IMI-Standpunkt 2014/031 - in: AUSDRUCK (August 2014)

Kosovo: Eine neue Armee und ein deutlich eingeschränktes Mandat für EULEX

von: Jonna Schürkes | Veröffentlicht am: 20. Juni 2014

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Bis heute erkennen viele Staaten, darunter auch einige EU-Mitglieder, die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Dennoch unternimmt die Regierung des Kosovo immer mehr Schritte, um die Unabhängigkeit des Landes voranzutreiben. Dies geschieht nicht immer im Sinne derjenigen im Westen, die einst die Abspaltung der Provinz von Serbien betrieben.
Der Aufstellung einer kosovarischen Armee – wohl der Inbegriff von Souveränität – steht kaum noch etwas im Wege. Anfang Mai 2014 sollte das kosovarische Parlament dem Vorschlag der Regierung, eine Armee aufzustellen, zustimmen. Sie soll aus 5000 aktiven Soldaten und 3000 Reservisten bestehen und bis 2019 aufgestellt sein. Da allerdings die Abgeordneten der serbischen Minderheit im Kosovo nicht zur Abstimmung erschienen waren, konnte das Parlament nicht entscheiden. Es wurde daraufhin aufgelöst, am 8. Juni 2014 fanden Wahlen statt.
Die serbische Minderheit im Nordkosovo kritisiert die Aufstellung einer Armee, weil sie einerseits die Unabhängigkeit von Serbien verfestigt und weil sie andererseits befürchtet, dass eben jene Armee bei Protesten gegen sie eingesetzt werden könnte. Eine der Hauptaufgaben der NATO-Truppen ist derzeit, im Nordkosovo Proteste einzudämmen und die Herrschaft der Regierung in Pristina durchzusetzen (s. IMI-Analyse 2012/009). Sobald die neue Armee aufgestellt ist, soll sie zunächst gemeinsam mit der KFOR eingesetzt werden und sie langfristig ersetzen. Angesichts dessen und der Tatsache, dass die provisorische Kosovo Security Force, die in der neuen Armee aufgehen soll, bisher vor allem Aufgaben im Innern wahrnimmt, sind die Befürchtungen der Serben im Kosovo nicht von der Hand zu weisen.
Deutschland unterstützt die Aufstellung der neuen Armee ausdrücklich. In der Debatte im Bundestag um die Verlängerung des KFOR-Mandates der Bundeswehr am 22.Mai.2014 kündigte der CDU-Abgeordnete Florian Hahn an, die Bundeswehr werde sich an der „geplanten Umwandlung der kosovarischen Sicherheitskräfte in reguläre, defensiv ausgerichtete Streitkräfte“ beteiligen. [1] Auch hat die Bundesregierung schon Ausbildungs- und Ausstattungshilfe angekündigt.[2] Sowohl die NATO als auch die EU halten sich bisher hingegen auffallend zurück. Hashim Thaci, Ministerpräsident des Kosovo, behauptet zwar er habe ihre volle Unterstützung, weder die NATO noch die EU haben allerdings bisher die Pläne öffentlich kommentiert.
Dies erscheint zunächst erstaunlich, schließlich hat die NATO seit der (von ihr tatkräftig unterstützten) Abspaltung des Kosovo von Serbien in vielerlei Hinsicht die Aufstellung von Sicherheitskräften – der Kosovo Security Force (KSF) – unterstützt. Bei der KSF handelt es sich nicht um eine Armee im eigentlichen Sinne. Die Funktion der KSF war lange Zeit wohl vor allem den Kämpfer der UCK, die 1999 die Bodentruppen der NATO im Krieg gegen Serbien waren, ein Auskommen zu sichern[3]. Sie konnten nach dem Krieg nicht demobilisiert werden und wurden daher größtenteils in das Kosovarische Schutzkorps (TMK) übernommen, das 2009 schließlich zur KSF (Forca e Sigurisë së Kosovës – FSK) umbenannt wurde. Bei ihr handelt es sich dem Ahtisaari-Plan von 2007 zufolge um eine Katastrophenschutztruppe, die über keine schweren Waffen, wie „Panzer, schwere Artillerie oder offensive Luftwaffenkapazitäten“ verfügen soll[4]. Die Hauptaufgaben der KSF sind der Einsatz bei Naturkatastrophen und anderen Notfällen, zur Minenräumung und zur Bombenentschärfung. Ausgebildet wurde die KSF in diesen Bereichen vor allem von den NATO-Truppen. Offenbar beschränkte sich die Ausbildung in letzter Zeit aber nicht nur darauf, es wurden auch klassisch militärische Fertigkeiten vermittelt. Der Balkan Trust for Democracy, ein Projekt des German Marshall Fund, schreib schon im Juni 2013: „Es wurden weitere Trainings organisiert, […] Übungen für Peacekeeping Einsätze, Krisenreaktionsoperationen, Kurse für militärisches Führungspersonal, militärische Schießübungen etc. In einigen der Übungen wurde schwere Artillerie eingesetzt und einige KSF-Angehörige wurden als Piloten ausgebildet, ein deutliches Indiz dafür, dass die Aufgaben der KSF sich wandeln werden“[5].

Das neue EULEX-Mandat: ein hart erkämpfter Kompromiss
Angesichts dieser jahrelangen Bemühungen, verwundert die geringe Euphorie im Westen über die jüngsten Schritte hin zu einer Armee. Diese Zurückhaltung lässt sich nur verstehen, wenn man die Spannungen betrachtet, die zwischen der kosovarischen Regierung auf der einen, der NATO und der EU auf der anderen Seite bestehen. Das Kosovo wird den internationalen Bewachern schlicht zu selbstständig. Der Plan, das Kosovo so lange unter Kontrolle zu halten, bis ein Staat ganz im Sinne des Westens entstanden ist, droht zu scheitern. Besonders deutlich wird dies bei der Verlängerung des EULEX-Einsatzes. Die Mission lief Mitte Juni 2014 aus, erst am 12. Juni – also buchstäblich in letzter Minute – wurde das Mandat um zwei weitere Jahre verlängert. Das neue Mandat ist damit nicht nur deutlich kürzer als das vorherige, die Befugnisse von EULEX sind auch massiv eingeschränkt: „die Mission gibt seine exekutiven Funktionen im Justizsektor ab: Vorbehaltlich werden die EULEX Ermittler keine neuen Fälle mehr annehmen, sondern nur noch die laufenden Fälle abschließen“[6]. Bei ihrer Entsendung 2008 verfügte EULEX über weitgehende Exekutivrechte im Kosovo, konnte Personen verhaften und verurteilen etc.[7]
Still und leise wurden diese schier unbegrenzten Rechte mit dem neuen Mandat ganz maßgeblich eingeschränkt.  Dabei handelt es sich offensichtlich um einen lang verhandelten Kompromiss. Die Regierung des Kosovo hatte zunächst angedroht, EULEX nach Beendigung des Mandats 2014 nicht erneut einzuladen, viele EULEX-Beamte hingegen halten auch die angepeilte Frist 2016 für zu früh, um EULEX zu beenden.[8] Die EU versucht nun auf anderem Wege die Kontrolle über das Land zu behalten: die Integration des Kosovo in die EU soll nun – auch mithilfe der neuen Mission – schneller vorangetrieben werden.[9]
Während der Westen also auf der einen Seite mit der Unterstützung für die Aufstellung einer Armee die Unabhängigkeit des Kosovo stärkt, versucht die EU andererseits die Kontrolle über das Kosovo zu behalten. Dies erscheint zunächst widersprüchlich. Schließlich ist die künftige Armee von Beginn an in die NATO-Strukturen eingebunden. Auf diese Art und Weise soll die Abspaltung des Kosovo von Serbien zementiert, die eigene Kontrolle über das Land erhalten werden. Ob allerdings die Regierung in Pristina dieses Spiel mitspielen wird, ist fraglich.

Anmerkungen
[1] BT-Protokoll: 18/36
[2] BT-Drs: 18/1415
[3] International Crisis Group: An Army for Kosovo, 2006.
[4] UNSR: Comprehensive Proposal for the Kosovo Status Settlement, 26.3.2007.
[5] The Balkan Trust for Democracy: The Current State and Challenges for Transformation into an Army of the Kosovo Security Force, Juni 2013, S. 8.
[6] EULEX: EULEX Kosovo to gradually transfer activities, 13.6.2014; URL: http://www.eulex-kosovo.eu/en/news/000503.php
[7] Wagner, Jürgen: EULEX: Brüssel übernimmt und sichert Kosovo-Kolonie, IMI-Analyse 2008/010 – in: AUSDRUCK (April 2008).
[8] Bodo Weber/ Lowell West: EULEX -Towards an integrated exit strategy: Strengthening the rule of law through EU integration, Policy Report 05/2014, Group for Legal and Political Studies, Prishtina, April 2014.
[9] Ebd.