IMI-Standpunkt 2003/100 - in: Linksruck Nr. 165, 12. November 2003
Afghanistan: „Es geht um deutsche Weltmachtansprüche“
Interview mit Tobias Pflüger: Am 24. Oktober wurde die Ausweitung des Bundeswehrmandats in Afghanistan beschlossen. Mit Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung sprach Monika Krala über die Hintergründe des Afghanistaneinsatzes.
von: Monika Krala / Tobias Pflüger / Interview / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 15. November 2003
Frage: Das Einsatzgebiet der deutschen Truppen wurde angeblich ausgeweitet, damit deutsche Soldaten den Afghanen helfen können, ihr Land demokratisch aufzubauen.
Antwort: Es geht nicht um Demokratie, sondern rein um die Durchsetzung deutscher Weltmachtambitionen. Wie Peter Struck sagte: „Deutsche Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Zivile Hilfsorganisationen haben sich entschieden gegen die Stationierung der Bundeswehr in Kundus ausgesprochen: „Die stören“, sagen sie. Die afghanische Bevölkerung nimmt ausländische Soldaten als Besatzer war. Deshalb werden Mitarbeiter von Hilfsorganisationen zu Zielscheiben, wenn sie sich von den Bundeswehrsoldaten beschützen lassen.
Kundus ist eine der Regionen, in denen umfangreich Opium angebaut wird – unter anderem zur Versorgung der großen Privatarmee von Verteidigungsminister Fahim. Die Bundeswehr hätte entweder gegen den Drogenanbau vorgehen können und hätte dann einen sehr stressigen Auslandseinsatz, oder sie tut nichts und schützt ihn damit de facto.
Die Bundesregierung hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Also kann das Drogengeschäft um die Bundeswehr herum munter weiter gehen.
Frage: Warum lobt Bush jetzt „die großartige Arbeit der deutschen Armee in Afghanistan“?
Antwort: Es gibt eine bewährte Arbeitsteilung zwischen der deutschen und der US-Regierung: Deutschland kümmert sich um Afghanistan; und dafür werden vorläufig keine deutschen Soldaten im Irak stationiert. Stattdessen sind seit Monaten GSG-9 Einheiten im Irak. Diesen „Big Deal“ hat Joschka Fischer eingefädelt.
Frage: Warum unterstützt Schröder jetzt Bushs Politik, obwohl er gegen den Krieg im Irak war?
Weil Schröder eigentlich nie gegen den Irakkrieg war. Die Bundesregierung hat immer nur gesagt, dass sie einer UN-Resolution nicht zustimmen werde, die einen Krieg legitimiert. Aber konkret hat die Bundesregierung alles getan, damit dieser Krieg Erfolg hatte: Militärisch durch Transporte von und über Deutschland und durch UN-Beschlüsse, denen Deutschland jetzt zustimmt.
Frage: Was meint Schröder mit der „Emanzipation nach Außen“? Warum soll die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umgebaut werden?
Deutschland will und wird also bei den zukünftigen Kriegen dabei sein. Die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) sehen vor, dass Deutschland „seine Interessen und seinen internationalen Einfluss“ weltweit, schnell und wirksam mit Streitkräften durchsetzt. Die Strukturen auch aller anderen westlichen Armeen werden auf Interventionsfähigkeit getrimmt, um Kriege gegen Staaten und Menschen im Süden zu führen.
Frage: Wie können wir gegen die Militarisierung Deutschlands, der EU und Bushs globalen Feldzug vorgehen?
Wir müssen deutlich machen, dass Deutschland politisch und militärisch ein zentraler Spieler ist. Der Hauptgegner der deutschen Antikriegs- und Friedensbewegung ist die deutsche Bundesregierung. Sie bereitet derzeit gemeinsam mit den anderen EU-Regierungen eine neue EU-Verfassung vor, die alle Staaten der EU ausdrücklich zur Aufrüstung verpflichtet. Und es werden Kampfeinsätze weltweit in der Verfassung festgelegt. Wir müssen politisch aufklären und zeigen, dass dahinter keine Friedenspolitik steht, sondern eine genauso aggressive Interessenspolitik wie bei der US-Regierung. Wenn möglich sollten wir eine Kampagne gegen diese EU-Verfassung starten.
Den Auftakt der kommenden Proteste macht am 12. Dezember eine Anhörung zum Tribunal gegen den Irakkrieg in München. Vom 09. bis 11. Januar organisieren wir einen Antikriegskongress. Und während der so genannten „Sicherheitskonferenz“ der NATO im Februar in München wird es Demonstrationen und Proteste geben.
Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler, Kriegsgegner und im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung.