Pressebericht / in: Die Furche, 59 Jg. 18/1.Mai 2003. S. 3
… bis Feldherren als Eseltreiber dastehen
Die Friedensforschung hat ausreichend Alternativen präsentiert, sind Konfliktforscher überzeugt, um die Irak-Krise auf friedlichem Weg zu lösen. Wie es zu Kriegen kommt und was man dagegen tun kann, ist hinlänglich erforscht, meinen sie: Nicht am Wissen fehlt es, sondern am Willen der Beteiligten. Mit neuen Allianzen und verstärkter Medienpräsenz soll diesem Unwillen zur Friedensarbeit nun der Garaus gemacht werden.
von: Wolfgang Machreich / Pressebericht / Dokumentation / Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 15. Mai 2003
„Man muss so lange philosophieren, bis die Feldherren als Eseltreiber erscheinen“, lautete bereits in der Antike eine Devise der Philosophen, um Kriege zu verhindern. Hat sich die heutige Friedensforschung zuwenig an diesen Ratschlag gehalten? Hat mit dem Krieg im Irak auch die Friedensforschung, der es ja um die Vermeidung von kriegerischen Auseinandersetzungen geht, einen schweren Rückschlag erlitten?
Keineswegs, meint Claudia Haydt, Friedens- und Konfliktforscherin an der „Informationsstelle Militarisierung“ in Tübingen. Ganz im Gegenteil. Zum ersten Mal, reklamiert Haydt für sich und ihre Kollegenschaft, sei es der Friedensforschung bereits vor dem Krieg gelungen, die Weltöffentlichkeit „tiefgründig und vorausschauend“ zu informieren und den Widerstand zu mobilisieren. Die Feldherren wurden eindeutig als Eseltreiber demaskiert und von der Öffentlichkeit als solche wahrgenommen und kritisiert. „An guten Vorschlägen zu einer friedlichen Beilegung der Krise im Irak hat es nicht gefehlt“, bekräftigt Gudrun Kramer die Aussage ihrer Tübinger Fachkollegin. Sie verweist auf die Idee einer Konferenz für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten, die jedoch von den Kriegsparteien ausgeschlagen wurde. Kramer leitet das „International Peacebuilding Training Program“ am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung im burgenländischen Schlaining. Frieden trainieren, Frieden schaffen ist ihr Job.
Derzeit ist Konfliktforscherin Kramer in Friedensgesprächen auf Sri Lanka und im Südkaukasus engagiert. Doch Frieden ist für sie nicht bloß „Abwesenheit von Gewalt“, sondern „die Schaffung von Möglichkeiten friedlicher Konflikttransformation“. Weniger im Fachchinesisch gesprochen bedeutet das: Die Leute sollen lernen, mit Konflikten anders als gewaltsam umzugehen. Oberstes Ziel ist es, das Zusammenleben von Gruppen, Staaten und Völkern mit Verhandlungen und Kompromissen zu regeln. Auf keinen Fall dürfen Gerechtigkeitsempfinden bzw. Lebensinteressen Einzelner oder Mehrerer so verletzt werden, dass diese zur Gewalt schreiten, sobald sie alle friedlichen Verfahren erschöpft glauben. Solche Aktivitäten lassen sich angesichts der rund 50 derzeitigen Konflikte weltweit nicht aus dem Stegreif heraus inszenieren, sondern verlangen nach einem situationsgerecht ausgebildeten Friedensfachdienst, der Hilfestellung für den Aufbau von Friedensstrukturen liefert. Dabei hat sich in jüngster Zeit die Tatsachenermittlung“ („Fact-Finding“) zu einem wichtigen Instrument der Streitbeilegung entwickelt. Unabhängige Experten ermitteln möglichst objektiv über die Entstehung des Konfliktes, die Anliegen der Konfliktparteien und die Gefahren der Eskalation. Ihre Expertise trägt oft dazu bei, den Konfliktparteien eine andere Sichtweise auf ihren Streitgegenstand zu ermöglichen. Für solche kurzfristigen Ansätze fehlt es aber ebenso an ausreichender finanzieller Unterstützung wie für mittel- und langfristige Strategien ziviler Konfliktinterventionen. „Wir bewegen uns hier im Promillebereich der Ausgaben, die für Waffen und Rüstung ausgegeben werden“, macht Claudia Haydt das Missverhältnis deutlich.
Die Tübinger Wissenschafterin antwortet mit dieser Gegenüberstellung aber auch auf die bohrenden Fragen vieler, die trotz aller Sympathie mit der Friedensforschung angesichts des jüngsten Konflikts an deren Effizienz zweifeln. In Hinkunft müsse halt „noch schneller, noch früher“ vor jedem sich abzeichnenden Konflikt gewarnt, gegen jeden drohenden Krieg die Straße mobilisiert werden. „Die Politik ist druckempfindlicher geworden“, meint Haydt, „diese Schwäche gilt es auszunützen.“ Aber wie hätte George W. Bush im konkreten Fall dazu bewogen werden können, die US-Truppen kampflos abzuziehen, ohne damit das Gesicht zu verlieren? „Psychologisieren wir nicht zu sehr“, antwortet Haydt. „Letztlich zählen die besseren Argumente“, ist sie überzeugt, und nicht der Stolz eines Präsidenten, denn „Stärke kann ein Politiker auch im Nachgeben zeigen“. Können charismatische Persönlichkeiten Kriege verhindern? Haydt: „Ja, aber vor allem helfen sie, gute Argumente gegen einen Krieg in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.“ Die Konfliktforscherin denkt dabei aber weniger an Politiker, sondern an Künstler wie den amerikanischen Oscar-Preisträger und Kriegsgegner Michael Moore.
Lutz Schrader, Konfliktforscher am Institut für Frieden und Demokratie an der Uni Hagen, zeigt sich trotz Massenkundgebungen skeptisch, was die wahre Stärke der Friedensbewegung anbelangt. Das Engagement und der Protest der Öffentlichkeit könne heute „schnell und heftig aufkochen“, zieht Schrader Resümee über die Friedensdemonstrationen vor und während des Irak-Krieges, „aber andererseits genauso schnell wieder in sich zusammenfallen“.
Neue Allianzen suchen, ist laut Schrader die wichtigste Lehre, die die Friedensforschung aus den Erfahrungen rund um dem Irak-Krieg ziehen soll. Als Bündnispartner schweben ihm transnationale Unternehmen vor, die bei Kriegen Umsatzeinbußen befürchten. Aber auch die Europäische Union soll von der Friedensforschung „stärker in den Blick genommen werden“. Sehr intensiv könne und werde diese Allianz zwischen EU und Friedensbewegung nicht sein, zeigt sich Claudia Haydt skeptisch. Die Union beschreite derzeit „einen Weg der Militarisierung“, sagt sie, und sei nicht prinzipiell – siehe Jugoslawien – gegen kriegerische Interventionen eingestellt.
„Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersagen“, schreibt Christa Wolf in „Kassandra“. Und doch, die Fehlentwicklungen, die zu Vorkrieg und Krieg führen, sind hinlänglich bekannt und deren Vermeidung scheitert weniger am Wissen, denn am Willen der Beteiligten. Und am Weitersagen, schimpft Gudrun Kramer. Nicht die Friedensforschung, der Friedensjournalismus habe im Vorfeld des Irak-Krieges versagt, ist die auf der Friedensburg Schlaining stationierte Konfliktforscherin überzeugt. Erst als die Friedensdemonstrationen für ausreichendes Medienecho gesorgt haben, sei den Argumenten der Friedensforschung mehr Raum in der Berichterstattung gegeben worden, klagt Kramer und fordert regelmäßige Nachrichten über weltweite Friedensbemühungen. Aber vielleicht ist es den Journalisten – so wie schon vorher den Dichtern und Komponisten – heute schwerer denn je geworden, überzeugend Friedensarbeit zu leisten? Lutz Schrader plädiert ebenfalls für „Friedenspropaganda“, warnt allerdings davor, die Sache zu überziehen und mehr zu versprechen, als die „seriöse Wissenschaft dann erfüllen kann“. Claudia Haydt hingegen sieht vorwiegend Vorteile in der medialen Absenz der Friedensarbeit. Um in Krisenregionen ungestört arbeiten zu können, sei es gut, weiß sie aus eigener Erfahrung, wenn wenig mediale Aufmerksamkeit vorhanden ist. Ihr Kompromissvorschlag lautet: Nicht während, sondern nach gelungener Friedensarbeit sollen Erfolgsprojekte in den Medien präsentiert und als Lösungsmodelle für andere Krisengebiete beworben werden. Damit könnte es der Friedensforschung gelingen, ihre Konzepte der breiten Öffentlichkeit als den besseren Weg zu präsentieren – auf dem Feldherren und Eseltreiber nichts verloren haben.
Liste derzeitiger kriegerischer Konflikte: Angola (UNITA), seit 1960; Angola (Cabinda), seit 2002; Burundi, seit 1993; Elfenbeinküste, seit 2002, Kongo-Brazzaville, seit 2002; Kongo-Kinshasa (Kivu), seit 1997; Kongo-Kinshasa (Ituri), seit 2002; Kolumbien (ELN), seit 1964; Kolumbien (FARC), seit 1965; Zentralafrikanische Republik, seit 2002; Liberia, seit 2000; Madagaskar, seit 2002; Mazedonien, seit 2001; Nepal, seit 1999; Nigeria (Scharia-Unruhen), seit 2001; Nigeria (Tiv/Jukun), seit 2001; Ruanda, seit 1990; Senegal, seit 1990; Sierra Leone, seit 1993; Somalia, seit 1988; Sudan, seit 1983; Tschad, seit 1966; Uganda, seit 1995; Indien (Assam), seit 1997; Indien (Bodos), seit 1997; Indien (Kaschmir), seit 1990; Indien (Nagas), seit 1975; Indien (Tripura), seit 1999; Indien/Pakistan, seit 1998; Indonesien (Aceh), seit 1999; Indonesien (West-Papua), seit 1965; Myanmar (Birma), seit 1948; Indien (Naxaliten), seit 1997; Pakistan (Sind), seit 1986; Pakistan (Religionskonflikt), seit 2001; Philippinen (Mindano), seit 1998; Philippinen (NPA), seit 1970; Salomonen, seit 1999; Sri Lanka, seit 1983; Afghanistan, seit 1978; Algerien, seit 1992; Georgien (Abchasien), seit 1992; Israel, seit 2000; Libanon, seit 1975; Russland (Tschetschenien), seit 1999; USA/El Kaida (Anti-Terror-Krieg), seit 2001; USA und Großbritannien/Irak, seit 2003;
Original-URL: http://www.furche.at/archivneu/archiv2003/fu1803/08.shtml