Die USA treiben weltweite Rüstungsausgaben in die Höhe
Die Wende zum Schlechteren setzte aber schon vor dem 11. September 2001 ein
von: Lühr Henken | Veröffentlicht am: 1. Mai 2002
Seit 1998 verzeichnet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI wieder einen Anstieg der weltweiten Rüstungsausgaben. Von 1998 bis zum Jahr 2000 seien sie real um fünf Prozent gestiegen. Auch wenn das konservative Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) diesen Trend nicht bestätigt und von einer nahezu unveränderten Gesamtsumme ausgeht, muss doch in den nächsten Jahren mit einem rapiden Anstieg der weltweiten Rüstungsausgaben gerechnet werden.
Auf der Grundlage der Zahlen des IISS liegen die weltweiten Rüstungsausgaben des Jahres 2000 bei 811 Mrd. Dollar (in Preisen von 1999). Davon gaben die NATO-Staaten zusammen 464 Mrd. Dollar aus (57,2 %). Den Löwenanteil davon tätigten die USA im Jahr 2000 mit 294,7 Mrd. Dollar (Preise von 1999). Die europäischen NATO-Staaten gaben demnach 161,5 Mrd. Dollar (das sind real 6,25 % weniger als 1999) aus. Das IISS legt für seine Berechnungen der Haushalte der Nicht-NATO-Staaten nicht die offiziellen Umrechnungskurse zu Grunde, sondern fügt traditionell eigene Abschätzungen sowohl über die in anderen Ressorts versteckten Rüstungsausgaben als auch über Kosten auf der Basis von Weltmarktpreisen hinzu, um eine internationale Vergleichbarkeit zu erleichtern. Im Jahr 2000 gab Russland demnach 58,8 Mrd. Dollar (+ 3,5 %), Japan 44 Mrd. (+ 10 %) und Indien 14,5 Mrd. (+ 4 %) für die Rüstung aus. Obwohl der offizielle Militärhaushalt Chinas von 1999 auf 2000 auf Basis des offiziellen Dollarumrechnungskurses um 15 Prozent (von 12,6 auf 14,5 Mrd. Dollar) anwuchs, schätzt das konservative Londoner Institut lediglich ein Wachstum von 3,2 Prozent von 39,9 auf 41,2 Mrd. Dollar. Im Jahr 2001 ist der offizielle chinesische Militärhaushalt wiederum um 17 Prozent gewachsen (von 14,5 auf 17 Mrd. Dollar), jedoch sagt dies wenig über die militärischen Absichten aus, denn es finden Umschichtungen im chinesischen Staatshaushalt statt, die eine Entflechtung der immensen wirtschaftlichen Tätigkeiten des chinesischen Militärs widerspiegeln und zu einer transparenteren Haushaltspolitik führen sollen. Allerdings ist unverkennbar, dass die VR China, ausgelöst durch den völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien, ihre militärischen Anstrengungen verstärkt hat.
Diese sind verglichen mit denen der Vereinigten Staaten jedoch als geradezu marginal zu bewerten. Die Militärausgaben der USA sind unter Clinton von 292,1 (1999) auf nominal 300,6 Mrd. Dollar im Jahr 2000 angestiegen (+ 2,9 %). Das Budget für 2001 belief sich auf 310,5 Mrd. Dollar (+ 3,3 %). Ende Juni 2001 beantragte die neue Bush-Administration für 2002 zunächst einen Anstieg von 18,5 Mrd. (+ 6 %) auf 330 Mrd. Dollar. Für Verteidigungsminister Rumsfeld war diese Erhöhung enttäuschend. Er rechnete gar mit einer Erhöhung um 40 Mrd. Dollar. Der Chefplaner Paul Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister, plädierte wenig später dafür, dass der US-Militärhaushalt, der etwa 3 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmacht, „in den kommenden Jahren ohne Schmerzen noch um einen halben Prozentpunkt erhöht“ werde. (FAZ vom 20.7.2001) Nach den verheerenden Anschlägen des 11. September war es ein Leichtes, diesen exorbitanten Forderungen mehr als zu entsprechen. Ende September/Anfang Oktober wurde dann der Betrag von 343,3 Mrd. Dollar für den US-Militärhaushalt 2002 beschlossen. Die Steigerung von 10,6 Prozent binnen eines Jahres ist die höchste Steigerung seit den Zeiten Reagans. Darin verzeichnet das Budget für die Forschung und Entwicklung des Raketenabwehrsystems (NMD) den höchsten prozentualen Anstieg. Der ursprüngliche Ansatz unter Clinton in Höhe von 5,2 Mrd. Dollar schnellt um 60 Prozent auf 8,3 Mrd. Dollar hoch. Die Steigerungen von 2001 nach 2002 resultieren aus einem Zuwachs bei den Personalkosten (+ 6,9 Mrd.), aktuellen Kriegskosten (+17,9 Mrd.) und Forschung & Entwicklung (+ 6,6 Mrd. Dollar).
Anfang Januar 2002 forderte das US-Verteidigungsministerium für das Haushaltsjahr 2003 (es beginnt am 1.10.02) eine weitere Steigerung des Verteidigungsbudgets um 20 Mrd. Dollar. Und nur wenige Tage später kündigte Präsident Bush an beim Kongress für das Jahr 2003 zu beantragen, den Verteidigungsetat sogar um satte 48 Mrd. Dollar anzuheben. Das wäre der höchste nominale Anstieg seit einer Generation und entsräche etwa den Verteidigungsbudgets von Deutschland und Italien im Jahr 2000 zusammen. 38 der 48 Mrd. Dollar sollen für neue Präzisionswaffen, unbemannte Flugzeuge, Kriegsschiffe, Panzer und Kampfflugzeuge sowie für die Erhöhung der Einsatzbereitschaft, höheren Sold und bessere Wohnungen für die Soldaten ausgegeben werden. 10 Mrd. Dollar sollen als operative Reserve für Kriegskosten (in 2002: 17 Mrd. Dollar) beantragt werden. Der Haushalt des Verteidigungsministeriums würde dann 379 Mrd. Dollar betragen, zusammen mit den verteidigungsbezogenen Ausgaben des US-Energieministeriums und anderer Ministerien, die zur Berechnung des Gesamtsverteidigungsetats bei der NATO relevant sind, wird der US-Rüstungshaushalt 2003 jedoch bei 394 Mrd. Dollar liegen. Bushs Ankündigung, die Militärausgaben in den fünf Jahren von 2002 bis 2007 um 120 Mrd. auf 451 Mrd. Dollar zu steigern, bezieht wiederum nicht die verteidigungsbezogenen Ausgaben der anderen Ministerien mit ein. Der rüstungsrelevante US-Haushalt beträgt in fünf Jahren also 465 Mrd. Dollar. Inflationsbereinigt wird damit die Dimension Mitte der achtziger Jahre zum Höhepunkt des Kalten Krieges überschritten.
Im Jahre 1997 hat das US-Space-Command eine „Vision für das Jahr 2020“ entwickelt, aus der – kurz gefasst – hervorgeht, dass die USA im Jahr 2020 über die Fähigkeit verfügen sollen, „ohne zeitliche Verzögerung weltweit hochwertige Ziele aus dem All angreifen zu können“. (Der Spiegel vom 20.8.01). Und als Endziel formuliert das US-Space-Command: „Im 21. Jahrhundert werden die Raumstreitkräfte militärische Operationen im All durchführen. Die sich herausbildende Weltraum-Überlegenheit – ähnlich der zu Wasser, auf dem Land und in der Luft – wird uns in die Lage versetzen, eine umfassende Vorherrschaft zu erreichen.“ Die Administration Bush steht dafür, in die Militarisierung des Weltraums über die Entwicklung des NMD einzusteigen. Die Planungen aus der Clintonzeit sahen dafür schon 60 Mrd. Dollar bis 2012 vor.
Zur Perfektionierung der Kriegsführungsfähigkeit zu Lande, zu Wasser und in der Luft werden ehrgeizige Projekte umgesetzt. Der spektakulärste Auftrag ging an die in Texas ansässige Firma Lockheed Martin für die Herstellung von 2.852 F-35-Kampfflugzeugen zum Schätzpreis von 200 Mrd. Dollar. Er gilt als größter konventioneller Rüstungsauftrag aller Zeiten. Die Joint Strike Fighter sollen ab 2008 ausgeliefert werden. Andere Projekte sind bereits in der Fertigung oder befinden sich in der Entwicklung: 333 Kampfflugzeuge F-22 (63 Mrd. Dollar), 1.292 Kampfhubschrauber Comanche (34 Mrd. Dollar, ab 2007), die Digitalisierung im Heer (20 Mrd. Dollar, ab 2000 bis 2005), 19 Zerstörer DDG-51 (ca. 20 Mrd. Dollar, seit 1998 bis 2004) und mindestens 548 F/A-18 Kampfjets für die Marine (47 Mrd. Dollar). Darüber hinaus wünscht sich die US-Navy 30 neue Atom-U-Boote zum Preis von 64 Mrd. Dollar. Allein diese Großprojekte zeugen vom US-Anspruch, auf der Erde eine umfassende Vorherrschaft („Full Spectrum Dominance“) sichern zu wollen. US-Präsident Bush sorgt für die entsprechende Kriegsrhetorik, indem er Zehntausenden potenziellen Terroristen den Kampf ansagt und wegen des angeblichen Griffs nach biologischen, chemischen und atomaren Waffen konkret den Irak, Iran und Nordkorea warnt. Diese Staaten als „Achse des Bösen“ öffentlich zu brandmarken, ohne einen Beweis vorlegen zu können, wiederholt die von Reagan favorisierte Rhetorik, als jener die Sowjetunion als „Reich des Bösen“ verteufelte. Diese sprachliche Parallele macht die Dimension des doktrinären modernen US-Militarismus deutlich. Auch fast vier Monate nach Beginn des Krieges gegen Afghanistan sah sich Bush erst am Anfang des „Krieges gegen den Terror“, der auf Jahre angelegt ist. In einer „zweiten Phase des Anti-Terror-Krieges“ geraten über „die Achse des Bösen“ hinaus weitere Länder ins Visier der Krieger im Weißen Haus: Somalia, Jemen, Philippinen, Syrien und der Sudan, Gruppen im Libanon und in Palästina werden genannt.
Der Beitrag erscheint demnächst im Friedens-Memorandum 2002, hrsg. vom Bundesausschuss Friedensratschlag.