Dokumentation: „Was nun, Herr Fischer?“

von: 18. September 2001

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Tonbandabschrift der ZDF-Sendung vom Montag, 18.09.2001, 19.21 Uhr

Klaus Bresser und Thomas Bellut im Gespräch mit Bundesaußenminister Joschka Fischer

Hinweis: Beim nachfolgenden Text handelt es sich um eine private Tonbandabschrift der o.g. Sendung. Die Fragen und Einwürfe der beiden Redakteure sind mit „Red.“ bezeichnet, weil sich deren Stimmen zum Teil nicht eindeutig unterscheiden ließen. Einige wenige Worte waren wegen undeutlicher Aussprache oder Durcheinanderredens nicht verständlich und sind durch „(xxx)“ gekennzeichnet. Der Text wurde weder gekürzt noch redaktionell bearbeitet, gibt also weitestgehend den O-Ton wieder. In Zweifelsfragen – z.B: aufgrund der nach Gehör gesetzten Interpunktion – ist der Mittschnitt zu konsultieren.
Aufzeichnung und Abschrift: K. Fischer, Hiroshima-Arbeitskreis im Kölner Friedensforum

Text der Sendung:

Red.: Was nun, Herr Fischer? Fast eine Woche danach, und gerade hat George Bush gesagt, er wolle Osama bin Laden tot oder lebendig. Das sind harte Worte. Rücken wir also doch immer mehr an eine militärische Auseinandersetzung heran?

Fischer: Die Informationen verdichten sich in diese Richtung. Das hat der amerikanische Präsident unterstrichen, und wir haben ja immer wieder die Bilder gesehen. Es war ein furchtbarer Angriff. Zivile Flugzeuge wurden zu Lenkwaffen, zu tödlichen Lenkwaffen eingesetzt. Tausende von Menschen haben ihr Leben verloren. Ob das Weiße Haus, daß es heute noch steht, nur Glück war oder gar im Unglück dem mutigen Handeln von Passagieren, die das Flugzeug zum Absturz gebracht haben, das werden wir vielleicht definitiv nie erfahren. Das alles zeigt natürlich die Realität. Der amerikanische Präsident hat daraus die Konsequenz gezogen und klargemacht, wie er meint, in welche Richtung die USA gehen werden. Darauf haben wir uns einzustellen.

Red.: Ist der militärische Gegenschlag unausweichlich? Es gab eine pakistanische Delegation, die heute versucht hat, den Frieden noch mal zu retten. Setzen Sie darauf nicht mehr?

Fischer: Man sollte alles versuchen, selbstverständlich, gerade angesichts der Bedrohung, mit der wir es zu tun haben. Wenn dieses gelingt, wäre es sehr, sehr gut, aber der Realismus gebietet es, davon auszugehen, daß diejenigen, die dieses furchtbare Verbrechen geplant haben – und langfristig geplant haben und ins Werk gesetzt haben -, daß diejenigen versuchen werden weiterzumachen, daß die Botschaft auch klar ist: Wir können selbst die stärkste Macht der Welt angreifen. Und wenn dieses ungestraft geschieht, dann, fürchte ich, werden wir keine Weltordnung mehr haben, sondern dann werden wir es mit einem dramatischen Risiko, mit einem dramatischen Sicherheitsrisiko zu tun bekommen, das auch uns nicht unberührt läßt.

Red.: Wie schwierig die Lage ist, sieht man ja daran, daß Pakistan vermitteln muß. Gerade Pakistan, ein islamisches Land, das oft auch eine andere Rolle gespielt hat. Kann sich jetzt der Westen wirklich auf Pakistan verlassen?

Fischer: Das ist nicht eine Frage des Verlassens, sondern selbstverständlich müssen wir auch die Frage der Stabilität Pakistans im Auge behalten. Aber es ist nicht hinnehmbar, daß Zonen von Unsicherheit existieren, in denen ein Terrorismus sich über die Jahre hinweg entwickeln kann, …

Red.: Das muß also gelöst werden, auch wenn es schwierig ist …

Fischer: … der sich gegen die Zentren der westlichen Zivilisation richtet, wobei wir nicht in einen Krieg der Zivilisationen uns reintreiben lassen dürfen. Das wäre ja das Falscheste, was wir machen könnten. Und wir müssen darauf acht geben, daß es nicht zu einer Destabilisierung, etwa Pakistans, führt, so daß die Probleme noch zunehmen.

Red.: Aber …

Fischer: Aber das sind die Abwägungen, die jetzt gegenwärtig zu treffen sind.

Red.: Der Präsident Bush spricht vom ersten Krieg im 21. Jahrhundert, von einem Feldzug. Aber die Frage, die bleibt doch: gegen wen? Nicht Staaten wie Afghanistan sind die Gegner, sondern es sind kleine Terrorgruppen im Untergrund, die sich lange Zeit friedlich verhalten, überall auf der Welt. Kann man mit militärischen Mitteln, also mit Bomben, mit Raketen, mit Panzern, gegen die vorgehen?

Fischer: Militärische Mittel beschränken sich ja nicht nur auf die, die Sie genannt haben. Im übrigen, Ihrer Analyse würde ich nicht ganz folgen. Die Frage des Zusammenhangs zwischen terroristischen Gruppen und staatlicher Unterstützung ist etwas, das ich nicht in dieser abschließenden Form so beantworten würde, wie Sie das getan haben. Ohne jeden Zweifel …

Red.: Die Terroristen sind – soweit wir wissen, oder jedenfalls die Hijacker – nicht in Afghanistan ausgebildet. Sie kommen aus anderen arabischen Ländern, haben möglicherweise mit Bin Laden gar nicht direkt zu tun …

Fischer: Ja, aber wenn Sie sich die Sicherheitsratsresolution, die verfaßt wurde genau aus diesem Anlaß, anschauen, und beschlossen wurde – einstimmig – vom Sicherheitsrat …: Da zielt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gerade auch auf diejenigen, die ihnen Unterstützung und die ihnen auch die territorialen Möglichkeiten bieten. Denn das ist die Voraussetzung dafür, daß etwa Schläfer oder andere dann die Rolle spielen können, wie wir sie ja auf furchtbare Art und Weise bei dem Massaker in New York City erlebt haben. Für mich ist der entscheidende Punkt, daß selbstverständlich militärische Maßnahmen, militärische Mittel allein nicht ausreichen, sondern es müssen auch …, die Politik muß versuchen, die Konflikte, die dem zugrunde liegen, zu lösen oder, wo sie nicht lösbar sind, soweit zu isolieren und einzudämmen, daß es nicht zu einem Sicherheitsvakuum kommt, mit dann fatalen Folgen. Es ist ja nicht so, daß sich die Entwicklung in Afghanistan über nacht hergestellt hat, sondern das ist eine Entwicklung, die schon länger andauert.

Red.: Gucken wir noch mal auf Afghanistan. Sie sagen, es ist eben nicht nur Afghanistan, es könnte auch noch eine Macht dahinterstehen, die diese Aktionen gesteuert hat. Das ist noch offen.

Fischer: Na, Sie bringen jetzt die Thesen Ihres Kollegen durcheinander. Er sagte, es wären nur kleine Gruppen, während ich sagte, in der abschließenden Form, wie er das formuliert hat, …

Red.: Ich beleuchte es ja nur …

Fischer: … will ich das nicht nachvollziehen.)

Red.: Also, Sie schließen sich dem so an, wie ich es formuliert hab: Das ist noch nicht klar! Sagen wir es ganz eindeutig: Auch Sie, der Außenminister, kann noch nicht sagen, was genau da organisiert worden ist, von wem.

Fischer: Also, das, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß sich alle Hinweise in diese bestimmte Richtung verdichten.

Red.: Das heißt, also man wird auch Staaten in die Verantwortung ziehen, und sehen Sie da nur Afghanistan oder auch den Irak, zum Beispiel?

Fischer: Herr Bresser, wir sollten das Spekulieren in diesem Punkt wirklich lassen. Ich bin nicht in der Lage, hier jetzt meinen Erkenntnisstand vor Ihnen auszubreiten, weil das völlig kontraproduktiv wäre. Worum es geht, ist, daß wir Zustände, die einen solchen Terrorismus zulassen, fördern oder gar aktiv unterstützen, daß wir solche Zustände in der internationalen Politik – seien es Staaten, seien es Gruppen, Organisationen oder Einzelne -, daß wir das nicht hinnehmen können, denn die Folgen sind furchtbar. Man muß sich vorstellen die Konsequenzen, die es bedeutet hätte, wenn dieses in Europa oder gar in Deutschland eingetreten wäre, …

Red.: Aber haben die …

Fischer: … und insofern ist die entscheidende Frage, Zustände zu verhindern respektive, wo sie existieren, sie mit allen repressiven Mitteln, die notwendig sind, zu bekämpfen, aber auch die politischen Lösungen, die Ordnungsvorstellungen dann in dieser Region durchzusetzen, …

Red.: Aber da haben doch die …

Fischer: … die dieses nicht mehr zulassen.

Red.: Aber da haben doch die Geheimdienste versagt, wenn sie nicht registriert haben, daß es rund um die Welt und gerade eben auch in westlichen Ländern Zellen gegeben hat, aus denen heraus terroristisch agitiert wird, agiert wird.

Fischer: Ich würde nicht sagen, daß sie versagt haben, weil dieses Maß an menschenverachtender Brutalität, diese Form von Terror, mit vollbesetzten, vollgetankten zivilen Flugzeugen in einem Kamikaze-Angriff auf ein Hochhaus in New York City in down-town Manhattan zu stürzen – mit Verlaub, hätten Sie mich noch vor einer Woche oder vor zwei Wochen dieses gefragt, hätte ich Sie gefragt. Wir hätten dieses beides zwar für theoretisch für möglich, aber praktisch für nicht sehr wahrscheinlich gehalten. Das müssen wir doch ehrlicherweise hinzufügen, bevor wir hier irgendwelche Versäumnisse feststellen.

Red.: Gut, wir stellen fest: Rätselhaft ist erst mal noch, was und wie das abgelaufen ist, aber es scheint ja doch klar zu sein, daß der Kern des Problems im Nahen Osten liegt, also der Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern. Heißt das, im Umkehrschluß, daß es erst eine Ruhe vor solchen terroristischen Anschlägen gibt, wenn dieser Konflikt irgendwann gelöst ist?

Fischer: Ich denke, der Nahost-Konflikt ist einer der zentralen Konflikte, allerdings nicht der einzige. Wenn Sie die Entwicklung Afghanistans nehmen, so gibt es einen direkten Zusammenhang zur damaligen Invasion der Sowjetunion, zu seiner Einbindung, dieses Konflikt, in den Kalten Krieg. Und dann hat man anschließend sich nicht mehr in dieser Intensität drum gekümmert, wie es notwendig gewesen wäre. Ich weiß ja selbst, wie schwierig es ist, unsere Menschen davon zu überzeugen, daß wir uns auf dem Balkan engagieren. Viele fragen: „Was haben wir da zu tun? Warum sollen wir dafür Geld ausgeben? Ist doch weit weg.“ Die Erfahrung, die wir auf dem Balkan gemacht haben, müssen wir jetzt auf die globale Situation übertragen. Wir können uns nicht unterschiedliche Zonen von Sicherheit erlauben. Der Nahost-Konflikt – ich hatte die Tage intensiv damit zu tun, auch am heutigen Tag -, da ist es natürlich zentral, hier jetzt nicht nur die neuen Herausforderungen und die Gefahren zu sehen, sondern angesichts dieser Gefahren auch einen Lösungsversuch im weiteren zu machen …

Red.: Glauben Sie, daß da ein Schub kommen wird, durch diese Ereignisse?

Fischer: Es ist im Nahen Osten ein sehr, sehr schwieriges und mühseliges Geschäft, wo die Frage der Rückschläge immer gegeben ist. Wir haben es auch mit einem sehr komplizierten Konflikt, sehr alten Konflikt zu tun. Dennoch, wenn wir es ernst meinen, daß wir Zustände nicht zulassen wollen, in denen Terror entstehen kann, die gar nicht ursächlich sein müssen, aber schlicht und einfach eine Situation, in der es an Ordnung mangelt im internationalen Staatengefüge, im regionalen Staatengefüge, wenn wir das als einen wichtigen Faktor einer solchen Entwicklung sehen, dann werden wir – mit „wir“ meine ich vor allen Dingen auch unsere europäischen Partner, Europa und die Vereinigten Staaten -, aber auch mit den Regionalmächten dort, alles unternehmen müssen, um endlich zu einem fairen Interessenkompromiß zu kommen. Leicht gesagt, sehr schwer allerdings ins Werk zu setzen. Dennoch: Das ist eine der Hauptaufgaben, die vor uns liegt.

Red.: Bundeskanzler Schröder hat gestern im ZDF gesagt, er schließe eine Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Aktionen der USA nicht aus. Heißt das, kurz gesagt: Sie rechnen damit, daß deutsche Soldaten auch in Afghanistan oder jedenfalls bei dieser Gegenaktion tätig werden?

Fischer: Ich kann hier konkrete Festlegungen nicht machen, weil, dazu wäre es viel zu früh. Denn der Bundeskanzler hat gesagt, er schließt das nicht aus. Das heißt, im Atlantischen Bündnis, wo ja alle damit gerechnet haben, daß das Sicherheitsrisiko auf unserer Seite liegt, daß etwa Deutschland eines Tages die NATO um Beistand bitten muß, waren es diesmal die USA , die angegriffen wurden und die um Beistand gebeten haben. Ein Bündnis ist ein Bündnis auf Gegenseitigkeit …

Red.: Verändert das (***)?

Fischer: Ohne daß wir hier über, sozusagen, Details jetzt sprechen können, aber der Bundeskanzler hat völlig zu Recht drauf hingewiesen, daß wir das grundsätzlich nicht ausschließen können.

Red.: Und Sie teilen diese Auffassung…? Der Johannes Rau, der Bundespräsident, hat sich ja so ’n bißchen anders geäußert, eher von zivilen (***)

Fischer: Ich teile die Auffassung des Bundeskanzlers. Das entspricht meiner …

Red.: Ohne Abstriche?

Fischer: Ja. Ohne Abstriche. Das entspricht meiner Auffassung, ja.

Red.: Es gibt in Ihrer Partei, unter den Grünen, manche, die die militärische Beteiligung Deutschlands ablehnen und sagen, das könnte eigentlich nur zu höheren Risiken für uns führen. Ist das eine Sorge, die Sie mindestens verstehen?

Fischer: Ich verstehe nicht nur die Sorge. Ich kann auch die Ängste verstehen, die dahinterstecken. Wer könnte in einer solchen Situation von sich behaupten, daß er ohne Sorge wäre, ohne Ängste. Ich glaube, das gilt für die Vertreter aller Parteien. Dennoch muß man sehen, worum es geht. Eine Nicht-Beteiligung Deutschlands an den Bündnisverpflichtungen würde bedeuten, daß wir die elementarsten, die vitalsten Sicherheitsinteressen unseres Landes, wie sie sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten entwickelt haben, in Frage stellen würden. Transatlantische Rückversicherung, die wir in der NATO haben, ist für uns essentiell …

Red.: Das ist mit Ihnen nicht zu machen …?

Fischer: … und das Zweite ist natürlich, hätte das auch Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Europäischen Union. Die europäische Immigration steht an erster Stelle unserer vitalen Interessen, und insofern – bei allem Verständnis, das ich habe – bin ich aber zum Dritten auch der Meinung, jenseits jetzt unserer Interessen, daß ein Nicht-Reagieren oder nicht ausreichendes Reagieren die völlig falsche Botschaft für diejenigen, die diese Verbrechen geplant haben, und diejenigen, die am Ende damit sympathisieren, wäre, nämlich daß es dann …

Red.: Herr Fischer, …

Fischer: … zu einer Eskalation durch Nicht-Handeln käme. Und insofern sind wir hier in einer ganz, ganz schwierigen Abwägungssituation. Aber allein schon die Darstellung der Probleme, wie ich Sie Ihnen genannt habe, macht klar, daß die Bundesregierung, daß die Bundesrepublik Deutschland hier in dieser Verpflichtung steht, entsprechend ihrer Möglichkeiten …

Red.: Aber (***)

Fischer: Keine Automatik; der Bundestag wird zu entscheiden haben, wenn sich eine Entscheidung stellt. Keine Automatik, aber grundsätzlich, kann ich noch mal sagen, müssen wir uns auf eine solche Entscheidungssituation einstellen.

Red.: Das Bundeskabinett muß am Mittwoch über ein Maßnahmenpaket entscheiden. Ein Punkt darin ist die Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei der Einbürgerung. So! Die Grünen wollen es nicht alle. Frau Roth hat gesagt, sie ist dagegen. Was ist Ihre Auffassung zu diesem Thema? Das ist ja ein zentraler Punkt.

Fischer: Wir werden da in Ruhe darüber zu diskutieren haben. Das ist … Es gibt andere Punkte, die eine Rolle spielen, etwa das Religionsprivileg. Bei Organisationen ist ein Punkt …

Red.: Aber die Regelanfrage …

Fischer: … ja, ich komm ja auf Regelanfrage, auf all diese Punkte. Ich bin hier für ’ne klare Abwägung. Wir sollten… Wir kämpfen um die Freiheit. Das ist ein Angriff auf die Freiheit. Diese Freiheit ist für uns ein Grundwert. Gleichzeitig muß sie eingebunden sein in die Sicherheit. Deswegen bin ich dafür, daß wir sehr praktisch abwägen: Gibt es hier ein echtes Sicherheitsdefizit? Wird dadurch ein Sicherheitsgewinn entstehen, und zwar nicht ’n abstrakter, sondern ein ganz konkreter?

Red.: Und Sie haben es für sich schon entschieden?

Fischer: Und wenn dem so ist, dann sollte man in diese Richtung gehen. Darüber finden gegenwärtig noch Gespräche …

Red.: (unterbricht)

Fischer: Darüber finden gegenwärtig noch …

Red.: Sie sind eher dafür?

Fischer: Lassen Sie mich doch einfach mal ausreden! Und unterbrechen Sie nicht immer, dann bekommen Sie die Antwort. Ich bin der Meinung, wenn hier ein Sicherheitsgewinn zu verzeichnen ist, dann sollten wir in diese Richtung gehen, aber wir sollten nichts tun, was Freiheitseinschränkungen bringt unter dem Gesichtspunkt: Was schon immer bestimmte politische Parteien …

Red.: Also, Sie sind jetzt für die Regelanfrage oder …

Fischer: Bitte unterbrechen Sie nicht schon wieder

Red.: Aber ich hab’s nicht verstanden …

Fischer: Sie unterbrechen mich schon wieder. Daß wir dann in der Tat das nicht tun, was keinen praktischen Sicherheitsfortschritt bringt. Also wird erst mal zu erwägen sein und (***) zu diskutieren sein: Bringt die Regelanfrage, etwa bei Zuwanderung, oder bei Einbürgerung – eine Frage, die ebenfalls noch diskutiert werden muß -, tatsächlich ’nen Sicherheitsgewinn oder ist es nur der Versuch, sozusagen eine politische Position durchzubringen, die wenig praktischen Sicherheitsgewinn bringt. Das gilt auch für andere Punkte. Ich habe Ihnen vorhin das genannt. Die Linie wird abzuwägen sein; dieser Abwägungsprozeß ist noch nicht abgeschlossen.

Red.: Das wird’s auch nicht bis Mittwoch.

Red.: Bei all diesen innenpolitischen Folgen, die die Sache ja auch hat, ist es ja für Sie als Bundesregierung ganz wichtig, voll informiert zu sein durch die Amerikaner. Sie sind über die NATO mit im Boot. Haben Sie das Gefühl, konsultiert zu werden? Haben Sie das Gefühl, nicht nur über die NATO, sondern auch direkt informiert zu werden?

Fischer: Ja.

Red.: Die Kommunikation läuft also gut? Erklären Sie uns als Außenminister, wie das praktisch läuft. Wenn es zu einer Anforderung von Truppen käme, liefe das über die NATO, oder gäbe es dann direkte Kontakte? – Ich will’s einfach nur verstehen.

Fischer: Wenn Sie mich nicht wieder unterbrechen.

Red.: Ich versuch’s, ja.

Fischer: Das wird ’ne Anforderung sein, die wird uns erreichen auf der Ebene …, auf bilateraler Ebene wie auf der Ebene der NATO. So was findet ja nicht statt, daß es nur im formellen Verfahren ausgesprochen wird, sondern es findet auf allen Ebenen ’ne sehr dichte politische Kommunikation statt, es findet auch ’ne sehr enge Kommunikation der Dienste statt. Die Dienste spielen in dieser Auseinandersetzung eine sehr, sehr wichtige Rolle. Und insofern wird es hier nichts Überraschendes geben.

Red: Das kostet ja Zeit. Entschuldigung, daß ich Sie noch mal unterbreche, aber dieser Vorgang kostet ja Zeit. Also, das ist nicht übers Knie zu brechen – so, wie Sie es beschreiben. Das sind ja mehrere Tage, die auf jeden Fall …

Fischer: Ich weiß nicht, wie Sie sich das vorstellen. Angesichts dessen, wie ernst die Situation ist, frage ich mich, wie zielführend gerade gegenwärtig die Debatte ist, ob da was übers Knie gebrochen wird. Ich denke die Äußerungen von Präsident Bush und seiner Regierung sind hier sehr ernst zu nehmen. Er hat um Geduld gebeten. Er hat von der Langfristigkeit auch gesprochen. Was nicht so verstanden werden sollte, daß es weniger ernst wird. Damit ich hier nicht mißverstanden werde. Aber das ist nicht ’ne Debatte jetzt – die rieche ich bei Ihnen oder höre ich raus -: Wann geht’s los? Oder ähnliches mehr, oder übers Knie gebrochen werden, sondern wir haben hier ’ne sehr, sehr bittere Zeit vor uns, und darauf werden wir uns einstellen müssen. Und ich denke, wir sind gut beraten, hier auch jeden Schritt als Verantwortungsträger in der Bundesregierung sehr sorgfältig zu überlegen, zu prüfen und vor allem immer vom Ende her zu denken.

Red.: Die amerikanische Bevölkerung wartet auf ein Zeichen, wartet auf eine Tat. Können Sie sich vorstellen, daß es beides gibt: einerseits einen militärischen Gegenschlag – möglicherweise in Richtung Afghanistan – jetzt und dann das längerfristige Konzept gegen die Gewalt in der Welt an vielen Stellen?

Fischer: Ich will Ihnen nicht ausweichen jetzt, aber die Frage, „Können Sie sich vorstellen …?“, die könnte ich beantworten: „Vorstellen kann ich mir viel“. Nur in dieser Situation sollten wir nicht über die Vorstellungskraft des Bundesaußenministers oder der beiden fragenden Redakteure sprechen, sondern ich muß mich hier an die Entwicklungen, sehr ernste Entwicklungen halten, und ich kann Ihnen nur sagen, die Botschaft vom Wochenende, auch unsere Informationen sind eindeutig die, daß die Lage sehr ernst ist, daß es hier der sorgfältigen Vorbereitung und auch Planung bedarf, und daß wir die Spekulationen einstellen sollten, ob es so sein könnte oder so sein könnte. Das ist nichts, woran ich mich beteiligen will, und zwar nicht, weil ich ausweichen will, sondern weil meine Aufgabe bei der Aufgabe der Bundesregierung, diesbezüglich eine andere ist.

Red.: Aber beides ist notwendig, sagen Sie: das militärische Eingreifen wie dann ein politisches Konzept, was die Terrorgruppen an der Wurzel faßt.

Fischer: Es ist nicht nur die Frage des politischen Konzeptes, die die Terrorgruppen an der Wurzel faßt, sondern die auch … Nochmals, ich glaube, die zentrale politische Diskussion wird sein, daß wir unterschiedliche Sicherheitszonen oder gar existente Räume der Unsicherheit, in der dann Entwicklungen stattfinden, wie wir es in bestimmten Bereichen, die wir gerade diskutiert haben, in den vergangenen zehn, zwölf Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges erlebt haben, seit dem Abzug der Sowjetunion, daß wir dieses nicht mehr zulassen werden dürfen. Das heißt, ein ganz anderes Engagement wird notwendig sein, und dieses Engagement wird ein langfristiges sein. Dabei gibt es eine militärische Komponente, dabei gibt es eine starke politische Komponente und, lassen Sie mich das auch erwähnen, eine kulturelle Komponente. Es ist ’ne Frage: Was ist die Intention derer, die für diese Verbrechen die Verantwortung tragen? Und ihre Intention ist eindeutig die, einen Krieg der Zivilisationen herbeizuführen, und diesen Krieg der Zivilisationen dürfen wir nicht zulassen. Nicht der Islam ist unser Feind, nicht die Muslime sind unsere Feinde, sondern ein Terrorismus, der auch vor Massenmord an Zivilbevölkerung nicht zurückschreckt. Das ist der Feind, und nicht der Islam; und wir sollten uns gar nicht in diese Ecke reindrängen lassen, auch in der Innenpolitik nicht. Das finde ich sehr, sehr wichtig.

Red.: Aber wir haben ja alle geglaubt, nach Ende des Ost-West-Konflikts hätten wir eine friedlichere Zeit. Nun erleben wir eigentlich das Gegenteil – viele kleinere Konflikte. Ist es vielleicht doch so, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln auch in diesem Jahrtausend sein wird?

Fischer: Das weiß ich nicht. Das Jahrtausend ist noch sehr, sehr lange; das hat jetzt gerade begonnen. Ich habe es an anderer Stelle schon gesagt: Ich ging davon aus, daß wir, unsere Generation in Europa von einer solchen Herausforderung in Westeuropa verschont bleiben würden. Daß das aufgrund des 11. Septembers jetzt anders ist, das ist eine Realität, die muß ich zur Kenntnis nehmen, eine Veränderung der Realität. Das wird weitgehende Folgen für uns alle haben. Und deswegen glaube ich auch, das Wegducken oder Den-Kopf-in-den-Sand-Stecken, das wird nichts nützen. Wir sind zu nahe auch dran, von unseren Interessen, von unseren Bindungen her. Es war auch – das können Sie an der Erschütterung unserer Bevölkerung sehen – ein Angriff auf die offene Gesellschaft, auf die Art, wie wir leben wollen, unbeschadet, wo wir politisch stehen. Die Verbundenheit mit den USA, die bereit waren, für die Freiheit Westdeutschlands und dann für unser aller Freiheit einzutreten – bei aller Kritik, wie es sie in der Vergangenheit auch von mir gegeben hatte, eine Grundtatsache -, aber auch die Erkenntnis, daß unsere Sicherheit eine gemeinsame Sicherheit ist, wo wir auf andere angewiesen sind – das alles zusammen genommen macht klar, daß wir hier, auch als Deutsche, vor sehr, sehr schwierigen Zeiten stehen.

Red.: Vielen Dank, Herr Fischer, an diesem Abend. Gleich im Anschluß – an dem Tag, an dem in New York die Börse wieder öffnete – WISO. Auf Wiedersehen.