IMI-Standpunkt 2012/058 - in: Zivilcourage 4/2012

Neue Formen des Krieges

Bewaffnung statt Invasionen - Nato als Luftwaffe von Rebellen

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 17. Oktober 2012

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In Syrien ist Krieg. Und immer wenn ein Krieg im Fokus der Medien ist (was nicht bei jedem so ist – der Völkermord an Tamilen in Sri Lanka 2009 war in den westlichen Medien fast kein Thema; warum nur?), wird hierzulande heftig debattiert, was „man“ tun soll.

Der Präsident Syriens Baschar al-Assad lässt seine Truppen im eigenen Land teilweise brutal gegen Aufständische und auch die Bevölkerung vorgehen. Diese Aufständischen werden inzwischen dominiert von der so genannten „Freien Syrischen Armee“ (FSA). Die ebenfalls vorhandenen DemonstrantInnen für einen (friedlichen) Wandel in Syrien, auch die durchaus vorhandene linke Opposition werden in dem immer kriegerischeren Konflikt an den Rand gedrängt. Beide Seiten, so Medienberichte, lynchen, foltern, vergewaltigen, sie führen eben Krieg. Der neue französische Präsident Hollande will eine militärische Intervention in Syrien, und der Friedensnobelpreisträger und US-Präsident Obama droht mit einer Militärintervention, wenn Syrien seine Giftgaswaffen einzusetzen würde.

Das „Krajina-Modell“

Doch, so meine These, es wird vorläufig nicht zu einer großen militärischen Invasion des Westens in Syrien kommen – sie machen es anders: In Syrien wird das „Krajina-Modell“ angewandt.
Die Krajina war bis 1995 eine mehrheitlich von Serben bewohnte Region in Kroatien, dort befand sich die für selbständig erklärte Republik der Krajina-Serben, die im August 1995 von der kroatischen Armee und Polizei in der Operation „Sturm“ handstreichartig erobert wurde; der Großteil der serbischen Bevölkerung floh.
Das Interessante an der Operation „Sturm“ war die plötzliche militärische Stärke der kroatischen Kriegsseite – die USA und die Nato hatten bei diesem Sieg nachgeholfen. Eine Aufklärung dazu vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wurde verhindert. Später im Kosovo wurde die Nato zur Luftwaffe der örtlichen UCK, den Terroristen, die plötzlich Freiheitskämpfer waren.
Die ehemaligen UCK-Kämpfer haben jetzt auch direkte Verbindungen zur FSA. Von überall her kommen die Kämpfer in Syrien, nicht wenige aus Libyen. Auch in Libyen hatte der Westen „Rebellen“ umfangreich aufgerüstet, und die Nato führte aus der Luft einen sehr tödlichen Unterstützungskrieg. Die Nato war die Luftwaffe der Rebellen. In Syrien ist es anders als im Irak oder in Afghanistan bisher keine große Invasion des Westens. Es ist eine neue Form des Krieges, indirekter, mit Bewaffnung der genehmen Seite.
Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und sicher nicht mein Freund, stellt analytisch richtig fest: In Syrien findet ein Stellvertreterkrieg statt. Arabische Staaten, allen voran Saudi-Arabien und Katar, gemeinsam mit westlichen Staaten wie Frankreich, Großbritannien, der Türkei und den USA bilden und rüsten die Rebellen mit Waffen, Logistik und kriegswichtigen Informationen aus. Der Iran und Russland helfen der Regierungsarmee. Und es stellt sich die Frage: Führt der Weg zu einem westlichen Angriff auf den Iran über Syrien?

Deutschlands Rolle im Syrien-Konflikt

Und die deutsche Rolle im Syrien-Konflikt? Auffällige Insiderinformationen zu Syrien kommen vom Bundesnachrichtendienst, vor der Küste schippert mindestens ein „Beobachtungsschiff“, tatsächlich ein Spionageschiff der Bundeswehr herum. Es ist davon auszugehen, dass Deutschland im Kern genau so wie die anderen europäischen Staaten agiert.
Das „Nachkriegs-Syrien“ wird sogar in Berlin mit direkter Unterstützung der Bundesregierung geplant. Mit deren Hilfe haben einige Exilsyrer einen Plan „The day after“ ausgearbeitet. Die Bundesregierung bietet dabei logistische und administrative Hilfe.
„Das Gerede von dem „Tag danach“ oder dem „Tag nach Assad“ sei reine Demagogie, sagt Louay Hussein, ein wichtiger Vertreter der innersyrischen Opposition. „Damit vermitteln sie den jungen Leuten den Eindruck, als würde das Regime bald stürzen. Sie treiben sie dazu, Waffen zu nehmen, weil sie denken, es sei ohnehin bald alles vorbei.“

Der „erfundene“ syrische Nationalrat

Innerhalb der Friedensbewegung gibt es Gruppen, die die Aktion „Adopt the revolution“ unterstützen. Abgesehen vom ziemlich paternalistischen Charakter des Namens (wir adoptieren eure Revolution?) arbeiten dort im Beirat bis heute der Grünen-Politiker Ferhad Ahma und andere mit, die zugleich für den vor allem im Exil aktiven „Syrischen Nationalrat“ sprechen und in dessen Namen ständig militärische Interventionen und Bewaffnung der Rebellen einfordern. „Adopt the revolution“ und sein Beirat sind leider nicht bereit, sich von diesen Interventionisten zu trennen oder ganz klar zu distanzieren. Damit ist auch der Kern der Idee diskreditiert.
Louay Hussein meint zum syrischen Nationalrat: „Bevor man im Ausland diesen Nationalrat erfunden hat, und ich benutze das Wort ,erfunden` sehr bewusst, war die syrische Opposition in gewisser Weise einig. Sie war sich einig in dem, was sie sagte, in ihren Positionen und in ihren Handlungsabsichten. Doch jedes Mal, wenn wir zum Zusammenschluss aufriefen, tauchte wie eine Barriere dieser Nationalrat vor uns auf. Bis heute ist es dem Rat nicht gelungen, die wichtigen politischen Kräfte des Landes, Denker und Intellektuelle für sich zu gewinnen. Er hat keinen politischen Aktionsplan. Alles, was er kann und tut, ist, den Sicherheitsrat aufzufordern, das Regime in Syrien zu stürzen.“
Von ExilsyrerInnen weiß ich, dass bei der seit Jahren in Syrien aktiven, kämpfenden und leidenden linken Opposition eine militärische Einmischung von außen abgelehnt oder skeptisch gesehen wird. Viele befinden sich jetzt in einer Art Sandwich-Situation: Zwischen Assad-Regime und FSA und deren Unterstützern; beides wollen sie nicht.

Ignoranz und Naivität in der westlichen Welt

In der FAZ schreibt Hans-Christof Kraus unter der Überschrift „Und ihr denkt, es geht um einen Diktator“: „Man kann nur staunen über das Ausmaß an fast schon sträflicher Naivität oder auch nur schlichter Ignoranz, das viele Beurteiler der Syrien-Krise an den Tag legen, vor allem, wenn es darum geht, die Hintergründe für das zähe Tauziehen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zwischen Amerika und den westlichen Mächten einerseits, Russland und China andererseits aufzuhellen. Folgt man der Darstellung des Konflikts in weiten Teilen der westlichen Welt, dann scheint es sich lediglich um die Frage zu handeln, ob es gelingt, die syrische Bevölkerung von einem blutigen Diktator zu befreien. Vor allem in Deutschland scheint die Unkenntnis, mit der diese Auseinandersetzung derzeit diskutiert wird, grenzenlos zu sein. … Der aktuelle Konflikt um ein Eingreifen oder Nicht-Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg ist deshalb so brisant, weil sich in dieser Frage der Gegensatz zwischen zwei radikal unterschiedlichen geostrategischen und weltpolitischen Konzeptionen manifestiert. Den Amerikanern und der westlichen Seite geht es nicht oder nicht vorrangig darum, der bedauernswerten syrischen Bevölkerung zu helfen, sondern um Einflussnahme auf die Neugestaltung des Landes nach einem voraussichtlichen Sturz des derzeitigen Regimes, obwohl man mit diesem bisher stets gut zusammenarbeiten konnte.“
Ja, Syrien hatte jahrelang die Folterdrecksarbeit für westliche Staaten gemacht. Jetzt ist der dortige Herrscher, zweifelsohne einer, der brutal gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, beim Westen in Ungnade gefallen. Diejenigen innerhalb der syrischen Bevölkerung, die für Demokratie und eine bessere soziale Situation auf die Straße gegangen sind, sind abgefangen worden – von der Militarisierung des Konflikts einerseits durch das Agieren des Regimes Assads und andererseits durch das terroristische Agieren der „Freien Syrischen Armee“ und all der Kämpfer, die dazu ins Land kamen. Der Westen steht dabei nicht auf Seiten der friedlich Protestierenden, sondern stützt diejenigen direkt und indirekt, die einen gewaltsamen Regimechange haben wollen.
Wir als Friedensbewegte, Linke und AntikriegsaktivistInnen sollten uns mit keiner der beiden Kriegsseiten gemein machen, sondern eine dritte Position einnehmen: Klar gegen Krieg und deutsche Kriegsunterstützung!