IMI-Analyse 2003/010 - in: Volksstimme, Nr. 5/2003, 30.1.2003 // ISSN 1611-213X
Europa der Verteidigung
Will "Chirac den Frieden und bereitet Frankreich auf Krieg vor"? - Die Interessen der "internationalen Werte-" und Waffengemeinschaft im "Krieg gegen Terror" im Überblick, Teil 2.
von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 2. März 2003
Frankreich, 1975: Der französische Premierminister Jacques Chirac empfängt einen Gast. Stolz zeigt er ihm ein französisches Atomforschungszentrum. Der Gast kommt aus dem fernen Irak, ist dort Vizepräsident und der eigentlich starke Mann in Bagdad. Seine Name: Saddam Hussein. Der Besuch lohnte sich für den irakischen Herrscher: Frankreich liefert dem Irak unter anderem zwei Forschungsreaktoren. Nutzen konnte der Irak die Reaktoren allerdings nur kurz, 1981 werden sie von israelischen Kampfflugzeugen zerstört.
An der Seite des Irak …
Nach dem Golfkrieg 1991, an dem die „Grande Nation“ auf Seiten der Alliierten teilgenommen hatte, ging Frankreich wieder auf Distanz zu seinen Kriegsgefährten. So kritisierte Paris die einseitig eingerichteten Flugverbotszonen im Norden und Süden des Iraks als Verstoß gegen Völkerrecht. Nach Angriffen amerikanischer und britischer Flugzeuge Anfang 2001 tönte Außenminister Hubert Vedrine, die Militärschläge seien „von niemandem gebilligt worden außer von Polen und Kanada, und da weiß ich nicht, warum“. In einem ähnlichen Fall hatte Vedrines Amtsvorgänger Herve de Charette die territoriale Integrität des Iraks bekräftigt.
Paris setzte sich auch für eine Lockerung des Embargos ein, das die UNO gegen den Irak verhängt hatte. Das ließ sich gut humanitär begründen, richtete sich das Embargo de facto vor allem gegen die Bevölkerung und schadete der Führungsclique um Saddam Hussein wenig. Wie andere Länder begann Frankreich, wieder Kontakte zum Irak aufzubauen. Im September 2000 landeten Flugzeuge aus Jordanien, Russland und eben Frankreich in Bagdad. Die Wirtschaftskontakte wurden wieder aufgebaut, so dass Frankreich bei einem Ende des Embargos wieder gut im Geschäft sein dürfte.
All das – der Einsatz für eine Lockerung des Embargos, die Kritik an den Flugverbotszonen und die Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen – hat Frankreich den Ruf eingebracht, an der Seite des Irak zu stehen und einen US-Krieg abzulehnen.
Doch die französisch-amerikanischen Meinungsverschiedenheiten über den Irak haben nie zu einem Bruch zwischen beiden Ländern geführt. Im Gegenteil. Gemeinsame Interessen überwiegen nach wie vor, so dass französische Soldaten schon bald Seite an Seite mit amerikanischen GIs in Richtung Bagdad marschieren könnten.
… mit den USA
Schon 1991 waren die bis dahin guten Beziehungen zum Irak kein Hindernis für Frankreich, nach der Invasion des Irak in Kuwait an der Seite der Vereinigten Staaten und ihrer Alliierten gegen Bagdad in den Krieg zu ziehen, was Frankreich dadurch leichter gemacht wurde, dass alle arabischen Staaten ebenfalls gegen den Irak waren. Auch danach bekräftigten Frankreichs Regierungen bzw. Staatspräsidenten immer wieder, sich mit ihrer Politik an die Beschlüsse des Sicherheitsrates zu halten, für deren Zustandekommen sie ja mitverantwortlich waren.
So rechtfertigte das Außenministerium den spektakulären Flug von AktivistInnen gegen das UN-Embargo im September 2000 damit, dass es kein „totales Luftraumembargo“ gegen den Irak gebe und nur kommerzielle Flüge und Frachtflüge von der UNO genehmigt werden müssten. Im Unterschied zu den USA hat sich Frankreich allerdings nicht das Ziel gesetzt, einen Machtwechsel im Irak herbeizuführen. Paris verweist auf fehlende Beschlüsse der UN, Staatspräsident Chirac warnte gegenüber der „New York Times“ im September, wenn das Schule mache, „kämpft bald eine Hälfte der Welt gegen die andere“.
In diesem Fall würden sich Frankreich und die USA natürlich in derselben Hälfte wiederfinden. Die Beziehungen sind traditionell gut, in den 90ern näherte sich Frankreich sogar wieder an die NATO an, aus deren militärischer Integration sich das Land unter de Gaulle 1966 zurückgezogen hatte. 1999 führte die NATO Krieg gegen Jugoslawien, und Frankreich war mit dabei. Die französische Kritik an der Irak-Politik der USA richtet sich vor allem gegen einen Alleingang der USA.
In seiner diesjährigen Neujahrsansprache sagte Chirac dann, „dass eine militärische Intervention nur ins Auge gefasst werden dürfte, wenn alle anderen Möglichkeiten absolut gescheitert sind“. Die französische Zeitung „Le Monde“ kommentierte: „Auch wenn es mit einem bewussten gaullistischen „leider“ verbunden war, hat sich Chirac zum ersten Mal der Aussicht auf einen Krieg – das Wort ist gefallen – angeschlossen und angedeutet, dass Frankreich daran teilnehmen würde.“
Die französische Regierung hat außerdem die jährliche Wartung des einzigen Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“ verschoben, so dass dieser ab Ende Januar einsatzfähig ist. „Chirac will den Frieden und bereitet Frankreich auf Krieg vor“, titelte die Nachrichtenagentur dpa in ungewohnter Deutlichkeit. Wieder einmal zeigt sich, dass an erster Stelle der französischen Politik immer noch Frankreich steht und Paris nicht für eine Handvoll Dollar im Irak die Beziehungen zu den USA über Bord wirft.
Dementsprechend war es bei den Verhandlungen im Sicherheitsrat über eine neue Irak-Resolution das „hauptsächliche und durchgängige Ziel Frankreichs“, so der französische UN-Botschafter Jean-David Levitte, eine Schwächung des Sicherheitsrates zu verhindern. Der Einsatz für das höchste UN-Gremium war nicht ganz uneigennützig. Frankreich hatte in den 90ern die Vereinten Nationen als Instrument seiner Politik entdeckt und sich etwa für den Internationalen Strafgerichtshof stark gemacht. Nur über die UNO kann Frankreich mit den USA auf Augenhöhe verhandeln.
Verärgert über das französische Verhalten kommentierte der konservative Kolumnist Robert Kagan in der Washington Post, es sei „keine Überraschung, wenn die Verhandlungen im Sicherheitsrat endlos dauern oder die Franzosen eine weitere Runde der Debatte zu einem späteren Zeitpunkt wollen“. Bissig bemerkte er: „Wenn man Frankreich ist, will man, dass die Verhandlungen ewig weitergehen und dann auch die Inspektionen ewig weitergehen. Denn wenn die Verhandlungen und Inspektionen aufhören und der Krieg beginnt, wird die Weltmacht Amerika wieder eine Weltmacht und Frankreich wieder Frankreich.“
In den Verhandlungen mit den USA erreichte Frankreich, dass im Falle eines irakischen Verstoßes gegen die UN-Auflagen der Sicherheitsrat „umgehend zusammenkommen“ muss, „um über die neue Situation zu beraten“. Das wird die USA allerdings nicht hindern, ihr „Recht auf Selbstverteidigung“ wahrzunehmen, wie US-Präsident George W. Bush sofort deutlich gemacht hat. Mit dem Recht auf Selbstverteidigung haben westliche Regierungen in den letzten Jahren noch so ziemlich jeden Kriegseinsatz gerechtfertigt.
Krieg unter anderen Umständen
Noch vor der UNO kommt für Frankreich allerdings die EU, wie Chirac in seiner Neujahrsansprache an die Streitkräfte bekräftigte: „Der Aufbau eines Europa der Verteidigung steht im Mittelpunkt unserer Prioritäten“. Er wies auf die aktuelle Erhöhung des Rüstungsetats hin, wie sie die Regierung seit letztem Jahr betreibt. Im vergangenen Jahr kam aus Paris der Vorschlag, die Ausgaben für Militär aus den Maastricht-Kriterien der EU herauszurechnen und so höhere Militärausgaben in Europa zu ermöglichen. Am 15. Januar beschloss das französische Parlament massive Steigerungen im Verteidigungshaushalt in den Jahren 2003 bis 2008. Insgesamt 14,6 Milliarden Euro sollen investiert werden.
Dazu gehört ein zweiter Flugzeugträger, den die Regierung 2005 bestellen will und der ab 2015 einsetzbar sein soll. Bisher besitzt Frankreich nur eine der schwimmenden Festungen, die nuklear betriebene „Charles de Gaulle“, die allerdings drei Monate im Jahr im heimischen Hafen verbringen muss. Schon diese Anschaffung spricht Bände: Flugzeugträger braucht, wer in allen Teilen der Welt mit massiver militärischer Macht auftreten will. Wie die USA, wie eine Weltmacht: „Frankreich muss zu den militärischen Kapazitäten eines Landes, das zählt, zurückfinden. Eines Landes, das gehört und respektiert wird“, begründete Premierminister Jean-Pierre Raffarin die Aufrüstung.
Einen Vorgeschmack auf die künftige EU-Politik haben Paris und Berlin anlässlich des 40. Jahrestages des Elysée-Vertrages gegeben, als Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder ihre angebliche Kriegsablehnung demonstrierten. Allerdings hat sich Frankreich bisher nur gegen einen Krieg zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgesprochen, von „später“ und „unter anderen Umständen“ sei bisher keine Rede gewesen, wie die „International Herald Tribune“ bemerkte. Damit stehen Paris also noch mehrere Hintertüren offen, um im letzten Moment doch noch am Krieg teilnehmen zu können und bei der Aufteilung der Beute – des irakischen Öls – nicht leer auszugehen.