in: junge Welt vom 28.02.2002

Nicht zwangsläufig ins Kriegslager

Die junge Welt veranstaltete in Dresden eine Diskussion über die Haltung der Linken zum Krieg

von: Dokumentation / Junge Welt / Pressebericht | Veröffentlicht am: 1. März 2002

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* Zu einer Diskussion unter dem Titel „Ordnungsmacht Deutschland – Die Linke zwischen Krieg und Frieden“ hatte die junge Welt zum Auftakt ihrer Elbtour am Dienstag ins Dresdener „Haus der Begegnung“ eingeladen.

Auf dem Podium diskutierten Karl Heinz Gerstenberg, Landessprecher Sachsen von Bündnis90/Die Grünen, Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) Tübingen, Peter Porsch, stellvertretender Bundesvorsitzender der PDS, sowie der Philosoph und Friedensforscher Ernst Woit (Dresden). Die Moderation hatte junge Welt-Chefredakteur Arnold Schölzel. Rund einhundert Gäste verfolgten die Diskussion, die wir im folgenden auszugsweise wiedergeben.

Ernst Woit: Die meisten Menschen haben die Tragweite dessen, was gegenwärtig passiert, auch nicht annäherungsweise erfaßt. Da tauchen Begriffe auf, die irritieren, z. B. „Schutztruppe“, „Sicherungskräfte“, „Friedenstruppe“, es gibt immer wieder den Verweis, daß „man gegen den Terrorismus kämpfen muß“. In Wirklichkeit geht es um etwas anderes, um viel weiterreichende Ziele. Herr Joffe, Mitherausgeber der Zeit, hat sich z. B. zu der Aussage verstiegen, 1989 sei das Ende des „totalitären Zeitalters“ gewesen, das zweihundert Jahre zuvor mit der Französischen Revolution begonnen habe. Also zurück hinter 1789, würde das bedeuten. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Naumann, hatte schon davor den Kosovo-Krieg als „Geburtshelfer eines neuen Völkerrechts“ bezeichnet, das die Entwicklung des Völkerrechts seit dem Westfälischen Frieden von 1648 zu korrigieren hat. Da geht es also bis 1648 zurück. Und im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg wurde am 9. Oktober 2001 im Wallstreet Journal verkündet: „Die Antwort auf den Terrorismus: Kolonialismus“…

An dieser Planung wird schon länger gearbeitet. Wir brauchen im Friedensbemühen ein besseres Gedächtnis, und die Linke muß mehr tun, um dieses Gedächtnis nicht verkümmern zu lassen … Scharping hat vor kurzem erklärt: „In 25 Jahren ist das Gas in der Nordsee alle. Aber in den Regionen um Afghanistan und im Kaukasus ist alles vorhanden. Ob dort regionale Sicherheit entsteht, ist im Interesse aller, die in Zukunft aus der Region Energie beziehen wollen.“

Arnold Schölzel: Es herrscht Krieg und im Land ist Ruhe. Auch deswegen, weil die PDS so ruhig ist?

Peter Porsch: Ich glaube nicht, daß die PDS wirklich ruhig ist. Man könnte die Frage stellen, ob sie nicht laut genug ist, ob die Mittel, derer sie sich im Moment bedient, um gegen die Einsätze in Afghanistan und in Mazedonien zu protestieren, ob sie da nicht leiser ist als damals während des Jugoslawien-Krieges. Warum Deutschland als Ganzes so ruhig ist, dazu kann ich nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich stecken doch die meisten den Kopf in den Sand, weil die Gefahr noch weit weg zu sein scheint, weil es „die Völker weit hinten in der Türkei“ sind, die aufeinander schlagen. Da sollte man aber aufpassen und dafür sorgen, daß der Kopf bald aus dem Sand herauskommt. Wir sprechen immer von Globalisierung, von einer kleiner werdenden Welt. In ihr sind Gefahren immer unmittelbar, wenn es um Krieg geht.

Zweitens: Ich glaube, daß die Linke in den letzten Jahren ein Problem bekommen hat. Ich will das an mir selbst kurz abhandeln. Ich bin aus dem Bauch heraus absolut Pazifist und habe mich in meinem ganzen bisherigen Leben pazifistisch verhalten. Der Gewalt wohnt kein Problemlösungspotential inne. Mit Gewalt kann ich nicht Gewaltlosigkeit herstellen, mit Gewalt kann ich nicht überzeugen. Gewalt hat immer Demütigung zur Folge, niemals aber Veränderung, die begriffen und verinnerlicht ist. Auf der anderen Seite: Ich sitze hier auf der Veranstaltung einer Zeitung, deren Verlag „8. Mai“ heißt. Das ist ja ein Vermächtnis. Der 8. Mai wird zu Recht nicht nur als ein Tag begriffen, an dem sich nicht nur die vom Faschismus überfallenen Völker befreit haben, sondern er wird auch von linken Deutschen als Tag der Befreiung begriffen. Aber der 8. Mai ist natürlich verbunden mit Krieg, ist verbunden mit Gewalt, die befreiend wirkte. Hier fängt ratio an, die in Widerspruch zum Bauch gerät. Ich glaube, die Linke hat die Sache nicht ausdiskutiert …Was ist mit dem 8. Mai und was ist mit einer prinzipiellen Gewaltlosigkeit und Kriegsgegnerschaft? Stimmt das noch mit den gerechten und ungerechten Kriegen und was hat das jemals bedeutet? Da werden wir große Schwierigkeiten miteinander bekommen, obwohl ich denke, daß wir im Moment als Linke praktisch kein allzu großes Problem haben. Weil die Dinge viel zu vordergründig letztlich doch an den Interessen einer bestimmten Gruppe, die durch die USA repräsentiert wird, orientiert sind. Daß es in Afghanistan um Transportwege für Öl und Zugangsmöglichkeiten zu Öl geht, sieht ein Blinder mit dem Krückstock.

Arnold Schölzel: Hermann L. Gremliza wurde vor einigen Jahren zur Anti-NATO-Haltung der Grünen befragt. Er meinte: Vor den Grünen treten die USA aus der NATO aus. Heute sind die Grünen Kriegspartei, sitzen mit in einer Regierung, die Krieg führt, mit einem Spitzenkandidaten, der nicht nur hinter diesem Krieg steht, sondern ihn auch maßgeblich unter die Leute bringt.

Karl Heinz Gerstenberg: Ich halte nicht viel von solchen Bezeichnungen wie „Kriegspartei“ oder „Ordnungsmacht“. Das ist für mich politische Phraseologie. Das vermeidet das, was notwendig ist, nämlich Differenzierung und eine ganz genaue Betrachtung. Was den Austritt aus der NATO angeht: Jede Partei, die in Deutschland mitregiert – das betrifft auch die PDS -, würde nicht zum einem Austritt aus der NATO gelangen. Da hat auch das Umfeld von Deutschland einiges zu sagen. Wir haben in einem sehr schwierigen Prozeß zur Kenntnis nehmen müssen, daß es in unseren Nachbarstaaten als Sicherheit empfunden wird, wenn wir, Deutschland, in der NATO sind. Ich halte das für falsch, aber ich muß das zur Kenntnis nehmen.

„Ordnungsmacht“ halte ich auch für falsch. Ich halte es aber für richtig, daß Deutschland sich aus einer Sonderrolle verabschiedet, die immer überschrieben war mit „Wir haben eine besondere Vergangenheit und mischen uns nicht ein“. Ich halte es für richtig, daß Deutschland sich in der internationalen Politik einmischt. Wer in einer globalisierten Welt Politik betreibt, der kann nicht sagen, Menschenrechtsverletzungen in diesem oder jenem Land interessieren mich nicht. Ich mache mein kleines Deutschland schön, links und menschenrechtlich organisiert. Das Problem, das ich sehe, ist, daß Deutschland diese Einmischung in den letzten Monaten zuerst militärisch gesehen hat. Das ist der völlig falsche Weg…

Alles, was Professor Woit am Anfang gesagt hat, spielt eine Rolle – Erdöl, Erdgas, Transportwege. Aber das allein reicht doch nicht. Wir würden uns völlig die Augen zukleistern, wenn wir sagen, das ist es, das ist die alte Wahrheit, das sind die Ursachen dieses Krieges. Wir haben eine Entwicklung, die die Welt verändert hat: Auflösung von Staaten, Regionen ohne Regierung, eine Vielzahl von Konflikten und Kriegen. Wir haben keinen Weltkrieg, aber eine Welt voller Kriege. Sie werden z. T. nicht mehr von Staaten geführt, sondern beruhen auf einer privatisierten Gewalt, wurden z.T. kommerzialisiert. Damit muß Politik neu umgehen. Nicht, indem sie mit Krieg reagiert. Ich bin als Pazifist in die Politik gegangen und mußte mühselig in den letzten zehn Jahren lernen, daß Pazifismus in der Politik nicht verantwortlich umsetzbar ist. Ich kann nur versuchen, pazifistische Grundgedanken in der Politik am stärksten zur Geltung zu bringen. Wenn ich versuche, eine pazifistische Haltung eins zu eins in Politik umzusetzen, bin ich zur Handlungsunfähigkeit verurteilt. Worauf es ankommt ist: Ein eventueller Einsatz von Gewalt muß an allerletzter Stelle stehen, wenn er überhaupt erwogen werden kann. Konkret: Wenn es einen Terroranschlag gibt, dann muß ich mich um die Ursachen kümmern, um den sozialen Nährboden. Darum muß sich verantwortliche Politik zuerst kümmern. Es muß aber auch das internationale Recht neu geordnet werden…Die Maßnahmen gegen einen solchen Terroranschlag können sehr verschieden sein. Das kann eine Zusammenarbeit der Polizei sein, das kann auch ein quasi militärischer Einsatz sein. Ich habe da Nachbarschaft in der PDS. Leute wie Gregor Gysi, Petra Pau und Roland Claus haben den gleichen Berliner Aufruf unterzeichnet wie ich, wo auch das als allerletzte Möglichkeit offengehalten wird. In meiner Partei habe ich den Kriegseinsatz abgelehnt…

Ruhig ist es, weil die Menschen nach dem 11. September tief erschüttert waren. Die Bedrohung Terrorismus ist real. Und es ist so ruhig, weil die Friedensbewegung so zersplittert ist. Auf der Homepage der IMI habe ich gelesen: Wer für diese Regierung ist, der ist für den Krieg. Das ist billig, es ist der Denkansatz von George Bush: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Das ist ein Ansatz, den ich für völlig verfehlt halte. Auch wegen dieser Spaltung ist es so ruhig. Eine Aufgabe sollte es auch heute abend sein, gemeinsame Ansatzpunkte zu finden.

Tobias Pflüger: Es sind einige Mythen im Raum, z. B. es gäbe so etwas wie „polizeiliches Militär“. Das Kommando Spezialkräfte ist zutiefst militärisch, nämlich für reine Kampfaktionen ausgebildet. Die Erklärung, die zusammen mit der „Ermächtigung“ zum Kriegseinsatz – die heißt tatsächlich so dem Text nach – am 16. November verabschiedet wurde, dient zur Ruhigstellung der Grünen und Teilen der SPD.

Ein weiterer Mythos ist, daß der Krieg in Afghanistan zu Ende sei. Nach wie vor bombardieren die USA und Großbritannien, kämpfen Elitetruppen der USA. Der Krieg ist in seiner dreckigsten Phase.

Jetzt liegt eine Kriegsdrohung gegen den Irak auf dem Tisch. Bruder Scharping, der uns schon so manches Mal belogen hat, erklärt jetzt: Konkrete Kriegspläne gibt es nicht. Wer sich die Mühe macht, die US-Think-Tanks anzusehen, der weiß, daß dort konkret die Einsatzpläne diskutiert werden.

Ich begrüße es sehr, daß die PDS im Punkt Anti-Kriegshaltung gegenwärtig „nicht koalitionsfähig“ ist und im Bundestag eine klare Antikriegspolitik fährt, die ich mir manchmal entschiedener wünschen würde…

Joschka Fischer hat am 11. Oktober eine Rede gehalten, aus der das Zitat mit der „Ordnungsmacht“ stammt. Das ist seine Formulierung, diese „Phraseologie“. Ich hätte das gar nicht so hart bezeichnet, aber wenn das innerhalb der Grünen jetzt so ist, finde ich das nett. Er sagt dort, Deutschland müßte als Ordnungsmacht auftreten. Zugleich sagt er: „Anders als im Kalten Krieg bedeutet Friedenspolitik im 21. Jahrhundert internationale Ordnungspolitik. Das Militärische steht jetzt stark im Vordergrund.“… Wenn Rot-Grün diese Kriegspolitik vorantreibt, dann muß dagegen eine umfassende Oppositionspolitik geführt werden. Im Wahlkampf muß das Thema Krieg-Frieden eine herausragende Rolle spielen. Drei Kriege in drei Jahren unter Rot-Grün sind drei Kriege zuviel. Dagegen muß Opposition organisiert werden, und alle Koalitionsüberlegungen müssen außen vor bleiben. Ein Drittel der Bundesbürger votiert stets gegen Krieg. Genau dieses Drittel gilt es zu mobilisieren. Da ist es so: Die PDS hat sechs bis acht Prozent. Ich hoffe und erwarte von der PDS, daß sie dieses Potential ausschöpft, indem sie dieses Thema in den Mittelpunkt stellt: Was Rot-Grün macht, ist Kriegspolitik, und diese Politik wollen wir nicht. Gegen diese Kriegspolitik müssen wir gemeinsam kämpfen… Wir müssen für eine andere Stimmung in der Gesellschaft sorgen.

Peter Porsch: Ich bin sehr froh über jede Warnung, auch wenn sie manchmal bedrohlich für die PDS ist, die besagt: Wenn ihr euch auf das parlamentarische Spiel einlaßt, dann bitte immer als Partei, die in Opposition zum Krieg steht. Das ist doch nicht zwangsläufig so, daß, wenn ich eine Stärke erreiche, die mich nicht nur koalitionsfähig macht, sondern wo ich möglicherweise von anderen gefragt sein muß, wenn sie weiter Politik gestalten wollen, dann muß ich doch nicht zwangsläufig ins Kriegslager übertreten. Es wäre doch hervorragend, wenn Politik in Deutschland für soziale Gerechtigkeit, für mehr Demokratie, für Bildungsreformen, für Gleichstellung – wenn die nur mit der PDS möglich wäre und die Voraussetzung aber wäre, keinen Krieg zu führen. Das muß die PDS deutlich machen und durchsetzen: Wer mit uns Politik in Deutschland gestalten will, der muß sich vom Krieg verabschieden. Wenn er das nicht tut, stehen wir zur Gestaltung nicht zur Verfügung. Die Zwangsläufigkeit, daß man mit dem Eintritt in eine Koalition zur Kriegspartei werden muß, halte ich nicht für plausibel, sondern das findet dann nicht statt, wenn es denn zwangsläufig wäre. Und ich glaube, dabei wird die PDS bleiben. Also ich werde jedenfalls alles machen.

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Original: http://www.jungewelt.de/2002/02-28/008.php