In: Radio Z (http://www.radio-z.net/themen/natokonferenz/text/kommentar_0202.html)

Die faulen Tricks der Bayern – ein Kommentar

von Michael Liebler (Radio Z)

von: Dokumentation / Michael Liebler | Veröffentlicht am: 3. Februar 2002

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Die faulen Tricks der Bayern – ein Kommentar

Wie man den Protest 1.000er kriminalisiert, das hat das Bayerische Inneministerium im Herbst vorgemacht, als in Nürnberg gegen den italienischen Regierungschef Berlusconi demonstriert werden sollte. Der Protest blieb dennoch erlaubt, vielleicht wegen der traditionellen Konkurrenz der beiden bayerischen Großstädte und ihrer Behördenvertreter. Damals verkündete der Innenminister als Faktum, es gebe „Waffenlager“ der Demonstranten. Eine vage Vermutung, wie sich hinterher herausstellte, zusätzlich gehörig aufgeblasen. Selbst der Nürnberger Polizeichef fand es übertrieben, wegen einigen möglicherweise bereitgelegten Stöcken das Recht auf Protest zu verweigern.

Nun hat man in Landeshauptstadt das Experiment erfolgreicher wiederholt, ein Schreckensszenario der Gewalt an die Wand zu malen. Die Münchener Beamten erwiesen sich allerdings – je nach Gustus – williger oder leichtgläubiger als ihre KollegInnen der Frankenmetropole: Da wird in ihrer Phantasie schon das Wort „Genua“ auf einem Flugblatt zu einem „Aufruf zur Gewalt“ – die wütenden Kommentare unbekannter Internet-User taugen dazu, die grenzenlose Vorstellungskraft derer zu beflügeln, die die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit beschließen sollen; „Erkenntnisse“, die einen recht zweifelhaften Wert haben sollten.

Es würde sich auch für die bürgerliche Berichterstattung lohnen, sehr genau hinzusehen, mit welchen Mitteln solche Beweisführung betrieben wird, welche Methoden benutzt werden, um den VeranstalterInnen die letzte Möglichkeit zu nehmen, ihre Demonstrationen legal durchzuführen:

Juristische Tricks?

Dass die Polizeibehörden in der Woche zuvor einmal im Brustton der Überzeugung ein immenses Gewaltpotential als Tatsache behauptete, ein andermal das Gespräch mit den AnmelderInnen mit der Begründung platzen ließ, der Erkenntnisstand sei nicht ausreichend, führte dazu, dass am Ende den Anmeldern nur ein Zeitraum von 48 Stunden blieb, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Kein Zeichen für die Unsicherheit der Behörden, sondern pure Absicht, vermuten die Betroffenen. Das letzte Mittel, der Weg vor das Verfassungsgericht, blieb der Rechtsanwältin Angelika Lex versperrt, da sie die Verbotsbegründung der zweiten Instanz viel zu spät erhielt: In zwei Stunden hätte sie einen Schriftsatz für die höchste und anspruchvollste Gerichtsinstanz der BRD erstellen müssen.

Wer sind die Gewalttäter?

Die Erkenntnisse, die das Polizeipräsidium nach dieser Phase nützlicher Unsicherheit vorlegen konnten: ca. 3.000 gewaltbereite Personen werden in München erwartet. Eher als vage Vermutung muss das selbst das Kreisverwaltungsreferat in München gehandelt haben, forderte es doch eine „Nachbesserung“ der polizeilichen Erkenntnisse. Diese reagierte mit einer „Quellenangabe“ (der bayerische Verfassungsschutz und der des Bundes) und der Konkretisierung: 2.500 bis 3.000 anreisende Autonome sei nur eine „vorsichtige Einschätzung“. Eines wird daran offenbar: Autonome und Gewaltbereitschaft sind für die Verfassungsschützer Synonyme – die Konsequenzen: Jede Demonstration zu der sich Autonome ankündigen, ist potentiell zu verbieten. Allen GegnerInnen der Linken ist zu raten: Um eine geplante Protestaktion zu sabotieren, setze man eine Seite ins Internet mit dem Titel: „Schafft eins, zwei, drei, viele Genuas“ und kommentiere dann eigenhändig: „Lasst uns dorthin fahren und alles zu Klump schlagen! Grüsse, Autonomer Dachverband BRD….“

Der Notstand

Die Situation gibt die Möglichkeit, ein Verbot zu erlassen und einen unechten Polizeinotstand auszurufen – unecht ist dieser im Doppelsinn: Das Beamtendeutsch bedeutet, insgesamt zwar genügend Polizisten zu haben, durch deren Abzug aber andernorts eine „Sicherheitslücke“ entstünde. Nicht ganz echt ist dieser Notstand aber auch, da er unglaubwürdig spontan wenige Tage vor der Sicherheitskonferenz entstand.

All dies sind durchsichtige Manöver, die doch ganz offensichtlich nur zu einem dienen: Der Polizei gegen einen Protest freie Hand zu lassen, von dem sie weiß, dass sie ihn ohnehin nicht verhindern kann – ausser man unterstelle maßlose Naivität. So hieß es Knüppel frei gegen DemonstrantInnen, von denen kein Hauch von Gewalt ausging. So wurde Pfefferspray eingesetzt gegen Leute, die nichts anderes getan hatten, als sich zu versammeln. So wurden dem „Bündnis gegen die Sicherheitskonferenz“ das Maul gestopft, indem man ihnen zwei Pressesprecher von der Straße weg verhaftete – der eine weil er ein Autonomer ist, der andere, weil er Pressekonferenzen unter freiem Himmel abhielt.

All dies ist – wie gesagt – zum Nachdenken für unsere Kollegen bei den „Bürgerlichen“. Denn selbst ein Kommentator des Bayernkurier sollte doch zu dem Schluss kommen: Das Innenministerium, die Polizeibehörden, Oberbürgermeister und Beamte der Stadt München haben leichtfertig das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit außer Kraft gesetzt.

Keiner hat den Zustand einer Demokratie nach bayerischer Facon so deutlich zugespitzt wie ein Einsatzleiter am Freitag abend gegenüber Radio Z: „Wenn es zu öffentlichen Meinungsäußerungen kommt, werden wir den Platz räumen.“

Doch ist dies nur ein bayerischer Zustand, oder nicht vielmehr ein europäischer? Von Göteborg bis München hat es sich zur Tradition entwickelt, das Schengener Abkommen außer Kraft zu setzen, Menschen an den Grenzen zurückzuweisen, ihnen das Recht zur Demonstration zu nehmen und der Polizei alle Rechte zur Gewaltanwendung zuzugestehen.

Völlig außer Betrieb ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit freilich nicht: Völlig ungeniert unterhielten sich 200 Herren im Bayerischen Hof über ihre Themen: Den nächste Krieg, den die USA gegen Irak führen wollen, den Ausbau der europäischen Eingreiftruppe und mehr Geld für die Bundeswehr.

Claus Schreer, der Demonstrationsanmelder und zweite Pressesprecher der NATO-GegnerInnen, der von der Polizei in Haft genommen wurde, ist einschlägig als Linksextremist bekannt. Einer seiner radikalen Sprüche: „Die einzigen Gewalttäter in München treffen sich im Bayerischen Hof.“ Wie wahr.

Michael Liebler