Pressebericht / in: Schwäbisches Tagblatt Region/Steinlachtal 20.02.2003

Viele Stimmen gegen den Krieg

Mössinger Friedens-Konzert in der Quenstedt-Aula machte Mut zum Widerstand - Der Freie und der Ernst-Bloch-Chor beim gemeinsamen Intro

von: Ulrich Eisele / Schwäbisches Tagblatt / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 2. März 2003

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MÖSSINGEN. Rund 50 „Stimmen gegen den Krieg“ waren am Dienstagabend beim Antikriegs-Konzert in der Quenstedt-Aula zu hören: Chöre und Solo-Stimmen, rezitative und instrumentale Beiträge zum Thema Krieg, Kriegsangst und Widerstand. Ein interessiertes Publikum von ungefähr 300 Besucher(inne)n ließ sich vom Auftritt der Tübinger und Stuttgarter Künstler/innen animieren und spendete anschließend freigiebig für die Fortsetzung der Friedens-Arbeit.

Als die Veranstaltung vor etwa drei Wochen geplant wurde, war noch nicht absehbar, dass über 10 Millionen Menschen in der Welt gegen den Irak-Krieg auf die Straße gehen würden. Von Tübinger Künstler/innen ging damals die Initiative zu diesem Konzert aus – der Versuch, den Widerstand aufs flache Land zu tragen. Gut traf sich, dass die Initiator/innen in Erich Schneider, Autor der „Mössinger Erklärung“, einen interessierten Promo-tor fürs Friedens-Konzert fanden.

Es kamen: ältere Menschen, Schüler, Frauen und Männer, keine nach Alter und Geschlecht eingrenzbare Zielgruppe. Sie hörten spannende Beiträge, zunächst von Brecht/Eisler das „Lied von der Moldau“, vom Freien Chor, Stuttgart, und Tübinger Ernst-Bloch-Chor zusammen gesungen: „Es wechseln die Zeiten, die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.“ Dann folgten vier Chorsätze vom Freien Chor, darunter ein eher leises, hintersinniges Lied aus dem ostjüdischen Widerstand, zwei neu arrangierte Rio-Reiser-Agitprop-Songs („Der Traum ist aus“ und „Der Krieg“) und zuletzt Konstantin Weckers populäre Antikriegs-Arie „Sag nein“.

Anschließend referierte Tobias Pflüger von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) in einer kurzen Rede interessante Hintergründe und Details zum aktuellen Stand der Kriegsvorbereitungen: Die demonstrierenden Massen in Madrid, Rom, London, Berlin und New York hätten immerhin bewirkt, dass sogar Kriegsbefürworter wie der englische Verteidigungsminister Jack Straw nun zu verbaler Rücksicht auf die öffentliche Meinung gezwungen würden.

Vier Kriegs-Gründe nannte Pflüger für den Aufmarsch am Golf: das Hegemonial-Streben der USA, die eine Neuordnung der Region unter dem Stars-and-Stripes-Banner wollten; keine Demokratie, sondern eine Militär-Diktatur auf Zeit unter der Herrschaft des Oberbefehlshabers des für den Nahen und Mittleren Osten zuständigen US-Zentralkommandos Tommy Franks.

Dann die Sicherung des Zugangs zum Öl. Weiter die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA, genannt Bush-Doktrin, nach der Präventiv-Kriege gegen Staaten zulässig sind, die vitale Interessen der Vereinigten Staaten bedrohen. Schließlich ein innenpolitischer Faktor: dass die Demokraten in den USA den Umfragen nach bei allen Themen außer dem Thema „Sicherheit“ die Nase vorn haben. Um an der Macht zu bleiben, müsse Bush deshalb die militärische Karte spielen.

Pflüger widersprach auch der Ansicht, die Bundesregierung widersetze sich den Kriegsvorbereitungen der USA. So habe diese unter Missachtung der Verfassung sowohl den Truppen-Transport über deutsche Air-Basen (Frankfurt, Ramstein und andere) in den Nahen Osten zugelassen, als auch Kriegsgerät an potenzielle Angreifer (Patriot-Raketen an die Türkei) geliefert.

Nicht zuletzt seien deutsche Soldaten in die Luftraum-Überwachung des Nordirak einbezogen. Deshalb habe er die Awacs-Soldaten am Rande der Münchner Konferenz zur Desertion aufgefordet. Dafür sei er dreieinhalb Stunden auf dem Polizeipräsidium festgehalten worden. Pflüger forderte alle Anwesenden auf, den Rückruf der Patriots zu fordern und ein Erstschlags-Recht in den verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung zu verhindern.

Nach der Pause rezitierte Cornelia Blume aus Walter Jens’ „Die Friedensfrau“, der Aktualisierung eines antik-feministischen Antikriegs-Pamphletes. Das „Duo Saxakkord“ – Anne und Dorothea Tübinger – lockerte den Monolog mit schrägen Akkordeon- und Saxophon-Harmonien auf. Schließlich der Bloch-Chor unter Anne Tübingers Leitung mit Eigen-Kompositionen und Fremd-Vertonungen von Texten Tucholskys, Kraus’, Maiwalds und anderer Autoren: mal schrill, mal eingängig, doch stets unaufdringlich und subtil Aufforderung zum Nachdenken. Alles in allem darauf setzend, dass wer nachdenkt, als Unterstützer eines Krieges schon verloren ist.

Dokument-URL:
http://www.tagblatt.de/index.php?objekt=ST&id=8498