IMI-Standpunkt 2003/086 - in: Zeitung gegen den Krieg Nr. 15. September 2003
Die EU auf dem Sprung in den Kongo
Die Lage im Kongo ist tatsächlich dramatisch.
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 9. September 2003
Während sich in Kinshasa eine Art Regierung bilden will, bekämpfen sich vor allem in der Provinz Ituri verfeindete Milizen, morden und plündern. Zehntausende Kindersoldaten werden von Warlords mit Gewehren und Uniformen ausgestattet und unter Drogen gesetzt. Die Zivilbevölkerung ist auf der Flucht. Die Felder werden nicht mehr bestellt. Mehr Sicherheit haben die Menschen, wenn sie sich einer Miliz anschließen, mehr Geld verdienen sie, wenn sie für die „erste Welt“ nach Gold, Diamanten oder Coltan graben. Essen kann man das zwar nicht, aber verkaufen, an Zwischenhändler die mit ihren Riesenprofiten Waffen kaufen und den Konflikt am lodern halten. Die Waffen kommen hauptsächlich aus Ruanda und Uganda, Regierungssoldaten beider Länder sind mehrfach in den Kongo einmarschiert und sie tragen dort bis heute ihre Stellvertreterkriege aus.
Die Demokratische Republik Kongo (DRK) ist ein potentiell reiches Territorium, reich an Gold, Diamanten, Hölzern und dem von den USA als strategischen Rohstoff eingestuften Coltan, nahezu unverzichtbar für Mikroelektronik und unseren „Way of life“. Was zunächst nach einem Segen klingt, ist für die Menschen im Kongo jedoch ein Fluch, macht es sie doch zur Zielscheibe globaler Interessenpolitik, welche die DRK in eine scheinbar endlose Krise gestürzt hat. Seit 1998 sind nach Schätzungen der Organisation International Rescue Committee zwischen 3 und 4,7 Millionen Menschen durch den Bürgerkrieg in Kongo ums Leben gekommen.
Nun benutzt die EU den Kongo als Sprungbrett in weltweiten militärischen Interventionismus. Elegant soll der Sprung sein. Mit 1400 Soldaten und einem robusten Mandat der UN soll in der Provinzhauptstadt Bunia wieder Ordnung einkehren. Statt Milizen, die sich gegenseitig und die Zivilbevölkerung massakrieren, patroullieren nun schwerbewaffnete französische Soldaten durch die Stadt. Für die Zivilbevölkerung ist es sicherer geworden, zu Tausenden flüchten sie in die Stadt. Die Milizen haben die Stadt verlassen, vor ihren Toren morden sie weiter. Kein Wunder, denn die Waffen und das Geld für sie fließen weiter ins Land.
Der EU geht es bei diesem Einsatz auch überhaupt nicht um Frieden im Kongo. Der Einsatz ist zeitlich und räumlich eng beschränkt. An einer Beteiligung an den Truppen der UN, welche nachher langfristig für Ruhe sorgen sollen, besteht von der EU wenig Interesse. Europäische Unternehmen verdienen weiter auf Kosten von Zwangsarbeitern und finanzieren eine fatale Machtelite, ohne belangt zu werden. Eine am 2. Juni 2000 von der UN eingesetzte Expertenkommission zur illegalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der DRK kommt zu dem Schluss, dass die „systematische Ausbeutung“ des Kongo einerseits die militärischen Machthaber und ihre Truppen finanziert und anderseits die Voraussetzung für illegale Netzwerke schafft und somit verantwortlich für das Anhalten des Konfliktes ist. Im Anhang des Gutachtens werden 38 Firmen genannt, welche über Ruanda Rohstoffe aus dem Kongo importieren, vor allem Coltan. Von diesen Firmen sind 13 aus Belgien, jeweils fünf aus Deutschland und den Niederlanden. Eben diese Staaten wollen nun im Kongo ihren Paradetanz auf dem Internationalen Schachbrett aufführen. Der erste autonome Kampfeinsatz der EU dient nicht nur der Übung und Profilierung, sondern zugleich als Startschuss des in den Verteidigungspolitischen Richtlinien angekündigten und mit der EU-Verfassung praktisch umgesetzten EU-Interventionismus.
Es ist derselbe Interventionismus, der den Kongo zum Bürgerkriegsland gemacht hat, der seine Bewohner als Sklaven importierte, Afrika auf der Berliner Kongo-Konferenz 1884 recht willkürlich unter den europäischen Kolonialmächten aufteilte, den Kongo zur belgischen Kolonie machte, ihn 1960 unabhängig werden ließ und seitdem als Schauplatz für Stellvertreterkriege und billige Ressourcenquelle nutzt.
Was Europa nach Afrika exportiert, war noch nie Frieden und Demokratie, sondern Militarisierung und Krieg – aber wie sollte man auch Frieden durch Soldaten exportieren. Anstatt die EU-Außenpolitik mit pseudo-humanen Einsätzen zu kaschieren, sollte Kerneuropa mal zu Hause intervenieren, beispielsweise gegen einen Kapitalismus der die Menschen hier zu Ich-AGs macht und im Kongo zu Miliziönären. Beispielsweise mit Sanktionen gegen Firmen wie der Bayer-Tochter H.C. Starck, die vom Elend im Kongo profitieren, mit dem Stopp aller Waffenexporte und Waffenfabrikation. Mit Bemühungen um eine globale soziale Umverteilung, die den Menschen im Kongo Perspektive und materielle Sicherheit bringt. Und eine Produktionsstruktur, die den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht. Was sind schon Diamanten? In Bunia wird die Munition nicht knapp werden, aber für die Flüchtlinge ist nicht genug zu Essen da.
Christoph Marischka ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung