IMI-Analyse 2020/32
Ein diskreter Dammbruch der Rüstungsforschung
Das Corona-Konjunkturpaket dient auch der Stimulation staatsnaher und militärischer Forschung
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 2. Juli 2020
Anfang Juni 2020 hat die Bundesregierung mit ihrem „Konjunkturpaket“ nach Jahren restriktiver Ausgabenpolitik ein sog. „Konjunkturpaket“ im Umfang von 130 Mrd. Euro auf den Weg gebracht. „Mehrwertsteuersenkung und Familienbonus beschlossen“, titelte der Deutschlandfunk am 29. Juni 2020, nach der Zustimmung des Bundestages zur entsprechenden Änderung des Steuergesetzes. Zugleich wird im Konjunkturpaket allerdings mehrfach das Ziel proklamiert, dass „Deutschland gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgeh[en]“ solle.1 Dies ist v.a. auch Aufgabe und Inhalt des 50 Mrd. Euro schweren „Zukunftspakets“, das Teil des Konjunkturpaketes ist und mit dem die Bundesregierung erklärtermaßen versucht, die Wettbewerbsposition der heimischen Industrie auszubauen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf sog. Schlüsseltechnologien, von denen sich Deutschland auch militärische Vorteile erhofft. Wesentliche Teile des Zukunftspaketes werden mit der nun anstehenden Verabschiedung des Nachtragshaushaltes umgesetzt, über die bislang recht wenig öffentlich berichtet und diskutiert wird.
Ein neues Forschungszentrum der Bundeswehr
So werden die bis 2025 vorgesehenen „Investitionen“ in „Künstliche Intelligenz“ um 2 Mrd. auf 5 Mrd. Euro erhöht, u.a. „um dem Bedarf an Rechenkapazität gerecht zu werden“ und „KI-Ökosysteme von internationaler Strahlkraft auf[zu]bauen“. Ein weiterer Bereich, in dem deutsche Wissenschaft und Industrie massiv gefördert werden sollen, ist die Quantentechnologie, für die das Zukunftspaket 2 Mrd. Euro zusätzlich vorsieht. Proklamiertes Ziel ist dabei, „dass Deutschland in wesentlichen Bereichen der Quantentechnologien, insbesondere dem Quantencomputing, der Quantenkommunikation, der Quantensensorik und auch der Quantenkryptographie wirtschaftlich und technologisch an der Weltspitze konkurrenzfähig“ werden soll. Was sich dahinter zumindest auch verbirgt, wird im „Rahmenprogramm Quantentechnologie“ der Bundesregierung von 2018 recht offen benannt. Demnach sei die „aktive und bedarfsgerechte Förderung von Forschungs-, Innovations- und Entwicklungsvorhaben im Bereich der Quantentechnologien […] aus Sicht von Sicherheitsbehörden des Bundes und der Bundeswehr von herausgehobener Bedeutung“.2 Für die Strafverfolgungsbehörden wird dabei recht offen „das Brechen herkömmlicher Kryptoverfahren“ als Anwendungsbereich genannt. Im Verantwortungsbereich des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) ist etwas allgemeiner davon die Rede, dass „die Entschlüsselung bestehender IT-Sicherungssysteme“ eine wichtige Aufgabe sei und bei „der wehrtechnischen Forschung und Technologie in den nächsten Jahren insgesamt die Erschließung möglicher militärischer Anwendungsfelder von Quantentechnologien im strategischen Fokus“ stehen müsse.3
Wesentlich deutlicher noch werden die geostrategischen und militärischen Ziele des „Zukunftspakets“ beim darin ebenfalls vorgesehen „Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr“, das es dieser ermöglichen soll, „innovative und interdisziplinäre Forschung in einem sicheren Umfeld zu betreiben“, „um die nationale Verfügbarkeit digitaler und technologischer Innovationen … zu verbessern“. Dieses Zentrum wird seinen Standort an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München haben, soll aus einem „stark virtualisierte[n] Verbund der beiden Bundeswehruniversitäten“ (München und Hamburg) bestehen und wird aus dem „Zukunftspaket“ mit 500 Mio. Euro ausgestattet. „Näheres gibt es zu dem geplanten Zentrum bisher noch nicht zu sagen“, so wird der Pressesprecher der Bundeswehruniversität noch am 19. Juni (indirekt) von der SZ zitiert.4 Kurz zuvor hatte sich der dortige SPD-Landesverband in einem Brief an Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) bemüht, den Standort des neuen Zentrums ins Saarland zu holen, weil das Bundesland „mit seinen Hochschulen, Forschungsinstituten und als ‚etablierter Bundeswehrstandort‘ beste Bedingungen“ böte.5 Auch das spricht dafür, dass das Konzept bislang reichlich vage ist und der Geldsegen auch die Bundeswehruniversitäten eher unvorbereitet trifft. Überraschend ist er allerdings nicht.
Zwei Agenturen für „disruptive“ Forschung
Denn das neue Zentrum ergänzt eine ganze Reihe bestehender Initiativen der aktuellen Bundesregierung, um Wissenschaft und Industrie enger miteinander zu vernetzen und durch staatliche Förderung Fortschritte in sog. Schlüsseltechnologien voranzutreiben. So heißt es bereits im Koalitionsvertrag vom Frühjahr 2018: „Zur Förderung von Sprunginnovationen wollen wir neue Instrumente schaffen und die direkte Forschungsförderung des Bundes stärker auf den Wissens- und Technologietransfer in die Wirtschaft ausrichten“.6 Seitdem arbeitet die Regierung u.a. am Aufbau zweier Agenturen, die Forschung im Bereich der identifizierten Schlüsseltechnologien anstoßen, finanzieren und mithilfe von Unternehmen die Umsetzung in marktfähige Produkte unterstützen sollen. Im Oktober 2019 wurde die „Bundesagentur für Sprunginnovationen“ als SprinD GmbH mit Sitz in der Leipziger Innenstadt gegründet. Gründungsdirektor Rafael Laguna de la Vera, der selbst als Investor und Unternehmer tätig war, beschreibt deren Aufgabe so: „Wir nehmen die Projekte, die zu groß und zu riskant sind, wo ein normaler Finanzinvestor vielleicht nicht gut beraten ist, zu investieren. Wir entwickeln die zu einem Grad, wo dann Business Angel [Finanzinvestoren] auch einsteigen können und auch sollen“.7 Dafür soll die Agentur bis Ende des Jahrzehntes mit einer Mrd. Euro ausgestattet werden.
Mitte Juni 2020 berichtete der MDR, dass darüber hinaus die im Koalitionsvertrag vorgesehene „Agentur für Disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien (ADIC)“ in Halle ihre Arbeit aufgenommen habe, ihr genauer Standort jedoch zunächst „aus Gründen der Sicherheit“ nicht öffentlich gemacht werde.8 Diese nun meist nur noch als „Cyberagentur“ bezeichnete Institution untersteht gemeinsam dem Bundesinnenministerium und dem Bundesverteidigungsministerium und soll Forschung explizit in jenen Bereichen vorantreiben, die als sicherheitspolitisch relevant angesehen werden. Der Gründungsdirektor dieser Agentur, Christoph Igel, kommt als Wissenschaftler vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und hat sich anschließend nach einer erneuten Grundausbildung („wir sind wirklich über die Hindernisbahn“) beim IT-Bataillon in Gerolstein als Soldat auf Zeit im Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr vereidigen lassen.9 Laut einem Bericht des im Verteidigungsministerium angesiedelten Aufbaustabs der Agentur besteht deren Aufgabe in der „zielgerichtete[n], am Bedarf der inneren und äußeren Sicherheit orientierte[n] Beauftragung“ von „Forschungseinrichtungen durch staatliche Einrichtungen“. Hierzu „analysiert“ sie die „Innovationslandschaft“.10 Nach den Worten des Gründungsdirektors Igel soll sie „Forschung stimulieren und koordinieren“: „Es geht um Forschungsfragen, die zum Beispiel das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, die Marine, die Luftwaffe haben könnten“.11 Als Handlungsfelder identifizierte der Aufbaustab „unter anderem die Quantentechnologie, Künstliche Intelligenz oder alternative Rechnerarchitekturen.“ Konkreter benannt werden u.a. „DNA-basierte“, „organisch-elektrochemische“ sowie „neuromorphe und neuronale Architekturen“. Konkret werden auch „Autonomie und Entscheidungsfindung“ und „Lagebilder und Lagebilddarstellung“ sowie Sensorik als Forschungsthemen genannt. „[A]bhängig vom Schwerpunkt des spezifischen Programms“ ist dabei vorgesehen, dass die Agentur „Programmbüros an anderen Standorten in Deutschland“ einrichtet. „Dabei handelt die Cyberagentur bewusst als Wagniskapitalgeber und schließt nicht aus, dass sich manche beauftragten Forschungen und Entwicklungen als Irrweg erweisen“.12 Zugleich hat die Bundesregierung gegenüber der Agentur den Anspruch formuliert, dass – wie auch bei der (zivilen) Agentur für Sprunginnovationen – „der Aspekt der Verwertung künftiger Fähigkeiten … wesentlicher Treiber“ der Aktivitäten sein solle.13 Mit ihrem zugleich risikobereiten wie anwendungszentrierten Ansatz orientieren sich damit beide Institutionen an der DARPA, der Forschungsbehörde des Pentagon.14 Dabei beschränkt sich die Agentur für Sprunginnovationen laut ihrer Homepage auf „Themenfelder“, die „zivilen Zwecken dienen“,15 während die Cyberagentur ihre Aufgabenfelder „aus dem Blickwinkel der inneren und äußeren Sicherheit“ bestimmt.16
Kampfansage an Zivilklauseln
Insbesondere die letztgenannten Agenturen sollen in staatlichem – auch militärischem – Interesse die deutsche Forschungslandschaft beobachten und analysieren, davon ausgehend durch zielgerichtete Beauftragung Projekte „stimulieren“ und „koordinieren“ und Kontakte zu Investoren und der Industrie herstellen, um bei der Kommerzialisierung auch noch als „Wagniskapitalgeber“ zu fungieren. Das ist eine grundsätzliche Abkehr vom Gedanken der Unabhängigkeit von Forschung, der Autonomie der Hochschulen und der Wissenschaft. Es handelt sich dabei auch um einen Frontalangriff auf die Kämpfe um Zivilklauseln, die in den letzten Jahren an vielen Hochschulen ausgefochten wurden als Versuch, eine militärische Indienstnahme der Wissenschaft zu verhindern. In einem vom BMVg veröffentlichten Interview jedenfalls hat der Gründungsdirektor der „Cyberagentur“, Christoph Igel, bereits eine Art Kampfansage formuliert: „im Hinblick auf Zivilklauseln und Dual-Use-Problematiken“ werde man „erstmal richtig dicke Bretter bohren müssen“.17
Zivilklauseln gehen oft auf Initiativen der Studierendenschaft oder des sog. Mittelbaus zurück und stellen Selbstverpflichtungen von Hochschulen dar, nicht für militärische Zwecke zu forschen bzw. friedliche Ziele zu verfolgen. Ihre Umsetzung gestaltet sich schwierig, weil die meisten Universitäten sich bei der Einwerbung von Drittmitteln nicht wirklich einschränken wollen und im Grunde gerne mit Förderungen und Kooperationen mit großen Unternehmen und staatlichen Stellen für sich werben. Militärische Zwecke werden deshalb ebenso wie friedliche Ziele nicht genauer definiert und erstere eng, letztere weit ausgelegt. So ist die Zusammenarbeit mit Rüstungsunternehmen auch an Hochschulen mit Zivilklauseln eher die Regel als die Ausnahme, weil hier oft auf den Dua-Use-Charakter der Forschung, also mögliche zivile Anwendungen der Ergebnisse verwiesen wird. Und tatsächlich findet der Entwicklungsschritt, in dem Technologien explizit auf militärische Nutzung zugeschnitten werden, typischerweise nicht an Hochschulen statt, sondern wird durch die Rüstungsindustrie selbst, in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr oder an außeruniversitären Instituten (wie den Fraunhofer-Instituten) vollzogen. Auch bei Forschung, die aus dem Verteidigungshaushalt finanziert wird, gilt der „Dual-Use“ häufig als Argument gegen die Anwendbarkeit von Zivilklauseln, wenn etwa bei wehrmedizinischer Forschung auf ihren (potentiellen) allgemeinen medizinischen Nutzen verwiesen wird. Es finden sich allerdings auch Argumentationen, wonach der Schutz der eigenen Soldaten, insbesondere in sog. „Friedenseinsätzen“ auch als friedlicher Zweck zu interpretieren sei.18
Die konkreten Drittmittelaufträge der Bundeswehr an zivile Hochschulen werden in der Regel nicht öffentlich bekannt gegeben und z.B. gegenüber dem Bundestag als Verschlusssache eingestuft.19 Ihr Gesamtumfang betrug zwischen 2006 und 2009 – soweit bekannt – jährlich etwa 8 Mio. Euro.20 Forschungsaufträge des US-Militärs allerdings sind im Umfang vergleichbar und öffentlich nachvollziehbar. So kam der Spiegel durch eine Auswertung der US-Haushaltsdatenbank von 2008 bis 2019 auf die Summe von 21,7 Mio. US$, die in diesem Zeitraum vom Pentagon an deutsche Hochschulen geflossen sind, darunter auch einige mit Zivilklauseln.21
Dabei handelt es sich im Vergleich zum Drittmittelaufkommen deutscher Hochschulen insgesamt um überschaubare Beträge, die jedoch bereits durchaus ausreichend sind, um Forschung zu „stimulieren“, das zivile Gepräge von Hochschulen zu erschüttern und wissenschaftliches Personal für die Rüstungsindustrie, die bundeswehreigenen und bundeswehrnahen Forschungsinstitute (etwa des Fraunhofer-Verbundes Verteidigungs- und Sicherheitsforschung, VVS) zu rekrutieren. Die Cyberagentur jedenfalls, die explizit auf die Bedürfnisse „der inneren und äußeren Sicherheit“ ausgerichtet ist, soll jährlich mit 80 Mio. Euro ausgestattet sein, von denen 20% für den Grundbetrieb, darunter die Personalkosten der etwa 100 Mitarbeiter*innen, vorgesehen sind. 80% des Budgets sollen in die „Forschungs- und Innovationsvorhaben“,22 also die zielgerichtete Beauftragung von Forschungseinrichtungen fließen. Das ist etwa der achtfache Betrag der Drittmittel, welche deutsche Hochschulen zwischen 2006 und 2009 direkt vom BMVg erhalten haben. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Cyberagentur – wie auch das BMVg selbst – einen Großteil ihrer Forschungsgelder nicht direkt an Universitäten ausschütten werden, sondern an außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die bereits jetzt deutlich mehr Mittel aus dem Rüstungshaushalt erhalten. Allerdings werden die Trennlinien zwischen beiden immer unschärfer, denn zu den im Koalitionsvertrag vorgesehenen „neue[n] Instrumente[n] zur Förderung von Sprunginnovationen und des Wissenstransfers in die Wirtschaft“ gehören eben auch jene „Forschungscampi“, „Zukunftscluster“ und „Ökosysteme“, die Wissenschaft, Industrie, Kapital und Politik systematisch verschmelzen und nun auch noch aus dem „Corona-Konjunkturpaket“ mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden, um sich zu militärisch-technologischen Versuchsanstalten zu entwickeln.
PS: Auch das Kapital ist hocherfreut
Die Forderung, in Deutschland eine Forschungsagentur nach dem Vorbild der DARPA auszubauen, hat noch während der Koalitionsverhandlungen im Januar 2018 der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) öffentlich erhoben.23 Wenige Monate zuvor, im Oktober 2017, hatte die MPG gemeinsam mit den GermanU15 (als Verband „forschungsstarker“ Universitäten) und großen Industrieverbänden wie dem BDI, dem Branchenverband Bitkom und dem Verband der Automobilindustrie (VDA) ein gemeinsames Positionspapier mit Forderungen veröffentlicht, um „Wissenschaft und Forschung als Fundament unserer Zukunft weiter [zu] stärken“. In dem gerade mal drei knappe Seiten umfassenden Papier wird ebenfalls gefordert, „vollständig neue Förderformate in den Blick [zu nehmen], die auf disruptive Innovationen abzielen“. Weiter heißt es dort: „Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist weiter zu fördern und mit dem Ziel zu stärken, vollständige Innovationskreisläufe von der Grundlagenforschung bis in die Anwendung und zurück abzubilden. Dazu sollten zusätzliche Förderformate entwickelt werden, die auf engen Entwicklungspartnerschaften zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen mit komplementären Interessen und komplementärem Know-how aufbauen und diese in Innovationen überführen. Auch die innovationsorientierte öffentliche Beschaffung sollte ausgebaut werden, um die Marktanwendung von Forschungsergebnissen aktiv voranzutreiben und Innovationsprozesse zu beschleunigen“.24 Viele weitere der hier gemeinsam von Wissenschaft und Industrie formulierten Forderungen – darunter das Ziel, 3,5% des BIP für die Forschung auszugeben und dafür den Unternehmen für entsprechende Aktivitäten weitere Steuererleichterungen einzuräumen – finden sich im Koalitionsvertrag von 2018 wieder und werden mit dem sog. „Corona-Konjunkturpaket“ weiter umgesetzt.
Zwar ist nachvollziehbar, dass die bemerkenswerte Koalition von Industrie und Wissenschaft eine gewisse politische Durchsetzungskraft erzeugt. Es gibt jedoch noch weitere Akteure, die am Konzept der disruptiven Technologiepolitik ein Interesse haben und auch geltend machen. Dabei handelt es sich um internationale Beratungs- und Kapitalgesellschaften wie PriceWaterhouseCoopers, Roland Berger, EY (Ernst & Young) und Unternehmen wie Accenture, Capgemini, IBM, Atos und Bosch, die sich als „Anbieter der digitalen Transformation“ verstehen und in den vergangenen Jahren kräftig in diese Bereiche investiert haben. Bei den investierten Geldern handelt es sich letztlich um Risikokapital: Obwohl sich mit der Digitalisierung des Alltags, der öffentlichen Verwaltung, der Gesundheit und auch der Streitkräfte bereits jetzt recht viel Geld verdienen lässt, bleiben die bislang realisierten Gewinne jedoch weit hinter den Erwartungen zurück. Deshalb wirken diese Kapitalfraktionen massiv auf die Politik ein, um die angekündigten Disruptionen weiter zu forcieren oder zumindest die Erwartungen daran aufrecht zu erhalten. Es sind v.a. diese Unternehmen bzw. die in ihrem Umfeld agierenden Denkfabriken, PR-Gesellschaften und sonstigen Institutionen, die dabei gerne die geopolitische und auch militärische Relevanz entsprechender Technologien hervorheben und beständig davor warnen, dass Deutschland/Europa mit den bevorstehenden Disruptionen v.a. gegenüber den USA und China ins Hintertreffen zu geraten drohe.25 Ins gleiche Horn blasen jedoch zunehmend auch die großen Wissenschaftsorganisationen wie die MPG und schlagen dabei erstaunlich nationalistische Töne an, um Forderungen Nachdruck zu verleihen, die letztlich den Interessen eines internationalen Risikokapitals dienen. Denn wenn der Staat nun zunehmend selbst als „Wagniskapitalgeber“ auftritt und in Bereiche investiert, in denen Disruptionen erwartet werden, verbessert dies die Möglichkeiten anderer Investoren, Profite zu erwirtschaften, bevor ein Produkt auf den Markt kommt oder sich die erwartete „Disruption“ überhaupt je ereignet. Bis die Blase platzt.
Anmerkungen
[1] Alle Zitate ohne Quellenangaben entstammen dem Eckpunktepapier „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ („Corona-Konjunkturpaket“) des Koalitionsausschusses vom 3. Juni 2020.
[2] Bundesregierung: „Rahmenprogramm Quantentechnologien – von den Grundlagen zum Markt“, BT-Drucksache 19/4645.
[3] Ebd.
[4] „Zentrum für Digitale Forschung geplant“, sueddeutsche.de vom 19.6.2020.
[5] Florian Mayer: SPD-Fraktion will Cyber-Bundeswehrzentrum ins Saarland holen, www.sr.de vom 10.6.2020.
[6] Ein neuer Aufbruch für Europa / Eine neue Dynamik für Deutschland / Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode.
[7] „Eine gute Erfindung steigert das Gemeinwohl“, Rafael Laguna de la Vera im Gespräch mit Annette Riedel, Deutschlandfunk Kultur (Tacheles) vom 29.2.2020.
[8] Marcel Roth: Cyberagentur des Bundes startet in Halle, www.mdr.de vom 15.6.2020.
[9] BMVg: Im Interview – Forschungsdirektor der Cyberagentur, www.bmvg.de vom 20.5.2020. Im Interview lässt Igel an seiner Sympathie für die Bundeswehr keine Zweifel aufkommen und berichtet einleitend von seiner Zeit als Wehrdienstleistender: „Ich hatte frisch mein Abitur in der Tasche und habe im Anschluss meinen Grundwehrdienst geleistet. Das waren damals fünfzehn Monate in einem Fallschirmjäger-Bataillon. So richtig kämpfende Einheit, mit Ausbildung zum Scharfschützen und Teilnahme an NATO-Übungen. Da war ich Fallschirm springen, Mitglied der Mannschaft des militärischen Fünf-Kampfes der Kompanie und habe all das gemacht, was zur ‚grünen Ausbildung‘ gehört. Spannende Zeit, das hat ganz viele positive Eindrücke hinterlassen“.
[10] Aufstellungsstab Cyberagentur: Bericht zum Aufbau (Stand 1. August 2019). Cyberagentur: Bedarfe – Themen – Vorgehen.
[11] Marcel Roth: Was die Cyberagentur in Halle/Leipzig machen wird – Interview mit Cyberagentur-Chef, www.mdr.de vom 15.6.2020.
[12] Aufstellungsstab Cyberagentur, a.a.O.
[14] Ebd.
[15] https://sprind.org (Stand 29.6.2020). Aktuell (1.7.2020) ist die Homepage der Agentur/GmbH nicht erreichbar.
[17] BMVg: Im Interview – Forschungsdirektor der Cyberagentur, www.bmvg.de vom 20.5.2020.
[18] Vgl.: Christoph Marischka: „…und irgendwann fahren Panzer drüber“ – Ein Beispiel für Geheimdienstforschung und vielsagende Rechtfertigungen, IMI-Analyse 2013/028, sowie: IMI: Zivilklausel an der Universität Tübingen, Reader vom Juli 2011.
[19] S. BT-Drucksache 17/3337.
[20] Ebd.
[21] Armin Himmelrath und Holger Dambeck: Millionen vom Pentagon für deutsche Unis, www.spiegel.de vom 22.6.2019.
[22] Drucksache 19/15961
[23] „Glaubwürdigkeitskrise der gesellschaftlichen Eliten“, Martin Stratmann im Gespräch mit Ralf Krauter, Deutschlandfunk (Forschung aktuell) vom 24.1.2018.
[24] Max-Planck-Gesellschaft u.a.: Wissenschaft und Forschung als Fundament unserer Zukunft weiter stärken, gemeinsames Positionspapier vom 10.10.2017, www.mpg.de.
[25] Christoph Marischka: KI und Geopolitik – Die unheilige Allianz von Risikokapital, Wissenschaft und Politik, IMI-Analyse 2020/14.