IMI-Standpunkt 2003/096 - in: Volksstimme, 16.10.2003

Die Kosten der Besatzung


von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 17. Oktober 2003

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Die Verhältnisse im Irak sind noch nicht so geordnet, dass Bush seine Soldaten beruhigt nach Hause holen könnte. Das neue Herrschaftssystem im Irak ist nicht stabil genug, hinzu kommen beinahe täglich Anschläge. Vor allem aber ist die Privatisierung der irakischen Wirtschaft noch längst nicht abgeschlossen.

Jetzt ist es also auch der US-Regierung aufgefallen: Verteidigungsminister Donald Rumsfeld leidet an „Dickköpfigkeit“ und „Egomanie“. So jedenfalls lassen sich Mitarbeiter des Weißen Hauses in der Presse zitieren. Weil im Irak nichts so läuft wie von den Strategen im Pentagon geplant, wurde kurzerhand ein Planungsstab im Weißen Haus eingerichtet, der sich unter dem Kommando von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice um die Irak-Politik kümmern soll.

„Es geht darum, den Rumsfeld-Leuten endlich klar zu machen, was die Realität im Irak ist, und dass die Dinge so, wie sie das Pentagon betreibt, nicht funktionieren“, äußerte sich ein Präsidentenberater gegenüber der „New York Times“ in aller Deutlichkeit. Rumsfeld hat von dem neuen Gremium im Weißen Haus, das ihm Konkurrenz macht, angeblich erst aus der Presse erfahren. Gegenüber JournalistInnen konnte er beim NATO-Treffen in Colorado Springs nicht erklären, was die Neuverteilung der Macht bezwecken soll. Die „New York Times“ zitiert einen Diplomaten mit den Worten: „Rumsfeld gefällt das gar nicht, weil er nicht zugeben will, dass etwas schief gegangen ist. Aber das ist nichts Neues. So ist Rumsfeld.“

Offiziell bleibt die US-Regierung allerdings bei ihrer bisherigen Politik, von einem Streit in der Administration ist keine Rede. Stattdessen hat die Regierung eine neue PR-Offensive gestartet – hohe Regierungsmitglieder verteidigen nun in öffentlichen Reden die Irak-Politik. Demnach haben die USA „das irakische Volk von einem mörderischen Diktator und die Welt von einer Gefahr für unseren künftigen Frieden und unsere künftige Sicherheit befreit“, wie Vizepräsident Dick Cheney am 10. Oktober in einer Rede vor der konservativen Heritage-Foundation bekräftigte.

Selbst die Legende von der Verbindung zu Al-Kaida und über irakische Massenvernichtungswaffen wärmte Cheney dabei noch einmal auf, obwohl es seine Regierung doch erst Anfang Oktober schwarz auf weiß bekommen hatte, dass im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden. Dass Saddam Hussein bis 1990 guter Verbündeter der USA war und nur in dieser Zeit – also mit Rückendeckung der USA – Massenvernichtungswaffen eingesetzt hat, kam in der regierungsamtlichen Geschichtserzählung natürlich nicht vor.

Wahlkampf und Krieg

Hintergrund der PR-Kampagne sind auch die näher rückenden Präsidentschaftswahlen. Kandidaten der Demokraten kritisieren den Irak-Krieg immer deutlicher und fordern den Abzug von US-Truppen aus dem Irak. Doch die US-Regierung denkt gar nicht daran. Die Verhältnisse im Irak sind noch nicht so geordnet, dass Bush seine Soldaten nach Hause holen könnte. Das neue Herrschaftssystem im Irak ist nicht stabil genug, hinzu kommen beinahe täglich Anschläge, die die US-Regierung mal dem alten Regime, mal neuen islamistischen Terroristen zuschreibt. Vor allem aber ist die Privatisierung der irakischen Wirtschaft noch längst nicht abgeschlossen.

Wie der Wiederaufbau des Irak finanziert werden soll, ist nach wie vor unklar. Billig wird es jedenfalls nicht: Laut einer Studie Weltbank und Besatzungsbehörde sind allein im nächsten Jahr fast 17.5 Milliarden Dollar für Wiederaufbau nötig, um etwa das Gesundheits- und Bildungswesen und den Sicherheitsapparat aufzubauen. Für die nächsten vier Jahre braucht der Irak laut Weltbank und Besatzungsbehörde 55 Milliarden Dollar. Beim Kongress hat Bush deshalb Gelder in Milliardenhöhe für den Wiederaufbau und Besatzung beantragt. Am 10. Oktober hat ein Ausschuss des Repräsentantenhaus der Vorlage zugestimmt. Aus dem Antrag geht hervor, was im Moment die meisten Kosten verursacht: die Besatzung. Während für Militär 65 Milliarden Dollar vorgesehen sind, gibt es für Wiederaufbau nur 18.6 Milliarden Dollar.

Damit mutet die Regierung dem amerikanischen Haushalt einiges zu. Hilfe aus anderen Ländern muss also her, doch bei den Vereinten Nationen kommt die Bush-Administration in dieser Sache überhaupt nicht weiter. Zwar steht der Appell von Bush an die Vereinten Nationen, beim Wiederaufbau behilflich zu sein. Eine Resolution, die die Bedingungen klären soll, unter welchen Umständen die UNO und andere Länder tätig werden können, ist aber weiter nicht in Sicht. Mehrwöchige und ergebnislose Verhandlungen haben gezeigt, dass die US-Regierung keine Resolution bekommt, ohne selbst etwas anzubieten.

Vor allem Frankreich und UN-Generalsekretär Kofi Annan widersetzen sich den US-amerikanischen Plänen. Ihrer Ansicht nach sollte der Irak möglichst schnell in die Souveränität entlassen werden, in der Übergangsphase müssten die USA die Macht teilen. Letzteres lehnt die US-Regierung vehement ab. Inzwischen denkt die Bush-Administration laut darüber nach, ganz auf die UN-Resolution zu verzichten. „Einige Länder neigten in unsere Richtung. Aber nach der Aussage des Generalsekretärs wurden sie misstrauisch, ob sie etwas unterstützen sollten, was er ablehnt“, zitiert die „New York Times“ einen US-Beamten. Außenminister Powell hat am 11. Oktober angekündigt, noch einen Versuch unternehmen zu wollen, doch noch zu einer Einigung im Sicherheitsrat zu kommen.

Konkurrenz EU-USA

Außerdem hofft Washington auf die Geberkonferenz Ende Oktober in Madrid. Die EU hat zusätzlich zu den bereits versprochenen 100 Millionen Euro humanitärer Hilfe weitere 200 Millionen Euro (235 Millionen Dollar) zugesagt. Nicht inbegriffen sind darin finanzielle Hilfen von einzelnen EU-Mitgliedsstaaten. Die Zusage ist allerdings an eine entscheidende Bedingung geknüpft, die deutlich macht, wie auch die EU mit Wiederaufbaugeldern Politik macht. Das Geld soll in einen eigenen Fond kommen, der von Vereinten Nationen und Weltbank verwaltet wird, und müsse zudem von amerikanischen Wiederaufbaumitteln strikt getrennt werden, erklärte EU-Kommissar Chris Patten. Hinter dem „Misstrauen“ gegenüber den USA stehen natürlich eigene Interessen – europäische Firmen wollen ebenfalls am Irak verdienen. Die deutsche Wirtschaft zum Beispiel mobilisiert bereits zur Messe „Rebuild Iraq 2004“, die im Januar in Kuwait stattfinden soll.

Mit der Privatisierungspolitik à la Washington werden aber nicht nur europäische Interessen tangiert. Auch der Wiederaufbau selbst wird behindert, wie einmal mehr der Ökonom Paul Krugman in der „New York Times“ kritisierte. Als Beispiel führt er das Telefonnetz und die Stromwirtschaft an. In beiden Fällen seien lokale Firmen bzw. Experten aus dem Geschäft gedrängt worden. Was das Telefonnetz betrifft, wurde der Auftrag noch immer nicht vergeben, obwohl zwei arabische Firmen längst Interesse bekundet hatten. Im Fall der Stromwirtschaft ging der Auftrag nicht an eine irakische Firma, sondern an den US-Konzern Bechtel, der bisher vor allem durch gute Beziehungen zur Bush-Regierung aufgefallen war. Krugmans ernüchterndes Fazit: „Selbst in einer Situation, in der es mit dem Irak abwärts geht und der irakische Verwaltungsrat mehr Autonomie und Kontrolle verlangt, blockieren amerikanische Beamte lokale Initiativen und versuchen, die großen Verträge in der Hand von Man-weiß-schon-wem zu halten.“

Original: http://www.volksstimme.at/arch/woche/2003/42-07-01.html

Beim Autor: http://www.dirk-eckert.de/texte.php?id=449