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Krieg ohne Ende? Perspektiven für den nahen Osten?

von Claudia Haydt (IMI)

von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 21. Februar 2002

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„Wie sollen wir in einer Armee unseren Dienst leisten, die Häuser zerstört, den Kranken keine medizinische Versorgung zugesteht, die danach strebt, eine ganze Bevölkerung zu demütigen und sie in Hunger und Armut zwingt?“ Yishai Rosen-Zvi (orthodoxer Sergeant einer Panzereinheit und Mitunterzeichner des Appells von Reserve-Offizieren gegen den Dienst in den besetzten Gebieten)

Krieg ohne Ende? Perspektiven für den nahen Osten?

In den letzten Wochen und Monaten war nur wenig Ermutigendes aus Israel und den besetzten Gebieten zu hören: Ultimaten für Waffenruhen, Attentate und „Vergeltung“ – ein immer schneller eskalierender Zirkel von Gewalt und Gegengewalt, der ungewollt und planlos immer weiter von möglichen Lösungen wegführt? Es scheint so, doch genau an der Planlosigkeit der Eskalation haben immer mehr Analytiker/innen auch und gerade aus der kritischen israelischen Öffentlichkeit ihre Zweifel geäußert.

Kein Partner für Verhandlungen?

Es deutet alles daraufhin, dass Scharon und seine Regierung zusammen mit der israelischen Militärspitze systematisch daran arbeiten, die palästinensische Autonomiebehörde zu destabilisieren und handlungsunfähig zu machen, in dem z.B. erklärt wird, Arafat wäre kein Verhandlungspartner mehr, massenhaft Polizeiquartiere zerstört werden, in der Regel kurz vor Ablauf von Waffenstillstandsultimaten führende Repräsentanten palästinensischer Gruppierungen als „Terroristen“ liquidiert werden (außergerichtliche Liquidierungen sind ein Kriegsverbrechen nach der Haager Konvention) – die „Vergeltungsschläge“ lassen dann selten lange auf sich warten. Selbst moderate Politiker sowie Vertreter von Menschenrechts- und pazifistischen Organisationen werden ermordet (z.B. Dr. Thabed Thabed, Fatah-Funktionär und entschiedener Befürworter des Friedensprozesses), entkommen nur knapp Attentaten (z.B. der gemäßigte Tansim-Chef Marwan Barghouti), werden verhaftet (z.B. Dr. Mustapha Barghouti; Pazifist und Funktionär der Physicians for Human Rights), angeschossen (z.B. Naseef Mu’alam/Palestinian Center for Peace and Democracy), verprügelt oder auf andere Weise mit Repressalien überzogen. Neben den zwischenzeitlich über tausend Menschen auf palästinensischer und ca. 250 auf israelischer Seite fielen dem Krieg zum Opfer: tausende Häuser, Bäume, Kläranlagen, Quellen, Straßen, Häfen, Flughäfen, Rundfunksender, Schulen, Moscheen, Kirchen usw.

Große Teile der zerstörten palästinensische Infrastruktur waren erst vor kurzem mit Entwicklungshilfegeldern aufgebaut worden um der Region Zukunftsperspektiven zu eröffnen.

In ihrer entschlossenen Rücksichtslosigkeit wurden die israelische Regierung und die Armee seit dem 11. September von Seiten der US-Regierung immer wieder bestärkt. Der scheinbar so einfache „Sieg“ der USA in Afghanistan hat diejenigen bestätigt, die an militärische Lösungen von Konflikten glauben:

a) mit dem Argument „Kampf gegen den Terrorismus“ lässt sich jeder Verstoß gegen internationales Recht entschuldigen,
b) mit den richtigen Waffen (rücksichtslos eingesetzt) lässt sich jedes Land besiegen und
c) jede passende neue Regierung einsetzen.

Doch diese scheinbar so einfachen Kriege funktionieren nur auf Kosten der Menschen und der Menschlichkeit. In Israel haben deswegen Hunderte von Reserveoffizieren damit begonnen den Dienst in den besetzten Gebieten zu verweigern, „jenseits der Grenzen von 1967 zu kämpfen um ein ganz Volk zu beherrschen, zu vertreiben, auszuhungern und zu demütigen“(www.seruv.org.il/). Die israelische Öffentlichkeit scheint nicht mehr tatenlos den Machenschaften ihrer Regierenden zuzusehen, so gibt es z.B. ernsthafte Bemühungen eine Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen Sharons Politik in den besetzten Gebieten zu lancieren.

Auf der „Achse des Bösen“ in die Sackgasse?

Wie wichtig eine kritische (Welt-)Öffentlichkeit ist, zeigt auch der Fall des angeblichen Waffenschmuggels auf der Karine-A: Wenn eine Schiff mit Tonnen von Waffen für die PLO an der israelischen Küste landet, dann ist dies ein erschreckender, weil eskalationsträchtiger Fakt. Wenn allerdings die Karine-A mehr als 500 km (!) vom Golf von Eilat im Roten Meer „aufgebracht“ wurde, dann ist das a) ein Akt der Piraterie, und stimmt es b) nachdenklich warum auf Höhe des Sudan Waffen für Palästina „sichergestellt“ wurden (dafür hätte der Mossad das Schiff ja auch noch einige 100 km weiter fahren lassen können) und man fragt sich c) warum der Iran auf einmal die PLO zu ihrem Verbündeten erklärt haben sollte, wo der Iran seit Jahrzehnten höchstens mit deren Rivalen Hisbollah zusammenarbeitet. Nicht nur Uri Avnery (www.gush-shalom.org, 9.2.02) wird dabei den Verdacht nicht los, dass hier zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden sollten: Beweise für die Zugehörigkeit des Irans zur „Achse des Bösen“ zu liefern und klar zu machen, dass Arafat nichts anderes sei als ein Terrorist und damit keine Verhandlungen mit ihm möglich seien. Anfang Februar haben Vertreter der EU, als Konsequenz auf die Angriffe gegen Arafat, vorgeschlagen, man möge doch die palästinensische Bevölkerung neu wählen lassen – entrüstete Ablehnung der Regierungen der USA und Israels waren die Reaktion darauf.

Alles deutet darauf hin, dass die einzige „Lösung“, die so erreicht werden kann, ein endloser Zermürbungskrieg sein wird, der – wenn er nicht auch auf die Nachbarstaaten übergreift – „zumindest“ zum Tod oder zur Vertreibung unzähliger PalästinenserInnen, zum Tod vieler Israelis (SoldatInnen und ZivilistInnen), und schlussendlich bestenfalls zur Errichtung mehrer „Homelands“ für die übrigen PalästinenserInnen führen wird.

Dieses „Homelandszenario“ ist der Weltöffentlichkeit umso besser zu erklären, umso mehr die PalästinenserInnen als fanatische und unberechenbare Terroristen vorgeführt werden können. Doch Sicherheit wird es auch so nicht geben. Die Vorbereitungen für diese „Bantustans“ sind bereits angelaufen, wenn man die geplante Mauer um Großjerusalem zusammen mit den jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten und die zugehörigen Straßenverbindungen durch frisch zerstörtes landwirtschaftliches Gebiet betrachtet, dann wird klar, dass das was noch übrig bleibt kein lebensfähiges Staatsgebiet mit erträglichen Lebensbedingungen sein wird. Mit dem Ergebnis, dass der Nährboden für immer neuen Terrorismus auf Dauer weiterbesteht.

Demokratie oder Apartheid?

Israel wurde gegründet um ein demokratischer und jüdischer Staat zu sein. Dazu dass dies notwendig wurde, haben Deutschland und Österreich sicher den entscheidenden Teil beigetragen. Heute leben in Israel 1 Million und in den besetzten Gebieten gut 3 Millionen Menschen palästinensischer/arabischer Herkunft und in Israel leben 5 Millionen Menschen jüdischer Herkunft. Wenn sich die Bevölkerung so weiter entwickelt wie bisher (typisch für ärmere Bevölkerungsgruppen überall auf der Welt haben palästinensische Familien durchschnittlich mehr Kinder als ihre jüdischen Nachbarn) wird im Jahr 2010 die arabische und die jüdische Bevölkerung etwa gleich groß sein. Dann steht Israel (wenn es seine Politik nicht grundsätzlich ändert), schlicht vor der Wahl entweder kein jüdischer Staat mehr zu sein, dauerhaft den schon heute vorhanden Zustand der Zwei- oder Drei-Klassen-Demokratie fortzusetzen oder die oben skizzierte „Bantustan-Lösung“ umzusetzen. Da aufgrund der historischen Erfahrungen von Judenverfolgung und Holocaust vielen Juden überall auf der Welt die Existenz eines „jüdischen Heimatlandes“ wichtig ist, ist die einzige Lösung, die Demokratie und Menschenrechte ernst nimmt, die Schaffung zweier Staaten – Israel (in den Grenzen vor 1967) und Palästina – mit der geteilten und gemeinsamen Hauptstadt Jerusalem.

Am 9. Februar demonstrierten in Tel Aviv mehr als 10.000 Menschen (Juden und Araber) gegen die israelische Regierungspolitik, sie machten das u.a. deutlich durch den Vortrag eines alten zionistischen Liedes in hebräisch und arabisch, das die Gefühlslage beider Gruppen traf und zeigte wie dringlich eine Lösung ist, die beiden Seiten eine Zukunft bietet:

„Ich habe kein anderes Land in das ich gehen könnte. Und selbst wenn das Land unter meinen Füßen brennt, dies ist meine Heimat.“

Claudia Haydt / Informationsstelle Militarisierung / Tübingen