Dokumentation

Dokumentation einer deutschen Justizposse

Die Justizposse ging gegen einen, der sichtlich sarkastisch gegen einen menschenverachtenenden Militaristen geschrieben hat.

von: Dokumentation | Veröffentlicht am: 29. Januar 2003

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Muenster, den 04. Januar 2003

P r e s s e e r k l a e r u n g

Am kommenden Mittwoch, dem 08. Januar 2003, stehe ich wegen angeblicher Billigung von Mord vor Gericht. Meine Aeusserungen _gegen_ die Verharmlosung eines Massakers an Kriegsgefangenen wird mir ausgelegt als Billigung von Mord.

=> Termin: Mittwoch 08.01.2003, 09.00 Uhr Amtsgericht Muenster, Gerichtsstrasse 2, Raum 185, I. Stockwerk, 48149 Muenster

Das „Magazin fuer Netzkultur“ Telepolis veroeffentlichte im Juni 2002 einen Artikel ueber ein Kriegsmassaker, das mutmasslich von der afghanischen Nordallianz an einigen tausend Kriegsgefangenen begangen wurde – unterstuetzt durch Soldaten der USA und Grossbritanniens. Im Diskussionsforum zu diesem Artikel lobte ein Unbekannter mit dem Pseudonym „Engine_of_Aggression“ das Massaker. Diese Verherrlichung von Gewalt gegenueber Kriegsgefangenen habe ich sarkastisch aufgegriffen, um sie mit vertauschten Rollen und ironisch ueberspitzt zu erwidern. So habe ich die Grausamkeit von „Engine_of_Aggression“s Text sowie die Grausamkeit kriegerischen Denkens ueberhaupt vorgefuehrt. Mir wird nun vorgeworfen, ich habe „zumindest billigend in Kauf genommen, dass der ‚unbefangene‘ Leser“ meine „Aeusserungen als Billigung der Terroranschlaege verstehen konnte“.

(Der Diskussionsverlauf ist in Anlage 1 ausfuehrlicher dargestellt.)

Fuer Medien und Oeffentlichkeit ist dieses Verfahren aus mehreren Gruenden interessant:

=> Im Verfahren wird es wohl um die Frage gehen, ob Menschen fuer einen ironischen Text bestraft werden duerfen, nur weil nicht auszuschliessen ist, dass der Text faelschlicherweise woertlich verstanden werden kann. Sind Satire, Ironie, Sarkasmus, Parodie usw. von der Meinungsfreiheit ausgeschlossen?

=> Zweifellos ist es scharf zu verurteilen, wenn massenhaft unbeteiligte Menschen getoetet werden, um bestimmte politische Ziele durchzusetzen. Da sehe ich als ueberzeugter Kriegsgegner keinen grundsaetzlichen Unterschied zwischen den Terroranschlaegen vom 11. September 2001 und dem Angriffskrieg gegen Afghanistan, den die USA mit der afghanischen Nordallianz, mit Grossbritannien, mit der BRD und anderen fuehrt. Aber ueber den anti-afghanischen Angriff darf kontrovers diskutiert werden, ueber den anti-us-amerikanischen Angriff ist offenbar nur eine Meinung erlaubt. Das Toeten in Afghanistan darf nicht nur gebilligt werden, es darf sogar von hier mitgeplant und unterstuetzt werden. Das Toeten in den USA hingegen darf hier noch nicht einmal Bestandteil einer moeglicherweise missverstaendlichen (weil ironischen) Aeusserung sein, die eine dritte Position bezieht: gegen Krieg _und_ Terrorismus, weil beides im Grunde das Gleiche ist. Es ist erschreckend, wie die Justiz hier mit zweierlei Mass misst. Deutsche Soldaten und Soldatinnen kaempfen wieder weltweit in Kriegen, und „zu Hause“ broeckelt die Meinungsfreiheit?

=> In den Ermittlungen gegen mich wurde auf illegale Datenbestaende zugegriffen. Der Internet-Provider T-Online hat ueber Monate hinweg meine Internetverbindungsdaten aufbewahrt, ohne dass gegen mich ein richterlicher Ueberwachungsbeschluss vorgelegen haette und ohne dass die Aufbewahrung der Daten fuer Abrechnungszwecke noetig gewesen waere. Das praeventive Speichern von Kommunikationsdaten ohne besonderen Anlass ist illegal, es ist unter Datenschutz-Gesichtspunkten ein Skandal. Wenn staatliche Organe solche illegal einbehaltenen Daten verwenden, ist das eher das Verhalten eines Ueberwachungsstaates, als das Verhalten eines freiheitlichen Systems. Dass Verbindungsdaten, die ohne Tatverdacht vorsorglich aufbewahrt wurden, gerichtlich verwendet werden, um unerwuenschte politische Aeusserungen zu bestrafen, waere gemeinhin wohl eher der StaSi (MfS, Ministerium fuer Staatssicherheit der DDR) zugetraut worden, als einem Gericht der Bundesrepublik. (Die Illegalitaet der Datenbestaende ist in Anlage 2 genauer erlaeutert.)

Ich wuerde mich freuen, wenn Sie das Verfahren gegen mich besuchen und darueber berichten wuerden. Ich denke, es wird in Bezug auf Meinungsfreiheit, kuenstlerische Freiheit, die Bewertung von kriegerischer bzw. terroristischer Toetung, Datenschutz, ueberwachungsstaatliche Tendenzen sowie Zensur des Internet ein interessantes Verfahren werden.

Anhand der in Anlage 1 genannten Quellen sollte der Verlauf der Diskussion deutlich werden, in der ich die kriminalisierte Aeusserung abgegeben habe. Anhand von Anlage 2 sollte deutlich werden, warum das Verwahren meiner Verbindungsdaten illegal war.

Fuer eventuelle Rueckfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfuegung. Abends und am Wochenende versuchen Sie gerne, mich telefonisch zu erreichen. Ansonsten stellen Sie am besten per E-Mail oder Fax Kontakt her.

Mit freundlichen Gruessen

Holger Voss

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Anlage 1 ———-

Der Verlauf der Diskussion erschliesst sich aus folgenden Texten:

1. Neuber, Harald: „Das Massaker, das nicht sein darf“ redaktionell veroeffentlicht bei Telepolis 20.06.2002 (zwischen 00.00 und 01.12 Uhr) www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12758/1.html Der Autor schreibt ueber ein Massaker, das mutmasslich die afghanische Nordallianz an Kriegsgefangenen veruebt hat. Die Nordallianz soll bei diesem Massaker von Soldaten der us-amerikanischen und der grossbritischen Armee unterstuetzt worden sein. Mehrere tausend Menschen fielen, soweit bekannt, dem Massaker zum Opfer.

in Reaktion auf 1.: 2. Engine_of_Aggression: „Da trifft es mal die Richtigen !“ offenes Diskussionsforum bei Telepolis 21.06.2002 04.52 Uhr www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=1911553&forum_id=30631 Der pseudonyme Autor gratuliert den Taetern zu dem von ihnen veruebten Massaker.

in Reaktion auf 2.: 3. Voss, Holger: „EoA zum 11.9.2001.: Gratulation! Das Boese wurde mit der Wurzel ausgerissen!“ offenes Diskussionsforum bei Telepolis 21.06.2002 23.21 Uhr www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=1916234&forum_id=30631 Ich uebernehme verschiedene Formulierungen aus 2., vertausche aber die Rollen von USA = Opfer und Taliban = Taeter, um die menschenverachtende Brutalitaet von 2. vorzufuehren. Obwohl der Text offensichtlich ironisch-ueberspitzt ist, weise ich noch ausdruecklich darauf hin, dass er moeglicherweise Sarkasmus enthaelt.

Bitte lesen Sie die genannten Texte selbst, um sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen.

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Anlage 2 ———-

Ich habe (und hatte zum Zeitpunkt des umstrittenen Schreibens) beim Internet-Provider T-Online einen Flatrate-Tarif. Ich zahle also unabhaengig von der genauen Internetnutzung monatlich einen pauschalen Betrag. Fuer Abrechnungszwecke ist es daher voellig belanglos, wann genau ich den Internet-Zugang genutzt habe und welche Internet-Adresse ich jeweils verwendet habe.

Parapraph 6 Abs. 2 TDDSG (Teledienstedatenschutzgesetz): „Zu loeschen hat der Diensteanbieter 1. Nutzungsdaten fruehestmoeglich, spaetestens unmittelbar nach Ende der jeweiligen Nutzung, soweit es sich nicht um Abrechnungsdaten handelt, 2. Abrechnungsdaten, sobald sie fuer Zwecke der Abrechnung nicht mehr erforderlich sind […]“

Dass diese Pflicht zur Loeschung von Verbindungsdaten eindeutig fuer Flatrate-KundInnen gilt, macht auch das Bundeswirtschaftsministerium deutlich: Bundesministerium fuer Wirtschaft und Technologie: e-f@cts. Informationen zum E-Business. Ausgabe 09/Februar 2002. Seite 6 („Datenschutz“): „Nicht mehr benoetigte Daten loeschen Benoetigt der Diensteanbieter die Nutzungsdaten allerdings fuer diese Zwecke [gemeint sind Abrechnungszwecken; HV] nicht mehr, so muss er sie loeschen. Und zwar sogar direkt nach einer Bestellung oder einem Auftrag, falls ein Kunde einen Dienst pauschal nutzt, also unabhaengig von Umfang oder Art der Nutzung (z. B. Flatrate).“ (www.bmwi.de/Homepage/download/infogesellschaft/efacts09.pdf )

Auch die Fachpresse bestaetigt diese Einschaetzung: Holger Bleich und Joerg Heidrich: „Ach wie gut, dass niemand weiss …“. c’t 19/2002, S. 124 ff.: „Umgekehrt duerfen aufgrund des allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundsatzes der Datensparsamkeit aber keine Informationen ueber die Nutzung von Flatrates gespeichert werden, da diese fuer eine Abrechnung eben gerade nicht relevant sind.“ (http://www.heise.de/ct/02/19/124/ )

Die Datensammlung durch T-Online wurde auch von staatlichen Stellen als illegal geruegt. Geaendert hat sich offenbar bisher nichts: Holger Bleich und Joerg Heidrich: „Ach wie gut, dass niemand weiss …“. c’t 19/2002, S. 124 ff.: „Das fuehrt zurueck zum eingangs erwaehnten T-Online-Fall: Ausgerechnet der groesste deutsche Zugangs-Provider bewahrt saemtliche so genannte ‚Nutzungsdaten‘ der Kunden nach eigenen Angaben 80 Tage lang auf – auch die der Nutzer einer T-DSL-Flatrate. Aus diesem Grund haben die Datenschuetzer T-Online laengst im Visier. Seit Anfang dieses Jahres [2002; HV] versucht das Regierungspraesidium Darmstadt als zustaendige Aufsichtsbehoerde, T-Online dazu zu bewegen, sich datenschutzkonform zu verhalten.“ (http://www.heise.de/ct/02/19/124/ )

Die Einschaetzung durch einen auf Datenschutz spezialisierten Rechtsanwalt: Holger Bleich und Joerg Heidrich: „Ach wie gut, dass niemand weiss …“. c’t 19/2002, S. 124 ff.: „Fuer Datenschutzexperten wie den Rechtswanwalt Stefan Jaeger ist die Sachlage eindeutig: ‚T-Online handelt hier rechtswidrig.'“ (http://www.heise.de/ct/02/19/124/ )

http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12758/1.html

Das Massaker, das nicht sein darf

Harald Neuber 20.06.2002

8000 Taliban ergaben sich Ende November der Nordallianz, nur gut 3000 kamen im Gefängnis an, über den Rest herrscht Schweigen – auch in Berlin

Nach wochenlangen schweren Kämpfen schwiegen die Waffen. Rund 8.000 Taliban-Kämpfer waren von feindlichen Truppen nahe der nordafghanischen Stadt Kundus umzingelt worden. Die US-Angriffen hatten sie zermürbt. Amir Jahn, ein Kommandant der „Vereinigten Islamischen Front“, hier unter dem Namen Nordallianz bekannt, trat in Verhandlungen ein. Man einigte sich rasch und die Taliban begaben sich in Gefangenschaft. Das geschah am 25. November vergangenen Jahres. „Ich habe 8.000 Soldaten gezählt“, sagt Kommandant Jahn, „Mann für Mann“. Damit könnte die Geschichte beendet sein. Tatsächlich kamen im Shebergan-Gefängnis im Norden des Landes nur 3.015 Mann an. Und hier beginnt die Geschichte von Jamie Doran, einem britischen Dokumentarfilmer.

Menschliche Knochen an einem Ort in der Nähe von Masar-i-Scharif, der von Physicians for Human Rights untersucht wurde

Der ehemalige BBC-Mann hatte von November bis April für seine eigene Firma in Afghanistan gedreht. Einmal auf den Zwischenfall aufmerksam geworden, machte er sich auf die Suche nach Zeugen für einen Massenmord. Festgehalten hat er sechs Aussagen; die eines Generals und zweier Kämpfer der Nordallianz. Die weiteren Aussagen stammen von einem Taxi- und zwei Fernfahrern. Ihnen allen zufolge sind schätzungsweise zwischen 1.500 und 3.000 der Gefangenen nach der Kapitulation hingerichtet worden. Die sechs Männer gehören unterschiedlichen Volksgruppen an, Absprachen oder politisch motivierte Absprachen sind unwahrscheinlich.

Nach Dorans Rekonstruktion wurden die 8.000 Taliban zunächst in die Festung Kaala-e-Dschangi nahe Kundus überführt, wo 470 verblieben – bis es zu dem Aufstand kam und dem Massaker an den Gefangenen mit der Unterstützung der US-Luftwaffe und von amerikanischen und britischen Soldaten kam. Unter den 86 Überlebenden, die sich in Tunnels verstecken konnten, befand sich der amerikanische Taliban John Walker Lindh ( Poor Boy Walker ). Manche sprechen von bis zu 800 Männern, die hier getötet worden seien. Die übrigen 7.500 wurden in das Gefängnis von Shebergan in den Norden gebracht. Dazu der Verhandlungsführer der Nordallianz, Amir Jahn, in Dorans Aufnahmen: „Dort kamen nur 3.015 an.“

Was war geschehen? Die Gefangenen wurden in Stahlcontainer geladen, um sie in das Gefängnis zu überführen. Plötzlich aber wurden die Container von Nordallianz-Kämpfern mit automatischen Waffen beschossen. Nach den Aussagen eines Taxifahrers rann aus dreien der Container Blut. Im Blutrausch oder um die Toten vor der in Shebergan wartenden Presse zu vertuschen, sei ein Teil der Transporte in die Wüste geschickt worden. Dort, bei Dasht-e-Leili, fand das Massaker an denen statt, die nicht erstickt waren, verdurstet sind oder durch die Kugeln getötet wurden. „Die Nummer derer, die dieses Schicksal erleiden mussten, wurde von den Zeugen mit 1.500 angegeben, ich halte die Zahl von 3.000 aber für wahrscheinlicher“, sagt Doran. Ein Teil der Gefangenen habe wohl fliehen können.

Aus dem Filmmaterial hat der irische Journalist einen etwa 20-minütigen Trailer zusammengeschnitten, der in der vergangenen Woche parallel im Europaparlament und im deutschen Bundestag gezeigt wurde. Federführend dabei war in Brüssel die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken und in Berlin die PDS – nicht unbedingt zum Wohlgefallen der übrigen Fraktionen.

Innerhalb weniger Tage sind Dorans unter schwersten Bedingungen entstandenen Aufnahmen nun in aller Munde. Ob er Forderungen stelle? „Ich bin Journalist, meine Aufgabe ist es nicht, Forderungen zu stellen“, sagte er in einem Interview (auf deutsch ). Allerdings müssten die Massengräber umgehend geschützt werden. Die Gefahr der Vertuschung sei enorm groß. Dieses Urteil teilt Francis Wurtz, der Vorsitzende Vereinigten Europäischen Linken. Noch im Juli soll daher in Brüssel eine Dringlichkeitssitzung einberufen werden, um sich mit den Vorwürfen zu befassen. Man fordere unabhängige und möglichst rasche Untersuchungen unter der Leitung des Internationalen Roten Kreuzes.

Bislang aber wird ignoriert, was ignoriert werden kann. Auf Anfrage der linken Tageszeitung junge Welt – vor allem sie, der Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatten nach der Video-Präsentation in Berlin und Brüssel in der vergangenen Woche das Thema prominent aufgegriffen – gingen die Parteien der Regierungskoalition in Abwehrhaltung. Bei der SPD war es „kein Thema“, bei den Grünen war niemand zu erreichen. Jedoch: Man habe die US-Regierung in Washington um Aufklärung gebeten. Und doch „war der Saal hier im EU-Parlament brechend voll“, sagte der PDS-Abgeordnete im EU-Parlament, André Brie, am Mittwoch im Gespräch mit Telepolis. Auch das Medieninteresse sei überwältigend gewesen. „Leider gibt sich die Bundesregierung nach wie vor mehr als diplomatisch und verharrt in ihrer Nibelungentreue zu den USA.“ Auf Initiative der Sozialisten befasst sich nun der Menschenrechtsausschuss des Bundestages mit den Vorwürfen.

Ob die Berliner Bitte nach Untersuchungen in Washington Gehör findet, hält Doran für unwahrscheinlich. „Im Shebergan-Gefängnis hielten sich (Ende November) etwa 150 US-Soldaten auf, die CIA-Mitarbeiter nicht mit eingerechnet.“ Kaum denkbar, dass niemandem die Menschenverluste auf dem Weg aus Kaala-e-Dschangi aufgefallen sind. Und mehr noch. Einer Aussage zufolge waren „30 bis 40 US-Soldaten“, die sich bei den Truppen der Nordallianz im Süden aufgehalten haben, auch bei dem Massaker zugegen. Ein Fernfahrer habe später in Shebergan gehört, wie ein US-Marine den Befehl gab, die Stahlcontainer wegzuschaffen. Das mag aus Angst geschehen sein, dass die Satelliten wenig später zu viele Container für zu wenige Menschen hätten aufzeichnen können.

„Menschenrechtsaktivisten haben meinen Film als das fehlende Glied in der Beweiskette bezeichnet“, sagt Doran. Vor ihm war bereits im Januar ein Team der „Physicians for Human Rights“ in der Wüste auf Reste menschlicher Körper gestoßen. Zusammen mit der UN Assistance Mission for Afghanistan (UNAMA) habe man im Mai schließlich Testgrabungen unternommen. Die Reste von 15 Menschen kamen als Tageslicht. Der Autopsie zufolge waren drei der Opfer erstickt.

Politiker halten sich Tage nach der Veröffentlichung der Doran-Aufnahmen erstaunlich zurück. Zur Beteiligung am Feldzug in Afghanistan hatten der deutschen und anderen Regierungen weitaus weniger Beweise gereicht. Selten kritisch haben sowohl Spiegel als auch FAZ das beschriebene Massaker gleich in den Überschriften mit „angeblich“ ergänzt. Auch hier gilt: Eine ähnliche Distanz zu Meldungen aus US-Federn nach dem 11. September hätte den großen Redaktionen in Anbetracht ihres immer wieder betonten Objektivitätsanspruchs gut angestanden.

Trotzdem das Interesse an den Aufnahmen von Doran enorm. „Ich habe Anfragen aus aller Welt, Europa, Asien, den USA“, sagt er. In Kabul kündigte Regierungschef Karzai inzwischen unabhängig von dem hiesigen Geschehen die Einrichtung einer Wahrheitskommission an, mit der die Verbrechen während des Krieges aufgeklärt werden sollen. Es besteht nicht viel Anlass zu Hoffnung, dass dabei weniger Tabus bestehen als bei den westlichen Regierungen.

http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/13811/1.html

Vorwürfe gegen US-Armee weiter ungeprüft

Harald Neuber 17.12.2002

Die ARD sendet den Dokumentarfilm von Jamie Doran über ein Massaker an gefangenen Taliban, an dem auch US-Militärs beteiligt gewesen sollen

Als der renommierte britische Dokumentarfilmer Jamie Doran Ende Juni eine Vorabfassung seines Dokumentarfilmes „Massaker in Mazar“ vorstellte, war das Medienecho bescheiden ( Das Massaker, das nicht sein darf ). Dabei enthüllten die parallel in Brüssel und Berlin organisierten Pressekonferenzen schier Unglaubliches: Tausende gefangene Kämpfer der Taliban-Milizen sollen im Norden Afghanistans in der Wüste hingerichtet worden seien. Die Rechnung war so einfach wie grausam: 8.000 Männer waren nach der Einnahme der Stadt Kundus durch Truppen der Nordallianz gefangengenommen worden. Am Zielort, dem Gefängnis von Scheberghan, sind jedoch nur 3.015 Menschen angekommen. Nach Ansicht von Doran und nach Aussagen mehrerer Zeugen wurden „Tausende Gefangene in der Wüste Dascht Leili hingerichtet“. An der ausgewiesenen Stelle fanden die US-amerikanischen „Ärzte für Menschenrechte“ tatsächlich Reste menschlicher Körper ( Massaker im Norden Afghanistans).

Der Film sei „von der PDS“ bestellt , hieß es aus US-Kreisen nach der Vorführung im Bundestag. „Falsch“, so das prompte Dementi von Doran, der erklärte, „dass mein Dokumentarfilm ‚Das Massaker von Mazar‘ von der PDS weder in Auftrag gegeben noch bezahlt worden ist. Ich wäre zugleich außerordentlich verärgert, falls anderslautende Gerüchte vom zentralen inhaltlichen Punkt meines Films ablenken.“

Diese Befürchtung zumindest erfüllte sich nicht, denn nach und nach griffen weitere Medien die Geschichte auf. Als sich im August dann das US-Nachrichtenmagazin Newsweek der Sache annahm, musste die US-Regierung eingestehen: Ja, US-Soldaten waren bei Dascht Leili anwesend, und ja, es habe wohl ein Massaker gegeben. Die anwesenden US-Soldaten hätten davon aber nichts bemerkt.

Trotz dieser ungeheuerlichen Behauptungen ist seither wenig geschehen. Die Ärzte für Menschenrechte drängen seit Bekanntwerden der Geschehnisse auf eine Sicherung des mutmaßlichen Massengrabes in der Wüste bei Mazar-i-Sharif. Vergebens. „Unser Forensik-Experte William Haglund ist erst vor wenigen Tagen aus der Region zurückgekehrt“, so John Heffernan vom Washingtoner Büro der „Ärzte“ Anfang der Woche gegenüber Telepolis.

Nach den Presseberichten in den USA und Großbritannien hätten die Vereinten Nationen in eine Untersuchung eingewilligt. „Weil unserer Forderung nach einer solchen Nachforschung nicht gleich stattgegeben wurde, müssen wir nun wegen den extremen klimatischen Bedingungen bis zum Frühjahr warten“, beklagt Heffernan. Bis dahin aber ist die Stelle ungeschützt.

Eine der Hauptforderungen der Organisation und des Dokumentarfilmers Doran ist daher die Bewachung des mutmaßlichen Massengrabes. Doch wer soll den übernehmen, wenn alle in der Region aktiven Ordnungskräfte für sie belastende Funde erwarten müssen? Ähnliche Erfahrungen machte André Brie, PDS-Abgeordneter im Europaparlament. Bereits Anfang September hatte er eine fraktionsübergreifende Delegation organisieren wollen. „Die afghanische Regierung konnte uns aber keinerlei Sicherheitsgarantien geben.“ Nun hoffen die Parlamentarier auf eine Afghanistan-Visite „für Januar oder Februar“.

Thomas Schreiber, der Leiter des Programmbereiches Kultur im NDR Fernsehen, wies heute die Vorwürfe der US-Regierung gegen die Ausstrahlung des Films zurück:

„Alle Augenzeugen, die in der Dokumentation über die Vorgänge im Gefängnis von Sheberghan und am Ort des Massengrabes in Dasht-i-Leili zu sehen sind, berichten übereinstimmend, dass amerikanische Soldaten an diesen beiden Orten anwesend waren.

Der Sprecher des US-Außenministeriums Larry Schwartz hatte dpa zufolge erklärt, dass die Aussagen der ARD-Dokumentation ‚vollständig falsch und bereits widerlegt‘ seien. Dies steht im deutlichen Widerspruch zur Mitteilung des Pentagons, dass bislang keine Untersuchung der Vorgänge durch die US-Streitkräfte stattgefunden hat. Zur zweifelsfreien Aufklärung notwendig wäre also eine interne Untersuchung des amerikanischen Verteidigungsministeriums sowie die Exhumierung der Massengräber, die Obduktion der Leichen und die Identifikation der Toten durch das UNHCR.“

Als in den Vereinten Nationen vor wenigen Wochen um den Internationalen Strafgerichtshof gestritten wurde, begründeten die USA ihre Enthaltung mit den „funktionierenden Sanktionierungsmechanismen in der US-Armee“. Und tatsächlich scheinen sie ganz im Sinne der Regierung zu funktionieren: nämlich gar nicht.

Als nach dem Fall von Kundus die Gefangenen entwaffnet waren, erklärte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in Washington, es wäre „bedauerlich, wenn ihnen nun erlaubt würde, in ein anderes Land zu gehen und dort ähnliche terroristische Taten zu verüben.“ Er fügte hinzu: „Ich hoffe, dass sie entweder umkommen oder gefangen genommen werden.“ Bisweilen scheint das auch andersherum zu funktionieren.

Am Mittwoch, den 18.12.2002, zeigt die ARD um 21.55 Uhr den Dokumentarfilm: „Das Massaker in Afghanistan – Haben die Amerikaner zugesehen?“

www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=1911553&forum_id=30631

Da trifft es mal die Richtigen !

Engine_of_Aggression 21. Juni 2002 4:52

Warum sollen Massaker immer nur an den Guten angerichtet werden und der Bodycount des Abschaums kommt unterm Strich besser weg! Gratulation, dass es in der heutigen überkritischen Zeit noch Menschen gibt, die sich trauen das Böse mit der Wurzel auszureissen und vom Antlitz des Planeten restlos zu vertilgen!

EoA zum 11.9.2001.: Gratulation!
Das Böse wurde mit der Wurzel ausgerissen!

Holger Voss 21. Juni 2002 23:21

Engine_of_Aggression schrieb am 21. Juni 2002 4:52:
>Warum sollen Massaker immer nur an den Guten angerichtet werden
>und der Bodycount des Abschaums kommt unterm Strich besser weg!

Stimmt. Deshalb wurde es dringend Zeit, dass nach all den Massakern, die von den USA oder im Auftrag der USA begangen wurden, endlich mal Leute den Mut hatten, ein Masssaker am wahren Abschaum, an US-AmerikanerInnen zu verüben.

>Gratulation, dass es in der heutigen überkritischen Zeit noch
>Menschen gibt, die sich trauen das Böse mit der Wurzel
>auszureissen und vom Antlitz des Planeten restlos zu vertilgen!

Ja, Gratulation an die Mörder vom 11.09.2001! In unserer überkritischen Zeit werden tötliche Aktionen gegen ZivilistInnen oft als falsch wahrgenommen, gerade von Pazifisten und solchem Pack. Gut, dass am 11.09. ein paar echte Männer (!) den Mut gefunden haben, es dem Bösen, es den USA mal so richtig zu zeigen!

Engine_of_Aggression, Du hast völlig Recht: Die Aktionen vom 11.09.2001 waren ein hervorragender Schritt, um das Böse in dieser Welt auch in unserer überkritischen Zeit auszureißen. Danke für Deine klaren Worte!

Ach ja: Wer Sarkasmus findet, der/die möge ihn bitte weiterverwenden.

Gruß

Holger

P. S.: „Filterliste […] Jäger_des_verlogenen_Packes […] Engine_of_Aggression“ – Eventuelle Antworten dieser beiden Volksverhetzer werde ich also nur sehen, wenn ich zufällig in ’ner Browsersitzung bin, in der ich mich noch nicht bei Heise angemeldet habe.

Stellungnahme Herausgabe von Nutzerdaten

Joerg Heidrich joh@heise.de (6. Januar 2003 13:26)

Zu der Herausgabe von Nutzerdaten auf Anforderung eines Gerichtes sind wir rechtlich verpflichtet. Dies ergibt sich aus einer ganzen Reihe von Vorschriften, u.a. § 89 Abs. 6 TKG oder §§ 100a ff. StPO. Vorliegend haben wir die Daten auf einen Beschluss des Amtsgerichts Münster an die Staatsanwaltschaft herausgegeben.

Auf die Speicherung und ggf. die Herausgabe von IP-Adressen wird in der Privacy Policy des Verlags ausdrücklich hingewiesen. Dort heißt es u.a.:

„In Verbindung mit Ihrem Zugriff werden auf unseren Servern Daten für Sicherungszwecke gespeichert, die möglicherweise eine Identifizierung zulassen (zum Beispiel IP-Adresse, Datum, Uhrzeit und betrachtete Seiten). Es findet keine personenbezogene Verwertung statt. Die statistische Auswertung anonymisierter Datensätze bleibt vorbehalten. Soweit wir gesetzlich oder per Gerichtsbeschluss dazu verpflichtet sind, werden wir Ihre Daten an auskunftsberechtigte Stellen übermitteln.“

Des weiteren machen wir in unseren Nutzungsbedingungen deutlich, dass die anonyme Teilnahme an den Foren nicht gestattet ist:

„Mit der Speicherung auf unserem Server und der öffentlichen Verbreitung übernehmen wir eine Mitverantwortung für den Inhalt Ihrer Beiträge. Wir erwarten daher von Ihnen, dass Sie selbst bereit sind, zu Ihren Beiträgen zu stehen und uns Ihre tatsächliche Identität bekannt zu geben.“

In der Praxis wird eine Anfrage nach Nutzerdaten relativ selten gestellt. 2002 hatten wir hier bei Zehntausenden von Posting nur drei derartige Anfragen von Strafverfolgungsbehörden, auf die wir die Daten herausgegeben haben. Ein Fall bezog sich auf eine Beleidigung, ein anderer auf den Verdacht von Schwarzarbeit. Mitgeteilt wird der Staatsanwaltschaft dabei die IP-Nummer sowie Datum und Uhrzeit der Verbindung. Über den weiteren Fortgang des Verfahrens werden wir nicht informiert.

Als Forums-Betreiber stehen wir im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen auf freie Meinungsäußerung und auf Schutz beispielsweise vor Beleidigungen oder Verleumdungen. Wir können daraus resultierende Konflikte nicht lösen, sondern müssen auf die Gerichte vertrauen.

Die Anschuldigungen gegen Herrn Voss empfinde ich persönlich als rechtlich haltlos. Würden wir hier eine strafrechtlich relevante Äußerung sehen, so hätten wir den Beitrag gelöscht, was jedoch bewusst nicht geschah. Insofern wünschen wir Herrn Voss gutes Gelingen bei der Verhandlung am Mittwoch und erwarten einen Freispruch.

Gruss aus Hannover Joerg Heidrich Rechtsanwalt Justiziar Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co KG

Engine of Justice

Goedart Palm 06.01.2003

Vom Telepolis-Forum schnurstracks in die Hauptverhandlung

Karl Kraus rotiert mit wutlodernder Fackel im Grab, Peter Panther kratzt gegen den vermoderten Sargdeckel und auch in der Gruft von Alfred Polgar ist leises Wimmern zu vernehmen. Wie konnte es nur dazu kommen? Harald Neuber berichtete in Telepolis über das ungeklärte Massaker in Masar-i-Scharif ( Das Massaker, das nicht sein darf [1]), das immer noch heftige, unbeantwortete Nachfragen der Weltöffentlichkeit auslöst ( Vorwürfe gegen US-Armee weiter ungeprüft [2]). Im Forum kommentierte [3] „Engine_of_Aggression“, dass es die Richtigen getroffen habe: „Warum sollen Massaker immer nur an den Guten angerichtet werden und der Bodycount des Abschaums kommt unterm Strich besser weg!“

Holger Voss, ohne Nick und Visier, meinte [4]: „Stimmt. Deshalb wurde es dringend Zeit, dass nach all den Massakern, die von den USA oder im Auftrag der USA begangen wurden, endlich mal Leute den Mut hatten, ein Massaker am wahren Abschaum, an US-AmerikanerInnen zu verüben.“ Der überzeugte Kriegsgegner Voss fügte noch selbstpersiflierend hinzu: „In unserer überkritischen Zeit werden tödliche Aktionen gegen ZivilistInnen oft als falsch wahrgenommen, gerade von Pazifisten und solchem Pack“, nebst dem klärenden Zusatz für den verdutzten Leser: „Ach ja: Wer Sarkasmus findet, der/die möge ihn bitte weiterverwenden.“

War das jetzt moralisch-sarkastischer Anschauungsunterricht, eine Tit for Tat-Offensive oder die Billigung der Terroranschläge? „Engine_of_Aggression“ drohte mit der Staatsanwaltschaft, ohne wohl eine Selbstanzeige wegen „Bodycount des Abschaums“ in Erwägung zu ziehen. Nun hat der „Abschaum“, so er denn noch lebt, ohnehin keine Lobby hier zu Lande. Über die mutmaßlich in Containern der Nordallianz elendig Verreckten soll nicht gesprochen werden… Nach der anonymen Strafanzeige kam das Ermittlungsverfahren, dann zackig der horrende Strafbefehl in Höhe von 1.500 Euro (!), Einspruch von Holger Voss, Hauptverhandlung am 08. Januar 2003 vor dem Amtsgericht Münster, nicht dem Königlich-Bayerischen Amtsgericht also.

Die Mühlen der Justiz konnten diesmal so schnell mahlen, weil die Internetverbindungsdaten des Beschuldigten vom Internet-Provider T-Online angeblich über Monate aufbewahrt und den Ermittlungsbehörden – nach Aussage von Voss – ohne richterlichen Beschluss zur Verfügung gestellt wurden. Datenschutzrechtlich wird der Fall dadurch pikant, dass Voss Flatrate-Nutzer ist. Die Provider-Praxis, auch Informationen über solche Nutzungen längerfristig zu speichern, wird von Datenschützern seit längerem angezweifelt [5], da Zwecke der Abrechnung dies keinesfalls rechtfertigen. Den Logfile-Eintrag mit der IP-Adresse hatte Heise Online auf Beschluss des Amtsgerichts Hannover übermittelt.

Freie Meinungsäußerung ist ein schützenswertes Grundrecht in einem demokratischen Rechtsstaat Die Anklagebehörde hat die gesetzliche Verpflichtung, auch die entlastenden Umstände zu Gunsten des Angeschuldigten zu sammeln, aber die Staatsanwaltschaft in Münster wurde da wohl nicht fündig, wenngleich es doch aus dem Posting nur so sprudelte. Der „unbefangene Leser“ könnte die schlimmen Worte als Billigung der Terroranschläge verstehen, obwohl doch offensichtlich gerade umgekehrt der befangene Leser sie missverstehen wollte. Der vossische „Sarkasmus-Tag“, die ironische Wortwahl und ein hermeneutischer Erste-Hilfe-Koffer hätten bereits genügt, die rote Akte zu schließen, bevor sie überhaupt angelegt wurde. Doch wohl gerade nicht, kommt das Js-Aktenzeichen der Ankläger ja immerhin aus der guten alten Zeit der Inquisition.

Bereits die oberflächliche Interpretation des Schlagabtauschs macht klar, dass Holger Voss mit gleicher Münze zurückzahlen wollte, was die Aggressionsmaschine – nomen est omen – in das Fadenkreuz genommen hatte. Eine harte Währung zwar, aber dafür „1.500 Peitschenhiebe“? Wer die explosiven Gepflogenheiten zahlreicher Online-Foren kennt, weiß, dass hier zwar mit harten, aber eben virtuell gepolsterten Bandagen gestritten wird. Die Diskursfigur des „Trolls“, der wütende Rede und Gegenrede, Eifer und Unruh provoziert, weil Brand stiften vor einsamen Monitoren nun mal mächtig Spaß macht, gehört genauso zu den virtuellen Waldbewohnern wie manch argloser Hobbit, der seine two cents in den kursierenden Meinungsklingelbeutel wirft. Wie treu sind die Gefährten? Von Verleumdungen abgesehen, sollte virtuell bleiben, was in erhitzten Diskussionen oft bis weit nach Mitternacht so verzundert wird. Nicht moderierte Listen sind ein Forum der freien Meinungsäußerung. Wer das nicht aushält und die Polizei ins virtuelle Home holt, sollte zukünftig gefälligst draußen bleiben.

Die Ankläger benötigen wohl nicht nur im politisch korrekten Münster noch ein wenig praktischen Anschauungsunterricht, um zwischen Krieg, flaming-war und Geplänkel zu unterscheiden. Schickt unvernetzte Staatsanwälte und Richter in die Online-Selbsterfahrungsgruppe! Immerhin trainiert die Justiz ja auch Kampftrinken, um sich ein besseres Bild von alkoholbedingten Steuerungsmängeln zu machen. Das fröhliche Online-Leben, der unbeschwerte Umgang mit „political correctness“, die virtuelle Meinungsfreiheit hat mitunter schroffe Abgründe, die deshalb noch lange nicht zum Abfahrtslauf in den Gerichtssaal werden dürfen.

Für Verschwörungspraktiker eröffnet sich freilich auch hier ein weites Feld für Nachermittlungen. Präsident Bush wird jedenfalls nachgesagt, dass er sich über kritische Darstellungen seiner Politik in der Öffentlichkeit mächtig ärgere… und wer weiß, hinter manchem „nick“ verbirgt sich vielleicht ein „tricky dick“ (Philip Roth) und der Rest der coolen Gang.

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Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/13907/1.html

Den Verlauf der Verhandlung und den notwendigen und richtigen Freispruch schildert Bernd Drücke in der Graswurzelrevolution:

„Staatsanwalt mit Leseschwäche – Der Prozess hatte realsatirischen Charakter. Den Anwesenden wurde vorgeführt, wie leicht es hierzulande ist einen Menschen vor Gericht zu zerren. Die Staatsanwaltschaft war miserabel vorbereitet. Trotz der umfassenden Ermittlungen war sie nicht in der Lage, vor dem Prozess die von ihr inkriminierte Parodie im Kontext zu lesen. Die Bildungskatastrophe hat die Talarträger offenbar voll erwischt. Da hilft auch kein jahrelanges Aktenschnüffeln. Während des Prozesses erbat sich der Staatsanwalt Lesezeit, was im Publikum Gelächter auslöste. Nachdem er die Texte von Harald Neuber (1), „Engine_of_Aggression“ (2) und Harald Voss (3) dann im Zusammenhang studiert hatte, bemerkte er, „dass dem Angeklagten wohl zuzustimmen“ sei. Er zog die Anklage zurück und plädierte auf Freispruch. Die Richterin schloss sich dem zähneknirschend an. „Dass es überhaupt zum Prozess kam, ist ein Skandal!“, „Für so was werden Steuergelder verschwendet!“, „Schmerzensgeld fordern!“,… so die Kommentare aus dem Publikum. Angesichts der schon vor dem Prozess unübersehbaren Haltlosigkeit der gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe erntete das Gericht Hohn und Spott für ihr juristisches Possenspiel.

Dem ist nichts hinzuzufügen.