in: Telepolis, das Magazin für Netzkultur (http://www.heise.de/telepolis)
Es begann mit einer Lüge
Journalisten und Friedensbewegung trafen sich zum Medienkongress in Münster - von Dirk Eckert 05.02.2002
von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 9. Februar 2002
Quelle: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/11759/1.html
„Vom Fernsehbild zum Feindbild?“, fragte die Bertha-von-Suttner-Stiftung am letzten Samstag in Münster. Es ging um die Rolle der Medien in Kriegszeiten: Lassen sich Medien von Politik und Militär instrumentalisieren, was kann kritischer Journalismus leisten? Bestandsaufnahme wie Debatte über Rolle und Möglichkeiten der Medien schien der Stiftung der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen ( DFG-VK) überfällig. Fälle wie der Hufeisenplan während des Kosovo-Krieges waren den rund 120 TeilnehmerInnen des Kongresses, größtenteils der Friedensbewegung zuzurechnen, noch deutlich vor Augen.
Der Publizist Roger Willemsen eröffnete den Kongress mit einer zornigen Rede. „Keine Diktatur hätte diesen Krieg reibungsloser durchführen können“, kritische Stimmen hätten aus dem Ausland importiert werden müssen, beschrieb er die gesellschaftliche Wirklichkeit in der Bundesrepublik nach dem 11. September. Überrascht zeigte er sich von „dem Infantilen und der Simplizität“ in den Kriegsrechtfertigungen. Eine Kriegssituation hätte er sich wesentlich „diffiziler“ vorgestellt, mit mehr „großer Rhetorik“, kommentierte er bitter.
Willemsen war die Wut anzumerken. Beim Publikum traf er damit die Stimmung. Hier redete einer, der sich nach dem 11. September in einer Gesellschaft wiederfand, die in ihrer Mehrheit George W. Bush für einen großen Staatsmann hält, in der jegliche Kritik an amerikanischer Außenpolitik als „antiamerikanisch“ diffamiert wird. Willemsen bestand dagegen darauf, amerikanische Politik kritisieren zu dürfen. „Es darf keine Zweiklassengesellschaft der Toten geben“, warnte er. Da gab’s großen Beifall.
Der Medienwissenschaftlerin Elvira Claßen ( Medienrealität im Kosovo-Krieg), spontan für den erkrankten Andreas Zumach (taz) eingesprungen, blieb es nach dieser furiosen Abrechnung mit Springer-Spiegel-Schröder überlassen, auf strukturelle Mängel in der deutschen Medienlandschaft aufmerksam zu machen. So gebe es keine unabhängige Institution, die die Medien beobachte, bemängelte sie und empfahl den Blick nach Amerika und auf Organisationen wie FAIR , die eben dies machen.
Doch was können solche Organisationen bewirken? Im Ernstfall nichts, siehe Amerika. Auch Willemsen hatte seine Zweifel. Der Presserat , die einzige vorhandene Institution in Deutschland, die sich um die Qualität der Medien kümmere, habe keine Macht, seine Rügen würden ignoriert: „Was ist eine Rüge des Presserates gegen einen Krieg?“ Und journalistische Selbstkritik, wie sie betrieben werde, komme erstens immer nur hinterher und bleibe zweitens folgenlos, lautete seine Beobachtung.
Mit Matthias Werth (Monitor) und Volker Steinhoff (Panorama) saßen zwei Praktiker auf dem Abschlusspodium. Werth konnte mit Beispielen aus seiner journalistischen Arbeit zeigen, dass auch in den Massenmedien kritischer Journalismus möglich und gewünscht ist. Anhand der Brutkastenlüge aus dem Golfkrieg und dem Hufeisenplan im Kosovo-Krieg demonstrierte er, wie Politiker im Krieg zur Mitteln der Manipulation greifen. Seine Arbeitsbedingungen besonders bei dem Film Es begann mit einer Lüge seien dabei sehr gut gewesen. Auch und gerade nach der massiven Kritik habe der WDR zu ihm gehalten. Allerdings wusste auch Werth – und das nannte er die „Merkregel“ für kritischen Journalismus: „Wer kritisch berichtet, darf sich keine Fehler erlauben.“
Werth konnte dabei auf eigene Erfahrungen verweisen, etwa als er vor Gericht gezerrt wurde, nachdem er die vermeintliche Zeugenaussage, wonach irakische Soldaten in Kuwait Babys aus Brustkästen gerissen hätten, als gelogen entlarvt hatte. Geklagt hatte übrigens die PR-Agentur, die die Geschichte inszeniert hatte, Werth wurde aber freigesprochen. Nach dem Golfkrieg hatte Werth gehofft, dass die Medien nicht mehr auf so etwas hereinfallen. „Idealistisch“ nennt er das heute. Im Kosovo sei er dann eines Besseren belehrt worden.
Was also ist zu tun? Steinhoff riet Medien wie Friedensbewegung, Fehler zu vermeiden und differenziert zu berichten bzw. zu argumentieren. Wer das nicht tue, mache sich unglaubwürdig. Im friedensbewegten Publikum mehrten sich die Stimmen, sich nicht nur auf die Medien zu verlassen, sondern selber aktiv zu werden. Das Stichwort „Internet“ machte die Runde, einige warben für Antikriegskampagnen vor dem Münsteraner Rathaus. Verzichten wollte jedoch niemand auf Filme wie „Es begann mit einer Lüge“, und so gaben viele der Anwesenden Panorama und Monitor ein „Weiter so!“ mit auf den Weg.