in: junge Welt vom 07.06.2002
Ohne Antikriegsarbeit ist alles nichts
Anti-Bush-Proteste als wichtiger Zwischenschritt hin zur Massenbewegung gegen Krieg - Gastartikel von Tobias Pflüger
von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 7. Juni 2002
Es gibt bestimmte Fakten, die müssen laut heraus »geschrie(b)en« werden: Der Krieg gegen Afghanistan und Al Qaida war schon vor den brutalen Anschlägen von New York und Washington geplant. Die Anschläge werden somit als Vorwand genutzt, um den umfassenden Krieg gegen den Terrorismus zu begründen. Das Weiße Haus hat am 17. Mai Berichte bestätigt, daß der US-Regierung am 9. September ein »Aktionsplan zur Vernichtung der Al Qaida« und damit für einen Krieg gegen Afghanistan vorgelegt wurde, also
zwei Tage vor den Anschlägen.
Ein zweiter Fakt, den wir als Kriegsgegner immer wieder heraus »schrei(b)en« müssen, ist, daß der Krieg gegen den Irak fest geplant ist und die deutsche Regierung einer Kriegsteilnahme schon zugestimmt hat. Offensichtlich sind »notwendige« feste Bündnispartner der USA im Kriegsboot insbesondere Großbritannien und Deutschland. Das einzige Problem, das die rot-grüne Bundesregierung mit dem geplanten Irak-Krieg hatte, war, daß er vor dem 22. September, also den Bundestagswahlen in Deutschland, beginnen würde. Diese frühen Kriegspläne sind dank Ariel Scharon bzw. der israelischen Invasion in den »autonomen« palästinensischen Gebieten und dem andauernden Krieg in Afghanistan offensichtlich (derzeit) vom Tisch. Jetzt laufen die Kriegsszenarien wohl auf Februar oder März 2003 hinaus.
Die bunten Großdemonstrationen am 21. und 22. Mai anläßlich des Bush-Besuchs in Berlin mit 70000 bis 80000 Demonstranten und mindestens noch einmal so vielen verteilt im ganzen Land waren ein sehr gutes Zeichen gegen die globale Kriegspolitik. Die Demonstrationen dürften angesichts des geplanten Irak-Kriegs ein wichtiger Zwischenschritt der notwendigen Antikriegsproteste sein.
Offensichtlich ist – nicht nur – bei den Kriegsvorbereitungen gegen den Irak der deutsche Kriegs-Deputy zentral. Bei zukünftigen Aktionen und Demonstrationen müssen wir als Friedens- und Antikriegsbewegung die Kritik an der deutschen Rolle noch deutlicher herausstreichen. Zur Erinnerung: Die Bundeswehr ist derzeit mit über 10000 Soldaten im Auslandseinsatz, dazu gehört der nach Schröder »epochale« Einsatz »Enduring Freedom«, der mit der »Kriegsermächtigung« (Vertrauensfrage) vom 16. November 2001
freigegeben wurde.
Deutsche Soldaten befinden sich heute in Kuwait, in Kenia, in Djibouti, am Golf von Aden, im südlichen Roten Meer, im Seegebiet entlang der Küste von Somalia, im Mittelmeer, in Usbekistan, in Oman, in der Türkei und nicht zu vergessen, neben der sogenannten »Schutztruppe« um Kabul, mitten in Kämpfen in Afghanistan. Insbesondere die Einsätze in Kuwait und um Somalia herum sind Vorboten geplanter Angriffe.
Breite Bündnisse (»Einheit in der Vielfalt«) mit unterschiedlichen Ansätzen sind die Grundvoraussetzung für eine Wirksamkeit der Friedens- und Antikriegsbewegung. Zentraler Ansatz müßte innerhalb der Friedens- und Antikriegsarbeit sein, von einer konkreten Kritik der Kriegspolitik der Herrschenden ausgehend grundlegendere Fragen zu stellen: Militär und Krieg als Herrschaftsinstrument, Krieg als notwendiger Teil der derzeitigen Formation von westlichen Industriegesellschaften. Diese sind spätestens seit dem 11. September im permanenten Kriegszustand. Sie sind somit »verdeckte Kriegsgesellschaften«. Militärische und zivile Interventionen als zwei Seiten einer kulturimperialistischen Medaille? etc.
Zu erhoffen ist eine verstärkte Zusammenarbeit der »Antiglobalisierungs-« und Friedensbewegung. Andere Oppositionsbewegungen hierzulande müssen begreifen, daß alle anderen Themen ebenfalls auf die Kriegsfrage ausgerichtet werden: Stichworte: Aufrüstung im Innern, Asylpolitik, Antifa, etc. Grundlegende Opposition gegen die hiesige Kriegspolitik muß das zentrale Thema sein.
In Abwandlung des Spruchs von Willy Brandt gilt für Gerhard Schröder: Krieg ist nicht alles – aber ohne Krieg ist alles nichts. Für die gesamte Opposition muß gelten: Antikriegsarbeit ist nicht alles, aber ohne Antikriegsarbeit ist alles nichts.
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