IMI-Standpunkt 2003/109 - Pressebericht / in: junge Welt, 09.12.2003
Eine bittere Bilanz
Friedenspolitischer Ratschlag tagte in Kassel: Neuer EU-Verfassungsentwurf gefordert
von: Uwe Reinecke / junge Welt | Veröffentlicht am: 10. Dezember 2003
Bereits zum zehnten Mal trafen sich am vergangenen Wochenende mehr als 350 Friedensaktivisten zum Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel.
»Wohl noch nie seit dem ersten Ratschlag 1994 war die Jahresbilanz so düster.« So leitete Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, die Tagung ein. Trotz des millionenfachen weltweiten Protests habe der Irak-Krieg nicht verhindert werden können.
Diese bittere Bilanz führte den Friedensratschlag aber nicht zu Resignation, sondern ganz im Gegenteil zu einem selbstbewußten Aufbruch. Vier wesentliche Betätigungsfelder werden der Friedensbewegung für die nächste Zeit vorgeschlagen.
Zur Aufarbeitung des Irak-Krieges soll ein internationales Tribunal »von unten« eingerichtet werden. Mehrere Stühle für die Angeklagten stehen bereit. Referent Hans von Sponeck, ehemaliger UN-Beauftragter des Irak-Projekts »Öl für Nahrungsmittel«, denkt dabei speziell an George W. Bush, Tony Blair und Saddam Hussein.
Die Kampagne »Abrüstung statt Sozialabbau« soll verstärkt weitergeführt und dadurch der Schulterschluß mit den Gewerkschaften und den globalisierungskritischen Gruppen effektiver gestaltet werden.
Die Proteste gegen die 40. »NATO-Sicherheitskonferenz« im Februar 2004 in München werden eine weitere Aufgabe der Friedensbewegung sein. Zehntausendfach will man sich den
»NATO-Kriegsplanern« entgegenstellen, so das klare Bekenntnis aus Kassel.
Als roter Faden zog sich das Thema der EU-Verfassung durch die Konferenz. Der vom EU-Konvent im Sommer dieses Jahres vorgelegte Entwurf wurde einmütig abgelehnt, denn dieser Text schreibt die langjährige Militarisierung der EU fest und erhebt diese in Verfassungsrang. In Artikel I 40 Absatz 3 heißt es unmißverständlich: »Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.« Wenn die EU-Verfassung wie geplant am 9. Mai 2004 in Rom unterzeichnet wird, ist in den dann 25 EU-Staaten innerhalb der nächsten zwei Jahre mit der Ratifizierung zu rechnen. Dies hätte zur Folge, daß das Grundgesetz nachrangig würde. Deutlicher ausgedrückt hieße das, daß das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges (Art. 26 GG) und der Verteidigungsauftrag an deutsche Streitkräfte (Art. 87a GG) durch die neue EU-Verfassung obsolet würden, da »Out of area-Kampfeinsätze« in der EU-Verfassung gebilligt würden. Die Teilnehmer beschlossen eine Erklärung »Gegen diese EU-Verfassung – für ein Europa, das sich dem Krieg verweigert«. In ihr wird gefordert, daß »ein neuer Verfassungsentwurf auf breiter gesellschaftlicher Basis unter Einschluß sozialer, emanzipatorischer Bewegungen« erarbeitet wird.