IMI-Analyse 2005/014

Eskalation in Afghanistan

KSK-Rambos auf dem Vormarsch

von: Claudia Haydt / Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 27. Mai 2005

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Klammheimlich wurden am Pfingstwochenende Voraustruppen des Kommando Spezialkräfte (KSK) aus Calw nach Afghanistan geschickt. Die Hauptkräfte werden in Kürze folgen, das berichtete Spiegel-Online am 21. Mai 2005. Ein kleinerer Teil des KSK soll die ISAF-Truppen im Norden unterstützen während ein größeres Kontingent die US-amerikanischen Truppen beim Kampf gegen Aufständische im Grenzgebiet zu Pakistan verstärken soll. Besonders in dieser Region hat sich die Lage in den letzten Wochen dramatisch zugespitzt. In der Zwischenzeit gibt es erste Fotos (Die Welt, 25.5.2005) aus Afghanistan, die belegen, dass die deutschen Elite-Soldaten vor Ort sind. Die Fotos wurden im US-Luftwaffenstützpunkt Bagram und in Khost, in der Grenzregion zu Pakistan, aufgenommen. Der Einsatz der KSK-Soldaten soll mindestens bis zur afghanischen Parlamentswahl im September – höchstens aber 6 Monate dauern. Offizielle Informationen zu Art, Ziel und Umfang des Einsatzes gibt es wie immer bei KSK-Einsätzen nicht.

Das KSK als Regierungstruppe

Formal stützt sich die Bundesregierung auf den am 16.11.2001 nach den Anschlägen vom 11. September gefassten Bundestagsbeschluss, deutsche Soldaten im „Krieg gegen Terror“ einzusetzen. Im Rahmen von Enduring Freedom ist auch der Einsatz von bis zu 100 Spezialkräften möglich. Die Bundesregierung nutzt diesen Beschluss seither als Vorratsbeschluss, um je nach politischer Opportunität für wechselnde Ziele und ohne jede öffentliche Diskussion ihre Elitetruppe zu entsenden. Das Parlament wird dabei nicht informiert, weder vor und während noch nach den Einsätzen. Nach § 6 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (ParlBetG) hat die Regierung zwar eine Unterrichtungspflicht gegenüber dem Parlament: „(1) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung im Einsatzgebiet.“ Doch wie schon bei früheren Einsätzen von Spezialkräften ignoriert die Bundesregierung diese Vorgaben. Selbst die Obleute der Fraktionen „kennen den genauen Auftrag und den militärischen Befehl nicht“ (Spiegel – Online, 21.05.2005) Faktisch ist damit das KSK eine Truppe der Exekutive und auf keinen Fall mehr eine Parlamentsarmee.

Schlechtes Timing

Der von deutschen Elitesoldaten unterstützte „Vormarsch der Freiheit“ (Georg W. Bush, 22.05.05) findet zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt statt. Die Öffentlichkeit in Afghanistan ist aufgebracht über Berichte von Koranschändungen in Guantanamo. Proteste haben bereits zu massiven Unruhen und Opfern in der Zivilbevölkerung geführt. Diese Art von „Freiheit“ und „Rechtsstaatlichkeit“ ist für die afghanische Bevölkerung erlebbar in Form von willkürlichen Verhaftungen, Misshandlungen, Folter und Tötungen von Gefangenen in US-Gefängnissen in Afghanistan. Hier stellt sich in der Tat auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit des „Antiterror-“ und „Antidrogeneinsatzes“ der KSK-Soldaten.
Mehr als nur schlechtes Timing ist der KSK-Einsatz, wenn wann berücksichtigt, dass der Hamburger Innersenator Udo Nagel seit Mitte dieser Woche Zivilisten nach Afghanistan abschieben lässt. Nagel weist dabei zu Recht darauf hin, dass das kein Hamburger Alleingang ist sondern lediglich die Umsetzung der Beschlusslage der Innenministerkonferenz. Es ist also ganz offizielle Bundespolitik, Flüchtlinge ohne Skrupel in eine Situation abzuschieben, die militärisch so gefährlich ist, dass die Regierung ihre Elitetruppe einsetzt. Doch auch ökonomisch ist Afghanistan nicht in der Lage die Flüchtlinge aufzunehmen. Selbst Basisinfrastruktur wie Wasser- und Abwasserversorgung ist in Kabul noch längst nicht wieder flächendeckend hergestellt.

Deutsches Kommando?

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Die deutschen Soldaten werden laut Spiegel-Online in ihrem Einsatzgebiet die „Coordinating Authority“ besitzen und somit die Ziele weitgehend selbst bestimmen. Diese Feststellung ist irreführend, denn das Oberkommando für Enduring Freedom liegt nach wie vor beim US-amerikanischen Central Command. Die KSK-Soldaten die nun im Süden auf die Jagd nach angeblichen Terroristen gehen, müssen sich im Zweifelsfall immer nach den Befehlen des CentCom richten. In begrenztem Umfang können die KSK-Soldaten aber nun offensichtlich über direkte Kampfhandlungen „direct action“ selbst entscheiden. „Das war schon immer unser Wunsch“ zitiert die Agentur ddp (26.5.2005) KSK-Vertreter aus Calw. Noch größere „Entfaltungsmöglichkeiten“ könnten deutsche Soldaten in Zukunft bei einem eigenen deutschen Besatzungssektor im Norden erhalten – wenn dieser nicht als Teil von Enduring Freedom geführt wird. Das grundsätzliche Dilemma des Umgangs mit Gefangenen bleibt aber in jedem Fall bestehen. Auch ohne Folterskandale gibt es das Problem, dass Gefangenen in den USA die Todesstrafe droht da sie nicht als Kriegsgefangene behandelt werden und dass eine Auslieferung in den möglichen Tod gegen deutsches Recht verstößt. Die „deutschen“ Gefangenen sollen deswegen nun an afghanische Sicherheitskräfte übergeben werden. Diese „Lösung“ stellt allerdings ebenfalls ein Problem dar, denn von rechtsstaatlichen Grundsätzen ist das afghanische Justizsystem noch weit entfernt und die Todesstrafe gibt es auch dort. Das Foltern und Morden an afghanische Behörden zu delegieren ist jedoch viel „eleganter“ und sorgt für wesentlich weniger schlechte Presse.

Absehbares Eskalationsszenario

Es weist vieles darauf hin, dass die Entsendung des KSK ein zentraler Baustein im Aufbau eines effektiven Besatzungsregimes ist, das sich auf das gesamte afghanische Territorium erstreckt. Der zukünftige deutsche Sektor wird sich wahrscheinlich über den gesamten Norden Afghanistans erstrecken. „Die Aufteilung des Landes in Zonen mit unterschiedlicher nationaler Zuständigkeit ist verbunden mit einer Intensivierung des Kampfes gegen den Drogenanbau.“ (Berliner Zeitung, 23.05.2005)
Ziel ist möglicherweise weniger der „Kampf gegen Drogen“ als vielmehr die Zerstörung der Drogenökonomie, aus der sich der Widerstand in Afghanistan finanziert. Da der Mohnanbau auch für Teile der Bevölkerung eine wichtige Einnahmequelle ist, kann sowohl von starkem Widerstand der Gruppen ausgegangen werden, die am Drogenanbau verdienen als auch von verstärktem Rückhalt dafür in der Bevölkerung. Die Befürchtungen des Verteidigungsministeriums, dass „die deutschen Soldaten dadurch vermehrt zum Ziel von Anschlägen werden können“ (Berliner Zeitung, 23. Mai 2005) sind wohl berechtigt. Die Unterscheidung zwischen den ISAF „Friedenstruppen“ und den Soldaten, die im Rahmen von Enduring Freedom Krieg führen, wird vor Ort wohl kaum vorgenommen werden. Der Einsatz einiger KSK-Soldaten zum „Schutz“ von ISAF-Truppen in Faisabad wird zur weiteren Verwischung der Grenzen zwischen den verschiedenen Einsätzen sorgen. Dass mit einer Eskalation der Lage gerechnet wird, zeigen die Pläne die Anzahl der britischen Truppen von 500 auf 5500 zu erhöhen (Scotland on Sunday, 22.5.2005). Der britische Einsatzschwerpunkt wird vor allem im Süden liegen. Die Einsätze der Koalition gegen den Terror in allen Teilen Afghanistans stehen unter dem Vorzeichen zunehmender Kampfhandlungen. Der Ausbruch eines offenen Krieges wird dann wohl mehr als 100 deutsche KSK Soldaten „nötig“ machen.
Die deutsche Regierung lässt sich ganz bewusst auf ein wahrscheinliches Eskalationsszenario ein. Eine Information oder gar eine Beteiligung von Parlament und Öffentlichkeit ist nicht vorgesehen.

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