IMI-Analyse 2003/009 - gekürzt in: Neues Deutschland, 01.02.03 / ISSN 1611-213X

„Sehr guter Grund für einen Krieg“

Die USA-Regierung arbeitet an einer neuen Welt(öl)ordnung

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 5. Februar 2003

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Öl ist bekanntlich der Treibstoff moderner Ökonomien. Seine Kontrolle dürfte wegen tief greifender Veränderungen des Weltmarktes noch wichtiger werden.
Bis zum Jahr 2020 wird laut Schätzungen der weltweite Ölverbrauch um 50Prozent, der der Vereinigten Staaten um 33Prozent steigen, während die weltweiten Vorkommen kontinuierlich abnehmen. Die USA müssten dann gut zwei Drittel ihres Bedarfs über Importe decken – der „Schutz“ ausländischer Ölvorkommen gewinnt also an Bedeutung. Mit einem Anteil von 78Prozent verfügen die Mitglieder der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) über den Löwenanteil des verbleibenden Öls. Sie allein werden den steigenden Öldurst stillen können. „Wie immer man es dreht und wendet:“ folgert Die Zeit, „Den politisch sensiblen Ländern am Persischen Golf wächst automatisch mehr Marktmacht zu.“ Washingtons Krieg gegen den Irak zielt primär darauf ab, diesem Einflussgewinn entgegenzuwirken – die Frage ist weshalb.

USA-Wirtschaftswachstum und billige Ölpreise

In seinem neuesten World Economic Outlook vom September 2002 gibt der Internationale Währungsfond an, eine langfristige Erhöhung des Ölpreises um 5 Dollar pro Barrel (159 Liter) senke das USA-Wirtschaftswachstum um 0.4%. Die Analysten von Goldman und Sachs schätzen bei einer permanenten Preissteigerung von 10 Dollar den Rückgang sogar auf ein Prozent.

Dementsprechend wird von Seiten der USA-Regierung ein billiger Ölpreis als notwendige Bedingung für eine florierende Wirtschaft betrachtet. In der von Vizepräsident Dick Cheney verfassten Nationale Energiepolitik (NEP) heißt es: „Steigende Ölpreise wirken wie eine Steuer durch ausländische Ölexporteure. Sich ändernde Energiepreise verursachen ökonomische Kosten […] Diese Kosten können letztlich das ökonomische Wachstum beeinträchtigen.“ Diesem grundsätzlichen US-Interesse an billigem Öl steht vor allem eine Institution im Weg: Die OPEC.

Fall und Wiederaufstieg der OPEC

In den 70er Jahren hatten die elf, primär der Golfregion entstammenden OPEC-Länder versucht, dauerhaft höhere Ölpreise durchzusetzen. Da der globale Ölmarkt den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gehorcht, versuchte das Kartell seine Gesamtfördermenge zu senken, was zu einer Verknappung und damit zu einem Preisanstieg führen sollte.

Allerdings musste die Mengenbegrenzung im Jahr 1986 aufgegeben werden. Der Westen hatte auf den Preisanstieg mit der raschen Entwicklung von Nicht-OPEC-Quellen (v.a. in der Nordsee) reagiert, die große Mengen Öl auf den Weltmarkt lieferten und somit die Marktanteile der OPEC übernahmen. Der Ölpreis blieb in der Folge mit durchschnittlich 17 US-Dollar pro Barrel extrem niedrig.

Da viele Nicht-OPEC Quellen allmählich versiegen und sie bereits heute am Limit produzieren, scheint sich nun aber das Blatt zu wenden. Heute verfügen einzig die OPEC-Länder über zusätzliche Förderkapazitäten. Friedemann Müller von der SPD-nahen Stiftung Wissenschaft und Politik weist auf die Folgen für den Ölpreis hin: „Im März 1999 wurde sich die OPEC bewusst, dass die Nicht-OPEC-Produzenten über keine Produktionsreserven verfügten, eine Mengenbegrenzung der OPEC daher nicht durch die Übernahme von Marktanteilen durch andere aufgefangen würde. Das Instrument der Mengenbegrenzung griff wieder. Der Preis stieg im Jahr 2000 auf über 30 $. […] Die in den 80er und 90er Jahren verlorene Herrschaft über die Ölpreissteuerung hat die OPEC 1999 im Prinzip zurückgewonnen.“

Das Kartell will künftig mit Hilfe der Mengenbegrenzung den Ölpreis zwischen 22 und 28 Dollar pro Barrel halten (bei einer deutlichen Tendenz zum oberen Wert). Ginge es nur nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, würde sich laut David Kohl, Europa-Volkswirt der Bank Julius Bär, der Ölpreis zwischen 15 und 16 Dollar bewegen. Der ehemalige saudische Ölminister, Ahmed al-Yamani, schätzt für das Jahr 2004, dass der Ölpreis ohne Eingriffe der OPEC auf 10 Dollar fallen könnte. Bei einem US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukt von ca. 10,5 Billionen Dollar beläuft sich demzufolge die von den OPEC-Ländern erhobene „Steuer“ auf einen jährlichen Betrag im dreistelligen Milliardenbereich. Demgegenüber erscheinen die einmalig zu entrichtenden Kosten für einen Krieg gegen Irak – von der USA-Regierung auf 100 bis 200 Milliarden Dollar geschätzt – vergleichsweise gering. Zumal dieses Geld direkt den engen Freunden der Bush-Administration in der Öl- und Rüstungslobby zu Gute kommt.

Der Irakkrieg als Torpedo gegen die OPEC

In diesem Kontext besitzt das irakische Öl (sicher 12Prozent der Weltvorkommen, vermutlich sogar deutlich mehr) seine eigentliche Bedeutung. Aufgrund des UNO-Embargos liefert Bagdad derzeit nur geringe Mengen auf den Weltmarkt. Deshalb kommt eine Studie des Center for Strategic and International Studies zu dem Schluss, dass ein kurzer, erfolgreicher Krieg gegen den Irak – wovon die USA-Regierung ausgeht – kaum negative Auswirkungen auf Ölpreis und USA-Konjunktur haben würde.

Das Ziel der Bush-Administration ist es, nach der Einsetzung eines Marionettenregimes die riesigen irakischen Vorkommen so schnell wie möglich dem Markt zuzuführen und so das Land zu einem der wichtigsten Weltölversorger aufsteigen zu lassen. Entscheidend ist, dass Washington die künftige irakische Regierung dazu drängen wird, sich nicht an die Mengenbegrenzung zu halten und aus der OPEC auszutreten – Iraks Exilopposition signalisierte hierfür bereits ihre Zustimmung. Lawrence Lindsey, bis vor kurzem engster ökonomischer Berater Bushs, gibt an: „Wenn es einen Regimewechsel im Irak gibt, könnte man der Weltversorgung 3 bis 5 Millionen Barrel hinzufügen. Ein erfolgreich durchgeführter Krieg wäre gut für die Wirtschaft.“ Der ehemalige irakische Ölfunktionär Fadhil Chalabi schätzt, dass der Irak in zehn Jahren bis zu 12 Millionen Barrel pro Tag (mb/d) liefern könnte. Dies hätte dramatische Auswirkungen für den Ölpreis. Der wichtigste Öllieferant der Welt, Saudi-Arabien, vermag derzeit mit einer Förderung von 8 mb/d und mit einer Reservekapazität von 3 bis 5 mb/d den Ölpreis entscheidend zu diktieren.

Die zu erwartende irakische Ölschwemme würde somit den Ölpreises erheblich senken und zusätzlich, so die Kalkulation der USA-Regierung, einen Dominoeffekt auslösen. Da Saudi Arabien auf hohe Einnahmen aus dem Ölverkauf angewiesen ist, um seinen Haushalt einigermaßen ausgeglichen zu gestalten, müsste es sich, wie es die NEP fordert, USA-Investoren öffnen, um seine riesigen, unerschlossenen Vorräte dem Weltmarkt ebenso zuzuführen, wie seine Reservekapazität. Nur so könnte das Land die Verluste aus dem gesunkenen Ölpreis kompensieren, womit es aber die Kontrolle über die Preisgestaltung verlieren würde.

Dies ist für die USA umso bedeutender, da sich die Spannungen mit dem wichtigsten OPEC-Land, Saudi-Arabien, verschärfen. Allein der Abzug von ca. 250 der 850 Milliarden Dollar saudischer Direktinvestitionen aus den USA war für Washington ein schwerer Schlag, der Vorbote noch gravierenderer Maßnahmen gewesen sein könnte.

Ende des Petrodollar Imperialismus?

Die internationale Dollarhegemonie basiert zu einem wesentlichen Teil auf dem sogenannten Petrodollar Imperialismus. Henry Liu schreibt hierzu in der Asia Times: „Jeder akzeptiert Dollars, weil man mit ihnen Öl kaufen kann. Das Recycling von Petrodollars ist der Preis, den die USA den ölproduzierenden Ländern für die Toleranz der OPEC abverlangt hat.“

Bislang wurde das in Dollar abgerechnete Öl entweder durch die OPEC-Länder direkt (Waffenlieferungen) oder indirekt (über den Dollar) in den USA reinvestiert. Für die USA kommen demzufolge Überlegungen Saudi Arabiens, sein Öl künftig generell in Euro abzurechnen einer Kriegserklärung gleich, denn sicher würden die anderen OPEC-Länder Riads Beispiel folgen. Dies hätte katastrophale Folgen für die Rolle des Dollar als Weltleitwährung und damit das gesamte wirtschaftliche (Verschuldungs)Konzept der USA.

Deshalb verwundert es nicht, dass jüngst ein Briefing von Laurent Murawiec vor dem das Pentagon beratenden Defense Policy Board, mit der Besetzung der Ölfelder des Landes drohte, falls die saudische Regierung nicht auf einen USA-freundlichen Kurs zurückkehrt. Um diese Drohung tatsächlich umsetzen zu können, benötigt man aber das irakische Öl. Denn „dieses Öl würde die US-amerikanische Abhängigkeit von saudischen Energieexporten verringern und es somit erlauben, dass saudische Königshaus für ihre Unterstützung des Terrorismus zu konfrontieren,“ beschreibt die International Herald Tribune, die Strategie der USA-Regierung. Ansonsten würde der auf diese Konfrontation erfolgende Ausfall saudischer Lieferungen den Ölpreis in ungeahnte Höhen schnellen lassen. Murawiec räumt offen ein, worum es wirklich geht: „Man wirft Amerika vor, wegen Öl Krieg zu führen. Das ist sogar ein sehr guter Grund.“

Kein Wunder dass Riad angedroht hat, die amerikanischen Militärbasen im Land zu schließen. Als Alternative hierzu soll die geplante Stationierung von 75000-100.000 US-Truppen im Irak den notwendigen Druck erzeugen, dass die Länder der Region auch weiterhin den Ölfluss hoch halten und das Öl in Dollars abrechnen. Für den Fall, dass dem nicht nachgekommen werden sollte, spricht Regierungsberater Richard Perle bereits von einem „umgekehrten Dominoeffekt“, der nach dem Irak noch weitere missliebige Regime umstürzen soll.

Die New Republic fasste die Strategie der die US-Politik dominierenden Hardliner treffend zusammen: „Die irakischen Ölvorkommen sollen für eine Neugestaltung des Mittleren Ostens nach unseren demokratisch-kapitalistischen Vorstellungen genutzt werden, indem die erhöhte irakische Ölproduktion als Hebel zur Untergrabung der saudischen Dominanz in der Region und vielleicht sogar der Zerstörung der OPEC selbst dienen soll.“ Die „demokratisch-kapitalistischen Vorstellungen“ der Vereinigten Staaten dulden eben weder Kartelle, noch Maßnahmen die sich gegen die Dollarhegemonie und somit die eigenen Interessen richten.

Der Autor ist im Vorstand der IMI und Autor von Das ewige Imperium – Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor, VSA-Verlag Hamburg, 2002.