IMI-Standpunkt 2003/078 - in: Volksstimme, Nr. 32, 7.8.2003

Die EU in den Startlöchern

Die Kosten der amerikanischen Militärpräsenz und die steigende Zahl der Opfer in den Reihen der Armee könnten die US-Regierung veranlassen, eine multilateralere Vorgehensweise im Irak zu befürworten - hofft das "alte Europa".

von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 16. August 2003

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Nach Lesart des US-Militärs wird im Irak alles besser. Die Angriffe auf amerikanische Soldaten sind im Juli im Vergleich zum Vormonat um 50 Prozent zurückgegangen, wie das für den Irak zuständigen „Central Command“ mitteilte. Doch ganz so rosig scheint die Lage nicht zu sein, denn die USA bemühen sich derzeit fieberhaft, mehr Soldaten in den Irak zu bekommen. Angestrebt wird ein Mix aus US-Soldaten, privaten Sicherheitsdiensten, einheimischen Hilfstruppen und frischen Soldaten aus anderen Ländern.

So wurde die Heimkehr von 9000 Soldaten der 3. Infanterie-Division erst mal bis auf weiteres verschoben, die Zahl der im Irak stationierten US-Soldaten bleibt bei 140.000. Notfalls will der neue US- Oberbefehlshaber im Irak, John Abizaid, noch mehr Soldaten anfordern. Außerdem sollen 10.000 Nationalgardisten in den Irak zu verlegt und eine „zivile Verteidigungstruppe“ aufgestellt werden, die ausschließlich aus Irakern bestehen soll. Die 7000-Mann-Truppe soll gegen Gewalt und Sabotage eingesetzt werden und wird von dem privaten Sicherheitsdienst DynCorp trainiert, der im Militär- und Söldnergeschäft als langjähriger Kooperationspartner des Pentagon bekannt ist und unter anderem im Anti-Drogen Krieg an der Zerstörung von Coca-Feldern in Kolumbien beteiligt war.

Beteiligung von Nato und EU

Zusätzliche Soldaten erwartet das US-Militär aus der Türkei und Japan. Doch ob das angesichts des irakischen Widerstands gegen die Besatzung ausreicht? „Die Kosten für die Aufrechterhaltung oder gar die Erhöhung der amerikanischer Militärpräsenz in Irak auf längere Zeit und die steigende Zahl der Opfer in den Reihen der Armee könnten die US-Regierung veranlassen, eine multilateralere Vorgehensweise zu befürworten, insbesondere in Anbetracht des bald beginnenden Wahlkampfes“, hofft die einflussreiche Bertelsmann-Stiftung, die Denkfabrik des gleichnamigen Medienkonzerns, und sieht hier eine Chance für die EU kommen. In einem Strategiepapier für die „Kronberger Gespräche“ der Stiftung, die Anfang Juli stattfanden und an denen unter anderem der deutsche Außenminister Joschka Fischer teilnahm, wird die EU ermahnt, eine eigene einheitliche Strategie auszuarbeiten.

Da mit Polen und Großbritannien schon zwei EU-Mitglieder als Besatzungsmächte im Irak seien und weitere Länder hinzukämen, müsse das Thema schnell in der EU behandelt werden und nicht „unter steigendem Druck“, „wie es in der jüngsten Krise geschehen ist“. Die Bertelsmann-Stiftung rät der EU dabei, den Weg über den UN-Sicherheitsrat zu gehen und im Zweifelsfall immer für die Autorität des Sicherheitsrates einzutreten – was wenig verwundert, denn nur dort können Deutschland und Frankreich über Frankreichs ständigen Sitz auch mitreden.

Für den Irak müsse jetzt ein multinationale „Task Force unter dem Dach der UN“ her, die den Wiederaufbau organisieren solle. Auch eine multinationale Sicherheitstruppe „einschließlich der möglichen Beteiligung von Nato und EU“ können sich die Bertelsmann-Strategen vorstellen. Eine schnelle Privatisierung der Ölindustrie, wie von amerikanischen Think Tanks befürwortet, sei hingegen „schwer vorstellbar“, auf jeden Fall aber müsse die EU „Marktbedingungen vermeiden, die zu hohe oder zu niedrige Ölpreise hervorbringen. Die Unterstützung für eine Erhöhung der irakischen Produktion sollte nicht zu einem Preisverfall oder einem Angriff auf die Opec führen.“

Irak statt Afghanistan?

Die Bertelsmann-Experten sind nicht die einzigen, die ein offensiveres Auftreten der EU bzw. Deutschlands fordern. „Berlin sollte seine Chance im Irak nutzen“, schrieb die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ am 17. Juli und argumentierte ganz unverhohlen mit deutschen Wirtschaftsinteressen. „Der Irak wird mit oder ohne uns zum politischen Laboratorium für die ganze Region. Da geht es um wirtschaftliche Interessen, auch um Öl, und um entwicklungspolitische Perspektiven. Dabei kann Deutschland – ein Mandat der UN vorausgesetzt – nur fehlen, wenn wir nicht genug Soldaten haben, um sie dorthin zu schicken.“ Das Argument, dass die deutsche Bundeswehr schon ausgelastet ist, lässt der Autor Bernd Ulrich aber nicht gelten. „Sicher gehen die Auslandseinsätze an die Grenze der deutschen Möglichkeiten. Nur, will sich die Regierung auf das unwichtigere Afghanistan beschränken?“

Mikado-Politik

EU-Außenkommissar Chris Patten hat inzwischen im Auftrag der Staats- und Regierungschefs der EU ein internes Strategiepapier erstellt. Er schlägt die Einrichtung eines Fonds zum Wiederaufbau des Irak unter Kontrolle der Vereinten Nationen und der Weltbank vor. Würde sich die EU damit durchsetzen, hätte sie den ersehnten Zugriff auf die Finanzen des Irak. EU-Politiker mit dem deutschen Außenminister Joschka Fischer an der Spitze haben den Vorschlag umgehend begrüßt.

Frankreich, Russland und Deutschland haben jetzt eine neue Irak-Resolution des Sicherheitsrates zur Vorbedingung für Hilfe – auch für militärische – gemacht. Die USA halten hingegen die UN-Resolution 1483 für ausreichend, mit der Großbritannien und die USA nach dem Krieg autorisiert wurden, eine irakische Übergangsregierung einzusetzen und die irakischen Einnahmen aus dem Ölverkauf allein zu kontrollieren. Der UN-Sicherheitsrat ist damit blockiert, so dass die Sitzung des Sicherheitsrates am 22. Juli in dieser Hinsicht ergebnislos verlief. „Keiner ergriff die Initiative“, beschrieb der französische UN-Botschafter die Sitzung. Einige Ideen seien „in der Luft gewesen, aber dort sind sie immer noch“.

An dieser Situation hat sich seither wenig geändert. Frankreich, Deutschland und Russland haben keinen Grund zur Eile und werden sicher nicht die ersten sein, die einen Entwurf für eine neue Resolution einbringen. Wenn die USA und Großbritannien eine Resolution einbringen, würde das hingegen unweigerlich als Schwäche ausgelegt. So verharren beide Seiten wie beim Mikado-Spiel: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

Letzten Meldungen zufolge geht den USA und Großbritannien zuerst die Geduld aus. Offenbar wollen sie sich jetzt doch auf eine neue Resolution einlassen: Ein Zeichen dafür, dass die Lage im Irak auch nach dem Tod der Saddam-Söhne Udai und Kusai alles andere als zufriedenstellend ist.