Dokumentation / in: inamo, Nr. 34, Sommer 2003
Jordanien: Der Balanceakt geht weiter
von: André Bank, Tübingen / inamo / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 1. Juni 2003
Der neuerliche Irak-Krieg, der Sturz Saddam Husseins und die US-Besatzung des Landes haben die politischen Rahmenbedingungen im Nahen Osten entscheidend verschoben. Diese Veränderungen betreffen einmal die Kräftekonstellation zwischen den Staaten, zum anderen die jeweilige Innenpolitik, die durch die regionalen Ereignisse mitbestimmt wird. Letzteres gilt insbesondere für Jordanien, Iraks kleinen Nachbarn im Westen, wo sich das Regime unter König Abdallah, stillschweigend den Krieg unterstützend, einer Bevölkerungsmehrheit gegenübersieht, die diese Haltung gegenüber der US-Politik strikt ablehnt. Als Ventil für die Opposition hat das haschemitische Regime in den letzten Wochen daher eine partielle politische Öffnung initiiert, aber auch immer die roten Linien deutlich gemacht, die nicht überschritten werden dürfen. Ziel dieser Strategie ist es letztlich, die autoritäre Herrschaft in Jordanien in Zeiten eines regionalen Umbruchs zu stabilisieren.
„Als Vater verspüre ich den Schmerz einer jeden irakischen Familie, eines jeden Kindes und jeden Vaters. Gleichzeitig bin ich mir der Loyalität der Jordanier, ihrer nationalen Gefühle und ihres Stolzes bewusst, der sie dazu bringt, das, was ihren Brüdern im Irak widerfährt, das Töten und die Zerstörung, absolut abzulehnen und zu verurteilen. Unter diesen schwierigen Umständen für die Region und unser Land ist nichtsdestotrotz die Solidarität der internen Front das Allerwichtigste. Solange wir stark und vereint sind, werden wir unseren Brüdern helfen und unsere nationalen Interessen entschlossen und beharrlich verteidigen können.“
Dieses Zitat von Jordaniens König Abdallah entstammt einem Interview, das er der amtlichen Nachrichtenagentur Petra Anfang April, knapp zwei Wochen nach Beginn des Irak-Krieges, gegeben hat. Darin spiegelt sich die offizielle Haltung der jordanischen politischen Elite wider: Einerseits wird tiefes Verständnis für die Ablehnung des Krieges bei der großen Bevölkerungsmehrheit geäußert, andererseits – und dies ist das Entscheidende – wird eindeutig festgestellt, dass der „Solidarität der internen Front“ und der Verteidigung der nationalen Interessen in dieser Situation die höchste Priorität zukommen. Verklausuliert ausgedrückt bedeutet dies tatsächlich aber nichts anderes als den Aufruf zur Loyalität gegenüber dem haschemitischen Regime. Die öffentlichen Stellungnahmen anderer hochrangiger Politiker, wie des Premierministers oder des Geheimdienstchefs, sehen ähnlich aus. Auch sie beschwören die nationalen Interessen, lassen aber gleichzeitig offen, was genau darunter zu verstehen ist. In diesem Lichte betrachtet kann die rhetorische Offensive der Herrschenden in Jordanien wohl als Versuch interpretiert werden, die tiefe Kluft, die sich zwischen ihnen und der großen Bevölkerungsmehrheit in der Irak-Frage auftut, möglichst zu verdecken.[1]
Stillschweigende Kriegsunterstützung
Allen öffentlichen Bekenntnissen von Nicht-Beteiligung und Neutralität im Irak-Krieg zum Trotz, ist es ein offenes Geheimnis, dass das jordanische Regime den US-Angriff stillschweigend unterstützte.[2] So wurde von verschiedenen ausländischen Journalisten berichtet, dass die USA mit Luftangriffen vom Osten Jordaniens aus die strategisch wichtigen Flugfelder K1 und K2 im Westen des Irak einnahmen. Außerdem verliefen über Jordanien Versorgungs- und Nachschubtransporte. Diese Gewährung jordanischen Territoriums war für die US-Armee von immenser strategischer Bedeutung, vor allem, als es zu Verzögerungen beim Aufbau einer Nordfront kam. Im Gegensatz zu allen Dementis aus Regierungskreisen gab es diese bilateralen Absprachen wohl bereits im Sommer und Herbst 2002, versinnbildlicht durch gemeinsame Manöver und die Ausstaffierung zweier Luftwaffenstützpunkte unweit der irakischen Grenze. Der Besuch von Tommy Franks, dem Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak-Krieg, am 11. März, gut eine Woche vor Kriegsbeginn, deutet ebenso auf eine Involvierung Jordaniens hin. Der offensichtlichste Hinweis für die Kriegsunterstützung ergibt sich jedoch aus der Tatsache, dass die US-Administration wenige Tage nach Kriegsbeginn bekannt gab, 1,1 Mrd. US $ Entwicklungs- und Militärhilfe an Jordanien zu überweisen.[3] Dieser Betrag stellt mehr als eine Verdopplung gegenüber 2002 dar, als Jordanien bereits die vierthöchste US-Gesamthilfe erhielt, und entspricht in etwa einem Sechstel des jordanischen Bruttosozialprodukts! Dieser massive Finanztransfer, verbunden mit weiteren Abkommen zur Schuldentilgung, war für das wirtschaftlich kränkelnde Königreich der entscheidende Beweggrund, sich stillschweigend am Irak-Krieg zu beteiligen. Weiterhin erhofft man sich in Amman, von den Hilfs- und Wiederaufbauprogrammen im Nachbarland ökonomisch profitieren zu können: In Aqaba, der Hafenstadt am Roten Meer, sowie auf den Highways gen Irak herrscht so bereits rege Geschäftigkeit; die jordanische Transportindustrie erlebt einen kleinen Boom.
Veränderte Rahmenbedingungen
Die Unterstützung der USA hat für Jordanien auch einen hohen Preis, bedeutet sie doch das Ende des außenpolitischen Spagats zwischen Washington und Bagdad, einer Grundkonstante jordanischer Außenpolitik der letzten Jahre.[4] Aus den regionalen Veränderungen ergeben sich neben den positiven Effekten für das haschemitische Regime auch eine Reihe von Schwierigkeiten. So fällt der äußerst günstige Import irakischen Öls weg, der bislang die komplette Energieversorgung des Königreichs sicherstellte. Verhandlungen mit Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten haben zwar bereits ergeben, dass diese die irakische Ölversorgung kompensieren werden, allerdings zu wesentlich ungünstigeren Konditionen. Damit werden unweigerlich Preiserhöhungen nötig – Anfang Mai wurden die Benzinpreise bereits um bis zu acht Prozent erhöht – und die Gefahr innenpolitischer Proteste steigt.[5] Zusätzlich trifft der kurzfristige Ausfall des wichtigen irakischen Absatzmarktes die jordanische verarbeitende Industrie schwer. Das Regime reagierte darauf bislang lediglich mit Versprechungen, konkrete Entschädigungen wurden noch nicht geleistet. Die eigentliche innenpolitische Herausforderung ergibt sich allerdings aus der Ablehnung der US-Politik in der jordanischen Bevölkerung und dem daraus resultierenden Glaubwürdigkeitsproblem des Königs, das durch die als zu wenig konfrontativ empfundene Haltung gegenüber Israel nur noch verstärkt wird. Besonders problematisch für Abdallah ist, dass sich nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ der Opposition – Berufsvereinigungen und Muslimbrüder -, sondern auch ehemalige Toppolitiker des Regimes in die öffentliche Kritik einreihen. So unterschrieben beispielsweise 95 bekannte Persönlichkeiten, von Ex-Premier Rawabdeh über den früheren königlichen Berater Abu Odeh bis zum Islamisten Shubeilat und dem linken Journalisten Nimri, eine Petition, die Abdallah aufforderte, den Irak-Krieg für „illegal“ zu erklären.
Zuckerbrot und Peitsche
Dieser prekären innenpolitischen Situation versucht das haschemitische Regime seit einigen Wochen mit einer Strategie der partiellen politischen Öffnung zu begegnen. Wichtigstes Thema sind hierbei die Parlaments- und Kommunalwahlen, die für den 17. Juni beziehungsweise 26. Juli anberaumt sind. Nachdem König Abdallah bereits zweimal den Termin der Parlamentswahlen aus herrschaftspolitischen Erwägungen – offiziell mit der prekären regionalen Situation begründet – verschoben hatte, wird er sich dies nicht noch ein weiteres Mal leisten wollen. Die Wahlen werden daher in erster Linie abgehalten werden, um einer weiteren Polarisierung zwischen Regime und Opposition entgegenzuwirken, und dies auch auf die Gefahr hin, dass die Opposition dabei Gewinne erzielen könnte. Dieser Erwartung entsprechend hat die stärkste Oppositionspartei, die Islamische Aktionsfront, bereits angekündigt, im Gegensatz zu ihrem Boykott 1997, diesmal an den Wahlen teilzunehmen. Es darf jedoch erwartet werden, dass die nächsten Parlamentswahlen aufgrund der unveränderten Wahlkreiseinteilung, die für regimeloyale, vor allem tribale Kandidaten maßgeschneidert ist, keine substanzielle Veränderung im Machtgefüge mit sich bringen wird. Ein weiteres Beispiel der Ausgleichspolitik des Regimes in den letzten Wochen ist die Rücknahme restriktiver Pressegesetze, vor allem des Paragraphen 150 des Strafgesetzes, der vielfach gegen unliebsame Journalisten angewendet wurde. Auslöser der Rücknahme waren nicht zuletzt die Vielzahl ausländischer Journalisten, die aufgrund des Irak-Krieges aus Amman berichteten und die dabei unweigerlich auch die restriktive innenpolitische Situation in den Blick nahmen. In eine ähnliche Richtung weist auch der Empfang einer Delegation aus Maan durch den Premierminister. In der südjordanischen Stadt war es Ende 2002 zu heftigen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Einheimischen gekommen.[6]
Diese ersten Schritte einer neuerlichen politischen Liberalisierung sind aber keineswegs Anzeichen einer umfassenden Liberalisierung des politischen Systems, zielen sie doch in erster Linie kurzfristig auf einen inneren Ausgleich und die Besänftigung ausländischer Kritiker ab. Denn durch die Einschränkungen im Demonstrationsrecht, die massive Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit, willkürlich anmutende Haftstrafen gegen Oppositionelle und bürokratische Hürden bei der Kandidatenaufstellung zu den Wahlen zeigen sich gleichzeitig auch die vielfältigen roten Linien, die die Politik im haschemitischen Königreich bestimmen. Diese Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, das Muster von wechselnder Liberalisierung und Deliberalisierung prägt somit weiterhin, trotz des durch den Irak-Krieg ausgelösten regionalen Umbruchs, die Strategie von König Abdallah und seiner Entourage. Ihr Projekt heißt Herrschaftssicherung, der politische Balanceakt geht weiter.
[1] Einen ähnlichen Zweck verfolgt auch die „Jordanien zuerst“-Kampagne, die seit Oktober 2002 vom Regime lanciert wird. Vgl. hierzu und zu Jordanien unter König Abdallah allgemeiner André Bank / Oliver Schlumberger, Managing Jordan: Elite Dynamics between Regime Survival and Economic Reform, in: Volker Perthes (Hrsg.), Elite Change in the Arab World, Boulder: Lynne Rienner, i.E.
[2] Vgl. beispielhaft Sana Kamal, Do and deny, in: Middle East International, 4.4.2003, S. 18-20.
[3] Vgl. Jill Caroll, New US spending bill allocates $1.1b for Jordan, in: Jordan Times, 27.3.2003. Letztlich wurde dieser Betrag etwas, auf 950 Mio. US $, nach unten korrigiert. Vgl. Francesca Sawalha, Emergency assistance brings US economic aid to record 950 Mio. US $, in: Jordan Times, 14.5.2003.
[4] Vgl. zum Beziehungsdreieck zwischen Jordanien, USA und Irak André Bank, Jordaniens außeninnenpolitischer Spagat, in: inamo, 32, Winter 2002, S. 40-43.
[5] Bislang haben Preiserhöhungen bereits mehrfach zu massiven Demonstrationen und Aufständen geführt (1989, 1996, 1998).
[6] Vgl. Renate Dieterich, Widerstand in Maan – Macht und Ohnmacht der Stämme, in: inamo, 33, Frühjahr 2003, S. 29-32.