Dokumentation / in: Berliner Zeitung, 01.03.2003

Die Stunde der Plünderer

Ein Krieg gegen den Irak bedroht auch unersetzliche Altertümer, die zum Weltkulturerbe gehören

von: Martina Doering / Mitarbeit: Olivia Schoeller, Washington / Dokumentation | Veröffentlicht am: 2. März 2003

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Je eher die USA-Soldaten in Irak einmarschieren, umso besser. Je länger das Chaos des Krieges anhält, umso schöner. Eine Gruppe von Antiquitätenhändlern in Jordanien, der Türkei und Saudi-Arabiens kann die Ungeduld kaum noch zügeln. Privatsammler und auch einige Museen von Tokio über Paris bis New York schätzen, dass ihnen bald einzigartige Pretiosen angeboten werden. Sie alle haben bereits einschlägige Erfahrungen machen können: Nach dem Golfkrieg zur Befreiung Kuwaits 1991 wurde der illegale Markt mit jahrtausendealten Artefakten aus dem Zweistromland förmlich überschwemmt: Ziegel mit Keilschrifttexten wurden aus den Zikkurraten, den Tempelbauten der Sumerer herausgehackt. Raubgräber durchpflügten Ausgrabungsstätten. Museen wurden geplündert. Irakische Privatleute mussten ihre Kostbarkeiten für wenig Geld verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu fristen.

Sammler bezeichnen die seit dem Golfkrieg 1991 vergangene Zeit als das „Goldene Jahrzehnt“, sagt der amerikanische Archäologe John Malcolm Russel. Er habe auf internationalen Auktionen Stücke gesehen, die er mit seinem Team in Irak selbst ausgegraben und an Ort und Stelle gelassen habe. Gemessen an dem, was auf solchen Auktionen angeboten worden ist, sagt er, seien in Irak dutzende Orte geplündert worden, zum Teil wohl mit Bulldozern. Ein neuer Krieg wird nun nicht nur hunderttausende Menschen das Leben kosten. Die Bomben bedrohen auch bis zu 5 000 Jahre alte Bauten sowie Paläste und Moscheen aus islamischer Zeit. Archäologische Schätze könnten geraubt und geplündert werden, die zum unersetzbaren Erbe der Menschheit gehören.

Denn Irak, das einstige Mesopotamien, beherbergt noch immer unermessliche Kostbarkeiten. In den rund 150 Jahren seit Beginn der archäologischen Erschließung ist nur ein Bruchteil des Landes erforscht worden. Die größte Sammlung der Schätze, die die Archäologen gefunden haben, beherbergt das Irak-Museum von Bagdad: Hier sind die schönsten und berührendsten Werke versammelt, die Handwerker und Künstler der altorientalischen Reiche von Sumer bis Babylon geschaffen haben: Goldene Grabbeigaben, Keilschrift-Täfelchen und Siegel füllen die Vitrinen. Steinreliefs und Miniatur-Köpfchen mit feinen Gesichtern und kunstvollen Frisuren, Alabastervasen und Tonkrüge drängen sich hinter Glas. Dicht an dicht liegen Ketten, Ringe und anderes Geschmeide aus Karneol, Lapislazuli und Achat.

Inmitten dieser Pracht nimmt sich ein grau-brauner Block geradezu bescheiden aus: Es ist ein Quadrat aus Erde, in dem zuerst nur die Knochen eines zierlichen Schädels zu erkennen sind. Dann aber sieht man die Goldbänder, die die Haarreste durchziehen und den Reif mit Blütenblättern an der Stirn. Und auch die zerdrückten, aber filigranen Blumenstängel mit den schimmernden Blüten aus Lapislazuli und Gold sind zu erkennen, die einst den Kopf einer mesopotamischen Hofdame schmückten. Sie gehörte zum Gefolge einer verstorbenen Königin, das seiner Herrin in den Tod gefolgt war.

Im größten Raum des Museums sind die mächtigen Stier-Figuren und Steinfresken der Assyrer versammelt. Zwergenhaft wirkt der Betrachter zwischen den geflügelten Bullen mit Menschenköpfen. Auf bis zu drei Meter hohen Steintafeln jagen Könige und ihr Gefolge Löwen. Priester bringen den Göttern Opfer. Gazellen fliehen und Fischer werfen ihre Netze. In einem anderen Raum stehen große und kleine Beter-Statuen aus Alabaster in den Vitrinen.

Noch herrscht Ruhe in den 32 Sälen des Museumsgebäudes, dessen Bau in den sechziger Jahren durch einen ausländischen Altertumsliebhaber und Direktor einer Erdölfirma finanziert worden war. Einige wenige irakische Besucher und UN-Waffeninspektoren gehen leise flüsternd von Vitrine zu Vitrine. Mitglieder ausländischer Friedensgruppen schlendern von Raum zu Raum.

„Vor Ausbruch eines Krieges werden wir so viel Stücke wie möglich einpacken“, sagt die Museumsdirektorin und Keilschriftexpertin Nawale al-Mutawalli. Die Objekte würden dann schnellstmöglich an „sichere, geheime Orte“ geschafft. Was aber sind „sichere Orte“ in Zeiten von Straßenkämpfen und Bombardierungen? Und wie lange bleiben sie vor gierigen Dieben geheim, wenn die Amerikaner in Irak einmarschieren?

Viele der Schätze im Bagdader Irak-Museum haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon mehrere Evakuierungen hinter sich. Während des achtjährigen Krieges von 1980 bis 1988 gegen Iran mussten die Schaukästen zweimal geräumt werden. Vor dem Golfkrieg 1991 wurde das Museum geschlossen. Als die nahe gelegene Telefonzentrale attackiert wurde, fielen einige Bomben nur 18 Meter entfernt: Die Druckwelle zerstörte das Glas von Vitrinen, zwei babylonische Statuen fielen um. Risse in den assyrischen Steinreliefs vergrößerten sich. Mühselig restaurierte Torwächter-Kolosse aus assyrischer Zeit nahmen Schaden.

Was in Kisten und Kästen verpackt werden konnte, war damals in die Regionalmuseen des Landes gebracht worden. Dort aber brachen nach dem Krieg Aufstände aus. Mehrere Kisten, so erzählt ein deutscher Archäologe, befanden sich monatelang in den Händen der rebellierenden Kurden in der Nähe von Kirkuk. „Sie brachen zwar einige der Behältnisse auf und verbrannten einige der alten arabischen Manuskripte. Das andere aber ließen sie unberührt. Sie begriffen nicht, was ihnen da in die Hände gefallen war.“ Erst nach Niederschlagung des Aufstands kam die Fracht nach Bagdad zurück.

Sechs der Regionalmuseen jedoch, wohin die irakischen Behörden einige der Schätze des Irak-Museums ausgelagert hatten, wurden in den Nachkriegswirren geplündert. „1992 ist mir in Bagdad ein Plastiksack angeboten worden, gefüllt mit Siegeln, Schmuck und Steinfiguren“, erzählt der deutsche Archäologe. „Lieferung und Bezahlung sollten problemlos in Amman erfolgen.“

Rund 4 000 registrierte Stücke setzte die irakische Altertümer-Verwaltung danach auf eine Verlustliste, die auch der Unesco vorgelegt wurde. Später habe man rund 1 000 Objekte aus Jordanien wiederbeschaffen können, berichtet Dony George Youkhanna, Leiter des Dokumentationszentrums der Altertümerverwaltung. „Aber wir schätzen, dass etwa 100 000 nicht registrierte Stücke entwendet und ins Ausland geschafft worden sind.“ Darunter Antiken und Fragmente, die von Plünderern bei Raubgrabungen gefunden oder von Dieben aus Museen gestohlen worden sind. „Aus Saudi-Arabien rückten Experten an. Sie rüsteten die Bauern mit Jeeps und Waffen aus und sagten ihnen, wonach sie suchen sollten. Keilschrifttafeln, Statuen, Rollsiegel.“ Manche Gebiete hätten hinterher ausgesehen, sagt Dony George Youkhanna, als hätten dort die Schlachten der Mongolen stattgefunden.

Irak ist ein weites, in großen Teilen wenig besiedeltes Land. Rund 10 000 Fundstätten in der Ebene zwischen Euphrat und Tigris haben Archäologen als interessante Orte katalogisiert, nur sehr wenige davon bereits erkundet. Jeder Hügel kann noch unentdeckte, wertvolle Kunstschätze bergen. Mesopotamien gilt als Wiege der urbanen Zivilisation. Lange vor der griechischen Blütezeit und der Machtentfaltung des römischen Imperiums entwickelten sich hier einzigartige altorientalische Hochkulturen. Fünf bis vier Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung hatten sich an Euphrat und Tigris die ersten Großreiche der Menschheitsgeschichte gebildet. Stadtstaaten entstanden mit dicht bewohnten Vierteln, ausgeklügelten Bewässerungssystemen, himmelhoch aufragenden Tempeltürmen und prächtigen Palästen. Sie erfanden die Schrift, das Rad und das Bier. Ganze Bibliotheken aus Keilschrifttafeln tauchten auf: Sie enthielten den ältesten Gesetzeskodex und die ältesten Verwaltungsunterlagen der Welt sowie das Gilgamesch-Epos. In den Mythen der Mesopotamier fanden sich Vorahnungen der biblischen Schöpfungsgeschichte.

In der Einöde, in der britische Archäologen vor rund 100 Jahren im Süden Iraks das rund 5 000 Jahre alte Ur entdeckten, braucht es viel Fantasie, sich diese Pracht vorzustellen. Auf halber Strecke von Bagdad nach Basra tauchen einige Kilometer abseits der Straße in der flachen Wüstenlandschaft plötzlich Hügel auf, unter denen sich die Stadt verbirgt. Einst lag das Sumerer-Reiches direkt am Euphrat, bis sich ab dem 1. Jahrhundert v.u.Z. der Fluss allmählich verlagerte und Ur, die berühmteste Stadt des Reiches,verödete und verfiel. Bis auf den heutigen Tag jedoch zeugen die weithin sichtbaren Reste der Zikkurrat, des Stufenturms, von einstiger Macht und Größe. Lehmziegelschicht auf Lehmziegelschicht hatten die Sumerer zu einem 60 mal 50 Meter großen, rechteckigen Berg geschichtet, um auf der oberen Plattform ihre Götter zu ehren. Ihre Stufen, so lautet eine der Theorien, sollen mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt gewesen sein. Aus der Ferne glich sie einem bewaldeten Berg.

Der innere Kern des Tempels ist von Sturm und Regen geschliffen und gefurcht. Zwei Stufen der Zikkurrat aber sind zum Teil mit den originalen Ziegeln restauriert. Von oben lässt sich das ganze Areal überblicken: der Tempelbezirk und seine trapezförmige Umfassungsmauer, Reste archaischer Paläste und die Königsgräber von Ur, die im letzten Jahrhundert vom britischen Archäologen Leonard Woolley freigelegt wurden. Darin fanden sich Widderstatuen mit fein gearbeitetem Fell aus Muschelschalen, Musikinstrumente mit Einlegearbeiten aus Gold und Lapislazuli, Brettspiele aus Elfenbein und Achat, Schmuck aus Karneol und zahllose Siegel.

Kuwait liegt nur rund 150 Kilometer von Ur entfernt. Über 100 000 Luftangriffe hatte die US-Armee im ersten Golfkrieg gegen Irak geflogen. Von Kuwait aus waren damals die amerikanischen Truppen gen Bagdad vorgestoßen. Einige Bomben sind nahe der Anlage gefallen, im äußeren Wall der Tempelanlage sind Einschüsse zu sehen. 400 Löcher, verursacht durch amerikanische Geschütze und Gewehre, haben die irakischen Archäologen gezählt. Und nicht nur irakische Mitarbeiter der Altertümerverwaltung, sondern auch amerikanische Archäologen beschuldigen die Soldaten der US-Allianz des Vandalismus: Sie schaufelten Schützengräben quer durch einen Ruinenhügel und hätten mit ihren Bajonetten Stücke aus der Zikkurat gebrochen, die mit Keilschrift verziert waren. 1992 seien 19 dieser Fragmente dann in einer Kiste aus den USA an das Museum zurückgeschickt worden, sagt Dony George Youkhanna. Aber das meiste sei im Auftrag ausländischer Händler gestohlen worden.

Ein wertvoller Fries verschwand 1991 aus Babylon, der Stadt von Nebukadnezar. Er tauchte dann im Britischen Museum von London wieder auf und wurde erst nach langwierigen Verhandlungen 1995 zurückgegeben. Aus dem Palast von Sanherib in Ninive, der vor rund 2 700 Jahren entstand, wurden die größten Friese und Statuen seit dem 19. Jahrhundert bis in die dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts – ganz legal – in britische oder französische Museen abtransportiert. Einige der an der Fundstätte verbliebenen Tafeln und Statuen aber seien durch die Bombardements von 1991 zerstört und dann gestohlen worden. In Korsabad, der von Sargon II. errichteten assyrischen Hauptstadt, hackten Diebe den tonnenschweren Menschenkopf eines steinernen Torwächters ab und zerlegten ihn für den Abtransport in 13 Teile. Die Räuber wurden gefasst und zum Tode verurteilt. Die Bruchstücke lagern nun in einem Saal des Museums von Bagdad.

Im Museum von Babylon war im April 1996 eingebrochen worden. Die Diebe hätten die wertvollsten Keilschrifttafeln mitgenommen und den Goldschmuck liegen lassen, berichtet Dony George Youkhanna. Auf dem illegalen Kunstmarkt könne ein solches Täfelchen rund 2 000 Dollar und mehr einbringen. Im Museum von Nasirija im Süden des Landes starb bei einem Überfall ein Wächter, ein Polizist wurde verletzt.

Nicht alle Angaben und Vorwürfe irakischer Offizieller können überprüft werden. Der Antiquitäten-Handel, so meinen einige Irak-Kenner, könnte nicht ohne die Beteiligung von Spitzenfunktionären des Regimes funktionieren. Sehr mysteriös ist zum Beispiel, wo die Goldschätze aus den Königsgräbern von Ur und Nimrud verblieben sind. Einst sollen sie einen eigenen Raum im Irak-Museum von Bagdad gefüllt haben. Nachdem sie aber 1991 im Tresor der Zentralbank eingelagert worden waren, hat sie niemand mehr gesehen. Vor vier Jahren sollen Teile davon in Jordanien aufgetaucht sein – und eine Blutspur hinterlassen haben. Mehrere in den angeblichen Deal verwickelte Personen weilen inzwischen nicht mehr unter den Lebenden. Sie sind verunglückt oder ermordet worden.

Andere Irak-Experten jedoch verweisen solche Geschichten in das Reich der Schauermärchen. Saddam Hussein und seine engsten Mitstreiter seien nicht auf das Geld aus solchen Deals angewiesen und viel zu nationalistisch, als dass sie dieses Erbe verkaufen würden. Auch der Vorwurf, dass das Regime in den letzten Jahren gezielt Militärstützpunkte neben archäologischen Ausgrabungsstätten errichtet habe – um Angriffe zu vermeiden oder eine Beschädigung dieser Orte den Briten oder Amerikanern anlasten zu können – treffe so nicht zu: Das ganze Land sei schon seit Jahrzehnten eine einzige Militärbasis. Und zum Teil gehöre die Verlegung von Garnisonen zur neuen Strategie des Regimes zum Schutz der Altertümer: Die Soldaten sollen diese Stätten vor Plünderern und Dieben zu schützen.

Früher hätte die irakische Altertümer-Verwaltung über genügend eigenes Personal und die Mittel verfügt, um den Schutz der archäologischen Stätten zu gewährleisten. Schuld daran, dass Irak zu einem archäologischen Selbstbedienungsladen geworden sei, seien die Sanktionen. Die Armut verführe die Menschen dazu, zu rauben und zu plündern, sagt die Museumsdirektorin Al-Mutawalli. Vor dem Golfkrieg beschäftigte die Behörde rund 28 000 Mitarbeiter, als Archäologen, Konservatoren und Restauratoren, vor allem aber als Mitarbeiter bei Grabungen sowie als Wächter. Die Landstriche wurden aus der Luft überwacht. In den Gebieten im Süden und Norden des Landes, die von den Briten und Amerikanern zu Flugverbotszonen erklärt wurden, dürfen jedoch keine irakischen Flugzeuge mehr aufsteigen. Das Budget der Altertümer-Verwaltung, das 1990 noch rund 800 000 Dollar pro Jahr betrug, tendiert heute gegen null. Einst verfügte die Behörde über 500 Autos, hatte Laboratorien, Restaurationswerkstätten und ein Fotolabor mit Spitzentechnik. Doch die Spezialisten haben das Land verlassen, sagt Nawalla al Mutwalli, die Museumsdirektorin. Die Wächter müssten mit Bussen oder Taxis zu ihren Arbeitsorten fahren – das aber tun sie kaum noch, weil es für sie zu teuer sei.

Seit rund drei Jahren versucht die Regierung, den Aderlass an Antiquitäten nicht nur durch den Einsatz von Soldaten zu stoppen, sondern sie zahlt auch Prämien für alles, was „gefunden“ wird. Zudem drohen Dieben und Plünderern drakonische Strafen. Wer bei Diebstahl, Raubgrabungen oder dem Handel erwischt wird, muss mit der Todesstrafe rechnen. Doch in den Schmuggel mit Antiquitäten sollen Diplomaten sowie Mitarbeiter der Uno und von UN-Hilfswerken verwickelt sein. „In Koffern von Diplomaten und in Postsäcken der UN-Leute fanden wir bei Stichproben Stücke, die sie hier in Irak illegal erworben oder selbst gestohlen hatten“, berichtet Youkhanna.

Doch skrupellose Antiquitätenliebhaber, Personalmangel und Bombenschäden sind nicht die einzigen Probleme. Dem Irak-Museum fehlen Alarmvorrichtungen und Klimaanlagen. Der Fensterkitt, der die Vitrinengläser zusammenhält, bröselt. Der Kasten, der die marmorne „Dame von Warka“ – einen der ältesten und schönsten Frauenköpfe – schützt, ließe sich ohne größeren Aufwand aus der Verankerung lösen. Klimaanlagen und Laborgeräte sind im Ausland bestellt, dürfen aber nicht eingeführt werden: Sie sind als „dual use“-Produkte klassifiziert und fallen unter das Embargo, das 1991 gegen Irak verhängt wurde. Die Steinstift-Mosaiken fallen auseinander, Beterstatuen verlieren ihre Augen, das Holzreplikat eines sumerischen Musikinstruments mit originalen Verzierungen zeigt Risse – denn die Temperaturen in den Räumen schwanken zwischen 6 und 40 Grad Celsius.

In den Depots des Museums lösen sich Keilschrift-Täfelchen auf und Alabasterfiguren saugen sich voll mit Feuchtigkeit – nach einem Rohrbruch konnte das Wasser nicht schnell genug abgeleitet werden. Wegen Stromausfall konnten die Pumpen nicht benutzt werden. Auch der Import von Ersatzteilen für Elektrizitätswerke wird blockiert.

Die fachmännische Pflege der Ausstellungsstücke ist unmöglich, berichtet Museumsdirektorin Mutawalli, weil die notwendigen Chemikalien nicht ins Land gelassen werden. Zudem seien die irakischen Archäologen und Konservatoren nicht mehr darüber informiert, was auf ihren Gebieten in den letzten rund zehn Jahren an neuen Technologien und Methoden entwickelt worden sei. „Denn auch wissenschaftliche Bücher stehen auf der Embargoliste.“ Die irakische Regierung habe sich schon vor Jahren Hilfe suchend an die Unesco gewandt: Doch deren Beamte blieben – mit Verweis auf das Embargo – untätig.

„Als die Taliban in Afghanistan die Buddha-Statuen zerstörten, hat die ganze Welt entsetzt aufgeschrien. Hier in Irak“, sagt ein Mitarbeiter der Antikenverwaltung, „sind einzigartige, unersetzliche Kunstschätze der Menschheit mit Wissen, Billigung und indirekt sogar auf Geheiß der westlichen Regierungen zerstört und beschädigt worden.“ Jetzt drohe diese westliche Zivilisation mit einem Krieg – und damit der Zerstörung ihres eigenen Erbes.

Allerdings: Amerikanische Archäologen haben schon vor Monaten von ihrer Regierung in Washington gefordert, dass der Schutz der antiken Stätten in die strategischen Planungen einbezogen werden solle. McGuire Gibson ist einer von fast 40 US-Archäologen, die eine Liste irakischer Kulturschätzen erstellt haben, um sie vor möglichen Angriffen des amerikanischen Militärs zu schützen. „Wir haben dem Verteidigungsministerium eine Liste mit 4000 Stätten übergeben“, erklärt er. „Wie viele es in Irak tatsächlich gibt, ist schwer zu schätzen. Wir gehen von 100 000 bis 500 000 aus.“ Als amerikanischem Archäologen war McGuire Gibson die Forschung in Irak in den vergangen zehn Jahren von der Irakischen Regierung untersagt. Doch er kenne das Land und seine Schätze aus den 70er Jahren, als er immer wieder zu Forschungszwecken dort war. In den letzten Jahren hätten er und seine Kollegen antike Karten mit neuen Satelitenaufnahmen verglichen – so sei die Liste der 4000 Kulturstätten entstanden.

In einem Krieg gegen Irak aber werden weder Menschen noch Kulturschätze vor den Bomben sicher sein. In Kosovo und Afghanistan haben „Fehlabwürfe“ tausende Menschen das Leben gekostet. Und sollten in Irak Bomben auf Armeeeinheiten fallen, die sich in der Nähe von Ur, Babylon oder Chorsabad verschanzt haben, könnte man die Zerstörungen nicht nur Saddam Hussein und seinen Generälen anlasten. Auch werden die US-Soldaten es bei ihrem Vordringen nicht als ihre wichtigste Aufgabe ansehen, die Museen vor Plünderern zu schützen.

Einiges von dem, was das Irak-Museum beherbergt, wird nach dem Krieg mit großer Wahrscheinlichkeit nur noch in alten Katalogen zu bewundern sein. Diese Kataloge fördert die junge Irakerin an der Eingangskasse des Museums in Bagdad erst nach langem Bitten und Suchen ans Tageslicht: „Schätze des Irak-Museums“ steht auf dem dickleibigen Wälzer. Er ist mit Schwarzweiß-Fotos illustriert und etwas vergilbt. Er wurde 1975 in Jugoslawien für das Museum gedruckt.

http://www.BerlinOnline.de/berliner-zeitung/magazin/223245.html