IMI / Presse: Transitstrecke für kaspisches Öl

von: 5. Dezember 2001

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Politologe Jürgen Wagner zu ökonomischen Aspekten des Afghanistan-Krieges Interview im Neuen Deutschland (ND) vom 05.12.01

Der Politologe Jürgen Wagner (26), Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., arbeitet zur Zeit an einer Studie zu den wirtschaftlichen Hintergründen der gegenwärtigen USA-Politik im Afghanistan-Krieg. Die Studie soll noch im Dezember vorliegen.

ND: Wie interpretieren Sie die Rolle ökonomischer Interessen im Krieg der USA gegen Afghanistan?

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass ein Sturz der Taleban bereits vor dem 11. September beschlossene Sache war. So kündigten hohe USA-Vertreter bereits im Juni 2001 an, die USA würden spätestens im Oktober einen Regierungswechsel in Kabul herbeiführen. Auch zeigte das gesamte Verhalten der USA in der Folge der Anschläge, dass genau dies ein zentrales Ziel der USA-Militäraktionen darstellte. Jegliche Lösungsmöglichkeiten diplomatischer Art wurden hierbei konsequent ignoriert. Der Grund dafür hängt eng mit der ökonomischen und strategischen Bedeutung der riesigen Öl- und Gasvorkommen der kaspischen Region zusammen.

ND: Das heißt konkret für Afghanistan?

Ein zentrales Interesse der USA besteht in der Umgehung Russlands und des Iran als Transitstrecken der kaspischen Ressourcen. Ab Mitte der 90er Jahre versuchte die kalifornische Firma UNOCAL, eine Pipeline durch Afghanistan zu verlegen, die genau dies gewährleisten konnte. Sowohl UNOCAL als auch die USA-Regierung nahmen allerdings 1998 Abstand von diesem Projekt.

ND: Danach setzten sich die USA für eine Pipeline durch die Türkei ein.

Seit vor kurzem eine russische Pipeline die Versorgung des europäischen Marktes sicherstellt, bestehen für die Realisierung einer türkischen Trasse kaum ernsthafte Chancen. Deshalb gewann die Afghanistan-Route wieder an Bedeutung. Das Projekt wurde 1998 mit der Begründung, der andauernde Bürgerkrieg mache eine Trassenführung unmöglich, auf Eis gelegt, aber keineswegs aufgegeben. Um doch noch zu einem Ergebnis zu kommen, versuchte man die Taleban dazu zu bewegen, die Nordallianz an der Macht zu beteiligen. Mitte 2001 beschrieb ein USA-Diplomat die Politik der USA mit den Worten: „Wenn die Taleban bin Laden ausliefern und sich mit der Nordallianz einigen, legen wir ihnen einen goldenen Teppich aus. Wenn nicht, ist ein Bombenteppich die Alternative.“ Als die Taleban dies ablehnten, war ihr Schicksal besiegelt.

ND: Worin genau liegen die Vorteile einer Pipeline durch Afghanistan?

Nachdem sich seit Anfang des Jahres sowohl Indien als auch europäische Konzerne zunehmend für eine iranische Pipeline interessierten, gleichzeitig aber die Sanktionen der USA gegen Iran den USA-Konzernen eine Beteiligung an einem solchen Projekt verbieten, drohte Washington auch die Kontrolle über die Energieversorgung des künftig geostrategisch immer bedeutenderen Indiens zu verlieren.

ND: Welche Konsequenzen für die Region könnten sich aus der Politik der USA-Regierung ergeben?

Washington dürfte sein langjähriges Ziel, dort dauerhafte Militärbasen zu errichten, verwirklichen können. Augenblicklich spricht man im Pentagon ganz offen davon, dass die USA-Truppen mindestens drei bis fünf Jahre dort bleiben sollen. Indem Bush eine Verbindung zwischen der islamischen Oppositionsbewegung Usbekistans und Al Qaida betonte, gab er bereits einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte: Eine interventionistische USA-Politik in der Region zur Wahrung der eigenen Interessen – legitimiert mit dem Argument, den „Kampf gegen den Terror“ weiterzuführen. Diese Politik kann allerdings auch leicht zu erheblichen Konflikten mit Russland, Iran und eventuell auch China führen.

Fragen: Thomas Klein