IMI-Standpunkt 2005/029

EU-Beitritt Türkei: "Ein Markt mit siebzig Millionen Konsumenten"

Artikel von Tobias Pflüger in: europarot, Infoblatt der PDS-Delegation im EP, Ausgabe Februar 2005

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 1. März 2005

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Selten wurde im Europäischen Parlament wie im Bundestag so viel geheuchelt wie in der Debatte über die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Türkei.

CDU und CSU, die nie Probleme damit hatten mit einer türkischen Militärdiktatur herzlich zusammenzuarbeiten, und denen das Schicksal unterdrückter Kurden und anderer Minderheiten nicht der Rede, geschweige denn des politischen Asyls wert war, reklamieren jetzt heftig die Menschenrechte, die in der Türkei nicht weit genug entwickelt seien. Deshalb könne nicht über ihren Beitritt, nur über eine privilegierte Partnerschaft geredet werden. Mit dieser Scheinargumentation kann die Union aber nicht verdecken, dass es vielen in ihr – den Blick fest auf die Bundestagswahlen 2006 gerichtet – vor allem darum geht, nationalistische bis rassistische Emotionen auf die eigenen Mühlen zu leiten.

Umgekehrt die SPD und mehr noch die Grünen. Auch ihnen geht es im Bundestag wie im Europäischen Parlament nicht um Menschenrechte. Der französische Sozialdemokrat Michel Rocard brachte es im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments auf den Punkt: „Lassen Sie uns nicht so viel von Menschenrechten reden, lassen sie uns über das reden, um was es geht: um Geopolitik.“ Und auch EU-Kommissar Günter Verheugen, mit SPD-Parteibuch, ließ es an Deutlichkeit nicht fehlen: „Der Beitritt der Türkei würde Europa – ob Europa das will oder nicht – zu einem weltpolitischen Akteur ersten Ranges machen. Wir müssten bis dahin in der Tat in der Lage sein, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln, die diesen Namen auch verdient.“

Geopolitik, nicht Menschenrechte sind für die Europäische Union das Gebot der Stunde. Die EU-Kommission als ganzes unterstreicht die „geopolitische Dimension“ noch einmal. In einem eigens zur „Verplausibilisierung „des EU-Beitritts der Türkei gefertigten Arbeitspapier heißt es: „Die Türkei ist ein strategisch wichtiges Land. … Der Beitritt der Türkei würde der EU helfen, die Energieversorgungsrouten besser zu sichern. … Im Hinblick auf Zentralasien könnte die Türkei den politischen Einfluss der EU in dieser Region kanalisieren helfen. … Die Türkei hätte bei der Sicherung der Energieversorgung einer erweiterten EU eine wichtige Rolle zu spielen, da vor ihren Grenzen die energiereichsten Regionen d

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er Erde liegen. … Der türkische Beitritt könnte helfen, den Zugang zu diesen Ressourcen und ihre sichere Verbringung in den EU-Binnenmarkt zu gewährleisten.“ Die Rede ist auch von militärpolitischen Optionen: „Dank ihrer hohen Militärausgaben und ihres großen Streitkräftekontingents ist die Türkei in der Lage, einen bedeutenden Beitrag zur Sicherheit und Verteidigung der EU zu leisten.“ Diese militärstrategische und geopolitische Interessenlage der EU scheint letztlich hinter den hehren Worten: „Die EU ist eine Wertegemeinschaft. Die Werte der Europäischen Union sind universell und beruhen auf den Errungenschaften der Aufklärung“ zu stecken, mit denen salbungsvoll die eigene Bestimmung beschworen wird.

Bei der Realisierung von Demokratie und Menschenrechten in der Türkei dagegen geht es weniger glorios zu. Einige Beispiele zur aktuellen Situation:

* Nach Angaben von amnesty international wird in ähnlichen Ausmaßen wie zuvor weiter gefoltert, nur anders.
* Die Pressefreiheit wird permanent verletzt, missliebige Zeitungen werden mit Prozessen überzogen, für die geltende Gesetze den Rahmen bilden.
* Kriegsdienstverweigerer werden nach wie vor hart bestraft.
* Die Lage in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei bliebt angespannt, Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung.
* Wer über den Völkermord an den Armenier spricht oder schreibt oder die türkische Besetzung eines Teils Zyperns kritisiert, dem drohen weiterhin Anklage und jahrelange Haft.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben schließlich entschieden, dass die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei im Oktober 2005 aufgenommen werden sollen. Nach ihrer bisherigen Vorgehensweise zu urteilen, kann man sich sicher sein, dass es Ihnen um eines sicher nicht geht: Um die Situation der Menschen in der Türkei. Hingegen wird während der Beitrittsverhandlungen alles versucht werden, die menschenrechtliche Lage schön zu reden, damit die EU den ungehinderten Zugang – um noch einmal Herrn Rocard zu zitieren – zu einem „Markt mit siebzig Millionen Konsumenten“ erhält.

Quellen:
Rede Rocard, 13.12.2004: http://tinyurl.com/4gzuy
Erweiterungsseite der EU-Kommission: http://europa.eu.int/comm/enlargement/index_de.html

Europarot:
http://www.pds-europa.de/europarot

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