in: junge Welt vom 22.05.2002

Alte und neue Kameraden

Pfingsttreffen der Gebirgsjäger im Zeichen des deutschen Militarismus

von: Ulrich Sander | Veröffentlicht am: 22. Mai 2002

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Seit über 50 Jahren veranstaltet die Gebirgsdivision I (GD I) in Mittenwald (Bayern) zu Pfingsten eine Gedenkfeier zu Ehren ihrer toten »Helden«, an der bisweilen mehrere tausend Menschen teilnahmen. Auch in diesem Jahr trafen sich die Veteranen gemeinsam mit den Aktiven der Bundeswehr auf dem Bundeswehrgelände am Hohen Brendten. Junge Antifaschisten nahmen in diesem Jahr ebenfalls teil, und einer ihrer Sprecher erklärte: »Unter dem Naziregime verübte diese Einheit der Wehrmacht diverse Massaker an Tausenden von Menschen in Griechenland, Italien, Jugoslawien, Polen und Finnland. Diese Tradition der Verehrung der Mörder und Verhöhnung der Opfer konnte über 50 Jahre lang unbehelligt gepflegt werden und sich dabei einer großen gesellschaftlichen Akzeptanz erfreuen. Als Mitveranstalter tritt hier die Bundeswehr in Erscheinung. Eine auffällige Kontinuität, denn auch heute sind die Gebirgstruppen wieder aktiv bei Auslandseinsätzen wie im Kosovo und in Afghanistan. Mit dabei jene Bundeswehr-Gebirgsdivision, die sich als direkte Nachfolgerin der Wehrmachtsdivision versteht.«

In Mittenwald erinnerte die Bundeswehr in Schriften an die Vorjahrsrede auf dem Hohen Brendten, gehalten vom jetzigen Kanzlerkandidaten der CDU/CSU und Kameradschaftsmitglied sowie ehemaligen Gebirgsjäger Edmund Stoiber. Darin nannte er das Treffen Ausdruck »unangreifbarer Traditionspflege«. Damit lag er falsch: Am Pfingstsamstag besuchten zirka 50 Antifaschisten das im Rahmen der Gedenkfeier zelebrierte Schweinebratenessen der Gebirgssoldaten in Mittenwald. Vor Ort waren aktive und pensionierte Angehörige der Gebirgsdivision, im Alter von 20 bis 80 Jahren, versammelt. Zu ihrem Vorhaben, eine Gedenkminute für die Opfer am Versammlungsort der Täter abzuhalten, kamen die Antifaschisten allerdings nicht: Die aufgebrachten Traditionspfleger versuchten, ihnen die mitgebrachten Schilder, auf denen die Namen der Kriegsverbrecher prangten, zu entreißen. Auf die Konfrontation mit den Verbrechen von ehemaligen Gebirgsjägern reagierten die Veteranen und Bundeswehrsoldaten mit Schlägen und Tritten.

Die erstmalige Behelligung der einstigen Täter und ihrer heutigen Gesinnungsgenossen bei ihrem Pfingsttreffen hatte des weiteren zur Folge, daß 50 Personen in einer Jugendherberge in Urfeld von der Polizei bis Pfingstmontag unter Herbergsarrest gestellt wurden. Der Versuch, eine spontane Kundgebung am Pfingstsonntag in Mittenwald durchzuführen, wurde durch ein polizeiliches Demonstrationsverbot vereitelt. Der Sprecher der Gruppe: »Dies erstaunt uns nicht vor dem Hintergrund, daß diese Art der Traditionspflege Bestandteil deutscher Normalität bis heute ist.«

Die antifaschistische Gruppe legte eine Dokumentation vor, in der es heißt: »Die Gebirgssoldaten feiern hier die Besetzung und Ausplünderung Europas im Zweiten Weltkrieg. Sie protzen noch heute mit den von ihnen begangenen Massakern und Zerstörungen in Kommeno, Kephalonia, Camerino, Sarande, Fabriani, Lyngiades, im Massif du Vercors, Rovaniemi und in Hunderten weiterer Orte. Das Gerede von der stolzen edlen Truppe, die tapfer unterm Edelweiß gekämpft hat, ist ein Hohn für die Tausenden Opfer der Gebirgstruppe.

In Kommeno in Nordgriechenland fuhren sie am 16. 8. 1943 >feldmarschmäßig< mit Maultieren und dem Küchenwagen vor und erschossen 317 Frauen, Männer und Kinder. Die stolzen Soldaten der 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98 unter dem späteren Bundeswehrgeneral Klebe, die sich auch nach dem Krieg weiter ungestört im Kameradschaftskreis der Gebirgstruppe treffen, ermordeten nicht nur die unschuldigen Zivilisten, einzelne Soldaten machten sich noch über die Frauenleichen her und schändeten sie, wie einer der Täter später berichtete. (...) Dieses bestialische Massaker blieb kein Einzelfall. Als Teil der I. Gebirgsdivision beteiligten sie sich an der Entwaffnung der italienischen Soldaten und erschossen 40000 italienische Gefangene allein in Kephalonia. (...) Das heißt, die Mörder sind noch unter uns, und das hat bisher noch keinen gestört. Angehörige der faschistischen deutschen Wehrmacht und der Bundeswehr feiern in trauter Eintracht. Im gemeinsamen Erinnern an ehemalige und an aktuelle Fronterlebnisse stärken sich die Mitglieder des elitären Männerbundes für kommende Auseinandersetzungen. Sie lassen ihre Kriegsverbrecher-Generäle hochleben und verharmlosen die unzähligen Massaker an Zivilpersonen, an Frauen und Kindern in ganz Europa als angeblich gerechtfertigte Sühnemaßnahmen. Schenkelklopfend läßt die Mörderbande immer wieder Revue passieren, wie sie Anfang der 1950er Jahre die Bundeswehr aufgebaut hat. Voller Stolz und Freude erleben die alten Wehrmachtssoldaten, daß Bundeswehrsoldaten in SFOR- und KFOR-Einheiten heute wieder auf dem Balkan kämpfen, wo sie selbst schon vor 60 Jahren wüteten. Die Gebirgssoldaten beschwören eine Tradition von den kaiserlichen Truppen des Ersten Weltkriegs über die Wehrmacht Nazideutschlands bis zur heutigen Bundeswehr. Und Gebirgsjäger-Ministerpräsident Stoiber, Mitglied im Nazikameradenkreis der Gebirgstruppe, unterstützt immer wieder den Haufen unverbesserlicher Militaristen und Mörder. Für rührselige Fahrten zu ehemaligen und heute wieder aktuellen Kriegsschauplätzen, z. B. im Kaukasus, übernimmt er die Schirmherrschaft. Diese Tradition wollen und dulden wir nicht! Wir beziehen uns in unserem Widerstand auf die wenigen deutschen Deserteure und Widerstandskämpfer, auf die Juden, die in den Ghettos und Vernichtungslagern den Aufstand versuchten, auf die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, auf die Partisanen und auf den zivilen und bewaffneten Widerstand gegen die faschistischen deutschen Besatzer. Wir wollen keine Zukunft, die irgendwelche Militärs mitgestalten. Das Militär hat keine Zukunft, es ist Garant einer Gegenwart, die jeder emanzipatorischen Politik entgegensteht. Wir wollen keine Entschuldigung für das eine oder andere Massaker, wir wollen, daß die Überlebenden der Massaker endlich von der BRD entschädigt werden. Wir grüßen mit unserer Überraschungskundgebung im tiefsten Bayern stellvertretend die Überlebenden aus Kommeno, Lyngiadas, Akmotopos, Klisura, Alikianu in Griechenland, die überlebenden italienischen Soldaten der Massaker in Kephalonia, Korfu, Sarande, die Überlebenden der >Bandenbekämpfung< in Delnice und Versenico di Sotto im >Adriatischen Küstenland< und Jugoslawien, die Überlebenden von Camerino und Fabriano in Italien, die Überlebenden der Menschenjagd im Maquis im Raum Besançon, Dijon und Massif du Vercors und nicht zuletzt die Überlebenden der Vertreibung und Zerstörung in Lappland. Sofortige Entschädigung der griechischen Massaker-Opfer! Kein Vergeben! Kein Vergessen!« * Der Autor ist Bundessprecher der VVN-BdA und IMI-Beirat ----------------------- Original-Quelle: http://www.jungewelt.de/2002/05-22/013.php