uns nur die Enthüllungen der letzten Tage und Wochen über die BND-Aktivitäten in Bagdad anschauen, wird klar, dass Schröder und Fischer damals eine Doppelstrategie betrieben. Während die Wahlen 2002 mit dem Bonus des „Friedenskanzlers“ gewonnen wurden, gab offensichtlich der damalige Verantwortliche für die Koordination der Geheimdienste und heutige deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, grünes Licht für die Ausspähung von irakischen Kriegszielen für die US-Armee.

Zentral war aber, dass von in Deutschland befindlichen Militärbasen der USA und Großbritanniens der Krieg ungestört geführt werden konnte; wichtig waren damals die inzwischen geschlossene Rhein-Main-Airbase in Frankfurt, Ramstein und Spangdahlem in Rheinland-Pfalz. Zudem hatte die rot-grüne Bundesregierung auf Bitten der USA ab dem 24. Januar 2003 insgesamt bis zu 4.200 Bundeswehrangehörige zur Bewachung der etwa 80 US-Basen abgestellt, um die US-Armee zu entlasten. Die entsprechenden US-Kräfte konnten in den Irak verlegt werden. Bis Dezember 2005 waren noch rund 500 deutsche Soldaten im Einsatz. Klar ist, dass es hierbei einzig und allein um eine freiwillige und dazu grundgesetzwidrige militärische Entlastung für den Krieg gegen den Irak ging. Nach dem offiziellen Ende des Irak-Krieges – besser: nach Ende der Bombenphase – beteiligte sich die Bundeswehr an der Ausbildung irakischer Streitkräfte, denen sie auch noch die Ausrüstung überließ.

Sehr spät berichten nun deutsche und US-amerikanische Mainstream-Medien über das ganze Ausmaß der Unterstützung. Und Unterstützung durch Deutschland gab es in vielerlei Hinsicht – durch militärische Maßnahmen ebenso wie durch andere Hilfsdienste. Am nächsten dran waren rund 250 deutsche Bundeswehrsoldaten, die mit sechs ABC-Abwehrpanzern bereits seit Anfang 2002 in Kuwait stationiert worden waren. Vorgeschobener Grund dafür war der Schutz der kuwaitischen Bevölkerung vor befürchteten Angriffen mit biologischen und chemischen Waffen aus dem Irak. Die ABC-Abwehrspezialisten wurden auch während der Bombenphase nicht abgezogen. Sie kamen sogar zum Einsatz. Nach irakischen Raketenangriffen prüften deutsche Soldaten regelmäßig die Umgebung auf Kampfstoffe.

Logistische Drehscheibe im Angriffskrieg

Dazu kam die deutsche Beteiligung an AWACS-Flügen. So saßen Bundeswehrsoldaten auch in AWACS-Frühwarnflugzeugen, die angesichts des damals nahenden Irak-Krieges in der Türkei stationiert waren. Die AWACS-Flugzeuge können als „Feuerleitzentralen“ auch Bomberverbände und Jagdflugzeuge zu Angriffen führen und dienten somit ganz direkt der Kriegsführung. Wenig bekannt ist, dass rund ein Drittel der AWACS-Besatzung die deutsche Luftwaffe gestellt hat. Ohne die deutschen Spezialisten wäre ein Einsatz der AWACS-Flugzeuge unmöglich oder wesentlich schwieriger geworden. Der Kommandeur dieser im NATO-Verbund agierenden und im deutschen Geilenkirchen stationierten AWACS-Kampftruppe war ein deutscher General.

Selbst bei der von den USA gewünschten Lieferung von hochmodernen Patriot-Luftabwehrbatterien an die Türkei konnte Vollzug gemeldet werden. Der Trick: Die Bundeswehr gab entsprechende Waffensysteme an die Niederlande ab. Die wiederum stationierten dafür eigene Patriot-Raketen in der Türkei.

Die Bundesrepublik war ein logistischer Dreh- und Angelpunkt im Irak-Krieg. Vom US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz starteten Tag und Nacht die Flugzeuge mit Soldaten, Waffen, Munition und sonstigem Nachschub in Richtung Naher Osten. Material und Truppen wurden aber auch über den Seeweg transportiert. So benutzte etwa die britische Armee zur Verschiffung ihrer Einheiten den ostfriesischen Hafen Emden.

Zudem wurde der deutsche Luftraum für die Angriffe zur Verfügung gestellt. Die schweren B-52-Bomber der US-Luftwaffe flogen ihre Angriffe von Großbritannien aus, wurden aber auch von in Deutschland stationierten Tankflugzeugen auf dem Weg in den Irak aufgetankt und durchquerten dabei deutschen Luftraum. Ohne eine Genehmigung der deutschen Bundesregierung wäre dies nicht möglich gewesen.
Ramstein ist der größte US-Stützpunkt in Europa. Er war und ist auch das medizinische Zentrum für die Versorgung von im Irak verwundeten Militärangehörigen. Viele hundert verletzte Soldaten wurden hierher ausgeflogen und im benachbarten Landstuhl behandelt. Und durch die Aufstockung der deutschen NATO- und EU-Kontingente für die Militäreinsätze in Bosnien und Afghanistan wurden Kapazitäten für die US-Armee freigesetzt, die diese im Irak einsetzen konnte.

Von einer „Neutralität“ der Bundesrepublik in dem Konflikt kann keine Rede sein. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig verwies 2005 in einem Urteil darauf, dass nach dem Haager Abkommen von 1907 – der so genannten Haager Landkriegsordnung – Unterstützungslieferungen an Konfliktparteien unterbunden werden müssten. Auch die Erlaubnis für die Nutzung des Luftraums ist danach nicht zulässig. Den Verweis der Bundesregierung auf die NATO-Verträge, das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut hielten die Richter für nicht stichhaltig. Major Florian Pfaff, der sich weigerte, als Computerspezialist Hilfsdienste für den Irak-Krieg zu leisten, wurde das Recht zugestanden, die deutsche Unterstützung dieses völkerrechtswidrigen Krieges zu verweigern.

AWACS-Flugzeuge als Feuerleitzentralen

Dass sich die deutschen Sicherheitsbehörden mit den Nachrichtendiensten der befreundeten Länder absprechen, ist keine Überraschung. Das bisher bekannte Ausmaß, in dem die deutschen Dienste ihren US-Kollegen unter die Arme griffen, ist dagegen schon erstaunlich. Unwahrscheinlich ist, dass diese Zusammenarbeit das Werk von zwei BND-Agenten in Bagdad war, die angeblich auf eigene Rechnung arbeiteten.

Bis zu 100.000 ZivilistInnen sollen nach einer Studie von US-Wissenschaftlern infolge des Krieges im Irak ums Leben gekommen sein. Auch mehr als 1.700 US-Soldaten fanden seit Beginn der Invasion den Tod, etwa die Hälfte davon, seitdem US-Präsident Bush die Kampfhandlungen für beendet erklärte. Auf Drängen der USA hat sich auch die EU mehr und mehr im Irak engagiert; das wird auch von den deutschen grünen und sozialdemokratischen Europaabgeordneten unterstützt. Im Auswärtigen Ausschuss (AFET) des EU-Parlaments wurde der Bericht „Europäische Union und der Irak – ein Rahmenprogramm für ein zunehmendes Engagement“ im Juni 2005 mit großer Mehrheit angenommen. Auch die Grünen stimmten dafür. Der Bericht war bezeichnend für die Haltung der EU gegenüber dem Irak-Krieg. So fehlte darin jede Verurteilung des Angriffkrieges und der anhaltenden Besatzung. Alle Änderungsanträge mit der Forderung eines unverzüglichen Abzugs ausländischer Truppen wurden zurückgewiesen. Auf dieser Basis ist ein demokratischer Wiederaufbau des Irak unmöglich.

Dass die EU sich jetzt dazu hergibt, den neuen von den Besatzern abhängigen irakischen Behörden ein demokratisches Mäntelchen umzuhängen, ist aber der eigentliche Skandal. Nichts wurde dagegen unternommen, um die Wiederherstellung der vollen staatlichen Souveränität sowie die Rückgabe der Kontrolle über die landeseigenen Ressourcen an die Iraker zu fördern. Die EU stellte und stellt somit auch Geld bereit, um die zivile Seite der Besatzung zu stärken. Forderungen nach einer Strafverfolgung der für die Folterungen in Abu Ghraib politisch Verantwortlichen hingegen verursachen in Brüssel bei den Verantwortlichen nicht mehr als ein Achselzucken. Es ging und geht vor allem um einen Anteil am großen Kuchen der irakischen Wirtschaft. Um sich diesen zu sichern, ist die EU bereit, in Zukunft hunderte Millionen Direkthilfe an die irakischen Behörden zu leisten. Wohin das Geld wirklich fließt, weiß niemand.

Es war gut, Schröder und Fischer nicht geglaubt zu haben; und es war richtig, auf die deutsche Unterstützung des Irak-Krieges hinzuweisen. Der Friedenskanzler war in Wirklichkeit ein Kriegskanzler. Jetzt steht Deutschland davor, sich am nächsten Krieg – einem Angriff auf den Iran – zu beteiligen. Es gilt alles zu tun, um dies zu verhindern.