in: Schwäbisches Tagblatt 04.09.2002

Karawane für bessere Flüchtlingsrechte

Rund 250 Menschen demonstrierten in Tübingen

von: dhe / Dokumentation / SChwäbisches Tagblatt / Michael Kuhmann | Veröffentlicht am: 7. September 2002

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Nicht nur in Tübingens Herrenberger Straße, sondern bis nach Berlin will die „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant(inn)en“ gegen Diskriminierungen protestieren.

TÜBINGEN (dhe). Ihre Anliegen zählen im Wahlkampf wenig. Deshalb reist derzeit eine Karawane quer durch Deutschland, um gegen die Diskriminierung von Flüchtlingen und Migrant(inn)en zu protestieren. Die multinationale Gruppe fordert ein gesichertes Recht auf Asyl, die Abschaffung von Sammellagern und der so genannten Residenzpflicht. In Tübingen zog die Karawane vom Sammellager Herrenberger Straße durch die Innenstadt bis zum Holzmarkt.

„Bewegungsfreiheit für alle“ forderten die bunten Transparente auf türkisch, französisch, englisch und deutsch gestern Nachmittag vor dem Asyl-Sammellager in der Herrenberger Straße. Gemeint war die so genannte Residenzpflicht für Flüchtlinge, die besagt, dass sie ihren Landkreis nicht verlassen dürfen.

So wie Ahmet Güler, der mit seinen Eltern und Geschwistern bis vor kurzem im Tübinger Kirchenasyl lebte. Er hat den Protestzug als Praktikant beim Internationalen Menschenrechtsverein in Bremen mit vorbereitet. „Es ist wichtig, dass Flüchtlinge sich organisieren“, sagt Güler. Nach zwölf Jahren in Deutschland noch immer ohne gesichertes Aufenthaltsrecht, durfte er ohne amtliche Genehmigung nicht nach Bremen fahren.

„Das Asylrecht ist kein Privileg, sondern ein Menschenrecht“, betonte der Nigerianer Mike, der die Karawane in Bremen mit organisiert hat. „Das neue Zuwanderungsgesetz wird die Rechte der Flüchtlinge weiter verschlechtern“, befürchtet er.

Nachfluchtgründe, wie beispielsweise die politische Betätigung im Exil, würden nicht mehr als Asylgrund anerkannt. Flüchtlinge, die nicht per Green Card unmittelbar wirtschaftlich erwünscht seien, sollen künftig in so genannten Ausreisezentren isoliert werden. Aber: „Wir sind nicht freiwillig hier“, betonte Mike, „sondern weil wir gezwungen sind, hier zu leben.“ Es seien schließlich die reichen Industriestaaten, die für die Fluchtgründe – Kriege und Instabilität in den Herkunftsländern – verantwortlich seien.

Jasmin Dean von der Tübinger Gruppe der bundesweiten Initiative „Kein Mensch ist illegal“ unterstützt die Karawane, um gegen die menschenunwürdige Wohnsituation in der Herrenberger Straße zu protestieren. „Bis zu acht Leute sind in einem Raum untergebracht, auf Matratzenlagern.“ Auch die den Flüchtlingen verordneten Essenspakete lehnt sie ab. Denn das bedeute, „sich nicht mehr aussuchen können, was man essen möchte“.

Es imponiert Jasmin Dean, dass Flüchtlinge die Karawane selbst auf die Beine gestellt haben. „Sie dürfen zwar nicht wählen, aber sie haben eine Stimme, um ihre Rechte einzufordern“, formulierte sie das Motto der Protestaktion. Auch Katrin Mehrtens vom Tübinger Asylzentrum forderte, die beengte Sammelunterkunft für derzeit 217 Menschen endlich aufzulösen.

„Sehen Sie sich die Toiletten an, die wir gezwungen sind zu benutzen“, sagte der Togolese Fabien im Hof der Herrenberger Straße. „Vor ein paar Tagen war jemand sehr krank. Wir haben einen Notdienst gerufen. Es dauerte eine Stunde und 47 Minuten, bis jemand kam.“

„No border, no nation, stop deportation“ (etwa: keine Grenzen, keine Nationen, stoppt die Abschiebungen) skandierten die rund 200 Demonstranten aus allen möglichen Ländern auf ihrem Weg von der Herrenberger Straße über die Belthle-straße und das Haagtor in die Tübinger Innenstadt. Passanten guckten neugierig. „Ihr seid Reisende in Sachen Menschenrecht“, sagte Gerlinde Strasdeit, die für die TüL/PDS im Tübinger Gemeinderat sitzt, bei einer Kundgebung vor dem städtischen Sozialamt.

Strasdeit hätte es begrüßt, wenn die Karawane gemeinsam mit in Tübingen lebenden Flüchtlingen im Rathaus empfangen worden wären – wie es sonst bei internationalen Begegnungen in Tübingen üblich sei.

Bei der Abschlusskundgebung auf dem Holzmarkt war der Protestzug auf rund 250 Leute angewachsen, die den Rednern von „Kanak Attak“ und der Informationsstelle Militarisierung applaudierten. Zudem sprachen Werner Pfennig von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Gabi Buck vom Tübinger Zentralamerikakomitee. Von Tübingen aus zieht die Karawane für Flüchtlingsrechte heute weiter nach Augsburg und München.

Text: dhe
Bild: Metz, Ulrich

Original-URL: http://www.tagblatt.de/index.php?objekt=ST&id=3851