Pressebericht / in: junge Welt vom 07.08.2003, Seite 1
Struck will aufs Land
Bundesverteidigungsminister will Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ausweiten
von: Daniel Behruzi / junge welt / Dokumentation / Pressebericht | Veröffentlicht am: 7. August 2003
Zum Auftakt seiner »Sommerreise« zu diversen Bundeswehrstandorten hat sich Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) am Mittwoch für die Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes ausgesprochen. Unterstützung erhielt er von Gernot Erler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher der SPD-»Linken«.
Struck sagte im ZDF-Morgenmagazin, es mache keinen Sinn, nur in der afghanischen Hauptstadt Kabul und deren engerer Umgebung eine relative Stabilität zu haben. Er sei der Meinung, »daß wir eine größere Präsenz im Lande darstellen müssen«. Wie viele zusätzliche Soldaten nach Afghanistan entsandt und wo sie eingesetzt werden sollen, wollte der Minister nicht sagen. Zur Zeit sind rund 2300 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert. Von diesen werden zunächst rund 800 abgezogen, da die Bundeswehr das bisher gemeinsam mit den Niederlanden gehaltene ISAF-Kommando am Montag an die NATO übergibt.
Geht es nach Struck, soll die Bundeswehr außerhalb Kabuls im Rahmen sogenannter Regionaler Aufbauteams eingesetzt werden. Das Ende des hierzu derzeit laufenden Prüfverfahrens sei absehbar, erklärte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg am Mittwoch in Berlin. Vom Bundeswehrverband wird eine solche Ausweitung strikt abgelehnt. »Wir wollen nicht auf dem Rücken der Soldaten schlechte politische Konzepte austragen. Und ein politisches Konzept fehlt«, sagte dessen Sprecher Wilfried Stolze dem Kölner Stadt-Anzeiger (Donnerstagausgabe). »Afghanistan ist ein zu unsicheres Terrain«, fügte er hinzu. Auch Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen wies im Gespräch mit junge Welt auf die wachsende Gefährdung der Bundeswehrsoldaten hin, sollten diese in bisher von Warlords kontrollierten Gebieten eingesetzt werden. Der Friedensaktivist hält den Afghanistan-Einsatz für den strategisch zentralen der zur Zeit neun Auslandseinsätze, an denen insgesamt 8500 Bundeswehrsoldaten beteiligt sind.
Auf seiner »Sommerreise« will der Verteidigungsminister die Bundeswehr auf ihre neue Rolle als Interventionsarmee einschwören. »Wir sind zu einer Armee im Einsatz geworden«, verkündet er stolz auf der Homepage seines Ministeriums. Seine Besuche diverser Bundeswehrstandorte dienten dazu, »die Soldaten darüber zu informieren, was die Neufassung der Verteidigungspolitischen Richtlinien für jeden einzelnen von ihnen bedeutet«. In den neuen Richtlinien wird erklärt, die herkömmliche Landesverteidigung entspreche »nicht mehr den aktuellen sicherheitspolitischen Erfordernissen«. Statt dessen wird die Bundeswehr als weltweite Interventionsarmee gesehen, die auch im Innern eingesetzt werden kann. »Wenn Struck den Soldaten die Bedeutung der neuen Richtlinien klarmachen will, heißt das nichts anderes, als sie auf die Fähigkeit der Kriegsführung vorzubereiten«, so Pflüger. Das zeige auch die Auswahl der Standorte, die vom Minister Besuch bekommen. »Es sind sehr viele Einheiten, bei denen die Wahrscheinlichkeit von Auslandseinsätzen relativ hoch ist«. Für »höchst unsensibel« hält Pflüger das Datum von Strucks Reise, die am 6. August, dem Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, begann. Auch die Auswahl des Standorts für seinen ersten Besuch sei wohl kaum ein Zufall: eine US-Kaserne und deren deutsche Wachsoldaten in Giebelstadt. Wie mit dem stärkeren Engagement in Afghanistan und auf dem Balkan habe die Bundeswehr auch durch diese Maßnahme, die seit dem 24. Januar läuft, US-Truppen für den Kriegseinsatz gegen Irak freigesetzt. Derzeit sind 3000 deutsche Soldaten zur Bewachung von US-Stützpunkten in Deutschland abgestellt.
Keine Probleme mit der Entwicklung der Bundeswehr zur weltweit agierenden Interventionsarmee hat die »Linke« in der SPD. Im Gegenteil: Deutschland und Europa müssen nach Ansicht von Gernot Erler »einen Ausgleich für die gefährliche Ressourcenbindung der USA in Irak schaffen«. Man sehe die eingeschränkte internationale Handlungsfähigkeit der USA mit Sorge, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende am Mittwoch vor der Presse in Berlin. Eine Drosselung der US-amerikanischen Aktivitäten in Afghanistan und anderen Ländern könne sich »verheerend« auswirken, behauptete er und forderte ein Gegensteuern der europäischen Mächte. In Afghanistan habe sich Deutschland »durch sein bisheriges Engagement das eine Verpflichtung einschließende Recht erworben, einen Anstoß zur politischen Stabilisierung« zu geben. Das könne »den Rahmen für die notwendige Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen« schaffen.
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Original-URL: http://www.jungewelt.de/2003/08-07/001.php