IMI-Analyse 2002/051
„Wir glauben Euch noch nicht“
Kurzanalyse der neuen deutschen Diskussion zum kommenden Irakkrieg und Vorschläge für Positionen der Friedensbewegung
von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 7. August 2002
https://www.imi-online.de/download/Irak-deutsch.pdf
1. Die neue Position der rot-grünen Bundesregierung ist wenig glaubwürdig
Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben sich in den letzten Tagen eindeutig gegen einen neuen Irak-Krieg ausgesprochen. Dies ist eine neue Positionierung. Aufgrund der Vorgeschichte (frühe Kriegszusage im März 2002) und der Bilanz von rot-grüner Kriegspolitik ist dieser „Antikriegskurs“ von Schröder und Fischer wenig glaubwürdig.
Im folgenden wird analysiert, was notwendig wäre, um die Absage der rot-grünen Bundesregierung an einen Krieg gegen den Irak glaubwürdiger zu machen.
Mit diesen Positionen – so meinen wir – sollten Friedens-, Antikriegs- und Anti-Globalisierungsbewegung in die jetzige Auseinsandersetzung um eine Verhinderung eines Krieges gegen den Irak gehen.
2. Die deutsche Kriegszusage und wie sich die Bundesregierung davon verabschieden könnte
Wir wissen, daß es schon im März (2002) von Gerhard Schröder eine interne Zusage an die US-Regierung für eine deutsche Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak gegeben hatte. Die damaligen Bedingungen waren: Erstens, der Krieg solle nach den Wahlen in Deutschland stattfinden und zweitens der Angriff müsse mit einem UN-Mandat versehen werden. (Diese Information ist inzwischen von Karl Lamers (CDU) auch öffentlich bestätigt worden (vgl. Reuters, 06.08.2002)
Eine der wichtigsten Fragen derzeit ist, ob diese Kriegszusage heute noch gilt.
Notwendig ist eine öffentliche Erklärung der Bundesregierung, daß es keine Zusagen mehr gegenüber der US-Regierung für eine Unterstützung oder Teilnahme bei einem Krieg gegen den Irak gibt oder daß die frühere Zusage für die Bundesregierung zurückgenommen wurde oder nicht mehr bindend ist.
Darüberhinaus muß die Bundesregierung der US-Regierung gegenüber erklären, daß die Bundesregierung den Krieg gegen den Irak in folgenden Bereichen nicht unterstützt:
– Keine finanzielle Unterstützung
– Kein Zurverfügungstellen von Bundeswehr-Truppen für den geplanten Krieg,
– Keine Truppenunterstützung,
– Keine Zurverfügungstellung der militärischen Infrastruktur in Deutschland (das schließt nicht nur die deutschen sondern auch die us-amerikanischen Basen wie Spangdahlem, Ramstein, Frankfurt Airport u.a. mit ein).
– Veto innerhalb der NATO gegen die Unterstützung eines Irakkrieges.
3. Bundeswehrsoldaten in Kuwait – nur ein sofortiger Abzug macht einen Antikriegskurs glaubwürdig
Derzeit sind im Rahmen von Enduring Freedom in Kuwait noch 52 ABC-Abwehrkräfte der Bundeswehr mit 6 Spürpanzer Fuchs stationiert. Das Gerät wurde zurückgelassen von einem Manöver in Kuwait, an dem 250 Bundeswehrsoldaten teilnahmen.
Die ABC-Abwehrsoldaten sollen sich nach einer Übung im März nun wieder an einem weiteren Manöver beteiligen. Die genaue „Aufgabenstellung“ sei noch offen.
Verstärkte Manöver in Kuwait sind, da sind sich alle Militärexperten einig, ein wichtiges Anzeichen für einen demnächst bevorstehenden Angriff auf den Irak. Bei den ersten Kriegsplanungen gegen den Irak im Dezember 2001, die dann aufgrund der Absagen der westorientierten arabischen Regierungen an Vize-Präsident Dick Cheney wieder verschoben wurden (Hintergrund war das brutale Vorgehen des israelischen Militärs in den palästinensischen Gebieten), gab es ebenfalls verstärkte Manöver („Desert Sping“) in Kuwait.
Der neue „Verteidigungsministers“ Dr. Peter Struck hat entschieden, daß die ABC-Abwehrkräfte auf Wunsch der US-Regierung in Kuwait bleiben, u.a. zum Schutz von US-Soldaten.
Die Erklärung Strucks, die ABC-Abwehrkräfte hätten eine andere Aufgabe, als bei einem Irakkrieg mit dabei zu sein, ist völlig unglaubwürdig. Es wurden doch gezielt ABC-Abwehrkräfte in Kuwait stationiert, um bei einem Angriff auf den Irak angreifenden Truppen zur Hilfe zu kommen. Friedrich Merz (CDU) sieht das klarer: „Alles ABC-Abwehrmaterial ist in Kuwait geblieben, wenn es dort in der Region zu einem Konflikt kommt, ist Deutschland natürlich dabei.“ (Financial Times 24.05.2002)
Unsere Forderung ist deshalb klar: Sofortiger Abzug aller Bundeswehr-Soldaten aus Kuwait!
4. Die Bevölkerung ist gegen den Krieg gegen den Irak – innenpolitische Debatte
Die Parteiendiskussion zum Irakkrieg zeigt viel Wahlkampfkalkül. Die Parteien-Debatte ist allerdings wenig hilfreich: CDU-Schäuble und SPD-Klose für den Krieg, CDU-Lamers, Schröder und Fischer öffentlich dagegen. CDU-Pflüger wünscht ein UN-Mandat, hält es aber nicht für zwingend…Die FDP kritisiert das „Hineinziehen der Außenpolitik in den Wahlkampf“ (sic!) und Alt-Außenminister Hans-Dietrich Genscher will eine Bundestagsaussprache zum geplanten Irakkrieg. Der Kanzlerkandidat von CDU/CSU will sich offenbar nicht zum Thema äußern. Die Nachrichten-Agentur AFP spricht davon, er spiele „Verstecken“. Stoiber weiß, daß eine Pro-Kriegs-Position nicht populär ist.
Entscheidend ist, die bundesdeutsche Bevölkerung ist je nach Umfrage zwischen 73 % (n-tv / Emnid) und 91 % (Spiegel) gegen den Irakkrieg. Diese Werte waren im übrigen schon so vor dem oberflächlichen Schwenk der rot-grünen Bundesregierung in der Irakfrage.
Eine oberflächliche Ablehnung des Krieges wird aber SPD und Grünen kaum Stimmen einbringen. Der neue „Antikriegskurs“ von Schröder und Fischer ist wenig glaubwürdig: Die rot-grüne Regierung hat sich bisher zweimal an Angriffskriegen beteiligt (NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, dem sog. „Kosovo“-Krieg und der Krieg gegen Afghanistan) Außerdem hat rot-grün die Bundeswehr durch die Strukturveränderungen (genannt „Reform“) – bei allen Unzulänglichkeiten ? entscheidend kriegsführungsfähig gemacht (vgl. näher zu beidem: Die Bundeswehr unter Rot-grün, https://www.imi-online.de/2002.php3?id=128 ).
5. Die Begründungen der Regierung für ihre Kriegsablehnung sind hochproblematisch – gegen „deutschen Weg“
Die SPD will nun auf Aussenpolitik im Wahlkampf setzen, soweit so gut. Doch die Begründungen lassen schaudern. Zitate Gerhard Schröder: „Wir haben uns auf den Weg gemacht, auf unseren deutschen Weg. Aber wir haben nicht alles geschafft. Deshalb brauchen wir ein Mandat, diesen Weg bis zum Ende zu gehen.“ „Ich denke, wir haben nach dem 11. September letzten Jahres bewiesen, dass wir besonnen, und im Interesse der Sicherheit unserer Menschen handeln, mit der Staatengemeinschaft, mit den Freunden in den Vereinigten Staaten, dass wir aber für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen und dabei bleibt es.“
Von Besonnenheit kann bekanntlich beim Krieg in Afghanistan nicht die Rede sein (Stichwort: Einsatz des Kommando Spezialkräfte u.a.) Das Interessanteste ist aber die Formel vom „deutschen Weg“, die sich die SPD-Wahlkämpfer da einfallen lassen haben.
Die Reden von Gerhard Schröder und Franz Müntefering beim Wahlkampfauftakt in Hannover sind nur so gespickt mit Formulierungen eines „deutschen Weges“.
Die Kriegsablehnung der Friedensbewegung hat mit dieser Position, die Anleihen bei nationalistischem Gedankengut macht, nichts zu tun.
6. Nicht nur gegen eine deutsche Kriegsteilnahme sondern gegen den Krieg an sich
Ziel muß für die Friedensbewegung natürlich nicht nur sein, eine deutsche Kriegsteilnahme zu verhindern, sondern auch den Krieg als solches zu verunmöglichen. Die militärische Infrastruktur in Deutschland ist für die Kriegsführungsfähigkeit der US-Truppen von wichtiger Bedeutung.
Die Zusammenarbeit mit Friedens-, Antikriegs- und Antiglobalisierungsbewegungen über den gesamten Globus ist sehr wichtig. Wir müssen mit den Kriegsgegner/innen in den USA und den anderen europäischen Ländern gemeinsam gegen den Kriegskurs der jeweiligen Regierungen kämpfen.
7. Zur Situation im Irak selbst – notwendig ist die Aufhebung des Embargos
Der ausscheidende CDU-Außenexperte Karl Lamers hat auf einen weiteren entscheidenen Punkt verwiesen: „Niemand hat eine Vorstellung, was nach einer möglichen Entmachtung Saddam Husseins passiert und wie das Land dann noch zusammengehalten werden kann.“ (AFP, 04.08.2002) Schon nach dem zweiten Golfkrieg lies die damalige Kriegskoalition kurdische und schiitische Bevölkerung schrecklich ins Messer laufen, Saddam Hussein blieb an der Macht.
Die Bevölkerung des Irak, nicht das in aller Schärfe zu kritisierende Regime von Saddam Hussein, leiden schwer unter dem Embargo, das gegen das Land verhängt wurde. Das Embargo ist ein Krieg gegen die irakische Zivilbevölkerung. Eine Antikriegsposition ist nur dann glaubwürdig, wenn es ihr auch um die irakische Bevölkerung geht. Deshalb muß das Ziel ganz klar die Aufhebung des Embargos gegen den Irak sein. Die Bundesregierung muß sich also, ist sie tatsächlich gegen einen Krieg, dringend für eine Aufhebung des Embargos einsetzen, sie sollte das Embargo selbst nicht mehr beachten und sie muß Hilfe für die notleidende irakische Bevölkerung organisieren.
8. UNO – Irak-Verhandlungen
Wenn die deutsche Regierung einen Krieg gegen den Irak ablehnt, muß sie sich innerhalb der UN für eine zielgerichtetes Verhandeln mit der irakischen Regierung einsetzen. Ziel könnte sein, die frisch ausgesprochnenen Einladungen der irakischen Regierung anzunehmen und ernsthaft zu verhandeln.
Die derzeitigen Verhandlungen der UN-Vertreter machen nämlich den Eindruck, daß – aus Rücksicht gegenüber der US-Regierung – dem Irak keine reale Chance gegeben werden soll, die Bedingungen für die UN-Inspekteure tatsächlich zu erfüllen.
Es wurde nun ja auch offiziell – durch den damaligen Leiter der UNSCOM-Mission Rolf Ekéus (1991 bis 1997) – bestätigt, daß bei den UNSCOM-Inspekteuren US-Agenten mit dabei waren, die UNSCOM für Spionagezwecke nutzten. Ziel sei die Installation von Abhöreinrichtungen gewesen. Unter klarer Mißachtung des UN-Mandats hätten sich die Agenten auch für Einrichtungen des irakischen Geheimdienstes und der irakischen Armee interessiert. Nach seiner Ablösung durch den Australier Richard Butler habe es seines Wissen nach eine Reihe „zweifelhafter Inspektionen“ gegeben. Ekéus erklärte weiter, daß auch andere Mitglieder des UN-Sicherheitsrates Druck in Richtung provokative UNSCOM-Forderungen an den Irak ausgeübt hätten, um so den Vorwand für ein militärisches Vorgehen gegen das Regime um Saddam Hussein zu bekommen.
Ein Mißtrauen gegenüber den UN-Inspekteuren ist also durchaus auch berechtigt.
9. NATO-Treffen direkt nach der Wahl – Kriegsszenarien
Am 24./25. September findet in Warschau das sogenannte „informelle Treffen der Verteidigungsminster der NATO“ statt. Es ist damit zu rechnen, daß die einzelnen NATO-Staaten dort erklären müssen, wie sie sich an
einem Irak-Krieg beteiligen.
Wenn die Bundesregierung tatsächlich gegen den Irakkrieg ist, muß sie schon heute erklären, daß Peter Struck dort mitteilen wird, daß weder Truppen noch Infrastruktur für einen Krieg gegen den Irak zur Verfügung gestellt werden.
Die Wahrscheinlichkeit eines Krieg fällt im übrigen ziemlich stark ab, wenn die europäischen NATO-Staaten sich konsequent, entschlossen und geschlossen gegen eine Irak-Invasion aussprechen würden. In der „International Herald Tribune“ (IHT) vom 25.07. heißt es z.B., daß die europäischen NATO-Staaten durchaus den Krieg gegen den Irak verhindern oder doch zumindest um Monate hinauszögern könnten, die US-Regierung wäre zu sehr auf in Europa befindliche Militär-Infrastruktur angewiesen.
Außerdem muß die Bundesregierung darauf drängen, daß die diversen konkreten Kriegspläne, die George W. Bush vorgelegt wurden, öffentlich gemacht werden. Der Oberbefehlshaber der am Golf stationierten US-Truppen, der General Tommy Franks, hatte am 06.08. US-Präsident George W. Bush einen neuen Angriffsplan gegen den Irak vorgelegt. In diesem Kriegsszenario wird von einer Invasion im Irak mit 50.000 bis 80.000 Soldaten ausgegangen, die massiv von der Luftwaffe unterstützt werden sollen. Ein anderer Kriegsplan spricht von ca. 250.000 Soldaten, mit den die Irak-Invasion durchgeführt werden soll. In einem weiteren Kriegsplan ist von „Kommandounternehmen“ zu Beginn die Rede…
Beim Krieg selbst ist wohl mit einem wesentlich massiveren Einsatz von High-Tech-Waffen, wie Lenkwaffen, Cruise Missiles und sogenannten „Präzisionsbomben“ („Kollateralschäden“ eingeschlossen) zu rechnen.
10. Kriegsführungsfähigkeit des Militärs verhindern
Um keine Kriege führen zu können, ist es notwendig die Kriegsführungsfähigkeit von Armeen abzubauen. Dazu gibt es das Konzept der „qualitativen Abrüstung“, was bedeutet, die Truppen als erstes abzubauen, mit denen Kriege geführt werden können, in Deutschland sind dies die Einsatzkräfte der Bundeswehr. Solange die kriegsführungsfähigen Truppen zur Verfügung stehen, werden sie erfahrungsgemäß auch eingesetzt. Diese Bundeswehr-Einsatzkräfte, früher Krisenreaktionskräfte, müssen aufgelöst werden!
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Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler und Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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