IMI-Standpunkt 2003/005

Vor der Ausarbeitung neuer „VPR“: „Berufung auf Geschichte nicht mehr zeitgemäß“

- Nazi-Veteranen, Reservisten und Industrielle melden Forderungen an die Regierung an

von: Ulrich Sander | Veröffentlicht am: 10. Januar 2003

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Bundeswehrministers Peter Struck hat fürs Frühjahr neue Verteidigungspolitische Richtlinien angekündigt. Sie sollen den „neuen Entwicklungen der Sicherheitslage und den neuen Heraus-forderungen an die Bundeswehr angepasst seien“, erfuhren wir Ende November. In der Öf-fentlichkeit wurden die Absichten des Ministers vor allem nach seinem Spruch registriert: „Die Sicherheit Deutschlands wird künftig am Hindukusch verteidigt.“ In weit von zu Hause liegenden Gebirgen das Vaterland zu „verteidigen“ – das übrigens seit Bestehen Deutschlands noch nie militärisch angegriffen wurde -, das ist ganz nach dem Geschmack der Gebirgsjäger aus Wehrmacht und Bundeswehr. Über die deutschen Militärs, die zwei Weltkriege in diesem Jahrhundert mit über 60 Millionen Kriegsopfern entfesselten, wird in der Zeitschrift „Gebirgs-truppe“ ausgeführt, sie hätten „ihre Pflicht getan und ihre Heimat, ihre Frauen und ihre Kinder geschützt.“ Und zwar auf dem Balkan, im Kaukasus, den Gebirgen der Sowjetunion. Und dies nun am Hindukusch.

Wenn die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien so ähnlich auf den Weg gebracht wer-den, wie jene unter Minister Volker Rühe im Herbst 1992, dann dürften die höchsten Militärs und ihre Zirkel, wie etwa die Clausewitz-Gesellschaft unter Generalinspekteur a.D. Klaus Naumann, wieder ein maßgebliches Wort mitreden. Reaktionärste Vertreter der Militärkaste stimmen sich derzeit ab, um ihre Forderungen zu formulieren und anzumelden. So berichtet in diesen Tagen die schon genannte „Gebirgstruppe“ in Nr. 5/02 über eine „richtungsweisende“ sicherheitspolitische Tagung des Deutschen Reservistenverbandes und des „Kameradenkrei-ses“ der Gebirgstruppe – und damit sind die Veteranen aus Wehrmacht und die Reservisten wie Aktiven aus der Bundeswehr gemeint. Sie forderten unmissverständlich: „Mehr Geld für die Innere und Äußere Sicherheit“.

So ähnlich klingt es auch, wenn sich höchste Industriellenkreise treffen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) machte vor der Wahl Druck und forderte „eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um drei Mrd. Euro pro Jahr zur Modernisierung der Bundeswehr“. Der BDI-Präsident Michael Rogowski mischte sich persönlich ein: „Es muss deutlich mehr inves-tiert werden“. Zwei Mrd. € sollten durch Umschichtungen im Verteidigungshaushalt des Bun-des zusammenkommen. Eine Milliarde € müsse „zusätzlich oben drauf gepackt werden“, ver-langte Rogowski. Er forderte bei Auftragsvergaben vorrangig deutsche Unternehmen zu be-rücksichtigen.

Keine Kürzungen – nur Umverteilungen im Rüstungsetat

Die deutsche wehrtechnische Industrie sei „unverzichtbarer Bestandteil der europäischen In-dustrie und Rüstungsbasis.“ Ohne eine starke Rüstungsindustrie werde es „Deutschland schwer haben, seinen Stimme zu erheben“, wenn es um internationale Entscheidungen gehe“, monierte der BDI-Präsident. Und sein Wille ist der Regierung Gesetz. Ungeachtet Haushalts-defizit und Sparpaket: Beim Kriegsgerät wird nicht gespart. Allen verwirrenden Medienüber-schriften wie „Die Bundeswehr muss drastisch sparen“ (Westfälische Rundschau, 2.12.02) zum Trotz: Es wird nicht etwa aus dem Militärhaushalt in den Sozialhaushalt umgeschichtet, sondern allenfalls einige Rüstungsprogramme werden gestreckt oder umverteilt.

Die Expertin Anne Rieger von der IG Metall hat in „Ossietzky“ kürzlich vorgerechnet: Dem Rüstungsetat 2003 stehen wie geplant 24,4 Mrd. € zur Verfügung. Das ist ein Zuwachs von 767 Mio € im Einzelplan gegenüber der bisherigen Finanzplanung. Darüber hinaus können für Investitionen in die Modernisierung der Bundeswehr Mehreinnahmen bis zu einer Höhe von 614 Mio.€ jährlich aus der Veräußerung überschüssigen Materials sowie aus Grundstücksver-käufen, Vermietung und Verpachtung eingesetzt werden. Das sind über 25 Mrd. €. „Mit die-sen Mitteln sowie Ausgabeersparnissen aus der Umstrukturierung und Effizienzsteigerung, die in voller Höhe dem Verteidigungshaushalt verbleiben, können die notwendigen Reformen, insbesondere die Stärkung der Strukturinvestitionen … bewältigt werden“, so die Bundesregie-rung in einer Pressemitteilung vom 20.11.2002. Weiter: „Für Operationen zur Terrorbekämp-fung sowie für sonstige Auslandseinsätze sind in den Jahren 2003 bis 2006 jeweils insgesamt 1.153 Mio. € veranschlagt, die bei Bedarf über Haushaltsvermerke verstärkt werden können. Damit ist in genügender Weise Vorsorge für internationale Einsätze der Bundeswehr getrof-fen“.

Den Forderungen des Herrn Rogowski kommt die Regierung also sehr nahe. Die Militaristen und ihre Verbände legen noch nach. Auch künftig wollen sie, so der Reservistenverband und der Kameradenkreis Gebirgstruppe auf ihrer Tagung in Weilheim, nicht abseits stehen, wenn es um das „Wohl und Wehe deutscher Soldaten“ geht. Gefordert werden immer neue Aus-landseinsätze der Truppe und auch Einsätze im Innern. Und das kostet.

Bundeswehrverbände und Industrie für höhere Rüstungslasten

„Die Bundeswehr und die Herausforderungen beim Kampf gegen den internationalen Terro-rismus“ war das Thema einer Tagung, deren Resultate in der „Gebirgstruppe“ breit gestreut werden. Neben dem bayerischen Innenminister Günter Beckstein und Kurt Rossmanith, Ob-mann für Sicherheits- und Verteidigungspolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fand sich auch General a.D. Dr. Klaus Reinhardt ein. Es gelte, sich von den „Zwängen der Sparpolitik“ zu befreien, wurde verlangt. Die Herren beriefen sich auf General Harald Kujau, höchster deutscher Vertreter bei der NATO und ehemaliger Generalinspekteur, der gewarnt hatte, daß die eingeleitete Bundeswehrreform ohne deutliche Mittelaufstockung nicht mehr machbar sei. Sein Chef, NATO-Boß und US-General George Robertson, hatte Druck gemacht: Statt 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes müssten 2 Prozent für die „Verteidigung“ ausgegeben werden; das sind weit über 30 Milliarden Euro allein in Deutschland.

General a.D. Klaus Reinhardt erklärte: Es würden „weitreichende Transportmittel, um ent-fernt liegende Einsatzorte überhaupt erst erreichen zu können,“ benötigt. Mit Blick auf die neuen Aufgaben – die in neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien zu formulieren wären – stellte Reinhardt die rhetorische Frage, „ob unsere Bundeswehr, die traditionell auf Bündnis- und Landesverteidigung angelegt war, mit ihrer weitgehend überholten technischen Ausrüs-tung von gestern überhaupt noch in der Lage ist, den Gefahren von heute und morgen ange-messen zu begegnen.“

Die Bundeswehr soll auch gegen den Feind im Innern kämpfen

Der ehemalige KFOR-Oberbefehlshaber und prominente Gebirgsjäger Reinhardt wies noch auf eine weitere Frage hin, die in den ebenfalls sehr aggressiv formulierten Verteidigungspoli-tischen Richtlinien von 1992 – Rohstoffquellen und Handelswege sollte die Bundeswehr mili-tärisch freikämpfen – noch offen blieb: Warum man denn die Bundeswehr nicht zu Hause einsetze. Schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für „innere Sicherheit“ zu sorgen. “ Die Berufung auf die Geschich-te ist nicht mehr zeitgemäß“, sagte Günther Beckstein, CSU-Innenminister, dem General zu-stimmend, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und attestierte denjenigen „ideologische Scheuklappen“, die nicht über das Thema reden wollten. „Es wäre unerträglich, wenn wir un-ter den zivilisierten Ländern beim Kampf gegen den Terror abseits stehen würden.“ Wenn ein entführtes Flugzeug im Anflug auf das Münchner Oktoberfest sei, brauche man da nicht die Bundeswehr, fragte Beckstein und verschwieg, daß Bundeswehrflugzeuge für solche Fälle sich ständig in der Luft befinden. Kurz nach dem 11. September 2001 waren CSU-Sprecher noch deutlicher: Bei den Millionenmassen von Muslimen in Deutschland brauche man ver-mutlich Militär zu ihrer Disziplinierung.

Bundeswehr soll im Irak mitkämpfen

Beim sich anbahnenden US-Krieg gegen den Irak sollen Deutschland und Europa ebenfalls auf jeden Fall ein Wort mitreden, so Beckstein aus dem CSU-Kompetenzteam. Und weiter: „Die Freiheit wurde dadurch gesichert, nicht eingeschränkt,“ so lobt Beckstein seine und Schilys „Sicherheitspakete“.

Prof. Dr. Steinkamm, Jurist von der Bundeswehrhochschule und Oberst der Reserve, wünscht sich wie auch Beckstein weitere Gesetze, so ein „Bundeswehraufgabengesetz“, ja sogar eine Grundgesetzänderung: Dringend erforderlich sei diese, um es beispielsweise der Bundeswehr zu ermöglichen, die Polizei beim Schutz auch ziviler Objekte „auch im Heimatland“ einzuset-zen, „eine Aufgabe, welche die deutschen Soldaten derzeit im Ausland mit anerkanntem Er-folg wahrnehmen.“

Junge und alte Ultrarechte können derartiges alle zwei Monate im Blatt „Gebirgstruppe“ le-sen. Es ermahnt seine Leser, nicht „vorbehaltlos einem verordneten und von einer Gedanken-polizei ideologisch gelenkten und kontrollierten Meinungsklischee zu folgen.“ Erwünscht ist offenbar die Übernahme auch dieser Gedankenpolizei durch die Bundeswehr – im Inneren wie im Äußeren.