Pressebericht - in: Neues Deutschland, 13.10.03

Wer Friedenspolitik betreibt, muss EU-Verfassung ablehnen

Papier aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung / Debatte auch im PDS-Parteivorstand

von: René Heilig und Wolfgang Hübner / Neues Deutschland / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 14. Oktober 2003

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Mitglieder des Gesprächskreises Frieden und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung äußerten sich in einem Thesenpapier zum Entwurf einer Verfassung für die Europäische Union. Am Samstag beriet auch der PDS-Parteivorstand zu diesem Thema.

In der Verfassungsdiskussion aber auch im Wahlkampf zum Europäischen Parlament, müssten die Fragen aufgeworfen werfen: In welche Richtung soll sich EU-Europa entwickeln? Wie kann die EU zur Bewältigung der sich verschärfenden globalen Probleme beitragen? Vor diesem Hintergrund habe man sich insbesondere mit jenen Verfassungsteilen beschäftigt, die der »Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik« gelten. Zwar gebe es Verweise auf diplomatische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische und völkerrechtliche Maßnahmen und Instrumente, doch blieben sie »formal und im Wesentlichen auf Aspekte der Entscheidungsfindung und Abstimmung beschränkt«.

Auch Präventivkriege wären möglich

Man sehe vor allem drei Gefahren, die durch die Annahme dieser Verfassung verschärft würden: Erstens wird Krieg als Mittel der Politik weiter enttabuisiert und sogar als unausweichliches Mittel zur Interessenwahrung des neu formierten EU-Staatengefüges legitimiert. Zweitens erhalten weitere Aufrüstung sowie Rüstungsmodernisierung für alle EU-Mitgliedsstaaten Verfassungsrang. Drittens: Die Versuchung, regionale oder lokale Krisen eigenmächtig militärinterventionistisch zu lösen, wird zunehmen und damit weltweit Rüstungsdynamik provozieren.

Das Papier wurde von Dr. Michael Berndt, Dr. Lutz Schrader, Dr. Erhard Crome, Dr. Peter Strutynski, Prof. Dr. Hans Jürgen Krysmanski Dr. Dietmar Wittich, Ingrid el Masry, Prof. Dr. John Neelsen, Tobias Pflüger, Prof. Dr. Rainer Rilling, Prof. Dr. Werner Ruf, Paul Schäfer unterzeichnet. Sie kritisieren scharf, dass EU-Streitkräfte zu »Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen« eingesetzt werden können. Das Beschwören einer diffusen Terrorismusgefahr werde so auch in Europa zu einer allgegenwärtigen Rechtfertigungsformel für globale Militärinterventionen gemacht. Nicht einmal Präventivkriege seien mit dem Verfassungsentwurf ausgeschlossen.

Parallel dazu wird auf undemokratische Entscheidungsstrukturen verwiesen. »Über militärische Einsätze der EU entscheidet der Ministerrat«, so regelt es Artikel 40 Absatz 4 des EU-Verfassungsentwurfs. Ähnlich der Artikel 198 Absatz 1: »Verlangt eine internationale Situation ein operatives Vorgehen der Union, so erlässt der Ministerrat die erforderlichen Europäischen Beschlüsse.« Eine Beteiligung des EU-Parlaments sei von vornherein nicht vorgesehen. In Absatz 8 des Artikels 40 wird lediglich geregelt, dass das EU-Parlament zu »wichtigsten Aspekten« regelmäßig anzuhören sei und über die Entwicklung der »grundlegenden Weichenstellungen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf dem Laufenden gehalten« werden soll.

Das nicht vorhandene Kontrollrecht des EU-Parlaments verstößt gegen Grundsätze von Gewaltenteilung und parlamentarischer Demokratie. Das hat auch Auswirkungen auf die Bundesrepublik: Nach Artikel 26 des Grundgesetzes sind alle Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges, verfassungswidrig und nach dem Strafrechtsparagrafen 80 unter Strafe gestellt. Ergänzend bestimmt Artikel 87a, dass der Einsatz der Bundeswehr auf die Verteidigung beschränkt ist.

Modrow: Enthaltung war ein Fehler

Die Autoren vertreten die Auffassung, dass die Potenziale der EU für die Zivilisierung und Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen, für eine nachhaltige Entwicklung in globalem Maßstab genutzt und entwickelt werden sollten. »Daher lehnen wir den vorliegenden Verfassungsentwurf aus friedenspolitischen Erwägungen ab. Zugleich raten die Unterzeichner des Positionspapieres allen »demokratischen und friedensorientierten Abgeordneten sowie Parteien in der EU dringend dazu, ihr Nein zur Militarisierung der EU deutlich zu machen«. Diese Erwartung richtet sich selbstverständlich gerade an die PDS, die als einzige Partei, klare Positionen für eine »Zivilmacht Europa« bezogen hat.

In der PDS-Spitze selbst gibt es dazu derzeit unterschiedliche Ansichten. Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke etwa hält es »inzwischen für richtig, den EU-Verfassungsentwurf abzulehnen«. Zwar müsse die PDS deutlich machen, dass sie eine EU-Verfassung an sich begrüße; zum vorliegenden Entwurf aber müsse sie wegen der darin enthaltenen Militarisierungstendenzen Nein sagen. Auch der PDS-Ehrenvorsitzende und Europaabgeordnete Hans Modrow wendet sich mittlerweile gegen die EU-Verfassung. Hans Modrow hatte sich noch im September gemeinsam mit den fünf anderen PDS-Abgeordneten im EU-Parlament bei der Abstimmung über den Verfassungsentwurf der Stimme enthalten. Inzwischen bezeichnete er das öffentlich als Fehler und setzt sich für die Ablehnung des Entwurfs ein. Erstens, so Modrows Begründung, fehle im Verfassungsentwurf der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit – als Grundlagen seien dort nur Wettbewerb und Markwirtschaft genannt, weshalb Modrow von einer Wirtschaftsverfassung spricht. Und zweitens würden mit dieser Verfassung die EU-Mitgliedsstaaten sowohl zur Rüstung als auch zu militärischen Auslandseinsätzen verpflichtet. »Damit ist die EU schärfer als die NATO«, meint Modrow. Zwar läuft derzeit noch die Regierungskonferenz der EU-Staaten, auf der abschließend über die Verfassung beraten wird. Doch Modrow sieht angesichts der politischen Kräfteverhältnisse »keine Chance für solche Verbesserungen, die für Linke akzeptabel sein könnten«.

Dagegen wollen andere PDS-Politiker, so die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann, die Ergebnisse dieser Regierungskonferenz abwarten, bevor sie sich eine endgültige Meinung bilden. Kaufmann und andere tun sich auch deshalb schwer mit einem Nein, weil sie die ebenfalls im Verfassungsentwurf enthaltenen Grundrechte-Charta positiv sehen. Zwar praktisch wohl ohne Chance, aber immerhin ein listiger Vorstoß wäre die unter Vorständlern erwogene Idee, für die EU-Verfassung jene Passage aus dem Grundgesetz vorzuschlagen, wonach die Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen verboten ist.

Klare Positionen spätestens zur Europawahl

Insgesamt scheint sich die PDS-interne Debatte über die EU-Verfassung stark auf die militär- und außenpolitische Passage zu konzentrieren. Dies findet seinen Widerhall auch in der anlaufenden Diskussion über das Wahlprogramm der PDS für die Europawahl 2004. Spätestens dann, wenn es im Zuge des Europawahlkampfes auch um die Frage gehen wird, ob die EU-Verfassung durch eine Volksabstimmung bestätigt werden soll, muss sich die PDS entscheiden, ob sie ihren Wählern Zustimmung oder Ablehnung empfehlen will. Die PDS tritt ohnehin für mehr plebiszitäre Elemente ein, und in der Parteispitze ist klar: Wer eine Volksabstimmung will, kann nicht auf Stimmenthaltung setzen.