gekürzt auch in: Südwestkontakte (baden-württembergische Beilage der Zeitschrift Zivilcourage - Mitgliederzeitschrift der DFG-VK)

Die Calwer Truppe Kommando Spezialkräfte auf Terroristenjagd

Einsätze sind leider vom Bundestag gedeckt

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 5. März 2002

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(Diesen Text gibt es auch zum Download unter: https://www.imi-online.de/download/ksk-afghanistan.pdf)

1. Die umfangreichsten Kämpfe seit Kriegsbeginn

Es war eine Frage der Zeit, bis die Information bestätigt würde, daß auch deutsche Elitekampfsoldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) aus Calw an den Kämpfen der US-Armee in Afghanistan beteiligt sind. Nur der Zeitpunkt der Bestätigung kam für viele überraschend. Die US-Armee startete Ende Februar ihre größte Offensive seit dem Kriegsbeginn am 07. Oktober 2001. (Damit wurden auch all jene Lügen gestraft, die schon in der Vergangenheitsform vom Afghanistankrieg sprachen.) Im Südosten Afghanistans an der Grenze zu Pakistan in der Provinz Paktia bei der Stadt Gardes starteten Truppen der USA ein umfangreiches Bombardement, dabei seien bisher bis zu 200 „versprengte Taliban- und El Kaida-Kämpfer“ und ca. 7 US-Soldaten getötet worden. Die US-Truppen testeten dabei ihre neue „Thermobaric“-Bomben. Der offizielle Name ist „BLU-118/B“, sie soll „extrem zielgenau“ sein und dringe besonders tief in Höhlenkomplexe ein. Dort entzündeten sich mit Benzin gefüllte Sprengköpfe. Diese explodierten mit gewaltigen Feuerbällen. Damit würden sie den Sauerstoff aus dem Höhlenkomplex förmlich aufsaugen. Wer nicht durch die Explosion selbst getötet werde, sterbe einen erbärmlichen Erstickungstod.

2. Geheimer Kampfeinsatz des Kommando Spezialkräfte

Nach Angaben des Pentagon waren an den Bodentruppenkämpfen zwischen ca. 3.000 „sich neu organisierenden Taliban- und El Kaida-Kämpfern“ einerseits und der Terrorallianz andererseits auf US-Seite auch Spezialtruppen aus Australien, Kanada, Dänemark, Deutschland, Frankreich und Norwegen beteiligt. Der oberkomman-dierende Heeresgeneral Tommy Franks wird wie folgt in Erklärungen des Pentagon zitiert: „He said U.S. forces are joined by a like number of Afghan fighters and about 200 special operations troops from Australia, Canada, Denmark, Germany, France and Norway“. Außerdem bombardierten auch erstmals neben britischen und us-amerikanischen Flugzeugen französische Flugzeuge.

Der deutschen Bundesregierung war die offizielle Mitteilung aus den USA nicht recht, der Einsatz der KSK-Soldaten sollte geheim bleiben. Der Sprecher des „Verteidigungsministeriums“ Franz Borkenhagen meinte, es sei „außerordentlich sinnvoll, derartige Operationen mit entsprechendem Schutzgrad zu versehen“. Er kritisierte die US-Militärs und US-Regierung offen:

„Der Informationsbeitrag in den Vereinigten Staaten wäre meiner Meinung nach nicht notwendig gewesen“. Es sei falsch, daß der Einsatz „deutscher Kräfte in diesem Rahmen zum heutigen Zeitpunkt“ bekannt gegeben würde.

Was die KSK-Soldaten in Afghanistan genau machen, erfuhr man aus Norwegen: Dort sagte der norwegische Stabssprecher Dag Aamoth zur Kriegsoffensive: „Die norwegischen Spezialeinheiten nehmen an andauernden Kampfhandlungen teil, bei denen Einheiten der Koalition versuchen, mehrere hundert Mann der El Kaida niederzukämpfen. Es handelt sich um eine koordinierte Operation von Luft- und Bodentruppen, die zähen Widerstand zu überwinden haben.“ Daran sind also auch die deutschen KSK-Soldaten beteiligt. In einem kargen Nebensatz bestätigte dies auch Rudolf Scharping: „In laufenden Operationen werden Spezialkräfte eingesetzt“.

3. Nebelbomben für und gegen die Presse

Nebenbei wurden für die Presse noch Nebenbomben geworfen: Rudolf Scharping: „Wir haben sanitätsdienstliche Unterstützung geleistet, damit Soldaten von (dem Militärflughafen) Bagram nach Kabul kommen konnten“. Also ein weiterer Einsatz, der von den konkreten Kampfteilnahmen der KSK-Soldaten mal wieder ablenken sollten.

Ausführlich beschäftigte sich der Minister mit angeblichen oder tatsächlichen Drohanrufen bei Familien von KSK-Soldaten. Er bezeichnete Anfragen von Journalisten als „widerliches Verhalten“, die wohl versucht hatten, an Informationen über die KSK-Einsätze zu gelangen. Einige Familien von KSK-Soldaten hätten mit neuen Identitäten ausgestattet werden müssen. Zuvor hatte das „Verteidigungsministerium“ über befreundete Medien wie die „Welt am Sonntag“ eine Story von einer „Hysteriewelle“ in Calw gegen Angehörige von KSK-Soldaten lancieren lassen.

Die politisch-militärische Führung produziert allerdings mit ihrer Geheimniskrämerei über die Einsätze des Kommando Spezialkräfte geradezu solche „Zustände“, wie sie die Welt am Sonntag beschreibt.

(Als jemand, der derzeit ebenfalls täglich mehrere Anrufe von Journalisten in Sachen KSK bekommt, kann ich dazu nur folgendes sagen: Unser Interesse ist die politische Bewertung und Kritik an der Existenz und den konkreten Aktionen der Elitekampftruppe KSK. Für einen Teil der Journalisten steht wohl die Sensation des Geheimen im Vordergrund. Diese Journalisten wollen vor allem Kontakt zu (auch ehemaligen) KSK-Soldaten oder deren Angehörigen. Zwar liegen hierzu auch bei uns einige Informationen vor, wir haben jedoch kein Interesse, diese weiterzugeben. Für alle Journalisten, insbesondere diejenigen, die auch über die politische Kritik am KSK berichten wollen, stehen wir weiterhin selbstverständlich für Informationen, Berichterstattung aber auch Hintergrundgespräche zur Verfügung.)

4. Informationspolitik der Bundesregierung oder wachen die schlafenden Parlamentarier auf?

Parteivertreter von CSU bis PDS haben sich über die Informationspolitik der Bundesregierung in Sachen Bundeswehreinsätze und Einsätze des Kommando Spezialkräfte beklagt. Es hieß, der KSK-Einsatz sei nicht vom erteilten Mandat des Bundestages gedeckt. Den aufwachenden (?) Parteivertretern sei noch einmal die Lektüre des Bundestagsbeschlusses vom 16.11.2001 empfohlen. Darin wurde u.a. der Einsatz „ca. 100 Spezialkräften“ freigegeben.

In unserer damaligen Analyse des Beschlusses (vgl. https://www.imi-online.de/2001.php3?id=258 ) haben wir darauf hingewiesen, daß der Bundestag der Bundesregierung für mindestens ein Jahr für den Einsatz von 3.900 konkret benannten Bundeswehr-Soldaten freie Hand gegeben hatte. Aktionen der Bundeswehr auf einem Drittel des Globus („Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art. 6 des Nordatlantikvertrags, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete“) in allen Optionen von sogenannter humanitärer Hilfe bis hin zum reinen Kampfeinsatz wurde zugestimmt.

Die ergänzende unverbindliche Protokollerklärung, die insbesondere zur Beruhigung von bündnisgrünen und linkssozialdemokratischen Gewissensbissen mit verabschiedet wurde, war schon damals politischer-militärischer Unsinn: Die Protokollerklärung umfasste einige Lügen: Die Aussage: „Dabei umfasst die Aufgabe der Spezialkräfte polizeilich-militärische Aufgaben wie z.B. Geißelbefreiung, Verhaftungen etc.“ ist für Kenner des KSK sichtlich falsch, da es keine militärischeren Einsätze als die des KSK gibt. Auch die Aussage, daß der Einsatz deutscher Soldaten unter deutschem Kommando stattfände, war eine kalkulierte Lüge: Sowohl die deutsche Marine am Horn von Afrika als auch das KSK kämpfen derzeit unter us-amerikanischem Kommando.

Leider haben viele Parlamentarier aufgrund der Koppelung mit der Vertrauensfrage nicht begriffen oder begreifen wollen, über welch umfassende „Kriegsermächtigung“ sie abgestimmt haben. Leider sind die KSK-Einsätze in Afghanistan vom Bundestagsmandat gedeckt. Voraussetzung ist allerdings, daß es tatsächlich 92 und nicht 200 sind, wie die Plaudertasche Helmut Wieczorek (Vorsitzender des Verteidigungsausschusses) behauptet.

Mit dem Einsatz des KSK ist seit dem 07.11.2001 zu rechnen gewesen. („Zumindest die KSK- und DSO-Truppen werden sich ziemlich sicher direkt am Krieg beteiligen“, heißt es in unserer damaligen Analyse.) Seit November beteiligen sich die KSK-Truppen zuerst durch Übungen in Oman und im Iran und dann kämpfend in Afghanistan am Terrorkrieg.

5. Illegale Aktionen des Kommando Spezialkräfte

Die US-Truppen agieren bei ihrem Terrorkrieg in Afghanistan ja so, daß sie nur „wenn notwendig“ Gefangene machen. Die Zahl der getöteten Zivilisten übersteigt nach Angaben von Marc Herold (Universitätsprofessor in New Hampshire) inzwischen sicher die 3.000er Grenze. Über die getöteten örtlichen Kämpfer werden wir wohl entweder nie oder sehr spät (vgl. Golfkrieg 2) etwas erfahren. Die Gefangenen die die US-Truppen doch machen, werden nicht – wie im Völkerrecht und Kriegsvolkerrecht festgeschrieben – als Kriegsgefangene behandelt, sondern als sogenannte „unrechtsmäßige Kämpfer“ festgehalten und zum Teil nach Guantanamo auf Kuba gebracht. Sollten die KSK-Truppen den ihnen zugeschriebenen Auftrag ernst nehmen (gegen El-Kaida- und Taliban-Kämpfer Krieg zu führen und diese „wenn nicht anders möglich“, gefangenen zu nehmen), handeln sie bei Übergabe von Gefangenen an die US-Truppen offen rechtswidrig. Wollten sie nach dem Kriegsvölkerrecht handeln, müßten die KSK-Soldaten ihre Einsätze sofort beenden. So bleibt abschließend nur festzustellen: die KSK-Soldaten führen Krieg in Afghanistan mit vollem Mandat des Bundestages und der Bundesregierung und mit einem illegalen, völkerrechtswidrigen Auftrag: Deutsche Militärpolitik 2002

* Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler, Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

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(Diesen Text gibt es auch zum Download unter: https://www.imi-online.de/download/ksk-afghanistan.pdf)