IMI-Standpunkt 2013/067

Systematische Ausspähung von Flüchtlingen auch für die Kriegführung?

Die Hauptstelle Befragungswesen hört mit im Asylverfahren

von: Marc Schwenzer | Veröffentlicht am: 2. Dezember 2013

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Nach Berichten des NDR und der Süddeutschen Zeitung wurden Flüchtlinge in Deutschland von der Hauptstelle für Befragungswesen (HBW) ausspioniert. Demnach haben MitarbeiterInnen der geheimdienstlich arbeitenden und dem Kanzleramt unterstehenden HBW Flüchtlinge direkt bei behördlichen Gesprächen im Rahmen des Asylverfahrens befragt. Die Asylbewerber wurden dabei über Identität der Gesprächspartner, Absicht der Gespräche und Weiterverwendung der gewonnenen Daten getäuscht. GeheimdienstmitarbeiterInnen gaben sich dabei als Praktikanten oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aus. Laut Medienberichten sei der Geheimdienst in 13 Erstaufnahmeeinrichtungen direkt vor Ort eingebunden,(1) wo neben persönlichen Gesprächen auch Fragebögen an Flüchtlinge verteilt wurden.(2) Bereits 3 Jahre vorher berichtete die Frankfurter Rundschau, dass Geheimdiensten ohne Wissen der Betroffenen auch Informationen aus Anhörungsprotokollen des Bundsamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zugänglich gemacht worden seien.(3) Nun berichten NDR und Süddeutsche, dass Informationen zudem an ausländische Dienste weitergeleitet wurden und so ohne Wissen der Asylbewerber von den USA zur Kriegsführung im Rahmen des „war on terror“ verwendet wurden, u.a. beim Einsatz von Kampfdrohnen.(4)

Erste Gespräche mit Menschen, die ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit in Baden-Württemberg tätig sind, bestätigten die Vermutung, dass die Hauptstelle für Befragungswesen auch hier zu Flüchtlingen Kontakt aufgenommen hat.

Wenn die Vorwürfe zutreffen, dann stellt diese Vermischung von Geheimdienstbefragungen und Anhörungen im Asylverfahren einen gravierenden Verstoss gegen die Genfer Flüchtlingskonvention dar. Eine der Grundbedingungen des Rechts auf Asyl ist, dass Flüchtlinge den Behörden in den Zielstaaten vertrauen können. Es steht zu befürchten, dass ein derartiger, grundgesetzwidriger Vertrauensbruch das Recht auf Asyl in Deutschland weiter erodiert. Wenn Flüchtlinge ihre Fluchtgründe nicht schildern können, ohne dass Geheimdienste davon Kenntnis erhalten, dann werden viele ihre wahren Gründe nicht nennen. Schon jetzt ist es aufgrund von Erfahrungen im Herkunftsland oft schwierig, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Flüchtlingen zu erreichen. Somit haben die Aktivitäten der Geheimdienste auch direkte Auswirkung auf die ehrenamtliche Unterstützung von Flüchtlingen. Besonders ärgerlich ist, dass sich Geheimdienste offensichtlich auch als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen ausgegeben haben. Wenn sich das herumspricht, wird es auch für tatsächliche Hilfsorganisationen zunehmend schwieriger, das zur Beratung und Unterstützung notwendige Vertrauen der Flüchtlinge zu gewinnen.

Im Einzelfall noch schwerer wiegen aber die damit einhergehenden persönliche Risiken. Da viele Flüchtlinge Freunde und Verwandte in den Regionen, aus denen sie fliehen, zurücklassen müssen, überlegen sie zweimal, wem sie welche Informationen zugänglich machen. Wenn ihre im Rahmen des Asylverfahrens gemachten Angaben ohne ihr Wissen von Geheimdiensten ausgewertet und im Rahmen der Kriegsführung verwendet werden, dann kann dies unvorhersehbare Folgen für die in den Herkunftsregionen verbliebenen Angehörigen haben. Geheimdienste und Militärs haben weder die volle Faktenkenntnis noch ist zu erwarten, dass ihr zentraler Fokus auf der Verhinderung von Racheakten an Angehörigen von Flüchtlingen liegt. In bestimmten Fällen wird die klare Trennung von Asylverfahren und geheimdienstlichen Ermittlungen somit über Leben und Tod entscheiden.

Bundes- und Landesregierungen müssen deshalb umgehend dazu gebracht werden, schnell für Aufklärung zu sorgen, inwieweit es im Rahmen des Asylverfahrens zur Ausspähung von Flüchtlingen gekommen ist. Die Ausspionierung von Flüchtlingen muss beendet werden, die höchstwahrscheinlich grundgesetzwidrig erlangten Daten sind umgehend zu löschen!

 

Anmerkungen

 

(1) http://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/geheimerkrieg195.html. Abruf: 21.11.2013 8:21

(2) http://www.ndr.de/geheimer_krieg/geheimerkrieg197.html

(3) http://www.fr-online.de/home/bnd-geheimdienstler-zapfen-asylbewerber-an,1472778,3342314.html

(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimer-krieg-deutsche-behoerde-horcht-asylbewerber-aus-1.1822668