Pressebericht / in: Neues Deutschland 26.02.2003
Eine multinationale »Privatindustrie«
Delhier Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung
von: Erhard Crome / Neues Deutschland / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 2. März 2003
Der Suche nach Stabilität in Südasien nach dem 11. September war am Wochenende eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Berlin) und der Observer-Research-Foundation (Delhi) veranstaltete internationale Konferenz gewidmet.
Der Politologe Imtiaz Ahmed von der Universität Dhaka (Bangladesch) spitzte das Terrorismus-Problem zu: Terrorismus ist auch, einfach die Zivilbevölkerung eines anderen Staates zu bombardieren. Terrorismus sei darüber hinaus heute ein globales Problem: Da waren Geld aus Saudi-Arabien, Extremisten aus Ägypten, Saudi-Arabien und anderen Ländern, die Unterstützung durch einige Staaten wie Afghanistan und teilweise Pakistan, aber auch aus Europa und den USA im Zeichen des »Kampfes gegen den Kommunismus« – und am Ende waren die Twin-Towers in New York das Ziel. Das Ziel der Terroristen des 11. September war es, die eine verbliebene Supermacht herauszufordern. Und so antworte sie jetzt mit Krieg, um die »internationale Hierarchie« wiederherzustellen.
Krieg – untaugliches Mittel zur Konfliktlösung
Der Direktor des renommierten Delhier Instituts für Verteidigungsstudien und -analysen (IDSA), K. Santhanam, und der indische Ex-General Afsir Karim konstatierten das Wiederaufleben eines religiösen Extremismus in einer Reihe von Staaten der Region sowie die Transformation des Terrorismus in eine multinationale »Privatindustrie«, die von einigen Staaten gesponsert wird. Der »gemeine Mann« bringe nicht von sich aus Terror hervor, sondern bedarf der Indoktrination. Das gelte für den inländischen Terror des Hindu-Nationalismus in Indien ebenso wie für den islamistischen Terror in Afghanistan, Kaschmir und anderswo.
Die Kämpfer von Taliban und Al Qaida, da waren die indischen Experten sicher, sind nach den USA-Militärschlägen gegen Afghanistan in Pakistan untergetaucht, von wo aus sie ihre Aktivitäten fortsetzen. Erkenntnisse darüber, dass Irak ein terroristischer Staat sei oder Terroristen Unterschlupf gewährt, lägen dagegen nicht vor. Die dortigen Probleme, so der Tenor, müssten auf andere Weise gelöst werden.
Die indische Erfahrung besteht darin, Demokratie als eine Ideologie der Toleranz zu realisieren und die Loyalitäten des jeweils anderen zu respektieren, hatte eingangs der Regierungsberater und Ex-Botschafter Dr. A. M. Khusro erläutert. Das gilt seiner Ansicht nach auch auf dem internationalen Feld; und so gebe es viele andere Wege zur Konfliktlösung im Mittleren Osten als Krieg im Irak.
Für eine Definition von Terrorismus als Einsatz von Gewalt für politische Ziele, dessen Opfer in der Regel die Zivilbevölkerung ist, plädierte Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen. Es gebe nach wie vor auch Staatsterrorismus, das Neue seien jedoch die internationalen Netzwerke nicht-staatlichen Terrorismus, die nicht notwendig staatlicher Unterstützung bedürfen. Sie verfolgen in der Regel eine Doppelstrategie: Mittels terroristischer Akte wollen sie die staatliche Autorität unterminieren und, reagiert diese ihrerseits mit Gewalt, sie in Misskredit bringen. Terror hat nach Claudia Haydt mehr mit Kriminalität als mit Krieg zu tun; seine Bekämpfung müsse daher auch mit den Mitteln der Kriminalitätsbekämpfung, nicht des Krieges erfolgen.
Erst »Freiheitskämpfer«, heute »Terroristen«
Terror hat es als ungleichgewichtige Gewaltanwendung immer gegeben, wurde in der Debatte festgestellt. Das Neue am 11. September sei lediglich, so ein indischer Diskutant, dass die USA massiv angegriffen wurden. Die Bewertung der Akteure sei indes stets eine Frage der politischen Perspektive: Gestern wurden die Al-Qaida-Leute »Freiheitskämpfer« genannt, heute »Terroristen«.
Auch in Sri Lanka sei die Frage, wer »Terrorist« ist oder nicht, eine der politischen Perspektive, sagte P. Saravanamuttu (Sri Lanka). Eine der Wurzeln von Extremismus sei das europäische Konzept des Nationalstaates. Wer sich des Staates bemächtigt, definiert, was Nation ist. Die tamilischen »Befreiungstiger« (LTTE) als terroristische Organisation entstanden erst, nachdem die moderaten tamilischen Parteien jahrzehntelang ohne Ergebnis mit den singhalesischen Mehrheitskräften verhandelt hatten, die die Macht nicht teilen wollten. Eine starke Zivilgesellschaft, die den Konflikt hätte moderieren können, gibt es in Sri Lanka nicht. Jetzt, nachdem es auf beiden Seiten große Opfer gegeben hat, wird verhandelt.
Die Probleme in Südasien, darin war man sich in Delhi einig, könnten nur durch die politischen Kräfte der Region gelöst werden können, durch Zusammenarbeit der Staaten sowie Ausbau von Demokratie und Zivilgesellschaft. Sie sind jedoch in erheblichem Maße von den internationalen Entwicklungen, vor allem denen im Nahen und Mittleren Osten, beeinflusst.