Pressebericht / in: SPIEGEL ONLINE - 07. April 2003, 17:37

Nachrichten für Friedensbewegte

Alternative Newsquellen

von: Mareike Müller / Spiegel-online / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 8. April 2003

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Anders als in den herkömmlichen Massenmedien hat im Internet jede in einen Konflikt involvierte Partei die Chance, ohne Umwege Öffentlichkeit zu erreichen. Die Seiten von Friedensbewegung und Hilfsorganisationen stehen im Zeichen der Nützlichkeit – und der Spendenaufrufe.

Wer sich auf die Suche nach alternativen Nachrichtenquellen zum Irak-Krieg ins Netz begibt, darf bei jenen, die das Wort „Frieden“ im Namen tragen, eines nicht erwarten: Parteilosigkeit.

Natürlich ergreift die deutsche Friedensbewegung deutlich Partei für den Frieden, fordert ein Ende des Krieges, ruft zu Protesten auf. Dabei hat die weiße Taube, das alte Symbol für Friedensbewegte, mittlerweile Konkurrenz bekommen: eine Fahne in Regenbogenfarben samt „peace“-Aufdruck. Sie wurde zuerst von italienischen Bürgern als Protestzeichen gegen den Irak-Krieg gehisst – inzwischen schätzen die Initiatoren von „Frieden von allen Balkonen“ die Zahl der Fahnen in Italien auf 2,5 Millionen.

Neben den üblichen Nachrichtenquellen der professionellen Medien steht den Internet-Nutzern ein ganzes Bündel verschiedener alternativer Quellen offen. Für viel Aufmerksamkeit sorgten in den letzten Wochen die so genannten „War-Blogs“ – und hier vor allem diejenigen, die angeblich als Kriegstagebücher vor Ort verfasst werden. Doch hier enden die „Sonderwege“ des Internet noch lange nicht.

Eine naheliegende Nachrichtenquelle sind auch die Organisationen, die sich in Sachen Irak-Krieg engagieren: Dazu zählen neben zahlreichen Freidens- und Menschenrechts- auch Hilfsorganisationen, die ja zum Teil zahlreiche Mitarbeiter vor Ort im Irak haben. Schnell zeigt sich jedoch, dass hier weniger der große Nachrichtenüberblick, noch die wirkliche Vertiefung von Details geboten werden. Während die im weitesten Sinne der Friedensbewegung zuzuordnenden Organisationen vor allem Nachrichten für und über die Protestbewegung verbreiten und ansonsten auf die Medien verweisen, halten sich die Hilfsorganisationen ganz merklich zurück.

Bei ihnen erfährt man allenfalls etwas über die allgemeine Lage vor Ort, was die Organisationen dort leisten und wofür sie die Gelder verwenden, um die sie werben: Die Seiten der Hilfsorganisationen sind unter dem Strich große Spendenaufrufe. Auch das ist aber nicht ohne Mehrwert, denn unter Umständen ist dies genau die Art Information, die man bei ihnen suchte.

1. Aktionen gegen den Krieg

Symbolisch gegen den Krieg agieren – dieses Anliegen verfolgt die deutsche Friedensbewegung auch online. Etliche Sites verlinken zu den Friedensfahnen, die über die badenwürttembergische Attac-Gruppe vertrieben werden. Setzt Zeichen, sagt die Friedensbewegung – ob nun mit Flaggen, mit Demos, mit Diskussionen oder Boykotten. Daher nutzen die Seiten der deutschen Friedensbewegung vor allem dem, der sich über Aktionen als Ausdruck des Protestes informieren will – und nicht aktuelle Nachrichten zum Irak-Krieg erwartet. Oder gar Nachrichten, die andere sind als die der Medien.

Unter dem Namen Friedenskooperative haben sich bundesweit arbeitende friedenspolitische Gruppen und Organisationen vernetzt und nutzen das Web, um Termine mitzuteilen – als Ergänzung zu Flugblatt und Plakat. In der umfangreichen Termindatenbank lässt es sich recht komfortabel nach bundesweiten Demonstrationen, Diskussionen oder Lesungen suchen, und weil die Kooperative groß und gut vernetzt ist, tauchen auch Veranstaltungen jenseits der Metropolen auf. Umfassende, aktuelle Informationen zum Krieg? Sind hier Fehlanzeige, dafür verlinkt das Netzwerk auf nationale und internationale Medien-Sites, auf denen man sich weiter informieren möge.

„Sich informieren kann so einfach sein“, prangt es auf der Site, die Links für eine bessere Welt verspricht. Der – laut Selbstauskunft – „engagierte Bürger und Arzt“ Norbert S. eröffnet den Weg in die Online-Welt der Friedensbewegung. Was jeder selbst tun kann, um ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen – ziviler Ungehorsam, Waren-Boykott, Buttons tragen, „keine Fernsehpropaganda ansehen“: Norberts Links präsentieren jede Menge Aktionen aus dem Umfeld linker und pazifistischer Kreise.

Doch die gut gemeinte Website mit angeblich 50.000 Links lässt schnell erkennen: wer sich informieren will, muss auch auswählen können – und diese Arbeit nimmt die Site einem nur begrenzt ab. Groß ist die Gefahr, sich im Informations-Links-Dschungel zu verirren. Trotzdem: eine umfangreichere und aktueller gepflegte Linksammlung zum Thema gibt es in deutscher Sprache nicht – und wühlen muss man bei Yahoo! auch.

2. Argumentieren gegen den Krieg

Agieren ist das eine, argumentieren das andere: Worte gegen den Krieg zu formulieren gehört zur Tradition der deutschen Friedensbewegung wie die weiße Taube aufs Tuch. Dossiers, Kommentare oder Referate bietet die Organisation Friedensratschlag an, eine universitäre Arbeitsgemeinschaft, die mit dem Bundesausschuss Friedensratschlag kooperiert.

Wissenschaftlich aufgemacht, sind hier durchwegs aktuelle Statements verschiedener Kriegsgegner versammelt – von Kirchenvertretern, Politikern, Akademikern. Eine Seltenheit unter den Friedensseiten: eine Chronik des Kriegsgeschehens. Aktuelle Meldungen aus den Medien werden mit einem Tag Rückstand (und ohne Quellenangabe) zusammengefasst. Die Informationen sind nicht danach selektiert, eine Haltung auszudrücken, sondern sammeln nüchtern Fakten.

Dem wissenschaftlichen Bestreben, Informationen eher enzyklopädisch zu sammeln, hat sich auch die Initiative Militarisierung verschrieben, leider verbunden mit einer wenig nutzerfreundlichen Navigation. Aktuelles bedeutet auch hier nicht tagesaktuell, selbst wenn es so angepriesen wird. Auf dieser Site wappnet man sich hintergründig gegen Militarismus mittels Studien oder Analysen, die sich weitestgehend linker Argumentation bedienen.

3. Die Spendensammler

Auf den Sites von Hilfsorganisationen Informationen über die aktuelle Lage im Irak-Krieg zu suchen, stellt sich als wenig fruchtbar heraus. Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz, Misereor, Caritas, Ärzte ohne Grenzen und andere mehr nutzen das Web in allererster Linie dazu, sich selbst darzustellen und an die Spendefreude zu appellieren.

Pressemitteilungen werben für die Arbeit der Organisationen und informieren über die Zahl der Helfer. Meldungen älteren Datums berichten kurz gehaltene Fakten: Die Zivilbevölkerung leidet, es mangelt an Medikamenten und Trinkwasser – und eben Spendengeldern. Direkte Kommunikation mit oder zumindest originäre Eindrücke von Zeugen vor Ort? Fehlanzeige.

Was den Nachrichtengehalt betrifft, hinken die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges gänzlich hinterher: Auf ihren Seiten zur Kampagne „Kein Krieg im Irak“ hatte der bis zum Donnerstag letzter Woche noch gar nicht begonnen. Durchaus informative Antikriegs-Stimmen verstummten nach dem 19. März – also einen Tag vor Kriegsbeginn. Seit Freitag immerhin verurteilen die Ärzte den Einsatz amerikanischer Streubomben im Irak.

Und wie präsentiert sich die älteste Friedensorganisation im Netz? Die einst DKP-nahe Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner erweckt mit ihrer optisch unansprechenden Site einen unprofessionellen Eindruck, der sich so auf den anderen Friedenssite nicht ergab. Erstaunlich, wie wenig sich der Verband linker politischer Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer online mit dem Irak-Krieg auseinander setzt.

Postkarten und T-Shirts mit „No war“-Aufdruck, ein Newsticker, der angesichts alter Meldungen seinen Namen nicht verdient, ein Forum, in dem sich nichts regt und als neustes Update das Foto einer Mahnwache von Anfang März: eine magere Ausbeute für einen Verband, von dem man kritische Stellungnahmen erwartet hätte.

Position beziehen, Veranstaltungen publik machen und vernetzen und Einblicke in Zusammenhänge von Krieg und Frieden schaffen: So präsentiert sich die durchaus vielschichtige deutsche Friedensbewegung im Netz und hinkt dabei manchmal etwas hinterher. Denn was als Aktuell verkauft wird, ist oft mehrere Tage, wenn nicht einige Wochen alt. Dabei bedienen sich die Sites entweder ausgewählter (linker) Medien oder Analysen aus von Experten aus den eigenen Reihen. Im Vordergrund der Appell: Bewegt euch für den Frieden – offline.

Zum Thema:

In SPIEGEL ONLINE:
· Warblogging: Ganz andere Kriegsnachrichten (25.03.2003)
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,241981,00.html
· Nachrichten vom Krieg: „…bereiten sich die USA auf ein Gemetzel vor“ (27.03.2003)
http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,242093,00.html

Im Internet:
· Symbol gegen den Krieg: Friedensfahnen
http://www.friedensfahnen.de
· Netzwerk Friedenskooperative
http://www.friedenskooperative.de/
· Link-Katalog für eine bessere Welt
http://www.bessereweltlinks.de
· Friedenspolitischer Ratschlag
http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden
· Verein Informationsstelle Militarisierung
https://www.imi-online.de
· Deutsches Rotes Kreuz (DRK)
http://www.drk.de
· Misereor
http://www.misereor.de
· Caritas Deutschland
http://www.caritas.de
· Aktion Deutschland hilft
http://www.aktion-deutschland-hilft.de
· Ärzte ohne Grenzen
http://www.aerzte-ohne-grenzen.de
· Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges
http://www.ippnw.de
· Deutsche Friedensgesellschaft
http://www.dfg-vk.de

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