IMI-Studie 2016/10 - in: AUSDRUCK (Oktober 2016)

Ägyptens Diktatur

Deutschlands Partner im Kampf gegen Terrorismus und Migration

von: Jacqueline Andres | Veröffentlicht am: 8. Oktober 2016

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Inhalt

– Einleitung
– Deutschlands Partner im Kampf gegen den Terror
– … und gegen Migrant_innen
– Profit am Nil
– Deutsche Prestigeprojekte im Bildungssektor
– Kritische Stimmen in Ägypten
– … bitten um internationale Solidarität
– Anmerkungen und Quellen

Einleitung

Ägypten ist mit seinen rund 90 Millionen Einwohner_innen das bevölkerungsreichste Land des arabischen Raums und schon immer tonangebend für die politischen Geschehnisse der Region. Der ägyptische Suezkanal verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer, wodurch er den Handels- und Kriegsschiffen zwischen dem Atlantik und dem Indischen Ozean den 9000 km längeren Weg um Afrika erspart. Der schmale Kanal ist ein wichtiges Nadelöhr der Weltwirtschaft und der Kriegslogistik, durch das rund 10 Prozent des Welthandels gehen. Die Revolution 2011 auf dem Tahrir Platz spielte eine zentrale Rolle im Arabischen Frühling und weckte Ängste der großen Wirtschaftsnationen und der Golfmonarchien vor einer möglichen Demokratie in einem Staat, der die eigenen Interessen gefährden und die Geopolitik der Region auf den Kopf stellen kann. Die internationalen Abhängigkeiten von Importen und milliardenschweren Finanzhilfen der strauchelnden Wirtschaft Ägyptens ermöglichen es u.a. den USA, den Golfstaaten und der EU, weiterhin Einfluss auf die Geschehnisse im Land auszuüben. Innenpolitisch verliert die Regierung zusehends an Zustimmung und hält sich durch die systematische Gewaltanwendung der Sicherheitskräfte an der Macht. Daher legitimiert, stärkt und unterstützt jede Polizei- oder Militärzusammenarbeit die Militärdiktatur – eine Zusammenarbeit, die die Bundesregierung ausweiten will.

Erst vor fünf Jahren trieb die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit, Brot und Freiheit Millionen Menschen auf die Straßen Ägyptens. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete den Sturz des damaligen Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak als historischen Wandel und wünschte den Menschen ein Leben ohne Korruption, Zensur, Verhaftung und Folter. Der ehemalige Entwicklungsminister Dirk Niebel kündigte finanzielle Hilfe für den Demokratisierungsprozess an – die deutschen politischen Stiftungen erhielten Sonderfonds in Höhe von drei Millionen Euro und das Entwicklungsministerium stellte acht Millionen Euro zur beruflichen Ausbildung junger Ägypter_innen bereit.(1) Auch der zu diesem Zeitpunkt amtierende Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, sprach von einer möglichen Hilfe bei der Erstellung einer neuen Verfassung und dem Aufbau eines demokratischen Parteiensystems.(2) Noch 2013 beschlossen die Mitgliedsstaaten auf dem G8 Gipfel den einsetzenden Demokratisierungsprozess in Tunesien und Ägypten mit 20 Milliarden Dollar zu unterstützen.(3)

Doch der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens wurde durch einen Militärputsch aus dem Amt gejagt und im Jahr 2015 wegen Verschwörung zu einem Gefängnisausbruch während der Aufstände zum Tode verurteilt.(4) Unterstützung erhielt der hinter dem Putsch stehende General Abdel Fatah Al Sisi von verschiedenen Staaten der EU, den USA und den wohlhabenden Golfstaaten Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Noch bevor er Präsident wurde, ließ Sisi tausende Anhänger_innen des gestürzten Mohammed Mursi festnehmen und zwischen Januar 2014 und November 2015 befanden sich zahlreiche seiner Anhänger_innen unter den mehr als 588 in Massenprozessen zu Tode verurteilten Menschen, auch wenn längst nicht alle Urteile ausgeführt wurden.(5) Doch die Nachricht war klar: Opposition zum Regime wird nicht toleriert. Die schrittweise Ausweitung der Repression gegen Andersdenkende auf Journalist_innen, regimekritische Aktivist_innen, Menschenrechtler_innen, Feminist_innen, streikende Arbeiter_innen und Anwält_innen ließ nicht lange auf sich warten.

Vom Bekenntnis der westlichen Regierungen zur erblühenden Demokratie in Ägypten ist nicht mehr viel zu hören. Die Bundesregierung erklärte Sisi trotz der katastrophalen Menschenrechtslage zum Partner im Kampf gegen den Terror und die illegalisierte Migration und fördert einen seit Jahren voranschreitenden Prozess, der die erkämpften Freiheiten der Zivilbevölkerung Schritt für Schritt beerdigt, die staatliche Repression noch nie gesehene Dimensionen annehmen lässt, dem Neoliberalismus den Weg frei hält und den Militärapparat stärkt. Nichtsdestotrotz stellen sich bis heute kritische Stimmen in Ägypten diesem Prozess entgegen und bitten um internationale Solidarität.

Deutschlands Partner im Kampf gegen den Terror…

Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärte Ägypten bei seinem Regierungsbesuch in Kairo im März 2016 zu „einem unverzichtbaren Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus“.(6) Im Rahmen dieses Besuches leitete er gemeinsam mit Sisi ein bilaterales Sicherheitsabkommen in die Wege, in dem beide Staaten gemeinsam Terror, „illegale“ Migration und organisierte Kriminalität bekämpfen und die Luftsicherheit erhöhen wollen. Noch ist die genaue Gestaltung der zukünftigen Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus unklar, da die Aushandlung des Abkommens noch nicht abgeschlossen ist. Der Aushandlungsprozess signalisiert jedoch unzweifelhaft Rückendeckung für den repressiven Kurs der ägyptischen Militärdiktatur.

Diese versteht unter Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Ägypten vor allem die Unterdrückung des wichtigsten innenpolitischen Konkurrenten: der Muslimbruderschaft, die den ersten demokratisch gewählten Präsidenten der Republik stellte. Im Dezember 2013 stufte die Übergangsregierung sie als Terrororganisation ein und kriminalisierte somit deren politische Aktivitäten, Finanzierungsstrukturen und Mitglieder.(7) Der Anlass zu dieser Maßnahme war ein Sprengstoffanschlag auf eine Polizeizentrale der Stadt Mansura im Nil-Delta, zu dem sich jedoch die Gruppe Ansar Beit al Maqdis bekannte. Gegen diese Gruppe, welche sich mittlerweile offiziell dem IS zuordnet, führen die ägyptischen Sicherheitskräfte auf dem Sinai einen handfesten Krieg, Luftschläge mit zivilen Opfern eingeschlossen.

Die Beziehung des Militärs sowie der Regierung zu den Bewohner_innen der Halbinsel ist seit Jahrzehnten durch staatliche Vernachlässigung geprägt, in der die Wurzeln des heutigen Konflikts liegen. In Folge des staatlich angeordneten Massakers an 800 Moslembruderschaftsanhänger_innen auf dem Rabaa-Platz in Kairo am 14. August 2013 nahm der Diskurs unterschiedlicher Gruppierungen auf dem Sinai einen zunehmend religiösen Ton an. Nachdem zunächst Unbekannte wiederholt die Gaspipeline von Sinai nach Israel sabotierten und sich infolgedessen das erste Mal als Ansar Beit Maqdis(8) (ABM) vorstellten, setze eine Gewaltspirale zwischen den Sicherheitskräften und Gruppen wie der ABM ein, die bis heute anhält und die örtliche Bevölkerung in Mitleidenschaft zieht.(9) Allein im Jahr 2015 starben mehr als 2.100 Menschen im Nordsinai – nach Angaben des ägyptischen Militärs seien 1.800 davon „Terroristen“ gewesen, 150 Zivilist_innen und 180 Militär- und Polizeiangehörige. In den ersten Monaten des Jahres 2016 lag die Zahl der Getöteten bereits bei 230 „Militanten“.(10)

Bewohner_innen der an Gaza angrenzenden Orten Sheikh Zuwayd und Rafah baten bereits im Jahr 2014 den Inlandsgeheimdienst um die Entsendung moderater Imame in ihre Region, da die örtliche Jugend durch die schlechte Bildungsinfrastruktur, durch die Zerstörung und Umwandlung von Schulen in Militärcamps kaum die Möglichkeit hat, noch andere Ansichten als die der religiös-fanatischen Gruppen zu hören. Doch die Regierung lehnte dies ab und versucht nicht durch Gespräche, Bildung, soziale Einbindung und wirtschaftlicher Teilhabe die Wurzeln des hausgemachten Konflikts zu beheben, sondern treibt mit ihren militärischen Angriffen weitere Jugendliche in die Arme fundamentalistischer Gruppen.(11)

Weitere Anti-Terrormaßnahmen des ägyptischen Militärs(12) umfassen die Flutung der Tunnel zum angrenzenden Gazastreifen mit Meereswasser, welche eine Versalzung des Grundwassers im Gebiet zur Folge hat.(13) Im Zeitraum von Juli 2013 bis August 2015 wurden zudem mehr als 3.255 an Gaza angrenzende Gebäude in der ägyptischen Stadt Rafah demoliert und tausende Familien vertrieben. Es entstand die so genannte Pufferzone, welche sich einer Breite von 1,5 km entlang der Grenze zu Gaza erstreckt. Die aus ihren Häusern vertriebenen Bewohner_innen erhielten keine Entschädigung für den Verlust des landwirtschaftlich genutzten Landes und lediglich eine geringe Summe für die zerstörten Häuser.(14) Viele von ihnen hausen bis heute in selbst errichteten Hütten in der Wüste.(15)

Die Abschottung des Sinai vom Rest des Landes durch den seit Oktober 2014 währenden Ausnahmezustand, welcher u.a. bis zu sechzehnstündige Ausgangssperren, Straßenblockaden und die teilweise Abschaltung von Mobilfunk und des Internets zur Folge hat, lässt kaum Informationen über die Lage vor Ort nach außen dringen.(16) Zudem zwingt das ägyptische Militär Journalist_innen und Aktivist_innen durch Gewalt und Drohungen und mittlerweile auch legal durch ein im August 2015 erlassenes Antiterrorgesetz, die offizielle Linie der Regierung in der Berichtserstattung des Krieges gegen den Terror auf der Sinaihalbinsel wiederzugeben.(17)

Wie willkürlich die Einordnung von Gruppierungen als terroristische Organisationen ist, zeigt der Fall der Fußballfanclubs. Reich an Erfahrungen mit gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei bildeten sie „das Rückgrat“(18) der Massenproteste im Jahr 2011 und nahmen in der Organisation der Studierendenproteste der Post-Revolutionszeit eine zentrale Rolle ein. Bis heute stellen sie selbstorganisierte polizei- und regimekritische Strukturen, die immer wieder spontane Proteste durchführen. Im Mai 2015 verbot ein Gericht wegen eines generalisierten Terrorismusvorwurfs kategorisch alle Fußballclubs. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung lässt die ägyptische National Security Agency seit Beginn des Jahres 2015 täglich etwa drei bis vier Personen verschwinden, welche entführt, verhört und gefoltert werden.(19) Das im August 2015 verabschiedete Antiterrorgesetz ermöglicht es den Behörden, „schwerwiegende Gerichtsurteile zu erlassen, einschließlich der Todesstrafe, für Straftaten, die einer solch ausgedehnten Definition von Terrorismus untergeordnet werden, dass sie auch zivilen Ungehorsam umfassen können. […] Das neue Gesetz erweitert auch die Befugnisse von Staatsanwält_innen, Tatverdächtige ohne gerichtliche Überprüfung zu inhaftieren und die weitreichende und potenziell zeitlich unbegrenzte Überwachung von Terrorverdächtigen ohne richterlichen Beschluss anzuordnen“, so Human Rights Watch.(20)

Die Bundesregierung kollaboriert mit den in der Repression eingebundenen Geheimdiensten und Polizeiapparaten. Bereits im Jahr 2014 nahm die Bundesregierung wieder Verhandlungen über ein Polizeiabkommen mit Kairo auf, um Ägypten als „Vorposten einer europäischen Sicherheitspolitik“(21) auszubauen. U.a. führte das Bundeskriminalamt (BKA) Schulungen zur polizeilichen Auswertung des Internets durch, welche nicht nur gegen den Terrorismus, sondern auch gegen regimekritische Stimmen und für das Herausfiltern falscher Profile von Homosexuellen, die ebenfalls staatlicher Gewalt ausgesetzt sind, in sozialen Netzwerken wie Facebook genutzt werden. Nach Aussage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko seien auch die ‚Informationserhebungsreise‘ des BKA und ein Treffen mit dem ägyptischen Militärgeheimdienst „ein fatales Signal an die Protagonist/innen der Revolten von 2011“.(22) Außerdem besteht eine Zusammenarbeit mit dem u.a. für die Terrorismusbekämpfung zuständigen Inlandsnachrichtendienst National Security Service (NSS) und dem Auslandsnachrichtendienst General Intelligence Security (GIS). Eine GIS-Verbindungsbeamtin vertritt an der ägyptischen Botschaft in Berlin die Interessen beider Nachrichtendienste und ein Stipendiat des NSS wurde 2015 an das Bundeskriminalamt entsandt.

Bei Betrachtung der bisherigen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung unter Sisi wird deutlich, dass diese vielmehr zur Erstarkung und Entstehung von terroristischen Strukturen beitragen und gleichzeitig einen Deckmantel für die Zerschlagung organisierter Oppositionsgruppen bilden. Nach außen hingegen dient die so genannte Terrorismusbekämpfung zur Festigung seiner Legitimität als notwendiges geostrategisches Bollwerk gegen den islamistischen Terrorismus. Internationale Staatsbesuche, wie das Treffen des ägyptischen Präsidenten Sisi mit Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier sowie sein Empfang mit militärischen Ehren im Schloss Bellevue im Juni 2015 werteten Sisis politisches Ansehen auf und bestätigten ihn in seinem menschenrechtsverachtenden Kurs als Partner im Kampf gegen den „Terrorismus“.

…und im Krieg gegen Migrant_innen

Laut dem Direktor der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, legen immer mehr Boote von Ägypten nach Europa ab. U.a. zwingen das EU-Türkei-Abkommen und die Militarisierung der so genannten „Balkan-Route“ die Migrant_innen dazu, die gefährliche, oft zehn Tage lange Überfahrt von der ägyptischen Küste aus zu wagen oder über Ägypten nach Libyen vorzudringen.(23) EU-Parlamentspräsident Martin Schulz forderte, eine intensivere Kooperation von Seiten der ägyptischen Regierung als Bedingung an die bevorstehende Kreditvergabe des IMF in Höhe von 12 Milliarden Euro zu knüpfen. Ohne diesen Kredit würde Ägypten unter der Militärregierung wahrscheinlich in eine tiefe Krise stürzen, was (anders als etwa in Griechenland) jedoch aus westlicher Sicht verhindert werden muss und angesichts der herausragenden geostrategischen Bedeutung Ägyptens und der Kooperationsbereitschaft seiner Regierung sicherlich auch verhindert werden wird.(24)

Als Transitland nimmt Ägypten seit jeher einen wichtigen Platz in der Europäischen Grenzvorverlagerungsstrategie ein, in der Drittstaaten Geflüchtete und Migrant_innen an der Überfahrt nach Europa hindern sollen. Bereits im Rahmen des im Jahr 2014 initiierten multilateralen Khartoum-Prozesses kam Ägypten die Aufgabe zu, gemeinsam mit weiteren nordafrikanischen Transitländern die illegalisierte Migration vom Horn von Afrika (Eritrea, Somalia, Äthiopien, Sudan, Südsudan und Kenya) zu blockieren und die so genannte Rückführung unliebsamer Migrant_innen durch neue Abkommen zu erleichtern.(25) Im Juni 2016 erklärte die EU durch den neuen „Migrationspartnerschaftsrahmen“ die Zusammenarbeit mit Drittländern – einschließlich Ägyptens – in der Migrationsbekämpfung gar „zum Fokus der EU-Außenpolitik“.(26) Abgesehen von seiner Funktion als mittlerweile zweitwichtigstes Transitland nach Libyen, zählt Ägypten u.a. auf Grund seiner desaströsen Wirtschaftslage seit 2016 auch zu den zehn wichtigsten Herkunftsländern.

Die Bundespolizei beabsichtigt diesen Prozess der Grenzvorverlagerung durch Ausbildungs- und Ausstattungshilfe des ägyptischen Grenzschutzes zu intensivieren und somit „die polizeilichen Kompetenzen der ägyptischen (Grenz-) Polizeibehörden zu stärken sowie das Verständnis einer nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen und Menschenrechten verpflichteten Polizei zu vermitteln.“(27) In der Umsetzung einer an sich rechtswidrigen und zutiefst unmoralischen Migrationspolitik der EU das Verständnis von demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen einer Behörde zu stärken, deren Handeln bisher fast vollkommene Straflosigkeit erfährt, ist wohl unmöglich. Die ägyptischen Grenzpolizeibehörden sind bekannt für ihre „shoot-to-stop“ Methode, durch die sie in den vergangenen Jahren mit Schüssen versuchten, Migrant_innen bereits beim Ablegen zu hindern oder die Boote wieder zurück an die ägyptische Küste zu treiben. Obwohl dieser Schusswaffengebrauch wiederholt tödlich endete, wurde niemand je für sie zur Verantwortung gezogen. Eine weitere rechtswidrige Maßnahme des ägyptischen Grenzschutzes ist die willkürliche Verhaftung und Abschiebung von Flüchtlingen in Kriegsgebiete wie Syrien. Allein im Juni 2016 wurden mehr als 700 Personen an dem Küstenabschnitt zwischen dem Nildelta und Marsa Matrouh festgenommen.(28) Unabhängig vom konkreten, menschenverachtenden Verhalten der Grenzschutzbehörden stellt die Zusammenarbeit Deutschlands mit diesen eine Legitimierung und Unterstützung eines zutiefst illegitimen, repressiven Regimes dar.

Seit Anfang April ist außerdem ein grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter für eine bessere Luftfahrt- und Flughafensicherheit in der deutschen Botschaft in Kairo tätig.(29) In diesem Rahmen erfolgen in Zukunft auch Ausbildungsmaßnahmen durch das BKA und die Bundespolizei bezüglich der Passagierkontrolle und der Nutzung von internationalen Datenbanken. Dies ist besonders brisant, da Ägypten einerseits zunehmend Einreiseverbote gegen kritische Forscher_innen, Journalist_innen etc. erteilt und andererseits Dissident_innen an der Ausreise hindert. So wurde z.B. der deutsche Staatsangehörige Atef Botros, ein zum Arabischen Frühling forschender Literaturwissenschaftler, an der Einreise gehindert.(30) Human Rights Watch dokumentierte im November 2015 bereits 32 Fälle, in denen Sicherheitskräfte u.a. Aktivist_innen und Mitarbeiter_innen von Nichtregierungsorganisationen unrechtmäßig die Ausreise untersagten. Ägypten verwandele jetzt seine Grenzen in Gefängnismauern für Dissidenten – so beschreibt der HRW Direktor für den Nahen Osten und Nordafrika, Nadim Houry, die aktuelle Situation.(31) Die Bundesregierung ist an dieser Entwicklung durch die bestehende Zusammenarbeit und die in Aussicht gestellte Ausweitung der Kooperation beteiligt und bestärkt und unterstützt die Regierung darin, Oppositionellen die Ausreise zu verweigern, um ihrer jederzeit habhaft werden zu können.

Abgesehen von der Mitarbeit an der unrechtmäßigen Einschränkung der Ein- und Ausreise unliebsamer Personen, hat sich die Bundesregierung auch an der Verhaftung des kritischen Al-Jazeera Journalisten Ahmed Mansour beteiligt. Bei seinem Abflug nach Katar wurde er am Berliner Flughafen Tegel unter Berufung auf einen internationalen über Interpol verbreiteten Haftbefehl festgenommen. Bis heute ist nicht geklärt, weshalb der Haftbefehl trotz Verstoß-Meldungen von Interpol die notwendige Zustimmung des Bundesamts für Justiz und des Auswärtigen Amts erhielt, um in das elektronische Informationssystem der Polizei zu gelangen. Von offizieller Stelle hieß es Spiegel Online gegenüber, es sei „dumm gelaufen“. Mansour wurde nach einer fast 48-Stunden langen Festnahme in der Justizvollzugsanstalt Moabit und drohender Auslieferung nach Ägypten freigelassen.(32) Hier hat sich die Bundesregierung auch auf deutschem Boden zum Komplizen einer die Pressefreiheit und die Menschenrechte offen verachtenden Regierung gemacht.

Profit am Nil

Ägypten ist nach den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi Arabien der drittwichtigste arabische Absatzmarkt deutscher Unternehmen, die allein im Jahr 2015 Waren im Wert von rund 3,5 Milliarden Euro nach Ägypten lieferten. Erst im April 2016 trafen sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und 140 deutsche Wirtschaftsvertreter_innen mit ägyptischen Unternehmer_innen und dem Präsidenten Sisi, um im Rahmen der 3. Sitzung der Deutsch-Ägyptischen Gemischten Wirtschaftskommission weitere Handelsabkommen unter Dach und Fach zu bringen.(33) Zwar sprach Gabriel generell Menschenrechtsverletzungen an, doch anstatt die katastrophale Rechtslage etwa der Gewerkschaften zu kritisieren, nannte er Sisi „einen beeindruckenden Präsidenten.“(34) Deutsche Unternehmen konnten das 2004 mit der EU unterzeichnete Assoziierungsabkommen nutzen, um ihre Aktivitäten in Ägypten zu intensivieren. Dem Großunternehmen Siemens brachte die Militärdiktatur den größten Einzelauftrag seiner 170-jährigen Konzerngeschichte ein. Unterzeichnet wurde der Auftrag während Sisis Staatsbesuch in Berlin im Juni 2015. Ganze acht Milliarden Euro erhält das Unternehmen, um zwölf Windparks und drei Erdgaswerke zu bauen, inklusive einer eigenen kleinen Fabrik in Ägypten, welche kostengünstig die Windradrotoren herstellen soll. Allein dadurch dürfte sich die Beteiligung des Siemens-Konzerns an der Desertec Industrial Initiative (Dii), die auf verbesserte politisch-industrielle Beziehungen zwischen europäischen Investoren, wie der Deutschen Bank, Unternehmen der erneuerbaren Energie und politischen Akteuren des arabischen Raumes im Bereich der erneuerbaren Energien abzielte, gelohnt haben.

Gemeinsam mit der KfW IPEX und der in London ansässigen multinationalen HSBC hat die Deutsche Bank die staatliche Exportkreditversicherung der Bundesrepublik Deutschland im Wert von 3,5 Milliarden Euro für die geplanten Energiewerke in Beni Suef, Burullus und in der neuen geplanten Hauptstadt, New Capital, arrangiert.(35)

Weitere Milliardenschwere Prestigeprojekte werden geplant, obwohl die Schulden Ägyptens immer weiter anschwellen. Eines dieser Projekte hat Sisi bereits durchgeführt: die Ausweitung des Suezkanals. Auch hier waren deutsche Unternehmen tatkräftig beteiligt. Eines von ihnen ist die im baden-württembergischen Schwanau ansässige Herrenknecht AG, welche für 160 Millionen Euro an dem Tunnelausbau mitwirkte und Spezialwerkzeuge und -maschinen lieferte.(36) Im Januar 2016 sprach der ägyptische Wohnungsbauminister mit einer deutschen Delegation über eine mögliche Teilnahme am Bau des mehr als 45 Milliarden Dollar schweren New Capital City Projekts. Die neue Hauptstadt soll in etwa sieben Jahren auf einer Fläche der Größe Singapurs mehr als fünf Millionen Menschen und den Regierungseinrichtungen ein neues Zuhause bieten.(37) Bei diesen kostspieligen Großprojekten geht es Sisi einerseits um internationales Ansehen und um Anerkennung auf der politischen Weltbühne. Zugleich kommen durch diese Bauprojekte profitreiche Aufträge militäreigenen Bauunternehmen zu und sichern Sisi Rückhalt in den eigenen Reihen.

Die nächsten Verträge für deutsche Unternehmen stehen bereits in Aussicht. Im Februar 2017 findet in Kairo eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte und in Zusammenarbeit von MENA-Projektpartner e.V. und der Deutsch-Arabischen-Industrie- und Handelskammer (AHK Ägypten) geplante Geschäftsanbahnung für deutsche Unternehmen und Dienstleister im Bereich der Zivilen Sicherheitstechnologien und -dienstleistungen statt. Dadurch „erhalten deutsche Unternehmen einen umfassenden Einblick in die konkreten Geschäftsmöglichkeiten im Bereich der Zivilen Sicherheitstechnologien und -dienstleistungen in Ägypten (Schwerpunkt Sicherung der touristisch wichtigen Flughäfen) und treffen vor Ort mögliche künftige Geschäftspartner“.(38)

Exkurs: Deutsche Prestigeprojekte im Bildungssektor

Die German University Cairo (GUC) stellt momentan die größte deutsche Auslandsuniversität dar. Im Jahr 2001 wurde sie mit Unterstützung der Universitäten Ulm und Stuttgart gegründet und nahm ab dem Jahr 2003 ihren Betrieb auf. Unterstützt wird die GUC von deutscher Seite aus durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), die Deutsche Botschaft in Kairo, die Arabisch-Deutsche Industrie- und Handelskammer (AHK), das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie durch die Universitäten Tübingen und Mannheim. Persönliche Schirmherren sind der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Heinrich von Pierer und der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel. Doch die Universität steht im Gegensatz zu ihrem Image nicht unbedingt für Demokratie. U.a. rief die Universitätsleitung im März 2011 das Militär gegen Stundent_innen auf das Universitätsgelände, die für die Errichtung einer unabhängigen Studierendenvertretung demonstrierten.(39) Auch im Jahr 2015 richtete sich die Universitätsleitung nach einem tödlichen Unfall auf dem Universitätsgelände gegen die protestierende Studierendenschaft und entmutigte sie – u.a. durch das Suspendieren und Exmatrikulieren engagierter Studierender – sich gegen die Universitätsleitung aufzulehnen.(40) Im September 2016 zerstörte die Administration auf dem Universitätsgelände ausgestellte „unethische“ Abschlussarbeiten, in denen nackte Körper abgebildet waren, und kündigte den Lehrauftrag des für diese Arbeiten zuständigen renommierten Architekten Tarek Naga. Unter dem Hashtag #GUC_Censorship wehren sich Studierende in sozialen Netzwerken gegen den Verlust einer der wenigen freisinnigen Professoren ihrer Hochschule.(41) Abgesehen von der GUC befindet sich auch ein Ableger der Technischen Universität Berlin in Ägypten. Standort ist der von dem Wirtschaftsmogul Samih Sawiris in den 90’er Jahren erbaute Ferienort El Gouna am Roten Meer. Im Gegensatz zur GUC steht die TU Berlin in El Gouna nicht unter der Schirmherrschaft des ägyptischen Ministeriums für Erziehung und Bildung, sondern funktioniert als öffentlich-privates Projekt durch die Finanzierung der Sawiris Foundation for Social Development und Orascom Development.(42) Das Schweigen der beteiligten Universitäten in Deutschland und ihrer Studierendenschaften normalisiert die schrittweise Einschränkung der Forschungsfreiheit und das Vorgehen gegen unabhängige Studierendenorganisationen an der GUC.

Kritische Stimmen in Ägypten…

Allein innerhalb der ersten drei Monate 2016 fanden laut dem Independent Observatory Democracy Index mehr als 733 Demonstrationen in Ägypten statt.(43) Die Anlässe dazu sind vielfältig. Viele fordern die Freilassung politischer Gefangener. Eine genaue Zahl der politischen Gefangenen gibt es nicht, doch 2014 dokumentierten Menschenrechtsaktivist_innen namentlich die Inhaftierung von rund 41.000 Menschen.(44) Seit 2014 standen mehr als 7420 Zivilist_innen vor ägyptischen Militärgerichten(45) – viele von ihnen wurden im Rahmen der berüchtigten Massenverurteilungen des ägyptischen Justizwesens schuldig gesprochen. In diesen Massenverurteilungen fällen die Richter_innen oftmals nach nur zweiminütiger Anhörung ihr Urteil und beziehen sich auch auf unter Folter erzwungene Aussagen.(46) Die politische Justiz und die Straflosigkeit im Justizwesen und in den Sicherheitskräften Ägyptens verschlimmern die Situation zusehends. Allein im Jahr 2015 wurden mehr als 600 Fälle staatlicher Folter dokumentiert und mehr als 500 Fälle, in denen Menschen durch Sicherheitskräfte umgebracht wurden – die meisten davon ereigneten sich in Haft. Belangt wurden die Verantwortlichen dafür in der Regel nicht. Die Politik von Sisi ist es, politischen Dissens durch Staatsterror zu unterbinden und dafür lässt er den Sicherheitskräften freie Hand. Immer wieder fanden Demonstrationen gegen die ausufernde Polizeigewalt statt. So löste am 19. April 2016 ein Polizist eine Demonstration aus, indem er einen Verkäufer im Streit um den Preis eines Glases Tees erschoss und zwei Beistehende verletzte.(47) Gegenstand kürzlich erfolgter Demonstrationen ist auch immer wieder die korrupte Politik des Landes, wie die Proteste am 25. April 2016 gegen die Überlassung der unbewohnten Inseln Tiran und Sanafir an Saudi Arabien. Mittlerweile wurden 51 Teilnehmende wegen unerlaubten Protests, Hetze gegen Staatsinstitutionen und Störens des öffentlichen Friedens zu zwei Jahren Gefängnis einschließlich Zwangsarbeit verurteilt.(48) In breiten Teilen der Gesellschaft verliert der zunächst von vielen als starker Mann gefeierte Sisi, welcher wieder Ruhe und Ordnung in die Wirren der Post-Revolutionszeit bringen sollte, momentan an Zustimmung. Dies zeichnet sich auch im Sicherheitsapparat ab.

Sisi fürchtet einen Kontrollverlust über unzufriedene Sicherheitskräfte, was u.a. im Februar 2016 durch die Festnahme einfacher Polizisten sichtbar wurde, die sich auf dem Weg zu einer Fernsehsendung befanden, in welcher sie die sich zu dem Zeitpunkt in ihrer Gründungsphase befindliche Bewegung für die Rechte der Polizisten vorstellen sollten.(49) Die steigende Unzufriedenheit unter den staatlichen Sicherheitskräften,(50) gepaart mit einer starken wirtschaftlichen Krise, die die Lebensbedingungen der Menschen erschwert und die Gewerkschaften stärkt, stellen eine Risiko für das staatliche Gleichgewicht dar.

Doch nicht nur Polizisten organisieren sich gegen die Arbeitsbedingungen unter Sisi. Im Dezember 2015 fand eines der größten Gewerkschaftstreffen der letzten Jahre statt, bei dem beschlossen wurde, ein neues umfassenderes Komitee zu schaffen und eine landesweite Kampagne für die Freiheit von Gewerkschaften und bessere Arbeitsbedingungen auf die Beine zu stellen, welche in einer geeinten Demonstration münden sollte. Zur Versammlung trafen mehr als fünfzig Gewerkschaften ein – „vom Transportwesen zum Schulwesen, vom Landwirtschaftssektor zum weitflächigen informellen Dienstleistungssektor, vom Sinai bis zum [südlichen] Oberägypten, vom Nildelta, Alexandrien und Kairo“.(51)

Wie aus dem regierungskritischen Artikel des bei dem Treffen anwesenden italienischen Cambridge-Doktoranden Giulio Regeni hervorgeht, liegt das größte und letzte verbleibende Potential für einen starken Widerstand gegen das Regime in den unabhängigen Gewerkschaftsbewegungen, aus denen auch die großen Proteste des Jahres 2011 hervorgingen. Kurz nach der Veröffentlichung des Artikels auf dem italienischen Nachrichtenportal Near East News Agency und am fünften Jahrestag der Revolution wurde Regeni laut drei Geheimdienstbeamter und drei Polizisten, die sich an Reuters wandten, von Sicherheitsbeamten zu Tode gefoltert. Von offizieller Regierungsseite hieß es, Regeni sei von einer Gruppe Krimineller ermordet worden, welche wiederum durch die Polizei erschossen wurden.(52) Die unabhängigen Gewerkschaften stellen laut Regeni „einerseits das Herz der neoliberalen Transformation des Landes in Frage, welche eine starke Beschleunigung im Jahr 2004 erlebte und nicht durch die weitflächigen Revolten, die im Januar 2011 mit dem Slogan ‚Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit‘ ausbrachen, ausgebremst werden konnte. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die simple Tatsache, dass es die vorhandenen spontanen und aus der Basis der Bevölkerung entstehenden Initiativen in einem autoritären und repressiven Kontext, wie dem des Ägyptens unter Ex-General al-Sisi, schaffen, die [staatlich errichtete] Mauer der Angst zu durchbrechen und somit an sich einen wichtigen Antrieb für einen [gesellschaftlichen und politischen] Wandel darstellen. Den Ausnahmezustand und die [von staatlicher Seite formulierten] Aufrufe zur Wahrung der Stabilität und des sozialen Frieden herauszufordern, die mit dem ‚Krieg gegen den Terrorismus‘ gerechtfertigt werden, bedeutet heute, wenn auch nur in einer indirekten Weise, die Rhetorik, mit der das Regime seine eigene Existenz und die Repression gegen die Zivilgesellschaft rechtfertigt, in Frage zu stellen.“(53)

Dies erklärt, weshalb Sisi im März 2016 alle unabhängigen Gewerkschaften, die sich nicht in die regierungsnahe Dachorganisation Egyptian Trade Union Federation (ETUF) eingliedern wollten, verbat. Die ETUF war seit ihrer Gründung 1957 die einzig staatlich anerkannte Gewerkschaftsbewegung.(54) Nach dem Sturz Mubaraks 2011, gründeten sich rund 3000 solcher unabhängigen Gewerkschaften, welche sich zum Teil unter der Dachorganisation Egyptian Federation of Independant Trade Unions zusammenschlossen.(55)

… bitten um internationale Solidarität!

Immer wieder fordern verschiedene ägyptische Gewerkschaften internationale Solidarität und Unterstützung, die auch auf der seit 2014 von dem MENA Solidarity Network betriebenen Seite der internationalen Egypt Solidarity Initiative dokumentiert werden.(56) Mitte August 2016 veröffentlichten ägyptische Gewerkschaftler_innen aus unterschiedlichen Sektoren einen Aufruf zur internationalen Solidarität für eine Kampagne, die sich um die Freilassung von 26 inhaftierten Werftarbeitern der Alexandria Shipyard Company bemüht. Die Arbeiter wurden im Rahmen eines Streiks für bessere Arbeitsbedingungen am 24. Mai 2016 festgenommen und warten seither auf das Urteil eines Militärgerichts. Das 1960 gegründete, staatliche Alexandria Shipyard Unternehmen wurde im Jahr 2007 von der dem Verteidigungsministerium unterstehenden Marine Industries and Services Organization übernommen(57). Seither sind die Arbeiter_innen laut dem Aufruf der Gewerkschaften dem Militärrecht unterstellt, obwohl sie als zivile Arbeiter_innen zu betrachten seien. Die Unterzeichner_innen des Aufrufs appellieren, in Protestbriefen bzw. -mails an den Präsidenten Abdel Fattah al Sisi und an den ägyptischen Arbeitsminister die unverzügliche Freilassung der Arbeiter_innen des Unternehmens Alexandria Shipyard zu fordern.

Zuvor erfolgten weitere Aufforderungen zur internationalen Solidarität durch die Gewerkschaft der Journalist_innen, welche u.a. in Australien, Großbritannien, Irland und Tunesien Anklang fanden. In der Nacht zum ersten Mai 2016 stürmte die Polizei das Gewerkschaftshaus der Journalist_innen in Kairo und inhaftierte die zwei Journalisten Amr Badr und Mahmoud al Sakka. Bisher galt dieser Ort als Tabuzone für die Polizei – ein begrenzter Ort, an dem Protest zu Zeiten Mubaraks geduldet wurde. Doch selbst am 4. Mai 2016, am internationalen Tag für Pressefreiheit, schritt das Militär erneut gegen die Journalist_innen ein. In Reaktion auf diese staatliche Repression trafen sich verschiedene Journalist_innen, um einen Plan gegen den immer weiter ausufernden Prozess der Repression aufzustellen. Ein Ergebnis dieses historischen Treffens, an dem etwa 3000 Mitglieder trotz Drohungen von Seiten der Polizei teilnahmen, war die gemeinsame Herausgabe einer Titelseite, die für Pressefreiheit eintrat, eine Entschuldigung des Präsidenten verlangte, den ägyptischen Innenminister kritisierte und seinen Rücktritt forderte. Zahlreiche große Zeitungen(58) beteiligten sich an dieser Aktion. Zur internationalen Solidarität rief u.a. die International Journalist Federation auf, die die Repression gegen die Journalist_innen in Ägypten an dritter Stelle weltweit einschätzt.

In der britischen Gewerkschaft University and College Union organisierte Akademiker_innen stimmten im Rahmen ihres jährlichen Kongresses Anfang Juni 2016 für eine Teilnahme der von Amnesty International initiierten Kampagne #TruthforGiulio zur Aufklärung des Mordes an Giulio Regeni, der an der Cambridge University promoviert hatte.(59) Abgesehen von den zahlreichen dokumentierten Menschenrechtsverletzungen an ägyptischen Staatsbürger_innen, hatte selbst die straflose tödliche Gewalt ägyptischer Sicherheitsbeamter an dem französischen Staatsangehörigen Eric Lang und dem italienischen Gulio Regeni keine schwerwiegenden politischen oder wirtschaftlichen Konsequenzen für Ägyptens Regierung. Zwar zog Italien im April 2016 den Botschafter aus Kairo ab und der italienische Senat annullierte am 29. Juni 2016 die Erlaubnis der Lieferung von ausstehenden F-16 Bauteilen an Ägypten auf Grund der mangelnden Kooperation ägyptischer Behörden in der Aufklärung des Mordfalles,(60) doch andere Waffenexporte fanden auch nach der Ermordung statt.(61) Obwohl sich erst im Jahr 2013 ein ähnlicher Fall mit einem französischen Staatsbürger ereignete, kamen auch aus Paris keine kritischen Töne. Im September 2013 wurde der Französischlehrer Eric Lang während einer Ausgangssperre festgenommen und in die Qasr Al-Nil Polizeistation gebracht, wo er kurze Zeit später starb. Die Autopsie ergab, dass er mehr als sechs Stunden lang mit einer Stange und elektrischen Kabeln geschlagen wurde – ein Befund, der auf Polizeigewalt hindeutet und nicht, wie die offizielle Erklärung lautet, auf den Mord von weiteren Zellinsassen. Dennoch wurden im Mai 2016 sechs ehemalige Zellinsassen des Mordschlags beschuldigt und verurteilt.(62)

Unterschiedliche Gruppen in England richten sich gegen die Wirtschaftskooperation, gegen die diplomatischen Vertretungsstellen in Großbritannien und schaffen Solidaritätsnetzwerke zwischen den Gewerkschaften in u.a. Ägypten, Irland und Großbritannien.

In Deutschland protestierte die in Deutschland aufgewachsene ägyptische Studentin und Journalistin Fagr Eladly bei der Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi Anfang Juni 2015 in Berlin gegen Sisi, in dem sie Sisi durch Zwischenrufe als Mörder bezeichnete.(63) Es bestehen zahlreiche mögliche Anknüpfungspunkte, um der Militärdiktatur in Ägypten zumindest die wirtschaftliche und politische Unterstützung aus Deutschland zu entziehen und um den kritischen Stimmen mehr Gehör zu verschaffen. Auch Gruppen in Deutschland können ihre Solidarität ausdrücken, egal ob es sich hierbei um Fußball-Sympathisant_innen handelt, um Studierende, die sich gegen die Militarisierung ihres Campus und die Beschneidung von Forschungsfreiheit wehren, oder um die inhaftierten Dichter_innen, Angehörigen der LGBT-Community, Journalist_innen oder Menschenrechtsaktivist_innen.

Anmerkungen und Quellen

1) Internationale Reaktionen zu Ägypten Erleichterung über Mubaraks Rücktritt, rp-online.de, 12.02.2011
2) Revolution in Ägypten. Polizisten wollen mehr Geld, taz.de, 14.02.2011
3) Ägypten nach der Revolution, bpb.de, 02.08.2011
4) Ägypten: Gericht verurteilt Al-Jazeera-Journalisten zum Tode, spiegel.de, 07.05.2016
5) Repreive November 2015
6) Ein unverzichtbarer Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus, bmi.bund.de, 31.03.2016
7) Egypt declares Muslim Brotherhood a terrorist group, theguardian.com, 25.12.2013
8) Ansar Beyt al Maqdis (Unterstützer des Heiligen Hauses) trat zunächst im Jahre 2011 als islamistische Rebellengruppe zu Vorschein und verübte u.a. Anschläge auf die nach Israel führende Ölpipelines im Sinai. Seit dem 10. November 2014 haben sie ihre Treue und Anhängerschaft zum Islamischen Staat bekundet und bezeichnen sich seither als Provinz Sinai.
9) Ismail Alexandrani: The War in Sinai. A battle against terrorism or cultivating terrorism for the future?, Arab Reform Initiative, März 2014. Ismail Alexandri befindet seit Dezember 2015 in Untersuchungshaft, deren Dauer bereits drei Mal verlängert wurde. Ihm werden u.a. die Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen und das Verbreiten falscher Nachrichten, welche die öffentliche Sicherheit und Interessen verletzten. 1030 Terrorists Killed’ in Egypt’s North Sinai on Sinai Liberation Day, egyptianstreets.com, 25.04.2016
11) Alexandrani: The War in Sinai 2014
12) Auch im Westen des Landes hat die staatliche Terrorismusbekämpfung tödliche Folgen. Die Bombardierung einer Gruppe mexikanischer Tourist_innen an der libyschen Grenze im Jahr 2015 zeigt, wie locker der Finger der ägyptischen Streitkräfte am Abzug sitzt. Die ägyptische Luftwaffe bombardierte das Zeltlager der Tourist_innen im Rahmen einer Anti-Terror-Operation an der Grenze zu Libyen im Westen des Landes, obwohl die zuständige Behörde diese Reiseroute zuvor genehmigt hatte. Dabei starben vier ägyptische Reisebegleiter und sechs Tourist_innen. Die mexikanische Regierung kritisiert die mangelnde Nachbereitung des Vorfalls und die Haltung der Regierung, von deren Seite keine Entschädigung oder Bestrafung der verantwortlichen Militärs angeordnet wurde. Die einzige Entschädigung erhielten Familien der mexikanischen Opfer durch die Egyptian Tourism Federation – einem wirtschaftlichen Zusammenschluss von Unternehmen aus dem Tourismussektor. Egypt tourism groups pay families of three Mexicans killed by mistake, theguardian.com, 09.05.2016
13) Mohammed Othman: Rafah farmers watch in horror as Egypt floods Gaza tunnels, al-monitor.com, 25.09.2015
14) “Look for Another Homeland” Forced Evictions in Egypt’s Rafah, hrw.org, 22.09.2015
15) Einen weiteren Akteur in dieser Gewaltspirale stellt die Regierung Israels dar. Seit der Machtergreifung Sisis setzte das israelische Militär mehrmals Drohnen zur gezielten Tötung von als Terrorist_innen klassifizierten Bewohner_innen der Halbinsel ein und schickte israelische Todesschwadronen zur Ermordung eines Palästinensers in den Sinai. Es ist unklar, wie viele Menschen durch diese völkerrechtswidrigen Aktionen ums Leben kamen. (Alexandrani: 2014)
16) Rania Rabeaa Elabd: Who’s really benefiting from Sinai’s state of emergency?, al-monitor.org, 21.06.2016
17) Patrick Keddie: Sinai. Reporting Egypt’s ‚War on Terror‘. The Egyptian government has barred journalists from reporting on events in the troubled Sinai peninsula, aljazeera.com, 07.03.2016
18) James Dorsey: Egypt Bans Ultras in Bid to Break Anti-Government Protests, huffingtonpost.com, 16.05.2015
19) Egypt. Hundreds disappeared and tortured amid wave of brutal repression, amnesty.org, 13.07.2016
20) Egypt. Counterterrorism Law Erodes Basic Rights, hrw.org, 19.08.2015
21) Andrej Hunko: Pressemitteilung. Kein deutsches Polizeiabkommen mit Ägypten, andrej-hunko.de, 04.11.2014
22) Andrej Hunko: Pressemitteilung. Kein deutsches Polizeiabkommen mit Ägypten, andrej-hunko.de, 04.11.2014
23) More EU-bound migrants leaving from Egypt: EU agency, tribune.com.pk, 28.06.2016
24) EU befürchtet Massenflucht aus Ägypten, sueddeutsche.de, 23.09.2016
25) Mohamed al-Kashef und Tom Rollins: Is Egypt the new gateway to Europe?, madamasr.com, 11.08.2016
26) Kristin Siegfried: Europe tries to buy its way out of the migration crisis, irinnews.org, 30.06.2016
27) Bundestag Drucksache 18/8598, 31.05.2016
28) David Smith: Egypt cracks down on irregular migrants, middleeasteye.net, 21.08.2015
29) Deutscher Innenminister zu Gast in Ägypten. Vertiefung der Sicherheitszusammenarbeit, kairo.diplo.de
30) Matthias Monroy: Repressionswelle in Ägypten – Bundesinnenministerium hilft mit Ausbildung und „Sicherheitsabkommen“, netzwerkpolitik.org, 03.05.2016
31) Egypt Scores Barred Travelling, hrw.org, 01.11.2015
32) Severin Weiland: Nach Festnahme in Berlin: Al-Jazeera-Journalist Mansour kommt frei, spiegel.de, 22.06.2015
33) Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Nil, kairo.diplo.de
34) Gabriel nennt al-Sisi „beeindruckenden Präsidenten“, tagesschau.de, 18.04.2016
35) Combined Cycle (COGAS) power plants for Egypt: Deutsche Bank, HSBC and KfW IPEX-Bank structure and arrange EUR 3.5 billion in financing, db.com, 12.04.2016
36) Deutschland profitiert von neuem Suezkanal, bundesregierung.de, 07.08.2015
37) Germany may take part in Egypt new capital city projects, projects.zawya.com, 21.01.2016
38) Geschäftsanbahnung für deutsche Unternehmen und Dienstleister im Bereich der Zivilen Sicherheitstechnologien und -dienstleistungen nach Ägypten vom 18. bis 22. Februar 2, ixpos.de
39) Forces of the Old Regime, german-foreign-policy.com, 28.03.2011
40) GUC students to appeal expulsion for protesting death of fellow student, madamasr.com, 02.08.2015
41) Professor at German University: They thought my students‘ work was immoral so they terminated my contract, madamasr.com, 07.09.2016
42) Know The TU Berlin Campus El Gouna, daad.org
43) 733 protests in the first quarter of 2016. Observatory report, dailynewsegypt.com, 11.04.2016
44) حصر المقبوض عليهم والملاحقين قضائياً خلال عهد السيسي/عدلي منصور, مُحَدَّث حتي 15 مايو 2014 wikithawra.wordpress.com
45) Egypt: 7,400 Civilians Tried In Military Courts, hrw.org, 13.04.2016
46) Im Mai 2015 wurden vier Menschen nach dem Urteil eines solchen Militärgerichts gehängt, obwohl sie zum Zeitpunkt des vermeintlich begangenen Verbrechens bereits in Haft waren. Ein Fünfzehnjähriger verbrachte drei Jahre in Haft, nachdem ein Militärgericht ihn der Beteiligung an einem unerlaubten Protest bezichtigte.
47) Egypt protest after tea vendor ‚killed by police‘, bbc.com, 19.04.2016 4851 Protesters Sentenced to Prison for Demonstrations Against Egypt’s Transfer of Islands, egyptianstreets.com, 14.05.2016
49) Mohammad Mansour: Why is Sisi so afraid of Egypt’s police?, middleeasteye.net, 05.09.2016
50) Bereits 1986 rebellierten laut Mohammad Mansour etwas 25.000 niedrig-rangige Bereitschaftspolizisten gegen die ausbeuterischen Bedingungen unter Mubarak. Die Rebellion wurde militärisch niedergeschlagen, wobei 175 Polizisten erschossen und rund 3000 verhaftet wurden. In den staatlichen Medien wurden die Hintergründe des Aufstandes verdreht dargestellt, was trotz der starken Überwachung und der rigiden Gesetze auf Grund des Internets heute nicht mehr möglich ist.
51) L’Egitto degli scioperi cerca l’unità sindicale, nena-news.it, 14.01.2016
52) Simon Robinson und Sara Ledwith: Exclusive. Egyptian police detained Italian student before his murder – sources, reuters.com, 21.04.2016
53) L’Egitto degli scioperi cerca l’unità sindicale, nena-news.it, 14.01.2016
54) Jano Charbel: Why are Egypt’s independent trade unions on trial?, madamasr.com, 8.2.2016
55) Ebd.
56) Egypt Solidarity. An international initiative against repression in Egypt, egyptsolidarityinitiative.org
57) Jano charbel: Petitions support Alexandria shipyard workers standing military trial, madamasr.com, 02.08.2016
58) Zu den Zeitungen, die die Entscheidung der Notsitzung der Gewerkschaft umgesetzt haben, zählen Al-Shorouk, Al Wafd, Youm7, Al Maqal, Al Bawaba und Al Masry al Youm.
59) University and College Union joins campaign for truth for Giulio and justice for Egypt’s disappeared, egyptsolidarityinitiative.org, 04.06.2016
60) Italy votes to halt aviation supplies to Egypt over student death, uk.reuters.com, 29.06.2016
61) Matteo Civillini: L’Italia ha continuato a vendere armi all’Egitto anche dopo l’omicidio di Giulio Regeni, news.vice.com, 02.09.2016
62) Egypt Court Sentences Inmates to 7 Years in Prison for 2013 Killing of French Teacher, egyptianstreets.com, 16.05.2016
63) Raniah Salloum: Zwischenruferin beim Sisi-Besuch „Sonst hätte mich ja niemand gehört“, spiegel.de, 04.06.2015