IMI-Standpunkt 2003/21b, ISSN 1611-2725

„Kein Krieg ohne uns!“

oder Was vom deutschen Nein übrig bleibt

von: Dr. Silke Reinecke | Veröffentlicht am: 27. März 2003

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Seit dem 20 März ist der Krieg gegen den Irak grausame Realität. Bundeskanzler Schröder hat noch zwei Tage vorher in einer Fernsehansprache verkündet: „Sie können sich darauf verlassen, dass meine Regierung unbeirrt jede noch so kleine Chance für den Frieden nutzen wird.“
Nach Beginn des Krieges am 20. März verkündete er: „Wir haben versucht, den Krieg zu verhindern. Bis zur letzten Minute. (…) Es bleibt dabei: Deutschland beteiligt sich nicht an diesem Krieg.“
Doch dies entspricht nicht der Wahrheit wie sich an zahlreichen Punkten deutlich machen lässt:

· Deutschland ist eine wichtige Drehscheibe für Truppen- und Materialtransporte der US-Armee in die Krisenregion. Frankfurt Airbase, Ramstein, Spangdahlem, Bremerhaven etc. sind wesentlich für den raschen Aufmarsch am Golf gewesen und spielen eine wichtige Rolle für den Nachschub u.a. an Munition und Treibstoff. Das US-Kommando für Europa, EUCOM, (Stuttgart) ist in die Koordination wesentlich eingebunden. Damit leistet Deutschland Beihilfe für den Angriffskrieg.

· Die Bundesrepublik gewährt den USA trotz des klar völkerrechtswidrigen Krieges Überflugrechte und die vollen Nutzungsrechte der Militärbasen auf deutschem Boden. Dies sagte Bundeskanzler Schröder bereits beim NATO-Gipfel im November 2002 zu. Zu diesem Schritt gibt es keinerlei rechtliche Verpflichtung, auch nicht aus dem NATO-Truppenstatut. Vielmehr besteht die grundgesetzliche Verpflichtung, sich nicht an einem Angriffskrieg zu beteiligen. So haben Österreich und die Schweiz den US-Truppen Überflugs- und Durchfahrtrechte für deren Aufmarsch entzogen.

· Deutschland hat die in Kuwait stationierten ABC-Abwehrkräfte mit ihren sechs Spürpanzern Fuchs aufgestockt, statt sie sofort abzuziehen. Nach Beginn des Krieges wurden zusätzliche 110 Soldaten nach Camp Doha, ungefähr 100 km von der irakischen Grenze entfernt, verlegt. Damit befinden sich mindestens 200 Bundeswehr-ABC-Soldaten im Einsatz. Sie haben sich bereits direkt am Krieg beteiligt, indem sie irakische Raketen überprüften, die auf Kuwait abgefeuert wurden. Dies überschreitet bei weitem die Aufgaben im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, für die das Bundestagsmandat besteht.
· Deutschland stellt Soldaten als Besatzung für AWACS-Flugzeuge zur Verfügung. Diese Flugzeuge können im Kriegsfall als militärische Gefechtsstände dienen. Eine Trennung zwischen rein defensiven und anderen Aufgaben ist nicht möglich, wie u.a. Bernhard Gertz, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, bestätigt. Doch allein schon mit der Überwachung des Luftraumes der Türkei findet eine Kriegsunterstützung statt, denn die Türkei selbst ist bereits Kriegspartei. Türkische Truppen haben die Grenze zum Irak überschritten, um „terroristische Gefahren“ abzuwehren und „Flüchtlinge zu betreuen“. Das Sicherheitskabinett leugnet, dass es sich bei diesen Aktivitäten um einen direkten Kriegseinsatz handele, und lehnt einen Abzug der Soldaten aus den AWACS-Maschinen gegenwärtig ab. Die Rot-Grüne Mehrheit hat bei einer Sondersitzung im Deutschen Bundestag nach Kriegsbeginn abgelehnt, die Abgeordneten über die AWACS-Besatzungen abstimmen zu lassen, und spielt weiter auf Zeit.

· Die Bundeswehr entlastet die US-Armee durch Bewachung von rund 95 US-Kasernen und Truppenübungsplätzen auf deutschem Boden (u.a. Grafenwöhr, Vilseck, Hohenfels/Franken, Rhein-Main-Airbase/Frankfurt) und entbindet dafür 3700 ihrer SoldatInnen voraussichtlich für zwei Jahre von anderen Aufgaben. Damit werden mehr US-Soldaten für eine direkte Kriegsbeteiligung frei.

· Außerhalb der Kasernen werden zusätzliche Wachaufgaben von deutschen PolizistInnen oder BGS-BeamtInnen wahrgenommen, z. B. zur Überwachung von Wohngebieten oder Supermärkten für US-Militärangehörige. Auch dadurch werden US-Soldaten für den Kriegseinsatz frei.

· Deutschland beteiligt sich an der Betreuung verletzter US-Soldaten. Verteidigungsminister Struck hat bereits im Januar Bundeswehrmaschinen (das fliegende Hospital MedEvac) angeboten. Das größte amerikanische Hospital außerhalb der Vereinigten Staaten in Landstuhl hat noch einmal seine Bettenkapazität aufgestockt. Damit wird medizinische Unterstützung einseitig dem Aggressor zuteil.

· Deutschland hat gemeinsam mit den Niederlanden am 10. Februar 2003 die Führungsrolle der ISAF in Afghanistan übernommen und stellt mit bis zu 2500 SoldatInnen das größte Kontingent der gut 4000 Köpfe starken Truppe. Das Kommando Spezialkräfte bleibt weiterhin von der Öffentlichkeit unbeachtet in Afghanistan aktiv, während amerikanische Spezialeinheiten die „Terroristenjagd“ aufgegeben haben, um für andere Aufgaben frei zu sein. Bundeskanzler Schröder wird nicht müde, den „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ „Seite an Seite mit Amerikanern“ (Regierungserklärung vom 13. Februar) zu betonen. Dies bedeutet eine weitere indirekte Unterstützung für die US-Armee, die nun personelle und logistische .Kapazitäten für den Krieg gegen Irak umlenken kennen.

· Auf dem größten US-Truppenübungsplatz in Europa, in Grafenwöhr, wurde von Ende Januar bis Anfang Februar 2003 das groß angelegte virtuelle Manöver „Victory Scrimmage“ zur Kriegsvorbereitung durchgeführt. Rund 1000 Offiziere probten mittels computergestützter Simulationen den Angriff auf den Irak, geduldet von der Bundesregierung.

· Deutschland hat am 17. Februar 2003 einer Erklärung der Europäischen Union zum Irak zugestimmt. In dieser Erklärung wird der Gebrauch von Gewalt als letztes Mittel gerechtfertigt. Ebenso problematisch ist ein in der Öffentlichkeit wenig beachteter Satz, mit dem die zunehmende Eskalation der Kriegsgefahr gerechtfertigt wurde: „Wir erkennen an, dass (…) der militärische Aufmarsch wesentlich gewesen (…)(ist), um die Rückkehr der Inspektoren zu erreichen. Die Faktoren bleiben wesentlich, wenn wir die gewünschte volle Kooperation erreichen wollen.“ Mit anderen Worten: Der massive Militäraufmarsch, wesentlich von deutschem Boden aus, wurde nicht nur hingenommen, sondern bewusst und gewollt weiterbetrieben!

· Deutschland hält weiterhin am Embargo gegen den Irak fest, das bereits vor dem Krieg zu einer massiven Verelendung des Landes geführt hat und einen Großteil der Infrastruktur des Iraks zerstört hat. Das Embargo stellt einen nicht-militärischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung des Landes dar und fördert die Diktatur Saddam Husseins, indem es eine oppositionelle, gebildete Mittelschicht zerstört. Außerdem stellt das Embargo eine indirekte Vorbereitung des militärischen Angriffs dar, da es den Irak weitgehend geschwächt und massive Gegenwehr unrealistisch gemacht hat.

· Die Bundesregierung lehnt es ab, Deserteuren der US-Armee politisches Asyl zu gewähren, obwohl sie vielfach Repressionen und staatlicher Verfolgung seitens der USA ausgesetzt sind.

· In Deutschland werden konsequente Kriegsgegner, die die Lippenbekenntnisse der Bundesregierung als Lügen entlarven, eingeschüchtert und einer ungerechtfertigen strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Prominente Beispiele sind Tobias Pflüger und Konstantin Wecker, die sich wegen ihres Aufrufes an die deutsche AWACS-Besatzung, unrechtmäßige Befehle nicht zu befolgen, sondern zu desertieren, mit der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen müssen.

· Die Bundesrepublik Deutschland hat nach Kriegsbeginn vier irakische Diplomaten ausgewiesen. Die USA hatten verschiedene Staaten massiv zu diesem Schritt gedrängt. Die Spionagevorwürfe, die als Gründe vorgeschoben werden, scheinen vage und konstruiert.

Es bleibt angesichts dieser überwältigenden Fülle von Tatsachen nur festzustellen, dass vom deutschen „Nein zum Krieg!“ leider nur wenig übrig bleibt. Selbst wenn keine deutschen SoldatInnen Jagdbomber fliegen, hat die Bundesregierung den Krieg gegen den Irak wesentlich ermöglicht und unterstützt. Von einer Friedenspolitik ist deutsche Politik selbst in Sachen Irak weit entfernt. Aufgabe der Friedensbewegung bleibt es, dies auch in das Bewusstsein der öffentlichen Meinung zu tragen.

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