Dokumentation
Siemens – Profiteur des Irak-Kriegs
Lasst uns zwei wichtige Unternehmen auswählen, die von der Zerstörung Iraks profitieren, rief die indische Schriftstellerin Arundhati Roy den Teilnehmern des Weltsozialforums im Januar 2004 in Bombay zu...
von: isw / Claus Schreer / Dokumentation / | Veröffentlicht am: 3. März 2004
Original: http://isw-muenchen.de/download/sie-akt.html
Lasst uns zwei wichtige Unternehmen auswählen, die von der Zerstörung Iraks profitieren, rief die indische Schriftstellerin Arundhati Roy den Teilnehmern des Weltsozialforums im Januar 2004 in Bombay zu, und sorgen wir dafür, dass sie nicht weiter an Zerstörung und Krieg profitieren. Lebte die Autorin von Welt-Bestsellern in Deutschland, würde sie sagen: Lasst uns damit anfangen, den Siemens-Konzern zu boykottieren! Denn der größte Münchner Konzern, mit seinen über 400.000 Beschäftigten in aller Welt, ist der deutsche Global Player mit den größten Aufträgen im kriegszerstörten Irak.
Der bis Januar 2004 gültige Beschluss der US-Regierung, dass Firmen aus Kriegsgegner-Staaten sich nicht um Aufträge im Irak bewerben können, hatte Siemens von Anfang an nicht davon abhalten können, dort seine Geschäfte mit Krieg und Zerstörung zu machen. Der kalifornische Bechtel-Konzern, der zu den zehn wichtigsten Unterstützern der republikanischen Partei von US-Präsident Bush gehört, hat einen Groß-teil seines milliardenschweren Auftrags an Siemens weitervergeben. (Süddeutsche Zeitung, 8.1.2004). Auf der Hauptversammlung des Konzerns am 22. Januar 2004 erklärte Siemens-Vorstand von Pierer, ihm sei es gleichgültig, ob Siemens als prime contractor oder als secondary contractor im Irak ins Geschäft komme. Jedenfalls sei er sicher, das Engagement von Siemens dort werde sich weiterentwickeln. Bis Januar 2004 hatte Siemens bereits als Subunternehmer von Bechtel Aufträge für die Renovierung von zwei zerbombten Kraftwerken im Irak, war als Unterauftragnehmer einer kuwaitischen Telekomgesellschaft beim Aufbau eines Telefonnetzes beteiligt und lieferte Medizintechnik für die zerstörten und geplünderten Krankenhäuser.
Siemens wird prime contractor
Jetzt kann sich Siemens Hoffnungen auf noch größeren Profit im Irak machen. Ab Mai 2004 soll eine zweite „Wiederaufbau-Tranche“ in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar von Washington vergeben werden, und diesmal sollen auch Firmen aus den Kriegsgegner-Staaten als prime contractor, als Hauptunternehmer dabei sein. Siemens wird als einer der ersten Anwärter auf Mammutaufträge gehandelt. (Handelsblatt, 14.1.2004). Dies liegt keineswegs nur an der guten „technologischen Aufstellung“ des deutschen Konzerns. Vielmehr zeichnet Siemens eine besondere Nähe zur Bush-Regierung und zum militärisch-industriellen Komplex der USA aus. Siemens unterhält in der US-Hauptstadt ein eigenes „Political Action Committee“, dessen ureigener Zweck darin besteht, Politiker in Wahlkämpfen zu unterstützen und so den Siemens-Geschäften geneigt zu machen. (Daniela Decurtins: Siemens. Anatomie eines Unternehmens. Frankfurt/Wien 2002, S. 233). „Um möglichst nah am Kunden zu arbeiten“ (SiemensWelt, 3-4/03), hat Siemens im letzten Jahr ein eigenes Büro für Regierungsaufträge (Government Business Office) in Washington eröffnet, dessen Lobby-Spezialisten nach Angaben von Siemens bereits im Herbst 2003 „potenzielle Aufträge in Höhe von 300 Millionen US-Dollar ausgemacht“ haben.
Siemens war schon bisher einer der Hauptnutznießer des „Kriegs gegen den Terror“ in den USA. Im „Homeland Security Act“ haben die USA ein dichtes Überwachungsnetz über ihre Bürger geworfen. U.a. kann jetzt das FBI selbst – ohne den bisher vorgeschriebenen Anfangsverdacht – entscheiden, wessen persönliche Daten von Bankauszügen über Einkäufe bis zu persönlichen Beziehungen es sammeln und auswerten will. Das neue Heimatschutz-Minis-terium ist einer der ersten Auftraggeber für Siemens. Zusammen mit Boeing installiert Siemens an den über 400 US-Flughäfen neue Sicherungssysteme. Funktionen für Energiemanagement, Brandschutz, Kommunikation und Sicherheit übt Siemens an über 20.000 Standorten in den USA aus, unter anderem bei der New Yorker Börse und dem Kennedy Space Center. (Conrad Schuhler: Schöne Neue Siemens Welt. Hrsg: IG Metall Bayern und isw e.V. München 2003, S. 21).
Das Weiße Haus vertraut Siemens
„Auch zur Stärkung ihrer Verteidigungskraft“, meldet das Siemens-Mitarbeitermagazin, „vertrauen die USA auf Siemens.“ Fort Knox, nicht nur Lager der US-Goldreserven, sondern auch Heim der Panzerkavallerie der US-Armee, funktioniert dank der Kommunikationsanlagen von Siemens. Solche Systeme sind auch im US-Luftwaffenhauptquartier im Pazifik und auf zahlreichen Luftwaffenstützpunkten in den USA und Europa im Einsatz. Selbst das fliegende Hauptquartier des US-Präsidenten, „Air Force One“, ist von Siemens-Elektronik gesteuert. Fürwahr ein enges Verhältnis, weshalb es nicht Wunder nimmt, dass die US-Regierung 2002 Siemens mit einem globalen Anerkennungszertifikat bedachte, das bisher nur zwei IT-Firmen verliehen wurde. (A.a.O.)
Siemens, das sich mit seinen 70.000 Mitarbeitern in den USA dort als US-Firma darstellt, ist in Deutschland und Europa ebenso aktiv für die hiesigen Aufrüstungsinteressen beim Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee im Rahme der EU-Eingreiftruppe. Die Siemens-Tochter Krauss-Maffei-Wegmann präsentiert sich als „Systemführer in 22 Nationen“ (Wehrtechnik III/2002). Vom Kampfpanzer bis zu Raketenwerfern und gepanzerten Truppentransportern hat sie fast alles im Angebot, was künftige Boden-Interventionstruppen in aller Welt gebrauchen können.
Dazu zählt auch das NATO-System AGS zur Bodenüberwachung, für dessen Entwicklung sich Siemens in einem Konsortium zusammen mit dem US-Rüstungskonzern Raytheon, dem britischen Flugzeug- und Raketenkonzern British Aerospacce und der französischen Bombardier (!) Ende vergangenen Jahres beworben hat. Dieses Bodenüberwachungssystem stufte das NATO-Gipfeltreffen Ende 2002 in Prag zur Top-Priorität hoch, da es der Erkundung von Aktivitäten auf dem Land in Vorbereitung und Durchführung von Interventionskriegen und der Überwachung besetzter Gebiete dient. Dieses Waffensystem kommt jedoch so teuer, dass selbst Raytheon-Europachef Norman Ray die Gefahr sieht, „dass das Projekt am Ende nicht finanzierbar ist. Darum müssen vor allem auch einige große Bündnisländer mit dabei sein“, fordert er (zit. nach Handelsblatt, 10.11.03). Und zu diesen zählt in erster Linie Deutschland, dessen Regierung dann die fehlenden Rüstungsmilliarden einmal mehr durch finanzielle Einschnitte bei Rentnern, Arbeitslosen, Kranken, Schülern und Studenten hereinholen wird.
Siemens profitiert vom Krieg, von seiner Vorbereitung und seinen Folgen – die Friedensbewegung in unserem Land muss diesem Kriegsgeschäft Einhalt gebieten!