IMI-Standpunkt 2003/061 - in: Junge Welt, 18.06.2003

Bundestagsentscheid zu Kongo: UN-Blauhelme eine Alternative?

jW sprach mit Christoph Marischka, Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung (IMI)

von: Harald Neuber / Christoph Marischka / Pressebericht / Interview / Dokumentation | Veröffentlicht am: 18. Juni 2003

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F: Im Bundestag wird heute über den Einsatz deutscher Soldaten im Kongo abgestimmt. Der Einsatz wird wohl genehmigt werden. Auf welche Situation werden die Soldaten vor Ort treffen?

Die deutschen Soldaten sollen zunächst in Uganda bleiben. Der große Teil der Truppe unter französischer Leitung findet sich in einer Region wieder, die völlig militarisiert ist, in der Kinder mit Waffen auf der Straße herumrennen und wo es jederzeit zu Schießereien kommen kann.

F: Kann zwischen Militärs und Zivilisten noch unterschieden werden?

Ich denke nicht.

F: Es sind auf jeden Fall direkte Kampfhandlungen zu erwarten?

Die haben ja auch schon stattgefunden. Am Samstag wurden die ersten französischen Soldaten beschossen und beim darauf folgenden Feuergefecht verloren zwei kongolesische Milizionäre ihr Leben.

F: Der Konflikt im Kongo existierte schon jahrelang, bevor er urplötzlich ins Interesse der Weltöffentlichkeit gerückt ist. Wie kommt das?

Dahinter steckt das gewaltige Interesse der EU, sich als neue Interventionsmacht auf dem internationalen Parkett zu etablieren. Der Konflikt findet nun Beachtung, nachdem über drei Millionen Menschen getötet wurden. Diejenigen, die sich im Irak-Krieg noch gegen die USA gestellt haben, proklamierten am Montag auf dem EU-Außenministertreffen das Konzept der präventiven Interventionen für die EU-Streitkräfte. Und die können bald auch an anderen Punkten des Globus stattfinden.

F: US-Menschenrechtsorganisationen fordern eine »massive Aufstockung der UN-Truppen«. Wäre das, statt einer Truppe unter europäischer Führung, zu befürworten?

Das technische Problem ist zunächst, daß die EU-Truppen nicht in die bereits vor Ort stationierten UN-Truppen eingegliedert sind. Hier ist nur von »enger Kooperation« die Rede. Um den Konflikt zu beenden, wären zudem bis zu 100000 Soldaten nötig. Man müßte quasi jedem Menschen ein Gewehr vor die Nase halten, um sicherzustellen, daß er niemand anderen erschießt. Die Frage ist also grundsätzlicher: Kann man mit noch mehr Militär und noch mehr Waffen eine derart militarisierte Gesellschaft zum Frieden bewegen?

F: Die Antwort?

Ich gehe vom Gegenteil aus. Die Logik der Aufrüstung ist ebenso zynisch wie einem Revolver den Namen Peacemaker zu geben.

F: Sind UN-Blauhelme in Anbetracht der Kräfteverhältnisse in den Vereinten Nationen überhaupt als neutrale Kräfte zu bewerten?

Ob mit EU oder UN: Der Einsatz von Waffen in Situationen wie im Kongo ist grundsätzlich falsch. Das Problem liegt in der Struktur. Die Staaten, von denen Blauhelmsoldaten entsendet werden, sind wesentlich daran beteiligt, den Konflikt am laufen zu halten. Dabei geht es um den Handel mit Diamanten, Edelmetall, Tropenhölzern und ähnlich gewinnträchtigen Produkten.

F: Was müßte sich also ändern?

Ändern müßte sich die Kontrolle externer und durchaus ziviler Interessen in diesem Krieg. Ein Tochterunternehmen des Bayer-Konzerns etwa war bis mindestens Herbst 2001 weltweit größter Abnehmer für das Edelmetall Coltan. Mit den so ins Land fließenden Geldern wird ungehindert der Waffenhandel zwischen Uganda, Ruanda und den am Konflikt beteiligten Milizen finanziert. Knallt es dann, werden unbeschreiblich viel Energie, Geld und menschlicher Erfindungsgeist in Waffensysteme und die Aufrüstung der Krisenreaktionskräfte gesteckt. Am Ende leidet das Land unter immer mehr Waffen und Militär.

F: Ihre Alternative?

Man sollte sich um zivile Programme zur Konfliktbewältigung bemühen. Dieser kurze Einsatz wird allein für Deutschland Kosten in Höhe von mindestens 10,5 Millionen Euro verursachen. Dafür könnte man zivile Konfliktbewältigung und vor allem soziale Umverteilung im Kongo finanzieren. Solange sich dahingehend nichts ändert, stellt der Griff zu den Waffen für den Großteil der Bevölkerung die einzige Möglichkeit dar, an Brot zu kommen.

Original-URL: http://www.jungewelt.de/2003/06-18/019.php