Mit Hochgeschwindigkeit in Richtung Militärmacht Europa


von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 25. November 2000

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„Überall wo die Europäische Union ist, herrscht Frieden“, so mein Namensvetter Friedbert Pflüger von der CDU, Vorsitzender des Europaauschusses im Bundestag am 01.06.1999 auf der Europakonferenz der nationalen Parlamente in Berlin. Wenn es bisher überhaupt eine nach außen „friedliche“ Europäische Union gegeben haben sollte, so gibt es diese alte EU spätestens seit Montag (20.11.) nicht mehr.

Der entscheidende praktische Schritt hin zu einer Militarisierung der Europäischen Union und damit zu einer neuen EU wurde am 20.11. in Brüssel von den EU-Außen- und „Verteidigungs“-ministern vollzogen. Dort erklärten sich alle EU-Staaten zusammen bereit, über 100.000 Soldat/inn/en sowie rund 400 Kampfflugzeuge und 100 Schiffe für eine ab dem Jahr 2003 einsatzfähige EU-Truppe zu stellen. Die EU-Eingreiftruppe, die einsatzfähig dann 60.000 Soldat/inn/en haben soll, wird innerhalb von 60 Tagen zu Militäreinsätzen von bis zu ein Jahr ausrücken können.

Interessant sind die Größenordnungen der bekanntgewordenen Soldaten-Kontingente der einzelnen EU-Staaten: Österreich: 3.500, Belgien: 1.000, Großbritannien: 12.500, Finnland: 2.000, Frankreich: 12.000, Griechenland: 3.500, Irland: 1.000, Italien: 6.000, Luxemburg: 100, Niederlande: 5.000, Portugal: 1.000, Schweden: 1.500. Dänemark beteiligt sich erfreulicherweise nicht an der EU-Truppe. Zu diesen Kontingenten kommen noch Beiträge aus den europäischen NATO- (aber nicht EU-Staaten) Norwegen und Island und sämtlichen 13 EU-Beitrittskandidaten (einschließlich der Türkei) hinzu.

Deutschland stellt mit 18.000 Soldat/inn/en das mit Abstand größte Kontingent. Um 18.000 einsatzfähige Soldat/inn/en zu haben, sind 30.000 notwendig, die extra dafür ausgebildet werden. Von den 18.000 Soldaten kommen 12.000 aus dem Heer. Zugesagt sind zudem 93 Kampf- , 35 Transport- und 3 Überwachungsflugzeuge, vier Kampfhubschrauber und Einheiten der Marine. Der Befehlshaber der EU-Truppe wird der deutsche General Rainer Schuwirth sein.

Um es klar zu formulieren: Hier wird eine gefährliche europäische Interventionstruppe unter deutscher Führung zusammengestellt für Militärinterventionen (sprich Kriegseinsätze) im Einsatzradius von 4.000 km (!) rund um die EU.

Der deutsche Außenminister Joschka Fischer brachte den Verlauf der schnellen Entwicklung der Militarisierung Europas in seiner Rede als damals amtierender Ratspräsident vor dem Europäischen Parlament in Straßburg am 12. Januar 1999 auf den Punkt: „Die kollektive Verteidigung wird weiterhin Aufgabe der NATO bleiben. Aber die Europäische Union muss auch die Fähigkeit zu einem eigenen militärischen Krisenmanagement entwickeln, wann immer aus Sicht der EU ein Handlungsbedarf besteht und die nordamerikanischen Partner sich nicht beteiligen wollen.“

Dieser Aufbau einer EU-Truppe passt zur Entwicklung �der neuen Bundeswehr Phase 2� mit einer quantitativen Abrüstung schlussendlich auf 255.000 Mann und Frau und einer qualitativen Aufrüstung mit der Verdreifachung der Einsatzkräfte (früher Krisenreaktionskräfte) von 53.600 auf 150.000. Mit diesen Einsatzkräften kann Krieg geführt werden. Die Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr wird damit enorm gesteigert.

Den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und militärischer EU machte Staatssekretär Dr. Walther Stützle aus dem deutschen Verteidigungsministerium auf dem Symposium „Sicherheit, Menschenrechte & Stabilität in Europa und der NATO“ am 28. Juni 1999 im Haus der Industrie in Wien deutlich: „Die Sache ist einfach: Eine Union, die sich nicht verteidigen kann, ist keine Union. Eine harte Währung, die eine schwache Verteidigung hat, ist auf lange Frist keine harte Währung. Daraus gilt es, die praktischen Schlüsse für die Tagesarbeit zu ziehen, es gilt, die zwei Prozesse miteinander zu harmonisieren und im Gleichgewicht zu halten.“

Außenminister Joschka Fischer hatte in seiner Rede [„Vom Staatenverbund zur Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration“] am 12. Mai 2000 in der Humboldt-Universität in Berlin die Idee eines Kerneuropa aufgegriffen, die ursprünglich einmal von Wolfgang Schäuble und Karl Lamers von der CDU am 01.07.1994 in die Diskussion gebracht worden war. Fischer nennt Kerneuropa nun aber „die Bildung eines Gravitationszentrums“. „Ein solches Gravitationszentrum müsste die Avantgarde, die Lokomotive für die Vollendung der politischen Integration sein und bereits alle Elemente der späteren Föderation umfassen.“ Jacques Chirac konkretisierte Fischers Vorstellungen am 30. Mai 2000: In einer europapolitischen Grundsatzrede betonte er, es müsse innerhalb der EU wie bei der „Tour der France“ eine „Spitzengruppe“ geben, die schneller voranprescht. Nach Chiracs Ansicht gebe es schon zwei positive Beispiele für diese „Spitzengruppe“: 1. Das Eurokorps, das im Kosovo kürzlich das Kommando der KFOR übernommen hat und 2. die britisch-französische Initiative beim Gipfel in St. Malo 1998 zu einer gemeinsamen europäischen Militärpolitik. Interessanterweise waren das beides Beispiele aus dem Bereich der europäischen Militärpolitik.

Das �Gravitationszentrum� zeichnet sich ab: Die Kernstaaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien sollen insbesondere in der europäischen Militärpolitik anfangen Nägel mit Köpfen zu machen. Neben und in Kooperation mit dem Interventions- und Kriegsführungsbündnis NATO baut die EU zusätzliche Interventionsfähigkeiten auf. Nächste (Angriffs-)Kriege können nicht mehr nur von der NATO �veranstaltet� werden, ab 2003 steht dann auch die EU (mit einer eigenen Truppe) zur Verfügung.

Ist diese Entwicklung noch zu stoppen? Den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, ist klar: Keine Truppen für die EU-Militarisierung! Doch an die Substanz der Militarisierung von EU, NATO und Bundeswehr geht nur die Forderung nach Auflösung der (kriegsfähigen) Einsatzkräfte der Bundeswehr als erstem Schritt.

Leicht gekürzt veröffentlicht in �Neues Deutschland� 25.11.2000