Pressebericht / in: junge Welt vom 19.08.2003

Struck klotzt

Bundeswehr plant mit weit über 5000 Soldaten für NATO-Eingreiftruppe

von: Arnold Schölzel / Junge Welt / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 18. August 2003

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Der Ausbau der Bundeswehr zu einer global einsatzfähigen Interventionsarmee soll offenbar größere Dimensionen annehmen als bisher erwartet. Am Montag berichtete die Berliner Zeitung, daß die Bundesregierung für die geplante schnelle Eingreiftruppe der NATO »weit über 5000 Soldaten zur Verfügung stellen« will. Der deutsche Beitrag solle unter anderem aus hochspezialisierten ABC-Abwehrkräften, aus Minenräumschiffen und aus sechs Tornado-Flugzeugen bestehen. Die Zeitung zitierte ebenso wie Spiegel online aus einem Papier des Verteidigungsministeriums, worin es heißt: »Die deutsche Beteiligung entspricht unserem tatsächlichen Gewicht und der beabsichtigten künftigen Rolle in der NATO.« Mit diesem substantiellen Beitrag unterstütze Deutschland das Konzept der »NATO Response Force« (NRF).

Der Nordatlantikpakt hatte auf dem Prager Gipfeltreffen im November vergangenen Jahres beschlossen, diese Eingreiftruppe bis zum Oktober 2006 mit einer Stärke von 21000 Soldaten aufzustellen. Sie soll in kürzester Frist – die Rede ist von sieben bis 30 Tagen – in jedes Krisengebiet der Welt entsandt werden können. Die US-Regierung hatte die Forderung nach Aufstellung der NRF relativ kurz vor dem Gipfel in Prag erhoben und den Beschluß darüber zu einem Lackmustest für die Relevanz der NATO erklärt.

Die ersten Einheiten der NRF sollen bereits in diesem Herbst einsatzfähig sein. Für die Aufbauphase stellt die Bundeswehr laut Berliner Zeitung bereits mehr als 1200 Soldaten von Marine und Luftwaffe zur Verfügung. Dazu gehören sechs Tornados zur Bekämpfung von Luftabwehrstellungen, zwei Fregatten und zwei Minenräumeinheiten.

Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums bestätigte am Montag gegenüber junge Welt, daß beabsichtigt ist, von Januar bis Juli 2005 bis zu 5000 Soldaten des Heeres in die NRF einzubeziehen. Das sei in früheren Planungen noch nicht enthalten gewesen. Sie sollen vor allem aus den multinationalen Verbänden wie dem Eurokorps stammen. Laut Berliner Zeitung will Deutschland dann auch die Führung über die ABC-Abwehrkräfte der NRF übernehmen und dazu ein Abwehrbataillon mit Fuchs-Spürpanzern und bis zu 800 Soldaten zur Verfügung stellen. Alle Beiträge sollten zudem durch Kräfte der Streitkräftebasis und des Sanitätsdienstes unterstützt werden. Die gemeldeten Einheiten werden danach jeweils sechs Monate lang ausgebildet und von der NATO zertifiziert, bevor sie der Interventionstruppe für ein halbes Jahr zur Verfügung stehen.

Das Ministerium habe darauf verwiesen, daß der deutsche Beitrag zu der neuen Truppe zusätzlich zu den bereits laufenden Einsätzen geleistet werden müsse. Derzeit befänden sich mehr als 8000 Soldaten im Auslandseinsatz, hinzu kämen 2900, die die Liegenschaften der US-Armee in Deutschland bewachen.

Der Militärexperte Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen bezeichnete gegenüber junge Welt die angekündigten Zahlen als »überraschend«. Bisher sei von einem kleineren Kontingent ausgegangen worden. Der deutsche Beitrag sei damit »überdimensioniert«.

Ebenfalls am Montag wies die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar darauf hin, daß es zwischen NATO und EU wegen der Konkurrenz der Eingreiftruppen beider Organisationen hinter den Kulissen kriselt. Damit der Konflikt »auf offener Bühne« ausbreche, fehle nur noch der richtige Anlaß. Die USA versuchten, jedem militärischen Alleingang der Europäer beim Einsatz von deren eigener Eingreiftruppe einen Riegel vorzuschieben. Auch wenn die EU-Militärs nicht auf NATO-Ausrüstungen zurückgreifen müßten, sollten sie nach den Vorstellungen der Bush-Administration bei der NATO »um Erlaubnis fragen«. Die USA verzögerten daher die Ablösung der SFOR-Truppen durch EU-Verbände in Bosnien und legten ihr Veto gegen deren geplanten Einsatz in Moldawien ein. Die EU-Eingreiftruppe soll nach Herstellung der vollen Einsatzbereitschaft 60000 Soldaten umfassen, wovon die Bundesrepublik rund ein Drittel stellt.

———————–
Original-URL: http://www.jungewelt.de/2003/08-19/001.php