in: Volksstimme, Nr. 44, S. 7

Die Bombe und die Vernunft

Vor 50 Jahren zündeten die USA die erste Wasserstoffbombe

von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 3. November 2002

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Am 1. November 1952 hörte die Insel Elugelab im Pazifik auf zu existieren. Die USA hatten die erste Wasserstoffbombe der Welt gezündet, eine Waffe von vorher nie gekannter Vernichtungskraft und mit 10,4 Megatonnen tausend Mal stärker als die Hiroshima-Bombe. „Sie ist notwendigerweise etwas Böses, wie immer man es auch ansieht“, hatten I. I. Rabi und Enrico Fermi bereits 1949 vor der Waffe gewarnt. Der Zerstörungskraft der Wasserstoffbombe seien prinzipiell keine Grenzen gesetzt, weswegen die beiden Atomwissenschaftler sie als eine Gefahr für die ganze Menschheit ansahen.

Dem Erfinder der Wasserstoffbombe, dem Physiker Edward Teller, war das keineswegs unbekannt. Ihm war klar, „dass die Auswirkungen eines Atomkrieges den Fortbestand der Menschheit gefährden“. Trotzdem war er sich sicher, im Grunde an einem Friedensprojekt zu arbeiten, denn: „Erst wenn die Bomben so groß sind, dass sie alles vernichten können, werden die Menschen wirklich erschrecken und politische Vernunft annehmen.“

Auf Teller geht das Modell der sogenannten klassischen Wasserstoffbombe mit einer Sprengkraft von zehn Millionen TNT bzw. zehn Megatonnen zurück, das er während der Entwicklung der Atombombe im Atomwaffenlaboratorium Los Alamos konstruierte. Nach Ende des Zweite Weltkrieg und dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki warb Teller für die Entwicklung „seiner“ Wasserstoffbombe und warnte im Herbst 1945 in eine Schreiben an den Kriegsminister davor, dass ein anderes Land die Wasserstoffbombe bauen konnte.

Teller sollte seine Chance bekommen. Die Vereinigten Staaten setzten zum Beginn des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion vor allem auf die Atombombe, in deren Besitz nur sie waren. Doch am 23. September 1949, mit der Zündung der sowjetischen Atombombe, war dieses Monopol gebrochen. Aus einem Papier des Policy Planning Staff des US-Außenministeriums vom 16. August geht hervor, dass die USA für diesen Fall u.a. fürchteten, dass Dritt-Staaten die Neutralität zwischen USA und UdSSR bevorzugen könnten, anstatt sich wie bisher an die Atommacht USA zu halten und die Sowjetunion zu meiden.

Der Vorsprung der USA musste also wieder hergestellt werden. Bereits in Oktober gingen die USA daran, ihre Uran- und Plutoniumproduktion auszuweiten. Am 31. Januar 1950 kündigte Präsident Truman an, den Bau der Wasserstoffbombe voranzutreiben. Über den Entscheidungsprozess in der Truman-Administration schrieb Richard Rhodes in seinem Buch „Die Atombombe oder Die Geschichte des 8. Schöpfungstages“: „Keine der Gruppen, die an dieser Auseinandersetzung beteiligt waren, fasste die Möglichkeit ins Auge, dass eine amerikanische Initiative auf diesem Gebiet einen Rüstungswettlauf zur Folge haben könnte.“

Einen Weltfrieden durch Abkommen hielt er für unmöglich.

Es gab jedoch Wissenschaftler, die vom Bau der Wasserstoffbombe abgeraten hatten. Das General Advisory Committee unter dem Vorsitz des Erbauers der ersten Atombombe, Robert Oppenheimer, der seine Kritik aber Jahre später wieder zurückzog, warnte, die H-Bombe könnte eine „Waffe des Völkermordes“ werden. „Auf das Argument, dass den Russen die Entwicklung dieser Waffe gelingen könnte, würden wir entgegnen, dass es sich nicht als Abschreckung für sie erweisen wird, wenn wir ihre Entwicklung betreiben.“ Darin sollten die Wissenschaftler recht behalten. Die Sowjetunion zündete knapp ein Jahr später einen Bombe, bei der allerdings umstritten ist, ob es sich bereits um eine Wasserstoffbombe oder nur einen „Sprengkörper mit einem kleinen Wasserstoffanteil“ (Rhodes) handelte. 1957, 1967 und 1968 folgten Großbritannien, China und Frankreich mit eigenen Wasserstoffbomben.

Am 1. November 1952 wurde jedenfalls die erste Superbombe auf dem Enewetak-Atoll gezündet. Eine Beobachterin des Tests, Leona Marshall Libby, berichtete, nach dem Versuch sei die Insel Elugelab verschwunden gewesen, auf der die mit 65 Tonnen noch sehr schwere Bombe aufgestellt war. Ihre Erklärung: Die Insel sei wie Millionen Liter Wasser verdampft. „An ihrer Stelle war ein 800 Meter tiefer Krater von gut drei Kilometern Durchmesser in das Riff gerissen.“ Die US-Atomenergie-Kommission erklärte am 17. November, angesichts der „Bedrohung des Weltfriedens“ und „auf Grund des Fehlens wirksamer und praktisch durchführbarer Abmachungen für eine Rüstungskontrolle“ seien die USA gezwungen „ihre Forschungsarbeiten zur Entwicklung dieser riesigen Energiequellen für die Verteidigung der freien Welt weiterfortzuführen“.

Die Marshall-Inseln, zu denen das Enewetak-Atoll gehört, waren den USA nach dem Zweiten Weltkrieg als UN-Treuhandgebiet unterstellt worden. Diese betrachteten die Inseln als strategisches Gebiet im Sinne von Art. 82 UN-Charta. Gemäß Art. 84 muss die Verwaltungsmacht dafür sorgen, „dass das Treuhandgebiet seinen Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit leistet“. Daraus leiteten die USA das Recht ab, Atomversuche durchzuführen und somit das ihnen anvertraute Gebiet im wahrsten Sinne des Wortes in Nichts aufzulösen.

Die UNO billigte dieses Vorgehen. 1954 lag dem UN-Treuhandrat eine Petition eines Vertretungsausschusses der Bevölkerung der Marshall-Inseln vor. Dieser verlangte, die Vereinigten Staaten sollten wegen der Gefahren für die Bevölkerung ihre Atomversuche einstellen. Unterstützung kam von Indien. Die USA erklärten dagegen, ihre Tests so lange durchführen zu wollen, wie die Sowjetunion das auch tue. Gegen die Stimmen der Sowjetunion, Indien und Syrien stimmte der Rat einer Resolution von Großbritannien, Frankreich und Belgien zu, wonach die USA die Tests fortsetzen können, wenn sie das für notwendig im Interesse des Weltfriedens halten.

Erst 1983 sagten die USA die Zahlung von Entschädigung für die mittlerweile 43 Atomversuche zu, die seit 1946 auf dem Eniwetok-Atoll durchgeführt wurden. Am 22. Dezember 1990 hob die UNO die Treuhandschaft der USA über die Marshall-Inseln auf. Die Bewohner des Enewetak-Atolls sind inzwischen wieder zurückgekehrt. Das Atoll besteht aus 47 Inseln, drei sind für die Einwohner gereinigt worden, die übrigen bleiben verseucht: 24.000 Jahre beträgt die Halbwertszeit von Plutonium.

Auch: http://www.dirk-eckert.de/texte.php?id=357