IMI-Standpunkt 2013/01 - in: AUSDRUCK (Februar 2013)

Regime Change mal anders

Die französische Militärintervention und die Regierungsbildung in Mali

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 14. Januar 2013

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Seit dem Putsch malischer Soldaten im März 2012 hat der Staat keine klar benennbare Regierung mehr. Der Putsch war u.a. eine Reaktion auf einen Aufstand sezessionistischer Gruppen im Norden, die unter der Führung von aus Libyen zurückkehrenden Tuareg-Rebellen rasche Geländegewinne verzeichnen konnten. Trotzdem ermöglichte es gerade der Putsch, dass die Sezessionisten daraufhin mit Hilfe islamistischer Gruppen schnell den gesamten Norden erobern konnten, die Herrschaft in den eroberten Gebieten jedoch an die Islamisten verloren. Es besteht große Einigkeit in der Bevölkerung des Süden Malis (und unter den Flüchtlingen aus dem Norden), dass der Norden zurückerobert werden müsse. Wie das jedoch geschehen soll und welche Rolle dabei Drittstaaten spielen werden, ist sehr umstritten – und wirkt sich massiv auf die Bildung einer neuen Regierung aus.

So gibt es einerseits den Prozess zur Bildung einer Übergangsregierung, der überwiegend von französischen Klienten innerhalb der ECOWAS vorangetrieben wird und den Übergangspräsidenten Dioncounda Traoré und Cheick Modibo Diarra als Übergangspremier hervorbrachten. Beide wurden international anerkannt und forderten ECOWAS und EU zu exakt der Form von Intervention auf, wie diese von Seiten der EU längst vorbereitet war, genossen jedoch im Süden Malis weder ausreichend Legitimität noch übten sie dort de facto die Macht aus. Jeweils in engem zeitlichen Zusammenhang mit Entscheidungen in Brüssel über den anstehenden Militäreinsatz in Mali wurde zunächst Traoré unter den Augen der Putschisten so schwer verprügelt, dass er für Monate nach Frankreich ausgeflogen werden musste, und im Dezember Diarra von den Putschisten festgenommen und seine Regierung für abgesetzt erklärt. Zwar befürworten auch die Putschisten überwiegend militärische Unterstützung aus dem Ausland, befürchten jedoch eine starke internationale Truppenpräsenz in der Hauptstadt, die ihre Macht untergraben könnte. Parallel dazu findet innerhalb der Zivilgesellschaft der Versuch statt, durch „concertations nationales“ eine tatsächlich demokratisch legitimierte Regierung hervorzubringen, was offensichtlich auch von Teilen der Putschisten und vielen ihrer Anhänger unterstützt wird.

In dieser Situation von DER malischen Regierung zu sprechen, ist damit reichlich abwegig. Dasselbe gilt für die malische Armee, die in verschiedene Interessengruppen zerfallen ist. Während die einen in den Machtkampf bzw. das Ringen um eine politische Lösung in Bamako verstrickt sind, haben sich andere nahe der Grenze zu den von den Islamisten besetzten Gebieten mehr oder weniger im Alleingang daran gemacht, Flüchtlinge und Freiwillige für die Rückeroberung des Nordens in Milizen zu organisieren, auszubilden und zu bewaffnen (angeblich schon länger mit Unterstützung Frankreichs). Andere Teile der Armee sind bereits vor Monaten vor dem Vormarsch der Sezessionisten und Islamisten nach Niger geflohen und versuchen sich dort in der Nähe der Hauptstadt Niamey (wo ebenfalls eine EU-Ausbildungsmission stationiert ist) zu reorganisieren.

Wegen der unklaren Lage in Mali – und v.a. auch in Bamako selbst – war der geplante EU-Einsatz zur Unterstützung einer Militärintervention der ECOWAS (wie diese auch) zwischenzeitlich mehr oder weniger auf Eis gelegt. Zu kompliziert gestalteten sich die Verhandlungen mit den verschiedenen malischen Akteuren – der international anerkannten Regierung, den verschiedenen Fraktionen des Militärs und zivilgesellschaftlichen Gruppen (die Legitimität für eine Stationierung der ehemaligen Kolonialmacht hätten herstellen müssen) um die konkrete Art der Militärhilfe und die Frage, welche Truppen aus welchen Nachbarstaaten wo stationiert werden dürften. Ähnlich kompliziert stellten sich die Diskussionen um Kontingente und Befugnisse mit den Nachbarstaaten dar. Deshalb wurde in Brüssler Kreisen noch vor wenigen Tagen spekuliert, die geplanten Einsätze der ECOWAS und der EU würden wahrscheinlich nicht vor 2014 stattfinden. Zugleich sickernten jedoch immer mehr Informationen durch, dass Frankreich und andere westliche Staaten ihre Truppenpräsenz in der Region deutlich erhöhen und mit Beratern und Spezialkräften auch in Mali selbst bereits aktiv seien.

Mit dem vermeintlichen Vormarsch der Islamisten, der in vermeintlich letzter Sekunde mit französischen Luftangriffen aufgehalten wurde, stellt sich die Situation jedoch plötzlich ganz anders dar. Frankreich räumt offen ein, 400 Soldaten in Bamako stationiert zu haben, zwei französische Kampfflugzeuge sollen in Sevare, nahe Mopti, und eines in Bamako stationiert sein. Zudem habe sich Frankreich mit zwei Kampfhubschraubern aus Burkina Faso und Bodentruppen an den Gefechten beteiligt. Medien vermelden überdies, dass die Ankunft von 1.000 Soldaten aus Burkina Faso und Niger unmittelbar bevorstünde. All dies wird international legitimiert durch einen Brief „des malische Interimspräsident Dioncounda Traoré“ in dem dieser, der nun wieder als legitimer Vertreter des malischen Volkes gilt, den französischen Präsidenten Hollande „um Hilfe gebeten“ habe. Auch die Kritik derjenigen Akteure in Mali, die jedem zusätzlichen französischen Einfluss in Mali skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, ist nahezu verstummt. Schließlich hat Frankreich die Nation vor einem „Vormarsch auf die Hauptstadt Bamako“ gerettet. Der französische Außenminister Laurent Fabius ließ sich mit den Worten zitieren: „Frankreich musste dringend eingreifen, sonst gäbe es Mali nicht mehr, dafür aber einen terroristischen Staat.“

Zwar lassen sich entsprechende Drohungen durch Vertreter der Islamisten finden, dass sie jedoch tatsächlich ein solches Himmelfahrtskommando wagen würden, erscheint ähnlich unrealistisch, wie die vermeintliche Unvorhersehbarkeit der Ereignisse. Tatsächlich ist dieser Offensive ein Angriff von Teilen der malischen Armee auf die Stadt Douentza, gute 100km westlich von Konna, vorausgegangen, die sich seit dem 1. September 2011 unter Kontrolle der Islamisten befand. Der Militärsprecher, der diese Rückeroberung noch selbstbewusst verkündete, verband dies gleich mit der Ankündigung, weiter in den Norden vorzustoßen, um auch Timbuktu, Kidal und Gao zu befreien. Den Einmarsch der Islamisten nach Konna, von wo vermutlich Truppen für die Offensive in Douentza abgezogen wurden, wollte er zu diesem Zeitpunkt nicht kommentieren. Konkret ging der „Offensive der Islamisten“ also eine Offensive malischer Militärs voraus. Wenn Frankreich über diese Offensive informiert gewesen wäre, würde das erklären, wie es einen so komplexen Einsatz mit Hubschraubern und Kampfjets einschließlich Überflugrechte (für die sich Frankreich bei Algerien bedankte) samt Bodenpersonal, im Verbund mit Bodentruppen und enger Koordination mit Teilen der desintegrierten malischen Armee so kurzfristig hat durchführen können. Absprachen mit Frankreich (und Algerien) würden auch das Selbstbewusstsein des malischen Offiziers erklären, mit dem er einen Vormarsch auf Timbuktu, Kidal und Gao ankündigte, der ohne französische Unterstützung völlig hoffnungslos gewesen wäre. Tatsächlich hat Frankreich ja nicht nur den „Vormarsch“ der Islamisten gestoppt und dabei – wie die Regierung selbst einräumte – 30 von ihnen sowie elf Zivilisten (darunter drei Kinder) getötet, sondern auch „Infrastruktur der Terroristen“ in dem von ihnen kontrollierten Gebiet bombardiert, darunter in Kidal und Gao, wo allein am Sonntag laut AFP 60 „Islamisten“ getötet worden seien. Die Übrigen hätten mittlerweile die großen Städte verlassen und seien in die Wüste geflohen.

Der französische Verteidigungsminister, Jean-Yves Le Drian, kündigte an, der Einsatz werde „mehrere Wochen“ dauern mit dem Ziel „diese Terroristen aus[zu]löschen“. Eine solche Entscheidung fällt nicht über Nacht. Trotzdem haben fast alle westlichen Staaten ihre Unterstützung für den Einsatz bekundet und militärische Hilfe in Aussicht gestellt. Dazu gehört auch die Bundesregierung. Die Bedingung, die der deutsche Verteidigungsminister für einen Einsatz der Bundeswehr formuliert hatte, nämlich den vermeintlichen „politischen Konsens über den Einfluss ausländischer Staaten, insbesondere auch Ausbildungssoldaten“ wurde durch die französische Militärintervention zunächst hergestellt. Er wird bald wieder brechen, doch bis dahin liegt absehbar ein Mandat des Sicherheitsrates vor und dann ist die Meinung der Bevölkerung ohnehin nicht mehr relevant – und für „concertations nationales“ fehlen dann erst recht die Voraussetzungen.