in: Zeitung gegen den Krieg, Nummer 12, Winter 2002/2003

Militär-„Supermacht EU“

Die EU-Staaten haben vereinbart, eine EU-Interventionstruppe zu schaffen, die im Einsatz bis zu 60.000 Mann umfassen soll.

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 8. Dezember 2002

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Insgesamt haben die EU-Regierungen (mit Ausnahme Dänemarks, das sich nicht an der militärischen Komponente der EU beteiligt) und der EU-Kandidaten ca. 100.000 Soldat/inn/en „angemeldet“, die Bundesregierung dazu: „Insgesamt werden von den Mitgliedstaaten rund 100.000 Soldaten bereitgestellt, von denen 60.000 für ein Jahr permanent weltweit einsatzfähig sein sollen.“

Diese Interventionstruppe soll innerhalb von 60 Tagen einsatzfähig sein. Selbst der Interventionsradius von 4.000 km rund um Brüssel wurde verbindlich festgelegt. Die EU-Interventionstruppe ist keine „stehende Truppe“, sondern wird aus den bereitgehaltenen Truppenkontingenten jeweils zusammengestellt. Die Truppe soll im Laufe des Jahres 2003 „einsatzfähig“ sein. Ob diese strenge Zeitplanung tatsächlich umgesetzt wird, ist noch offen, wird aber ständig deklariert, wie jetzt jüngst vom griechischen „Verteidigungs“-minister. Politisch interessant ist die Zusammensetzung der Truppe: Österreich: 3.500, Belgien: 1.000, Großbritannien: 12.500, Finnland: 2.000, Frankreich: 12.000, Griechenland: 3.500, Irland: 1.000, Italien: 6.000, Luxemburg: 100, Niederlande: 5.000, Portugal: 1.000, Schweden: 1.500. Deutschland stellt mit 18.000 Soldat/inn/en das mit Abstand größte Kontingent. Stolz verkündet die Bundesregierung: „Ein Drittel aus Deutschland“, „Die Bundesregierung sagte einen Beitrag von insgesamt 32.000 Soldaten zu. Die Fähigkeiten der Bundeswehr beziehen sich vor allem auf die Bereiche Strategische Aufklärung, Führungsfähigkeit und Strategische Verlegefähigkeit.“

Um 18.000 einsatzfähige Soldat/inn/en zu haben, sind 32.000 notwendig, die extra dafür ausgebildet werden, davon kommen 12.000 aus dem Heer. Zugesagt sind zudem 93 Kampf-, 35 Transport- und 3 Überwachungsflugzeuge, vier Kampfhubschrauber und Einheiten der Marine. Der Befehlshaber der EU-Truppe wird der deutsche General Rainer Schuwirth sein. Der „Kern eines Operation Headquarters der Europäischen Union“ ist das Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow. Die FAZ sagt über die Befehlszentrale in Potsdam: „Mit dem Einsatzführungskommando verfügt die Bundeswehr über einen operativen Führungsstab auf der Armee-Ebene, der in seinen Funktionen Aufgaben wahrnimmt, die in den früheren deutschen Armeen von Generalstäben wahrgenommen wurden“, also ein De-facto-Generalstab der Bundeswehr. Um es klar zu formulieren: Hier wird eine gefährliche europäische Interventionstruppe unter deutscher Führung zusammengestellt für Militärinterventionen (sprich Kriegseinsätze) im Einsatzradius von 4.000 km (!) rund um Brüssel.

Interessant ist das Verhältnis der neuen NATO Response Force und der EU-Interventionstruppe. Trotz aller Beteuerungen ist es Ziel der EU-Oberen, eine Interventionstruppe, ob mit oder ohne Rückgriff auf NATO-Equipment, zu schaffen, die unabhängig von der NATO, also auch unabhängig von der USA agieren kann. Auf der Homepage der Bundesregierung hört sich das so an: „Diese Kräfte in Form einer europäischen Eingreiftruppe sollen für gemeinsame Einsätze der EU unabhängig von der NATO zur Verfügung stehen.“ Wenn Militärinterventionen durchgeführt werden sollen, an denen die US-Regierung kein Interesse hat oder bei denen ein anderes Interesse der US-Regierung vorliegt, dann soll in Zukunft auf die EU-Truppe zurückgegriffen werden. Insofern deutet sich also durchaus ein Konkurrenzverhältnis EU-USA an. Die Bundesregierung bezieht ihre Haltung zum Irakkrieg „nicht aktiv mitzubomben“ auch, weil sie in der Region andere Interessen als die USA haben, Stichwort: Iran. Der Iran ist bei der US-Regierung das nächste Kriegsziel nach dem Irak, Deutschland hat enge wirtschaftliche Beziehungen zum Iran und will diese weiter ausbauen. Diese Konkurrenz ist allerdings sehr weit weg von einer direkten auch militärischen Konfrontation. Dazu sind die Interessen der westlichen Staaten zu nah beieinander: Allen geht es um eine auch militärische Absicherung des westlichen Wohlstandes gegen alle anderen. Den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und militärischer EU machte der frühere Staatssekretär Dr. Walther Stützle aus dem deutschen Verteidigungsministerium auf dem Symposium „Sicherheit, Menschenrechte und Stabilität in Europa und der NATO“ am 28. Juni 1999 im Haus der Industrie in Wien deutlich: „Die Sache ist einfach: Eine Union, die sich nicht verteidigen kann, ist keine Union. Eine harte Währung, die eine schwache Verteidigung hat, ist auf lange Frist keine harte Währung. Daraus gilt es, die praktischen Schlüsse für die Tagesarbeit zu ziehen, es gilt, die zwei Prozesse miteinander zu harmonisieren und im Gleichgewicht zu halten.“

Joschka Fischer hat nun zusammen mit dem französischen Außenminister Dominique de Villepin dem EU-Konvent ein Papier vorgelegt, in dem sie eine Forcierung des Prozesses der „Entwicklung der militärischen Fähigkeiten“ und der „Entwicklung einer europäischen Rüstungspolitik“ vorschlagen. Zentraler Punkt in ihrem Papier ist der Vorschlag „eine solche Zusammenarbeit mit qualifizierter Mehrheit“ umzusetzen. Sprich die alte Idee eines „Kerneuropa“ von Wolfgang Schäuble taucht wieder auf, Fischer hatte das ja mal als „Gravitationszentrum“ der EU bezeichnet. Der deutschen und der französischen Regierung ist es eilig mit der Herausbildung einer „Supermacht EU“ (Javier Solana in „Die Welt“ Tony Blair zitierend), bevor die NATO und damit die USA das Rennen gewonnen haben.

Gegen diesen Januskopf Militär- und Wirtschaftmacht EU ist dringend Protest und Widerstand notwendig. Die Militarisierung der EU ist insbesondere für die deutsche Regierung ein ganz zentrales Projekt. Die Verhinderung oder Behinderung dieses Projektes wird nicht von Regierungen kommen, sondern nur durch Protest und Widerstand und vor allem eine andere Grundstimmung in den Bevölkerungen, und da sollten wir durch Informationen und Aktionen dafür sorgen, dass sich immer mehr Menschen wehren.