Pressebericht / in: Süddeutsche Zeitung vom 12.02.2003

„Das ist ein Angriffskrieg“

Konstantin Wecker über seinen Desertions-Appell an Bundeswehrsoldaten

von: Süddeutsche Zeitung / Wolfgang Görl / Dokumentation / Pressebericht | Veröffentlicht am: 12. Februar 2003

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Der Liedermacher Konstantin Wecker ist nach seiner Rede bei der Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz ins Visier der Polizei geraten. Die Beamten werfen ihm vor, bei der Abschlusskundgebung öffentlich zur Fahnenflucht, also zu einer Straftat aufgerufen zu haben. Wecker hatte gesagt: „Ich rufe die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die demnächst ihren Dienst in Awacs-Flugzeugen tun müssen, dazu auf, diesen Kriegsdienst zu verweigern oder zu desertieren.“ Über den Vorfall und seine Haltung zu den Kriegsplänen der USA sprach Wecker mit der SZ.

SZ : Herr Wecker, die Polizei ermittelt gegen Sie. Haben Sie Anlass zur Reue?

Wecker : Nein, ich finde den Vorwurf geradezu lächerlich. Ich hab’ natürlich aufgerufen, und zwar war das Ganze zuerst mal eine Solidaritätsbekundung für Tobias Pflüger, der am Tag zuvor bei der Demo gegen den städtischen Empfang für die Konferenzteilnehmer genau diesen Satz gesagt hat und anschließend in Gewahrsam genommen und die Nacht über in der Ettstraße festgehalten wurde.

SZ : Und Sie haben diesen Satz zitiert?

Wecker : Ich hab’ ihn mir von Tobias Pflüger nochmal wörtlich geben lassen und später bei der Schlusskundgebung erklärt, wir können uns dahingehend solidarisch erweisen, dass erstens ich den Satz nochmal sage und dass wir ihn zweitens gemeinsam sagen. Das haben dann Tausende von Leuten auch getan.

SZ : Die Polizei hat nicht eingegriffen?

Wecker : Nein. Man hat mir dann geraten, nicht allein mit der U-Bahn zurückzufahren; den Tobias Pflüger haben sie kurz nach seiner Rede in der U-Bahn, wo er allein war, festgenommen.

SZ : Das Zitat enthält ja in der Tat einen Aufruf zu desertieren. Damit wäre ein Straftatbestand gegeben.

Wecker : Das könnte man so sehen. Aber es gibt eben Momente, da muss man auch so was in Kauf nehmen. Artikel 26 unserer Verfassung besagt, dass unter Strafe gestellt wird, wer einen Angriffskrieg unterstützt. Und dieser Krieg gegen den Irak ist ein Angriffskrieg. Da ist es an der Zeit, dass sich die Soldaten überlegen, ob sie Nein sagen. Immerhin haben wir aus den Nürnberger Prozessen gelernt, dass vielen Soldaten zu Recht vorgeworfen wurde, sie hätten nicht rechtzeitig Nein gesagt.

SZ : Hat Sie Ihre Reise in den Irak in Ihrer Haltung gegen den Krieg bestärkt?

Wecker : Ja, natürlich. Ich war zwar vorher schon Kriegsgegner, aber infolge dieser Reise habe ich mich zum Handeln aufgerufen gefühlt. Ich habe erlebt, wie die Menschen unter dem Embargo leiden. Das Embargo ist bereits eine Massenvernichtungswaffe. Es hat wohl eine Million Menschen dahingerafft. Alexander Christoph, der die einzige deutsche Hilfsorganisation dort leitet, hat mir genau erzählt, was passieren wird, wenn es zum Krieg kommt. Es gäbe ja nicht nur die Bombenopfer – von einem Atomschlag, der auch im Plan ist, gar nicht zu reden. Sondern da wären auch die Folgeschäden aufgrund des fehlenden Trinkwassers und der katastrophalen ärztlichen Versorgung: Das würde hunderttausende weitere Opfer kosten.

SZ : Hier wird manchmal behauptet, die Iraker warten darauf, dass die Amerikaner sie von Saddam Hussein befreien.

Wecker : Sie möchten von Hussein befreit werden, und ich bin nicht der Meinung, dass die irakische Bevölkerung so hinter Hussein steht, wie es uns dessen Propaganda weismachen will – aber sie wollen nicht durch Krieg befreit werden. Das ist ganz entscheidend.

SZ : Wie wäre den Irakern stattdessen zu helfen?

Wecker : Eine wichtige Erfahrung meiner Reise war: Die Möglichkeit, irgendwann in dieser Region Demokratie zu etablieren, läuft nur über die Aufhebung der Isolation, und vor allem über kulturelle Kontakte. Ohne Kultur geht nichts, und ohne die Idee des Humanismus kann nie und nimmer ein Volk sich so emanzipieren, dass es demokratisch werden könnte. Die Begeisterung in diesem Land für unsere Kultur ist so groß, dass es fast beschämend ist, wenn wir überlegen, wie das umgekehrt der Fall ist.

SZ : Sie stehen also zu Ihrem Aufruf?

Wecker : Selbstverständlich. Lassen Sie mich noch einen Satz von Albert Einstein zitieren, der über das Militär schreibt: Ich möchte mich lieber in Stücke schlagen lassen, als mich an einem so elenden Tun zu beteiligen.

Interview: Wolfgang Görl

Original: http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel1855.php