in: Frankfurter Rundschau 11.09.2002
Dokumentation: Am Abgrund des Verfassungsbruchs
Dürfte die Bundesregierung es dulden, dass die USA im Falle eines Kriegs gegen Irak die deutschen Militärstützpunkte nutzen? / Von Dieter Deiseroth
von: Dieter Deiseroth / Frankfurter Rundschau / Dokumentation | Veröffentlicht am: 11. September 2002
Würde Deutschland völkerrechtswidrig handeln, wenn es im Falle eines militärischen Alleingangs der USA gegen Irak zuließe, dass die US-Militärbasen und der Luftraum über der Bundesrepublik für den Kriegseinsatz genutzt würden? Wäre dies die Unterstützung eines Aggressors? Und wäre damit ein rechtlicher Präzedenzfall geschaffen? Diesen Fragen geht Dieter Deiseroth in einer juristischen Analyse nach, die wir dokumentieren. Deiseroth ist Richter am Bundesverwaltungs-gericht und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der interna-tionalen Juristenvereinigung IALANA, die sich für ein weltwei-tes Verbot von Atomwaffen einsetzt.
I.
Ein US-Krieg gegen Irak zum Sturz des Saddam-Hussein-Regimes wäre nicht nur politisch, militärisch und ökonomisch höchst folgenreich. Er würde auch zahlreiche bedeutsame Rechts-fragen aufwerfen, die bisher erst rudimentär in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert worden sind. Dabei ist davon auszugehen, dass Deutschland mit seinem Hoheitsgebiet in zumindest vierfa-cher Weise in einen US-Krieg gegen Irak verwickelt werden kann:
(1) Die deutsche Regierung könnte um Überflugrechte im deut-schen Luftraum ersucht werden.
(2) US-Militärflugzeuge könnten auf US-Militärflughäfen in Deutschland (z.B. US-Air-Base Rhein-Main) zwischenlanden und von hier aus in ihre Einsatzgebiete weiterfliegen.
(3) Die US-Regierung könnte versuchen, US-Kriegsmaterial, das in Deutschland befindlichen US-Stützpunkten eingelagert ist, sowie hier stationierte Truppen auf dem Luft- oder Seeweg in das Kriegsgebiet zu verbringen.
(4) In Deutschland gelegene US-Kommandoeinrichtungen (z.B. US-EUCOM in Stuttgart-Vaihingen) sowie Kommunikations- und Infrastruktursysteme könnten in die Planung und Durchführung militärischer Operationen gegen Irak einbezogen werden.
II.
Für einen Krieg gegen Irak kann sich die US-Regierung bisher auf keine sie ermächtigende Resolution des UN-Sicherheitsrates stützen.
(a) Die UN-Resolution 678 vom November 1991, mit der die Ver-bündeten Kuwaits seinerzeit autorisiert wurden, „alle erforderlichen Mittel“ einzusetzen, um Kuwait von den damals eingefallenen irakischen Truppen zu befreien, kommt als Ermächtigungsgrund-lage heute nicht mehr in Betracht. Denn der Zweck jener Ermäch-tigung, die Vertreibung der irakischen Aggressoren aus Kuwait, wurde bereits im Jahre 1990 erreicht. Weder die USA noch ihre Verbündeten waren damals autorisiert worden, Saddam Hussein und sein Regime mit militärischen Mitteln zu stürzen und einen Systemwechsel herbeizuführen. Deshalb verhielt sich der damali-ge US-Präsident George Bush sen. völkerrechtsmäßig, als er entgegen den Forderungen zahlreicher einflussreicher Stellen seinen Truppen einen „Marsch auf Bagdad“ untersagte.
(b) Die anschließenden UN-Resolutionen über den Abschluss eines Waffenstillstandes sowie die Einsetzung und Entsendung eines UN-Inspektionsteams (UNSCOM) zum Aufspüren und Ver-nichten möglicher atomarer, biologischer und chemischer Waffen-systeme ermächtigten ebenfalls gerade nicht zur Anwendung militärischer Gewalt gegen Irak. Sie sahen weder vor, dass die Kooperation mit dem UN-Inspektionsteam durch militärische Mittel erzwungen werden sollte, noch dass gar das Regime von Saddam Hussein durch Krieg gestürzt werden sollte.
Auch alle in der Folgezeit vom UN-Sicherheitsrat gefassten ein-schlägigen Resolutionen enthalten bisher keine Autorisierung eines kriegerischen Vorgehens der US-Regierung und ihrer Ver-bündeten gegen Irak.
III.
Für Militärschläge gegen Irak mit dem Ziel, das Regime von Sad-dam Hussein zu stürzen und Irak zum amerikanischen Einflussge-biet zu machen, kann sich die US-Regierung auch nicht auf Artikel 51 der UN-Charta berufen. Art. 51 UN-Charta gewährt lediglich „im Falle eines bewaffeneten Angriffs“ das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicher-heitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Auch wenn hinsichtlich der Reichweite und der Grenzen dieses Selbstverteidi-gungsrechtes eine Vielzahl von Zweifelsfragen besteht, greift es jedenfalls nur „im Falle“ eines „bewaffneten Angriffs“ ein. Die Anwendung von Waffengewalt muss durch den Angreifer bereits erfolgt sein, ehe militärische Verteidigungsschläge zulässig sind.
Allerdings besteht bislang keine hinreichende Klarheit darüber, von welchem Zeitpunkt ab Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen einen „bewaffneten Angriff“ ergriffen werden dürfen. Von den Regierungen einzelner Staaten, vor allem Israel und den USA, ist wiederholt unter Berufung auf Art. 51 UN-Charta oder Völkerge-wohnheitsrecht eine so genannte „präventive Selbstverteidigung“ in Anspruch genommen worden. Dabei wurde und wird argumen-tiert, angesichts des erreichten Entwicklungsstandes und der Zerstörungskraft moderner Waffen sowie der kurzen Vorwarnzei-ten sei es nicht angezeigt zu erwarten, dass Staaten zunächst ihre drohende Verwüstung bereits durch den ersten Waffeneinsatz des Gegners „abwarten“ müssten, bevor sie selbst militärisch tätig würden.
Die überwiegende Auffassung in der Staatenpraxis hält jedoch dennoch einen Präventivangriff bzw. eine präventive Selbstvertei-digung grundsätzlich für völkerrechtlich unzulässig. Selbst diejeni-gen Völkerrechtler, die im Wege einer ausdehnenden Interpretati-on ein Recht auf „präventive Selbstverteidigung“ aus Art. 51 UN-Charta ableiten, begrenzen dies freilich auf den Fall, dass eine „eindeutige und gegenwärtige gravierende Gefahr“ bestehen muss und dass in dieser Zwangslage keine anderen Mittel zur Abwehr der akuten Gefahr zur Verfügung stehen. Davon kann indes ge-genwärtig im Konflikt zwischen der US-Regierung und dem Sad-dam-Hussein-Regime keine Rede sein. Denn auch die US-Regierung kann nicht dartun, dass die irakische Regierung gleich-sam unmittelbar zu einem Angriff auf die USA oder einen Verbün-deten ansetzt und dass andere Mittel als ein Präventivkrieg zur Abwehr einer solchen gegenwärtigen akuten Gefahr ausscheiden.
Unabhängig davon sprechen ohnehin gewichtige Argumente gegen eine solche ausdehnende Interpretation des Art. 51 UN-Charta. Sowohl der Wortlaut als auch die Systematik und der Zweck der einschlägigen Regelungen in der UN-Charta stehen einem Recht zum Präventivkrieg („präventive Verteidigung“) ent-gegen. Dabei ist davon auszugehen, dass gemäß der ausdrückli-chen Regelung des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta „jede“ Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen verboten ist. Die UN-Charta sieht nur eng begrenzte Ausnahmen von diesem strikten Gewaltverbot vor, und zwar den Einsatz militärischer Mittel primär durch den UN-Sicherheitsrat selbst oder in seinem Auftrag nach Art. 42, 43 und 53 UN-Charta. Einzelstaatliche Gewaltanwendung lässt die Charta nur ausnahmsweise zu, nämlich gemäß Art. 51 UN-Charta lediglich zur Notwehr und Nothilfe, wenn und solange der UN-Sicherheitsrat nicht die erforderlichen Maßnahmen getrof-fen hat.
Der Zweck der Regelung besteht ersichtlich darin, die einseitige einzelstaatliche Gewaltanwendung in den internationalen Bezie-hungen tunlichst zu beschränken.
Würde man dessen ungeachtet ein Recht auf „präventive Selbstverteidigung“ anerkennen, würde es damit letztlich dem einzelnen Staat überlassen, nach seinem Gutdünken über einen „drohenden Angriff“ zu entscheiden. Die in Art. 51 UN-Charta vorgenommene Beschränkung des einzelstaat-lichen Selbstverteidigungsrechtes auf den „Fall eines bewaffneten Angriffs“ wäre dann aus den Angeln gehoben. Aus dieser Rege-lungsstruktur und Systematik der UN-Charta wird deutlich, dass Art. 51 UN-Charta eine Ausnahme vom allgemeinen Gewaltanwendungsverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta darstellt. Ein Staat, der sich über diese Beschränkungen der einzelstaatlichen Gewaltanwendung in der UN-Charta hinwegsetzt und – unter von ihm definierten Voraussetzungen und Bedingungen – ein Recht zum Präventivkrieg in Anspruch nimmt, handelt damit völkerrechtswidrig. Er begeht eine Aggression.
IV.
Ein Nato-Staat, der eine Aggression plant und ausführt, verstößt nicht nur gegen die UN-Charta, sondern zugleich auch gegen Art. 1 Nato-Vertrag. Darin haben sich alle Nato-Staaten verpflichtet, „in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewalt-anwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Natio-nen nicht vereinbar sind“. Art. 1 Nato-Vertrag war bei seinem Abschluss Ausdruck des Willens aller Vertragsstaaten, zwar einerseits die Möglichkeiten der UN-Charta zur Schaffung einer wirkungsvollen Verteidigungsorganisation (auf der Grundlage von Art. 51 UN-Charta) auszuschöpfen, andererseits jedoch strikt die Grenzen einzuhalten, die durch die UN-Charta gezogen sind. Das heißt zugleich, dass ein durch Art. 51 UN-Charta nicht gerechtfertigter „Präventivkrieg“ auch niemals einen „Nato-Bündnisfall“ nach Art. 5 des Nato-Vertrages darstellen oder rechtfertigen kann: Was gegen die UN-Charta verstößt, kann und darf die Nato nicht beschließen und durchführen, auch nicht auf Wunsch oder auf Druck einer verbündeten Regierung. Ein Angriffskrieg wird nicht durch die Ausrufung des Nato-Bündnisfalles zum Verteidigungskrieg.
V.
Völkerrechtswidrig handelt freilich nicht nur der Aggressor, son-dern auch derjenige Staat, der einem Aggressor hilft, etwa indem er auf seinem Hoheitsgebiet dessen kriegsrelevante Aktionen duldet oder gar unterstützt. Als Aggressionshandlung und damit als Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot ist unter anderem die „Handlung eines Staates (zu qualifizieren), die in seiner Duldung besteht, dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen“. Dies wird in Art. 3 f der von der UN-Generalversammlung am 14. 12. 1973 beschlossenen Resolution ausdrücklich festgelegt. Wenn auch Resolutionen der UN-Generalversammlung grundsätzlich keine rechtliche Bindungswir-kung erzeugen, kann jedoch nicht verkannt werden, dass der Verabschiedung dieser „Aggressionsdefinition“ langjährige Vorar-beiten im Rahmen der UN vorausgegangen waren, die schließlich im Jahre 1973 zu einem allgemeinen Konsens der Staatenwelt führten.
Da die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 25 GG an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ und nach Art. 20 GG an das geltende Recht gebunden ist, stellt sich damit für jede deutsche Regierung – gleichgültig welcher parteipolitischen Couleur – die Frage, was sie unternehmen darf, ja muss, um zu verhindern, dass ihr Hoheitsgebiet in völkerrechtswidrige Aktionen verwickelt oder gar bewusst einbezogen wird. In eine solche Situation waren deutsche Bundesregierungen bereits früher mehrfach geraten. Bereits in Zeiten des Vietnam-Krieges war immer wieder der Ver-dacht geäußert worden, in der Bundesrepublik gelegene US-Militäreinrichtungen würden in die Logistik völkerrechtswidriger US-Kriegsoperationen in Südostasien einbezogen. Die bundes-deutsche Öffentlichkeit hatte davon freilich kaum Notiz genommen, zumal die deutschen Regierungsstellen in ihrer damals ungebro-chenen Loyalität zum Hauptverbündeten USA keine Veranlassung zu kritischen Nachfragen sahen.
Erstmals im Zusammenhang mit dem israelischen Yom-Kippur-Krieg im Jahre 1973 wurde die Einbeziehung des deutschen Hoheitsgebietes in militärische Konflikte außerhalb des „Nato-Gebietes“ zu einem brisanten Thema: Drei israelische Frachter hatten sich auf Veranlassung der amerikanischen Regierung im Oktober 1973 an der Reede von Bremerhaven eingefunden, um Kriegsmaterial der in der Bundesrepublik stationierten US-Streitkräfte an Bord zu nehmen; der damalige Bundeskanzler Willy Brandt entschied zusammen mit seinem Vizekanzler und Außen-minister Walter Scheel, die Verladungen sollten ohne Verzug eingestellt werden und die israelischen Schiffe die deutschen Hoheitsgewässer sofort verlassen. Ein weiteres Mal stellte sich die angesprochene Problematik, als der damalige US-Oberbefehlshaber in Europa, General Rogers, öffentlich erklärte, die am 14./15. April 1986 von der US-Luftwaffe durchgeführten Bombenangriffe auf Libyen seien von seinem Hauptquartier in Stuttgart-Vaihingen aus „vorbereitet“ und „gesteuert“ worden.
VI.
Nach allgemeinem Völkerrecht, das auch in internationalen Über-einkommen seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. u.a. Art.1 des Chicago-Abkommens von 1944), besitzt jeder Staat im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet „volle und ausschließliche Lufthoheit“. Sind allerdings – wie in Deutschland – ausländische Truppen stati-oniert, so werden Umfang und Grenzen der Bewegungsfreiheit dieser Stationierungsstreitkräfte regelmäßig in speziellen völker-rechtlichen Abkommen geregelt. Nach der Aufhebung des Besat-zungsregimes erfolgte dies in Deutschland in Gestalt des so ge-nannten Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut.
In der bis 1994 geltenden Fassung dieses Zusatzabkommens (ZA-NTS 1959), das in diesem Bereich die Regelungen aus der Besat-zungszeit als Vertragsrecht weitgehend fortführte, war den in Deutschland im Rahmen der Nato stationierten US-Truppen eine sehr weitgehende Bewegungsfreiheit im deutschen Luftraum eingeräumt: Eine „Truppe“ war berechtigt, mit Luftfahrzeugen „die Grenzen der Bundesrepublik zu überqueren sowie sich in und über dem Bundesgebiet zu bewegen“ (Art. 57 Abs. 1 ZA-NTS 1959).
Im Zuge der Neufassung des Zusatzabkommens ist 1994 (im Folgenden: ZA-NTS 1994) diese Regelung geändert worden. Nunmehr bedürfen auch die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte grundsätzlich jeweils einer Genehmigung durch die deutsche Bundesregierung, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luftfahrzeugen in die Bundesrepublik „einreisen oder sich in und über dem Bundesgebiet bewegen“ wollen (Art. 57 Abs.1 Satz 1 ZA-NTS 1994). Allerdings ist diese grundsätzliche Genehmi-gungspflicht im zweiten Halbsatz des Art. 57 Abs. 1 ZA-NTS 1994 teilweise wieder eingeschränkt. Die Vorschrift lautet:
„Transporte und andere Bewegungen im Rahmen deutscher Rechtsvorschriften, einschließlich dieses Abkommens und anderer internationaler Übereinkünfte, denen die Bundesrepublik und einer oder mehrere der Entsendestaaten als Vertragspartei angehören, sowie damit im Zusammenhang stehender technischer Vereinba-rungen und Verfahren gelten als genehmigt.“
Mit anderen Worten: Soweit dieser zweite Halbsatz eingreift, bedarf es keiner Genehmigung für die „Einreise“ und alle Bewegun-gen mit Luftfahrzeugen „in und über dem Bundesgebiet“. Diese Regelung ist als Ausnahme von dem im allgemeinen Völkerrecht geltenden Grundsatz der vollen Hoheitsgewalt jedes Staates über sein Territorium und seiner „vollen und ausschließlichen Lufthoheit“ über seinem Hoheitsgebiet ausgestaltet. Als Ausnahmevor-schrift ist sie mithin nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen eng auszulegen. Sie betrifft ohnehin nur die Bewegungen von Luftfahr-zeugen der „Truppe“ (sowie ihres „zivilen Gefolges“, ihrer „Mitglie-der und Angehörigen“), mithin also nicht jede „Einreise“ von US-Militärflugzeugen aus den USA in die Bundesrepublik Deutschland. Was im Sinne dieser Vorschrift als „Truppe“ zu verstehen ist, ist in Art. 3 des Nato-Truppenstatuts definiert: „Truppe“ ist danach das zu den Land-, See- oder Luftstreitkräften gehörende Personal einer Partei (des Nato-Truppenstatuts), „wenn es sich im Zusam-menhang mit seinen Dienstobliegenheiten in dem Hoheitsgebiet“ einer Vertragspartei, hier also Deutschlands, „befindet“. Es geht also bei der durch Art. 57 Abs. 1 Halbsatz 2 ZA-NTS unter bestimmten Voraussetzungen für US-Militärflugzeuge generell genehmigten „Einreise“ und Bewegungsfreiheit „in und über dem (deutschen) Bundesgebiet“ allein um die im Nato-Rahmen statio-nierten US-Truppenteile. Wollen dagegen anderweitig in den USA stationierte US-Truppenteile mit Luftfahrzeugen etwa auf ihrem Weg in den Nahen Osten (Irak pp) in Deutschland lediglich den deutschen Luftraum benutzen oder zwischenlanden, um aufzutan-ken, Material oder Waffen aufzunehmen und anschließend – ohne „Nato-Auftrag“ – in ein Kriegsgebiet außerhalb des „Nato-Gebiets“ weiterfliegen, bleibt es bei der grundsätzlichen Genehmigungsbedürftigkeit nach allgemeinem Völkerrecht und Art. 57 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 ZA-NTS 1994. Für die Inanspruchnahme der weiten Bewegungsfreiheit für US-Militärflugzeuge im deutschen Luftraum nach Art. 57 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 ZA-NTS 1994 ist es mithin von großer Bedeutung, ob die betreffenden US-Luftfahrzeuge zu den in Deutschland im Rahmen der Nato stationierten Truppenkontingenten gehören und ob sie Aufgaben im Rahmen und im Auftrag der Nato wahrnehmen oder aber (nationale) US-Aufgaben erfüllen. Das heißt zugleich: Es ist für die Genehmigungsfreiheit der Benutzung deutschen Luftraums durch US-Militärflugzeuge im Falle eines Krieges gegen den Irak rechtlich betrachtet von großer Bedeutung, welche Rolle die Nato in einem solchen Krieg einnimmt.
Bleibt sie mit den Entscheidungen ihrer Organe, mit ihren Kommandostrukturen und Einsatzkräften außerhalb der Kriegsführung, kommt es also nicht zu einem „Nato-Krieg“ gegen den Irak, dann agieren die US-Streitkräfte (ggf. mit Unterstützung durch einzelne Nato-Staaten) allein auf ihrer „nationalen Schiene“.
Entsprechendes gilt für die in Deutschland gelegenen US-Stützpunkte. In diesen Liegenschaften, die den US-Streitkräften „zur ausschließlichen Benutzung überlassen“ worden sind, dürfen diese nach Art. 53 Abs. 1 ZA-NTS „die zur Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgaben erforderlichen Maßnahmen treffen“. Nach Abs. 2 der Vorschrift gilt dies „entsprechend für Maßnahmen im Luftraum über den Liegenschaften“. Ungeachtet aller sonstigen Ausle-gungsschwierigkeiten ergibt sich daraus für die zuständigen deutschen Stellen, d. h. vor allem für die Bundesregierung, im Konflikt-falle jedenfalls rechtlich die Befugnis zu kontrollieren, ob die Stationierungsstreitkräfte auf den überlassenen Liegenschaften (sowie im Luftraum darüber) im Einzelfall ausschließlich „Verteidigungspflichten“ im Sinne des Zusatzabkommens und des Nato-Vertrages wahrnehmen oder aber andere Maßnahmen vorbereiten oder gar durchführen. Art. 53 Abs. 3 ZA-NTS soll dabei sicherstel-len, dass die deutschen Behörden „die zur Wahrnehmung deut-scher Belange erforderlichen Maßnahmen“ innerhalb der Liegen-schaften durchführen können. Was dabei zur „Wahrnehmung deutscher Belange“ erforderlich ist, ist weder in dieser Bestimmung noch in anderen Abkommen im Einzelnen definiert.
Die Konkretisierung der „deutschen Belange“ ist damit zuvörderst Aufgabe der zuständigen deutschen Behörden und damit insbesondere der Bundesregierung, die dabei nach Art. 20 Abs. 3 GG an „Recht und Gesetz“ und nach Art. 25 GG an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ gebunden ist. Zur „Wahrnehmung deut-scher Belange“ im Sinne der genannten Regelungen gehört jedenfalls u. a. auch, dass alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet und vorgenommen werden, die verhindern, dass etwa vom Territorium der Bundesrepublik Deutschland aus völkerrechtswidrige Handlungen erfolgen oder unterstützt werden. Dies gilt umso mehr, als sich Deutschland im Zuge der Wiedervereinigung in Art. 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrag verpflichtet hat, dafür zu sorgen, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“.
Freilich gibt es hier beträchtliche Grauzonen, und zwar zumindest zwei. Die eine betrifft die Frage, wie im Einzelfall unterschieden werden kann, ob die jeweiligen – aus den USA kommenden und nach Deutschland einreisenden, also den deutschen Luftraum benutzenden – Militärflugzeuge und ihr militärisches Personal zu den im Rahmen der Nato in Deutschland stationierten Truppen-kontingenten gehören und damit dem Privileg des Art. 57 Abs. 1 a Halbs. 2 ZA-NTS 1995 unterfallen oder aber ob sie reine „US-nationale Aufgaben“ außerhalb der Nato erfüllen und mithin für die Benutzung des deutschen Luftraums jeweils einer Genehmigung der Bundesregierung bedürfen.
Eine weitere Grauzone besteht, wenn US-Militärflugzeuge, Trup-pen und Waffensysteme in einen US-Krieg gegen den Irak einbe-zogen werden, die bereits in Deutschland im Rahmen von Nato-Aufgaben auf US-Basen stationiert sind und von hier aus in das Kriegsgebiet fliegen sollen. Dabei handelt es sich an sich einer-seits zwar um (Nato-)“Truppen“ im Sinne des Art. 3 NTS. Sie und ihre Waffensysteme würden andererseits freilich nicht im Rahmen der Nato „out of area“ disloziert; denn sie würden nicht zu Nato-Aufgaben eingesetzt und auch nicht von Nato-Kommandobehörden und -Befehlshabern kommandiert.
Wie diese – sich aus den genannten völkerrechtlichen Abkommen ergebenden – Grauzonen letztlich aufgelöst werden, hängt entscheidend von politischen Entscheidungsparametern ab. Dazu gehört u. a., ob es – entsprechenden politischen Willen unterstellt – der jeweiligen deutschen Regierung gelingt, etwa im Falle eines völkerrechtswidrigen US-Angriffs auf den Irak die Nato aus dem Konflikt herauszuhalten, eine Unterstützung ihrer kriegskritischen politischen Position durch andere Nato-Verbündete zu erreichen und so eine Singularisierung Deutschlands im Rahmen der Nato zu vermeiden. Ferner wäre von Bedeutung, ob die deutsche Regierung in der Lage wäre, die „Öffentlichkeit“, also die Zivilgesellschaft (innerstaatlich und innerhalb der Nato-Staaten) für ihre Position zu gewinnen oder gar zu mobilisieren.
Würde es dagegen die deutsche Regierung im Falle eines US-Krieges gegen Irak widerspruchslos dulden, dass die US-Militärbasen in Deutschland sowie der deutsche Luftraum von US-Militärflugzeugen und ihrem Personal im Rahmen offenkundig völkerrechtswidriger Militäreinsätze genutzt würden, so wären die Folgen sicher:
Zum einen würde eine deutsche Regierung mit der bewussten Duldung der Einbeziehung des deutschen Luftraums und deut-schen Hoheitsgebietes in die Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges einen fatalen „Präzedenfall“ für die Zukunft schaf-fen; denn eine sich herausbildende oder gar sich verfestigende Staatspraxis trägt zur authentischen Auslegung und Implementie-rung völkerrechtlicher Regelungen entscheidend bei.
Zum anderen stünde jede deutsche Regierung vor dem Abgrund des Verfassungsbruchs. Wenn sie bewusst das deutsche Hoheitsgebiet in die Führung eines völkerrechtswidrigen Krieges verwickeln und einbeziehen (lässt), kommt es zum Konflikt mit Art. 26 GG und Art. 2 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages. Beide Normen ver-bieten ausdrücklich, die Führung eines Angriffskrieges „vorzubereiten“.
Dieses Verbot des Angriffskrieges umfasst nach seinem Wortlaut zwar nur dessen „Vorbereitung“. Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassungs wegen bereits nicht „vorbereitet“ werden darf, so darf nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ein solcher erst recht nicht geführt oder gefördert werden, in welcher Form auch immer. Das grundgesetzliche Verbot des Angriffskrieges, das zudem strafrechtlich bewehrt ist, ist dabei umstands- und bedingungslos normiert: Die Vorbereitung, Führung und Unterstützung eines Angriffskrieges ist in jeder Hinsicht „verfassungswidrig“ und „unter Strafe zu stellen“. Darin unterscheidet es sich von der in Art. 26 GG enthaltenen anderen Verbotsalternative, die „Handlungen“ erfasst, „die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen wer-den, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“.
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