IMI-Standpunkt 2003/089 - in: Zeitung gegen den Krieg Nr. 15. September 2003

Deutschland ist kriegsbereit nach innen und außen

und mit den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" fit für die Militarisierung der EU

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 9. September 2003

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Am 21. Mai legte Peter Struck die sogenannten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR) vor. Die VPR sind ein Erlass und ab sofort das verbindliche Strategiepapier für die gesamte Bundeswehr. Mit den VPR werden in einer Reihe von Bereichen grundlegende Änderungen bei der Bundeswehr festgelegt. Mit den VPR soll die Bundeswehr nun offiziell auch im Inneren eingesetzt werden. Die Landesverteidigung ist nur noch eine Randaufgabe der Bundeswehr, das Einsatzgebiet der Bundeswehr ist in Zukunft „weltweit“, zentrale Aufgaben der Bundeswehr sollen Interessensdurchsetzung und der „Anti-Terror“-Kampf sein. Und Deutschland sieht sich – so die VPR – als Schlüsselstaat in NATO und Europäischer Union (EU). Die EU ist offensichtlich ein – wenn nicht der – zentrale Resonanzboden deutscher Außen- und Militärpolitik.

Bundeswehreinsatz im Innern

In den jetzt vorgelegten VPR heißt es: „Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann.“ Bisher galt, dass die Bundeswehr nur „im Spannungsfall“ im Innern eingesetzt werden darf.

Abschied von der Landesverteidigung

„Ausschließlich für die herkömmliche Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angreifer dienende Fähigkeiten werden angesichts des neuen internationalen Umfelds nicht mehr benötigt.“ Interessant ist, dass damit explizit Landesverteidigung als fast unnötig bezeichnet wird, und die Einheiten, deren Aufgabe dies war, Schritt für Schritt aufgelöst werden sollen. Damit wird auch Abschied genommen vom Grundgesetz. Der Regierung ist das Problem mit der Verfassung offensichtlich bewusst: So heißt es gleich unter Punkt 1 in den VPR: „Die Neugewichtung der Aufgaben der Bundeswehr und die daraus resultierenden konzeptionellen und strukturellen Konsequenzen entsprechen dem weiten Verständnis von Verteidigung, das sich in den letzten Jahren herausgebildet hat.“ Und: „Nach Artikel 87a des Grundgesetzes stellt der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf. Verteidigung heute umfasst allerdings mehr als die herkömmliche Verteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. “ Somit wird zum Programm erhoben, was Struck bereits früher erklärte: die Verteidigung Deutschlands müsse auch am Hindukusch erfolgen.

Bundeswehr weltweit

Eine der zentralen Aussagen in den neuen VPR betrifft den Aktionsradius der Bundeswehr: „Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen.“ „Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes… Die Notwendigkeit für eine Teilnahme der Bundeswehr an multinationalen Operationen kann sich weltweit und mit geringem zeitlichen Vorlauf ergeben und das gesamte Einsatzspektrum bis hin zu Operationen mit hoher Intensität umfassen.“ Schnell einsatzfähige Truppen sind also das Ziel, „Operationen mit hoher Intensität“, damit sind Operationen der Elitetruppen »Kommando Spezialkräfte« (KSK) und der »Division Spezialoperationen« (DSO) gemeint. Zugleich heißt es, dass die „Grenzen zwischen den unterschiedlichen Einsatzarten fließend“ sind. „Eine rasche Eskalation von Konflikten, wodurch ein friedenserhaltender Einsatz in eine Operation mit höherer Intensität übergeht, ist nie auszuschließen.“

Bundeswehr als Anti-Terrororganisation

Der am häufigsten verwendete Begriff in den VPR für die Notwendigkeit der Bundeswehr ist »Terrorismus«. „Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung – einschließlich des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus – sind für deutsche Streitkräfte auf absehbare Zeit die wahrscheinlicheren Aufgaben und beanspruchen die Bundeswehr in besonderem Maße.“ Als konkrete Gefahren werden beschrieben: „Vornehmlich religiös motivierter Extremismus und Fanatismus, im Verbund mit der weltweiten Reichweite des internationalen Terrorismus, bedrohen die Errungenschaften moderner Zivilisationen wie Freiheit und Menschenrechte, Offenheit, Toleranz und Vielfalt.“ „Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten.“ Es bleibt völlig offen, was mit asymmetrischen (nichtterroristischen) Bedrohungen gemeint sein könnte. Völlig verschiedene politische Entwicklungen werden in den VPR zu einem einzigen Bedrohungsszenario vermischt: „Ungelöste politische, ethnische, religiöse, wirtschaftliche und gesellschaftliche Konflikte wirken sich im Verbund mit dem internationalen Terrorismus, mit der international operierenden Organisierten Kriminalität und den zunehmenden Migrationsbewegungen unmittelbar auf die deutsche und europäische Sicherheit aus.“

Deutschland als Schlüsselstaat in NATO und EU

Die Bundesregierung konstatiert für Deutschland sowohl in der NATO als auch in der EU eine Schlüsselrolle: „Deutschland hat in den vergangenen Jahren bei den Beschlüssen der EU zur Ausgestaltung der ESVP eine Schlüsselrolle gespielt.“ Eine Feststellung, die so bisher nur Militärkritiker getroffen haben. „Die Umsetzung der europäischen Streitkräfteziele und die Beseitigung erkannter Fähigkeitsdefizite im nationalen und europäischen Rahmen sowie die Bereitstellung der angezeigten militärischen Fähigkeiten und Mittel sind Maßstab dafür, wie Deutschland und seine Partner ihre Verantwortung im Rahmen der EU wahrnehmen.“ Für die NATO heißt es: „Deutschland ist mit seinen Streitkräften mehr als jeder andere Bündnispartner in die NATO integriert. Ihm fällt im Bündnis eine herausragende Rolle und Verantwortung für den künftigen Kurs der NATO zu“.

Offensichtlich zentral ist die Stärkung der EU als Militärmacht: „Der Stabilitätsraum Europa wird durch eine breit angelegte, kooperative und wirksame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU gestärkt. … Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik beruht auf der strategischen Partnerschaft mit der Nordatlantischen Allianz und ermöglicht selbständiges europäisches Handeln, wo die NATO nicht tätig sein muss oder will“. Dabei steht wieder das deutsche Interesse in der EU im Vordergrund: „Deutsche Sicherheitspolitik gewinnt im vereinten Europa zusätzliche Handlungsoptionen.“

Tobias Pflüger ist Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI)
Weitere Informationen unter www.imi-online.de